Islam und Salam

Islam und Salam
Islam und Salam
Vom Friedenspotential muslimischer Religion
21.08.2016 - 08:35
04.07.2016
Gunnar Lammert-Türk

Sendung anhören

Sendung nachlesen:

Peter Heine: Glaubt nicht, ich sei gekommen, Frieden auf Erden zu bringen. Ich bin nicht gekommen, den Frieden zu bringen, sondern das Schwert. Denn ich bin gekommen, den Sohn mit seinem Vater zu entzweien, die Tochter mit ihrer Mutter, die Schwiegertochter mit ihrer Schwiegermutter. So werden des Menschen Feinde seine eigenen Hausgenossen. (Matthäus 10,34ff)

Diese meine Feinde aber, die mich nicht zu ihrem König haben wollten, bringt hierher und macht sie vor meinen Augen nieder! (Lukas 19,27)

 

Zwei Texte aus einem heiligen Buch zitiert der Islamwissenschaftler Peter Heine. Sie stammen nicht aus dem Koran, sondern aus dem Neuen Testament. Matthäus und Lukas legen sie Jesus in den Mund. Statt vom Frieden ist vom Schwert die Rede. Anstelle der Liebe zu den Feinden wird ihre Vernichtung verlangt. Würde man diesen Worten Folge leisten, ergäbe sich ein äußerst brutales Bild vom Christentum. Um das zu vermeiden, müssen solche Texte gedeutet werden. In jedem Fall verraten sie, ganz gleich, ob sie in der Bibel oder im Koran stehen, etwas von der Spannung, in der die Stifter und Anhänger einer neuen Religion zu ihrer Umwelt gestanden haben:

 

Peter Heine: Es ist typisch, nicht nur für den Koran, sondern auch für andere heilige Bücher, das sind ja keine Dissertationen oder wissenschaftlichen Abhandlungen, sondern sie entstehen ja in hochemotionalen Situationen. Und im Koran nehmen sie auch Bezug auf ganz konkrete Situationen, in denen sich der Prophet und die muslimische Gemeinde damals befunden haben.

 

Wie Jesus traf auch Mohammed mit seinen Bemühungen, den Monotheismus zu erneuern, auf vielfältigen Widerstand. Aber im Gegensatz zu Jesus, den seine Reden und Taten ans Kreuz brachten, blieb Mohammed am Leben und war somit verantwortlich für die Schar derer, die ihm folgten. Mohammed verteidigte sich und seine Anhänger gegen Angriffe und er kämpfte für den Erhalt der Gemeinde, für ihr Überleben und für ihre Ausbreitung. Und davon gibt es Reflexe im Koran. Dennoch ist der Islam keine Religion von Feuer und Schwert, was immer wieder behauptet wird und angesichts eines überzogenen Augenmerks auf radikalen islamistischen Gruppierungen neue Nahrung erhält. Der Islam ist nicht ausschließlich von Kampf und Auseinandersetzung geprägt. Etwas anderes ist mindestens ebenso wichtig, wenn nicht wichtiger, wie Ender Cetin, Vorstandsvorsitzender der türkischen islamischen Gemeinde Sehitlik in Berlin-Neukölln, sagt:

 

Ender Cetin: Islam heißt Frieden finden durch die Hingabe zu Gott. Und Gelehrte gehen ja auch immer davon aus, wenn man sich Gott hingibt, dann findet man den Frieden und sie unterteilen in drei Stufen, dass sie sagen: Frieden mit sich selbst, Frieden mit der Schöpfung und Frieden mit Gott. Aber Gott meint schon im Koran einen bestimmten Weg, den der Mensch geht und wo er ein Ziel erreicht, nämlich seinen Frieden und da gibt es ganz viele Stellen, die mit dem Begriff Salam und Islam auch zusammenkommen.

 

 

Wie Angehörige anderer Religionen orientieren sich Muslime an verschiedenen Regeln, um den Islam zu praktizieren. Neben den so genannten „Säulen des Islams“ – Glaubensbekenntnis, Ritualgebet, Fasten, Sozialabgabe und Wallfahrt – sind das Richtlinien aus dem Koran und dem Leben des Propheten. Muslime sind dazu aufgerufen, sich in besonderer Weise um ein gläubiges und rechtschaffenes Leben zu bemühen. Dafür steht das Wort „Dschihad“ – Anstrengung, oft in der Redewendung „Dschihad fi-sabil ilah“ gebraucht, was so viel wie ‚Anstrengung aller Kräfte auf dem Wege Gottes‘ meint. So bedeutet Dschihad für Muslime im Alltag:

 

Ender Cetin: Sich bemühen, um Gottes Wohlwollen zu erreichen. Das kann sein, dass man eben zur Arbeit geht, es ist mühevoll und es ist anstrengend, aber Gott mag den Fleißigen. Oder man ist nett zum Nachbarn, obwohl der unfreundlich ist vielleicht und dennoch geht es ja um Gott letztendlich und man strengt sich an. Die Anstrengung gegen das eigene Ich, gegen den Egoismus, Eitelkeit, gegen die Triebseele, das verstehen wir auch, wenn wir im Alltag sagen Dschihad.

 

Dschihad kann freilich auch auf kriegerische Auseinandersetzungen bezogen werden. So wurde der Begriff in der muslimischen Welt vor allem in den ersten Jahrhunderten ihres Bestehens auch verstanden. Sowohl die Verteidigung der eigenen Gemeinschaft und des eigenen Territoriums als auch Unternehmungen zur Ausweitung desselben konnten als Dschihad bezeichnet werden. Das waren Eroberungen, wie sie auch andere Mächte unternahmen, nicht kontinuierlich und dauerhaft, sondern je nach Anlass. Und es handelte sich nicht um so genannte „Heilige Kriege“, wie Dschihad gern falsch übersetzt wird – ein Ausdruck, der in christlich geprägtem Umfeld entstand und Muslimen fremd ist. Es ging bei der Ausweitung des eigenen Gebietes nicht vorrangig um die Bekehrung Andersgläubiger, wie sie im christlichen Bereich etwa durch Zwangstaufen erfolgt ist. Dazu der Islamwissenschaftler Peter Heine:

 

Peter Heine: Wenn ein gewisses Gebiet vom Islam übernommen worden ist, bedeutet das nicht, dass die Leute, die da wohnen, alle Muslime werden müssen. In der frühen Zeit waren das vornehmlich Christen, die da lebten, die zum Teil recht froh waren, wie zum Beispiel die von Damaskus, dass die Muslime kamen, denn die Steuern, die sie dann an die Muslime zahlten, waren sehr viel niedriger als die, die sie an den byzantinischen Kaiser zahlen mussten. Es hat Zeiten gegeben, in denen fromme Kalifen, beispielsweise in Damaskus, verboten, dass Christen zum Islam konvertierten, weil das schlecht für die Staatskasse war.

 

Ein kluger Pragmatismus zeichnete also die muslimischen Eroberer aus. Christen und Juden, Zoroastrier, später auch Hindus, die in den gewonnenen Gebieten lebten, wurden zu Schutzbürgern, die ihr Eigentum behielten, mit relativer Verwaltungsautonomie und der Freiheit zur Ausübung der eigenen Religion. Im Gegenzug mussten sie Steuern zahlen. Derselbe Pragmatismus sorgte dafür, dass bestehende Bewässerungssysteme, die für den Anbau von Obst und Gemüse dienten sowie Palmen und Olivenbäume bei der Eroberung oftmals nicht angetastet wurden. Ebenso die religiösen Stätten der Andersgläubigen. Dazu wurde jedenfalls aufgefordert, wie Sure 22 im Koran nahelegt[1]:

 

Ender Cetin: Da werden sie explizit genannt, Klöster, Moscheen, Synagogen, Kirchen. Interessant ist, dass da Gott sagt: In denen der Name Allahs fällt. Das heißt, wir als Muslime lernen daraus: Es ist der Name Gottes, der in diesen Gotteshäusern fällt, das heißt, es sind für uns Gebetsstätten, heilige Orte letztendlich. Und zum anderen verstehen wir aus diesem Vers, dass ich als Moslem die

Aufforderung habe, sogar in Kriegszeiten diese Gotteshäuser irgendwie in Schutz zu nehmen.

 

 

Schon im Mittelalter wurde der Begriff Dschihad von muslimischen Theologen als geistlicher Kampf gegen die eigenen schlechten Eigenschaften gedeutet. Auch der Einsatz gegen soziale und wirtschaftliche Missstände fiel darunter. Als großer Dschihad wurden diese Bemühungen über den kleinen Dschihad, den kriegerischen Einsatz, gestellt. Später wurde auch der Dschihad des Schwertes vor allem defensiv interpretiert, als Recht zur Selbstverteidigung im Falle der Bedrohung von außen. Welche Interpretation das Handeln bestimmt, hängt oft von Fragen ab, die mit der Religion selbst nichts zu tun haben, aber auch davon, welchen Stellen im Koran Vorrang gegeben wird und wie sie ausgelegt werden. Es gibt eine über tausendjährige reiche muslimische Auslegungstradition, in der immer wieder auch von der Friedenspflicht des Islams die Rede ist.

Sie bestimmt heute das Denken vieler islamischer Theologen und die Haltung der Mehrheit der Muslime. Sie legen Wert auf ein friedliches Nebeneinander der Kulturen und Religionen. Der Vorstandsvorsitzende der Sehitlik-Gemeinde Ender Cetin bezieht sich dabei unter anderem auf Sure 5, Vers 48, wo zu lesen ist:

 

Ender Cetin: Jedem von euch gaben wir ein Gesetz und einen Weg. Und wenn Allah gewollt hätte, hätte er euch zu einer einzigen Gemeinde gemacht, aber er wollte euch in all dem, was er gegeben hat, auf die Probe stellen. Wetteifert im Guten miteinander! Zu Allah werdet ihr allesamt zurückkehren. Und dann wird er euch das kundtun, worüber ihr uneins wart. Das sind Stellen, wo wir sagen, die Vielfalt ist von Gott gewollt. Die Existenz der Religionen ist von Gott gewollt. Und deswegen müssen wir das unbedingt auch respektieren und schützen.

 

Aus dieser Haltung heraus versteht Ender Cetin wie viele Muslime auch das arabische Wort „Kafir“, das oft als „Ungläubiger“ übersetzt wird. Für ihn bezieht es sich nicht pauschal auf Angehörige anderer Religionsgemeinschaften, sondern auf das Tun jedes einzelnen Menschen.

 

Ender Cetin: Im Arabischen haben die Leute tekfir oder kafir etwas genannt, wenn sie zum Beispiel ihr Tuch um den Kopf gebunden haben, was meinte, dass sie etwas bedecken, nämlich ihren Kopf. Und wenn jemand die Barmherzigkeit zum Beispiel oder die Liebe gar nicht wahrnimmt, dann heißt es, er bedeckt sie. Er bedeckt sie aber in einer aktiven Art und Weise, das heißt, er tut etwas dagegen.

Die ISIS, in dem Moment, wo sie ungerecht ist oder umbarmherzig ist, dann macht sie diesen kufur, weil sie in dem Moment eine Tat macht, die im Widerspruch steht zu der Wahrheit. Das heißt, es ist eine Tat, die ich da mache. Das kann ein Moslem machen, es könnte ein Christ oder ein Jude oder ein Polytheist machen. Der Begriff des kufur oder des kafir ist etwas, was den Menschen auszeichnet, wenn er etwas Schlechtes tut.

 

 

Religion hat nicht nur friedvolle Seiten. Nicht nur im Koran, auch in der Bibel finden sich Texte, die von Gewalt gegen die Gegner der eigenen Religion handeln und als Aufruf zur Gewalt verstanden werden können. Es kommt darauf an, wie diese Texte gedeutet werden. Dabei spielen die historischen Erfahrungen eine wesentliche Rolle. Bei der Auslegung des Korans kommt den so genannten Herabsendungsgründen ein großes Gewicht zu, den Anlässen und Umständen, unter denen und für die Mohammed seine Offenbarungen empfangen hat. So kann unterschieden werden zwischen historisch bedingten Aussagen im Koran, die in anderen historischen Situationen nicht mehr gelten und dem, was weiterhin von Belang ist. In jedem Fall ist eine gründliche und behutsame Herangehensweise geboten, wie Peter Heine erklärt:

 

Peter Heine: Zunächst einmal muss der Text sozusagen in seiner grammatikalischen Bedeutung klar werden, denn der Koran ist auch sprachlich nicht einfach. Das heißt, es muss erstmal ganz genau klar gemacht werden, was bedeutet ein bestimmtes Wort, was bedeutet ein bestimmter Satz. Dann kann man überlegen, unter welchen Umständen ein bestimmter Teil des Korans, eine Sure oder ein Vers, offenbart worden ist. Und dann kann man erklären, warum er offenbart worden ist. Das sind so Punkte, wo man dann sagen kann, ja, das ist historisch bedingt, darum nehmen wir das nicht so wichtig, aber anderes ist viel wichtiger.

 

Dazu gehört das Friedenspotential des Islam. Dass die muslimische Welt trotz Terror und Krieg im Nahen Osten, trotz radikalisierter islamischer Kampfgruppen und irregeleiteter fanatischer Terrortäter an diesem Potential festhält, beweisen die Stellungnahmen islamischer Gelehrter gegen den IS und den islamistischen Terror in der Welt, wie etwa der offene Brief an den Anführer des Islamischen Staates Abu Bakr al Baghdadi[2] vom September 2014. Immer wieder werden solche Stellungnahmen von Muslimen gefordert, viel zu wenig aber werden sie zur Kenntnis genommen. Islam und Salam, Islam und Frieden, müssen keine Gegensätze sein.

 

Peter Heine: Eine ganz besondere Bedeutung spielt dieser Begriff Islam-Salam auch in der islamischen Mystik, wo es ja darum geht sozusagen, sich ganz in Gott zu versenken. Und noch bis in die 1920er Jahre war diese Form von Islam im Grunde die, die in der islamischen Welt üblich war. Wir haben aber zur Zeit eine Situation, in der in vielen Ländern die islamische Mystik wieder an Bedeutung gewinnt, übrigens auch hier in den muslimischen Gemeinden in Deutschland und in Europa. Und das ist etwas, worauf ich dann sozusagen meine Hoffnung setze, dass dieses Moment von islamischer Religion so fasziniert, dass eben viele Muslime sich dem näher zuwenden.

 

Und das tun Muslime. Wie Ender Cetin, der in freundschaftlichem Austausch mit Christen und Juden steht. Für ihn ist die unter Muslimen beim Zusammentreffen gebräuchliche Formel „Salam aleikum“ mehr als nur eine Begrüßung.

 

Ender Cetin: Eigentlich ist es ein Bittgebet dafür, dass ich für den Nächsten bete, dass er auch diesen Frieden spüren soll oder diese Allgegenwärtigkeit Gottes hier spüren soll. Deswegen ist es etwas Schönes, zu jemandem zu sagen: Friede sei auf Dir und als Antwort würde ja der Moslem sagen: Aleikum salam, also auch auf Dir sei der Frieden.

04.07.2016
Gunnar Lammert-Türk