Die Botschaft des Lichtes

Die Botschaft des Lichtes

Bild: Esteban Lopez via unsplash.com

Die Botschaft des Lichtes
Berührt von Farben und Räumen
20.08.2017 - 08:25
17.08.2017
Pfarrer Jörg Machel

Durch das offene Dach gießt es in Strömen. Wir stehen im Kreis dicht an der Wand und schauen in die Regenwolken. Ich befinde mich in einer Rauminstallation von James Turrell im Ekebergpark nahe Oslo. Es ist ein eigenartiges Gefühl drinnen und doch draußen zu sein. Der bergende Raum und der offene Himmel fordern die eigene Standortbestimmung heraus. Der amerikanische Lichtkünstler hat ein altes Wasserwerk mit seinen Installationen in Erlebnisräume umgestaltet. In einem dieser Räume treffe ich auf Alex aus Deutschland.

 

Alex: Ich bin hier zufällig gelandet, um ehrlich zu ein. Ich war letztes Jahr schon hier in Oslo, bin hier über den Ekkebergpark gelaufen, weil ich ein paar Meter von hier gecampt habe und habe das hier zufällig entdeckt und dachte zuerst, altes Wasserwerkgebäude oder was auch immer das ist und habe dort vorne das Schild gesehen „Turrell“ und war völlig hin und weg, weil ich dachte okay, den kennst du, da hast du schon mal was mit zu tun gehabt, da hast du schon mal was drüber gelesen. Und hast auch schon was in Wolfsburg besucht. Musst du dir anschauen.

 

Die Kunstwerke von James Turrell sind etwas besonderes. Sie folgen einem Konzept, auf das sich der Betrachter einlassen muss, er muss sich in das Kunstwerk hineinbegeben, muss mit ihm gewissermaßen verschmelzen, selbst ein Teil davon werden. Dann kann der Betrachter feststellen, wie er sich unter dem Einfluss dieser Kunst verändert. Neben dieser Spannung zwischen geschlossenem Raum und offenem Himmel setzt sich Turrell in seinen Installationen mit der Wirkung des Lichtes auf den Betrachter auseinander. Der Zugang von Alex ist vor allem technischer Natur.

 

Alex: Das ist einfach interessant, weil ich halt mit Lichttechnik zu tun habe und dann auch diese LED Beleuchtung in diesen verschiedenen Farben hier möglich sind, in diesen Farbmischungen. Ich habe früher im Bereich Flugzeugbeleuchtungen gearbeitet und in der Flugzeugkabinen werden ja heutzutage an Hand des Sonnenaufgangs / Sonnenuntergangs – man versucht das auch in der Flugzeugkabine nachzuvollziehen und auch möglichst homogen an den Flugzeugwänden und auch an der Decke, im Prinzip mit den LEDs, die auch hier benutzt werden. Und da ging es um ähnliches auch, da ging es darum es homogen auszuleuchten, da ging es darum diese Farben darzustellen, da musste ich dann auch wieder dran denken.

 

 

Als Theologe hat Licht als Metapher für mich immer auch eine religiöse Bedeutung. Gott schuf das Licht aus der Finsternis, so steht es in der Genesis, im Buch der Schöpfung, mit der die Bibel beginnt. Wir Christen entzünden vor jedem Gottesdienst die Kerzen auf dem Altar, Kirchenfenster sind bunt gestaltet und der Altarraum weist nach Osten, so dass die Morgensonne den Raum in Licht taucht. So ist es diese Auseinandersetzung von James Turrell mit dem Licht, die Christhard Neubert als Kunstbeauftragten der Berliner Kirche dazu veranlasste, diesen Künstler für ein ambitioniertes Projekt auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in der Mitte Berlins zu gewinnen.

 

Neubert: Mir ging es darum, einen Künstler zu gewinnen, der selber etwas versteht von dem Paradox Licht und Dunkel. Allerdings einen, der uns das nicht zeichnet, wie wir das von den alten Meistern kennen und sie bis heute bewundern, sondern der dies tut unter den ästhetischen, politischen, kulturellen Bedingungen der Gegenwart, einen Raum, der möglicherweise neu interpretiert, was eigentlich christliche Auferstehungshoffnung heißt. Und bei einigem Überlegen kam ich dann in der Tat auf James Turrell.

 

Was dabei auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof am Ende entstanden ist, beschreibt Christhard Neubert so:

 

Neubert: Es ist Freitagabend, wir betreten aus der Fülle des Lärms der Berliner Großstadt eine Oase der Stille. Unser Weg führt vorbei an einer alten Mauer aus Stein und führt auf einen Platz, unser Blick fällt nach rechts und mit einem Mal sehen wir ein großes Dreieck, ein Tympanon, einen Giebel aus Licht. Wir sind neugierig geworden, treten ein und befinden uns in einem Raum aus Licht. Wir nehmen Platz auf ganz einfach gestalteten Bänken und schauen auf einen weißen Altar. Der ist schmucklos. Er trägt ein Kreuz. Inzwischen ist die Abendsonne über dem Friedhof untergegangen. Die Dämmerung bricht herein – die blaue Stunde. In diesem Moment verwandelt sich der zuvor weiße Raum Turrells in einen Farbraum. Unmerklich wandeln sich die Farben von einem hellen Gelb zu einem Blau, Grün, ein farbiges Lichtspiel, das so langsam sich von der einen Farbe zur anderen hinbewegt, dass wir gar nicht merken wie der Wandlungsprozess sich vollzieht. Jahre des Lebens ziehen an uns vorbei, wir spüren wie langsam die Zeit vergeht, spüren unsere eigene Zeit, verwandeln sie mit hinein in den langsamen Wechsel der Farben in diesem Raum und als wir nach zwei Stunden diesen Raum verlassen empfängt uns auf Friedhof der Gesang einer Amsel, wir spüren, dass wir umfangen sind von einem Ort, der uns trösten kann, der uns keine Angst macht, der riecht nach dem frischen Laub der grünen Bäume und dann finden wir langsam unseren Weg wieder hinaus in das Getriebe der Großstadt.

 

Für den Architekten Pedro Moreira war dieses Projekt mit einer ganzen Reihe von Herausforderungen verbunden. Mit seiner Kollegin Nina Nedellykov hat er den Umbau der Friedhofskapelle zu verantworten, in dem Turrell seine Lichtinstallationen realisieren konnte.

 

Moreira: In der Kapelle des Dorotheenstädtischen Friedhofes haben wir eine sehr außergewöhnliche Situation. Als wir die Fenster bis nach unten, bis zum Boden erweitert haben, gab es zunächst den Eindruck, dass eine Verstärkung der Innen-Außen-Verhältnisse entstehen würde. Das Konzept von Turrell sah aber vor, dass matte Glasscheiben verwendet werden sollten. Diese matten Glasscheiben verursachen nicht nur eine Filtrierung des Lichtes insgesamt, aber eine gewisse Neutralisierung des Innenraumes, weil die Licht-Schatten-Verhältnisse werden viel weicher. Wir hatten im Grunde einen schattenlosen Raum in dieser Kapelle, wo nur die Farbintensität eine Rolle spielte. Wir sehen zum Beispiel von innen die Veränderung der Qualität des Lichtes des Tageslichtes im Verlauf des Tages. Wir haben aber keinen Blick nach außen. Wir sehen nur, dass das Licht stärker oder weniger stark wird, aber wir merken nicht wie Licht und Schatten sich außen verändern. Es ist ein mattierter Raum sozusagen und dadurch entsteht gewissermaßen eine Metapher, ein schattenloser Raum, der eigentlich dem Tod beziehungsweise dem Leben gewidmet ist. Kann man auf verschiedenen Ebenen interpretieren.

 

Unter den Friedhöfen Berlins nimmt der Dorotheenstädtische eine besondere Rolle ein. Aufmerksamkeit garantiert ihm nicht nur seine zentrale Lage an der Chausseestraße, es ist vor allem die außergewöhnliche Ansammlung bedeutender Persönlichkeiten, die sich diesen Friedhof als letzte Ruhestätte gewählt haben. Einige nennen ihn einfach „Brecht-Friedhof“, weil der große Dichter hier neben Helene Weigel begraben liegt, in Sichtweite zu ihrem ehemaligen Wohnhaus. Auch Hegel und Fichte, Schinkel und Rauch, Egon Bahr und Johannes Rau machen diesen Begräbnisplatz zu einem Besuchermagneten. Nun ist die Turrellkapelle hinzugekommen und lockt weitere Besucher an. Was aber macht den besonderen Reiz dieser Kapelle aus? Der Architekt Pedro Moreira beschreibt es so:

 

Moreira: Es ist ein erstaunlich beruhigender Raum. Für uns war es sehr wichtig, unabhängig von Turrells Kunstwerk, dass diese Kapelle auch funktioniert, wenn das Kunstlicht ausgeschaltet ist, wenn man nur die Wirkung des Tageslichtes in diesem weißen Raum wahrnimmt. Und ich finde persönlich, dass diese Situation des weißen Raumes, der mattiert ist und der die Wahrnehmung von vielen, vielen Nuancen des Weißen ermöglicht, ein sehr schönes Moment ist.

 

 

Kunstwerke von James Turrell findet man in Museen, in umgenutzen Industriebauten, in den Gärten betuchter Kunstsammler, aber bei einer Friedhofskapelle handelt es sich letztlich ja doch um einen Zweckbau, einen sakralen Zweckbau zwar, aber gehört große Kunst wirklich auf einen Friedhof?, frage ich den Pfarrer und Kunstbeauftragten Christhard Neubert:

 

Neubert: Die Kunst kann gar nicht groß genug sein für einen christlichen Abschiedsraum, denn die Menschen, die dort hin kommen sollen ja nicht abgespeist werden, weder mit schlechten Trauerpredigten noch mit schlechter Musik, noch mit schlechter Kunst und darum ging es in der Tat um die Frage, was kann unter unseren heutigen Lebensbedingungen das angemessene sein für einen christlichen Abschiedsraum? Wie jede Friedhofskapelle ein Abschiedsraum ist, aber nicht nur ein Abschiedsraum, sondern auch ein Raum, der möglicherweise einen Neubeginn kennzeichnet. Darum, große Kunst auf dem Friedhof.

 

Wie aber kann man die Botschaft dieser Lichtinstallation in Beziehung setzen zur christlichen Botschaft, um die es doch auf einem Friedhof und in besonderer Weise in der Friedhofskapelle geht?

 

Neubert: Christus ist das Licht, das ist der berühmte Osterruf der Christen mit dem sie feiern, dass die Dunkelheit und die Finsternis nicht das letzte Wort haben sollen, sondern das Leben, dass die Dinge wieder gut werden. Sozusagen in der Paradoxie unseres Daseins verspüren, nein der Terror, die Angst, der Schmerz, die haben nicht das letzte Wort, sondern Trost wird sein, Hoffnung ist begründet, Licht umfängt uns am Ende des Lebens.

 

Soll das ein Hinweis auf die Schilderungen von Menschen sein, die sich im Grenzbereich des Todes befanden und von eindrücklichen Lichterfahrungen berichtet haben?

 

Neubert: Das kann ich ganz schwer einschätzen. Darüber wird manches geschrieben, jedenfalls war das nicht im Vordergrund unserer Überlegungen, diese Kapelle genau so mit Turrell zu gestalten. Gleichwohl aber zeigen diese Nahtodberichte, in denen Menschen sich in einem gleißenden Licht sehen, dass die christliche Auferstehungshoffnung, die in jedem großen Kirchraum mit dem Medium Licht arbeitet, wahrscheinlich genauso das Richtige ist, was wir an diesem Ort haben.

 

Wer immer sich die Zeit nimmt, in dieser Kapelle auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlins Mitte zu verweilen, wird seine ganz eigenen Assoziationen zu Licht und Dunkelheit entwickeln. Die einen werden die technische Rafinesse bewundern, die anderen werden sich in stillem Gebet ihrer Toten erinnern. Egal, ob man sich nun in einer Kunstinstallation oder in einem Sakralraum wähnt, der Besucher wird in jedem Fall eingeladen in die Tiefe zu gehen, in die Farben einzutauchen, die Hektik hinter sich zu lassen und den Phänomenen Zeit und Ewigkeit nachzuspüren.

 

 

Musik

1) Have A Cigar, Whish You Were Here, Pink Floyd

17.08.2017
Pfarrer Jörg Machel