„Ruhm dem Luther“

Am Sonntagmorgen
„Ruhm dem Luther“
Der Reformator in der Sicht Heinrich Heines
24.07.2016 - 08:35
04.07.2016
Pfarrer Hans-Jürgen Benedict

Über die Sendung

Als Heine 1834 den Franzosen erklären will, warum die Deutschen in der Theorie so radikal, in der politischen Praxis aber so rückständig seien, beginnt er mit Martin Luther. Dieser sei mit seiner Berufung auf die Heilige Schrift der Begründer der Denkfreiheit gewesen, mit seinen geistlichen Liedern der Anfänger der schönen Literatur und mit seiner Heirat der Begründer des evangelischen Pfarrhauses. Ein Mensch, in dem Geist und Materie versöhnt waren. Ein Lob aus dem Mund eines Dichters, der in Religionsdingen sonst eher spöttisch war.

 

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„Ruhm dem Luther! Ewiger Ruhm dem teuren Mann, dem wir die Rettung unserer edelsten Güter verdanken und von dessen Wohltaten wir heute noch leben.“

Das hat kein Lutheraner geschrieben, sondern der Dichter der Loreley, Heinrich Heine. Was treibt einen deutschen Schriftsteller jüdischer Herkunft an, einen notorischen Spötter über Kirche und Religion dazu, den Reformator Luther so überschwänglich zu loben?
Heine, der aus einer liberalen jüdischen Familie stammte, lässt sich am 28. Juni 1825 von dem evangeli-schen Pfarrer Grimm in Heiligenstadt taufen. Er erhofft sich mit diesem „Entreebillet zur europäischen Kultur“ ein Amt in Preußen. Doch daraus wird nichts. Zwei Jahre später erscheint seine Gedichtsammlung ‚Buch der Lieder‘ bei Campe in Hamburg und macht ihn über Nacht berühmt. Doch 1831 emigriert er nach Paris, beeindruckt von der Julirevolution in Frankreich, überdrüssig der Zensur und den Anfeindungen im restaurativen Deutschland.
In der Pariser Zeitschrift Revue des deux mondes veröffentlicht Heine 1834 in drei Folgen De L‘ Allemagne d‘ epuis Luther: „Über Deutschland seit Luther“. Er reagiert damit auf eine Anregung eines französischen Freundes, der ihn um die Schilderung der politischen und philosophischen Verhältnisse in Deutschland gebeten hatte. Die Artikelreihe erscheint 1835 bei Campe in Hamburg unter dem Titel Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland. Nie wieder ist so leicht und geistreich zugleich eine deutsche Theologie- und Philosophiegeschichte geschrieben worden. Geschrieben für ein französisches Publikum, das verstehen sollte, warum die Deutschen in der Theorie so radikal und in der politischen Praxis so schrecklich rückständig sind.

„Mich dünkt, ein methodisches Volk wie wir musste mit der Reformation beginnen, konnte erst hierauf sich mit der Philosophie beschäftigen und durfte nur nach deren Vollendung zur politischen Revolution übergehen.“
 
Heines Schrift enthält die schönsten Lobreden auf die deutschen Dichter und Denker. Treffend und amüsant schildert er den Reformator Luther und das neu entstehende evangelische Christentum:

„Luther war zugleich ein träumerischer Mystiker und ein praktischer Mann in der Tat. Seine Gedanken hatten nicht bloß Flügel, sondern auch Hände; er sprach und handelte. Er war nicht bloß die Zunge, sondern auch das Schwert seiner Zeit. Auch war er zugleich ein kalter scholastischer Wortklauber und ein begeisterter, gottberauschter Prophet. Wenn er des Tags über mit seinen dogmatischen Distinktionen sich mühsam abgearbeitet, dann griff er des Abends zu seiner Flöte und betrachtete die Sterne und zerfloss in Melodie und Andacht(…). Er war voll der schauerlichsten Gottesfurcht, voll Aufopferung zu Ehren des Heiligen Geistes, er konnte sich ganz versenken ins reine Geisttum; und dennoch kannte er sehr gut die Herrlichkeiten dieser Erde und wusste sie zu schätzen, und aus seinem Munde erblühte der famose Wahlspruch: Wer nicht liebt Wein, Weiber und Gesang, der bleibt ein Narr sein Leben lang.“

Ein schönes Lob Luthers, wie man es von den Lutheranern selten hört, auch wenn der Wahlspruch nicht von Luther stammt, sondern wohl erst von Johann Heinrich Voß, dem Übersetzer Homers. Heine ist eben Dichter, erlaubt sich einige Freiheiten. Köstlich, wie er die berühmte Szene von Luthers Auftritt 1521 auf dem Reichstag zu Worms beschreibt. Luther musste dort die lange Verteidigung seiner Thesen auf Lateinisch wiederholen, weil der Kaiser kein Deutsch verstand.

„Ich ärgere mich jedes Mal, wenn ich daran denke; denn unser teurer Meister stand neben einem offenen Fenster, der Zugluft ausgesetzt, während ihm der Schweiß von der Stirne troff. Durch das lange Reden mochte er wohl sehr ermüdet und sein Gaumen trocken gewesen sein. Der muß jetzt großen Durst haben, dachte gewiß der Herzog von Braunschweig; wenigstens lesen wir, daß er dem Martin Luther drei Kannen besten Einbecker Biers in die Herberge zuschickte. Ich werde diese edle Tat dem Hause Braunschweig nie vergessen.“

Sicher irrte sich Heine auch gelegentlich bei seiner schwungvollen Darstellung der Ereignisse. So meinte er, Luther und seine Begleiter seien mit dem Lied Ein feste Burg ist unser Gott in Worms eingezogen.

„Der alte Dom zitterte bei diesen neuen Klängen, und die Raben erschraken in ihren obskuren Turmnestern. Jenes Lied, die Marseiller Hymne der Reformation, hat bis auf unsere Tage ihre Kraft bewahrt.“

Tatsächlich hat Luther dieses Lied, das Heine in seiner Schrift ganz zitiert, erst 1528/29 gedichtet, als die Sache der Reformation sich in einer kritischen Phase befand.
Heine gelingt es, das Neue an Luther zu beschreiben und dabei die Theologie, Luthers Wiederentdeckung von der Rechtfertigung aus Gnade allein, weitgehend auszusparen. Als Schriftsteller war Heine vor allem wichtig das „allein durch die Schrift“. Dieses Schriftprinzip verstand er als Vorläufer der Denkfreiheit. Und genau so ordnet Heine Luther in seine Entwicklungsgeschichte des deutschen Geistes ein.

„Indem Luther den Satz aussprach, daß man seine Lehre nur durch die Bibel selber, oder durch vernünftige Gründe, widerlegen müsse, war der menschlichen Vernunft das Recht eingeräumt, die Bibel zu erklären und sie, die Vernunft, war als oberste Richterin in allen religiösen Streitfragen anerkannt. Dadurch entstand in Deutschland die sogenannte Geistesfreiheit, oder, wie man sie ebenfalls nennt, die Denkfreiheit.“

Nun, bis zur wirklichen Denkfreiheit war es noch lange hin. Und wer im reformatorischen Lager nicht so dachte wie der Reformator aus Wittenberg – die Täufer, die Bilderstürmer, die rebellierenden Bauern, die Reformierten aus der Schweiz, auch die Humanisten – der war entweder Irrlehrer oder ein „falscher Bru-der“ , der bekam den Zorn Luthers zu spüren. Aber Heine nimmt ihm diesen Zorn nicht übel. Denn seine Fehler, so Heine, waren auch seine Vorzüge.

„Die Feinheit des Erasmus und die Milde des Melanchthon hätten uns niemals so weit gebracht wie manchmal die göttliche Brutalität des Bruder Martin. “

Luther ist für Heine aber nicht nur der Freiheitsheld, der die deutsche Kirche von Rom löste, er ist vor allem auch „ein kompletter Mensch“. Einer, der die leib- und sinnenfeindliche Einstellung des Christentums überwunden hat. Höchst amüsant beschreibt Heine die Wirkungen der Reformation für die theologische Lehre und das kirchliche Leben:

„Es entsteht das evangelische Christentum. Indem die notwendigsten Ansprüche der Materie nicht bloß berücksichtigt sondern auch legitimiert werden, wird die Religion wieder eine Wahrheit. Der Priester wird ein Mensch und nimmt ein Weib und zeugt Kinder, wie Gott es verlangt. Dagegen Gott selbst wird wieder ein himmlischer Hagestolz ohne Familie; die Legitimität seines Sohnes wird bestritten; die Heiligen werden abgedankt; den Engeln werden die Flügel beschnitten; die Muttergottes verliert alle ihre Ansprüche an die himmlische Krone, und es wird ihr untersagt, Wunder zu tun.“

Die fromme Heuchelei hört auf. Durch den Protestantismus werden die Menschen tugendhafter und edler. In den Pfarrhäusern erfuhr der in Göttingen studierende Heine die Veränderung am eigenen Leibe:

„Man muss zu Fuß, als armer Student, durch Norddeutschland wandern, um zu erfahren, wieviel Tugend, (und damit ich der Tugend ein schönes Beiwort gebe), wieviel evangelische Tugend manchmal in so einer scheinlosen Pfarrerwohnung zu finden ist. Wie oft, des Winterabends, fand ich da eine gastfreie Aufnahme, ich, ein Fremder, der keine andere Empfehlung mitbrachte, außer daß ich Hunger hatte und müde war. Wenn ich dann gut gegessen und gut geschlafen hatte und des Morgens weiterziehen wollte, kam der alte Pastor im Schlafrock und gab mir noch den Segen auf den Weg, welches mir nie Unglück gebracht hat; und die gutmütig geschwätzige Frau Pastorin steckte mir einige Butterbröte in die Tasche, welche mich nicht minder erquickten; und in schweigender Ferne standen die schönen Predigertöchter mit ihren errötenden Wangen und Veilchenaugen, deren schüchternes Feuer, noch in der Erinnerung für den ganzen Wintertag mein Herz erwärmte.“

Nach dieser hübschen Abschweifung kommt Heine gleich auf das zurück, was ihm vor allem wichtig war an der Reformation, nämlich, dass der menschlichen Vernunft das Recht eingeräumt wird, die Bibel zu erklären und dass damit in Deutschland die Geistes- oder Denkfreiheit entstand. Angesichts der Vormärz-Zensur in Deutschland merkt Heine an, daß „die Preßfreiheit“, die „nichts anderes (ist) als die Konsequenz der Denkfreiheit und folglich ein protestantisches Recht“, hoffentlich bald Deutsche fände, die für sie in die Schranken treten. Und weiter:

Luther „gab dem Gedanken auch das Wort. Er schuf die deutsche Sprache. Dieses geschah, indem er die Bibel übersetzte.“

Und zwar aus dem hebräischen Original, was das Alte Testament betraf. Heine ist es sehr wichtig zu erwähnen, daß die Bewahrung der hebräischen Texte durch die jüdischen Frommen trotz Verfolgung diese umstürzende Übersetzungsarbeit erst möglich gemacht hat.

„Wie ein Gespenst, das einen Schatz bewacht, der ihm einst im Leben vertraut worden war, so saß dieses gemordete Volk, dieses Volks-Gespenst in seinen dunklen Ghettos und bewahrte dort die hebräische Bibel. In diese verworfenen Schlupfwinkel sah man die deutschen Gelehrten heimlich hinabsteigen, um den Schatz zu heben, um die Kenntnis der hebräischen Sprache zu erwerben.“

Mit Luther, sagt Heine weiter, beginnt die schöne Literatur. Seine geistlichen Lieder seien die ersten wichtigen Erscheinungen derselben.

„Eine neue Ordnung der Dinge gestaltet sich (…). Der Mensch steht jetzt allein seinem Schöpfer gegenüber, und singt ihm sein Lied. Daher beginnt diese Literatur mit geistlichen Gesängen.“

Heine als Dichter achtete besonders auf die kulturellen Auswirkungen der Reformation. Er sieht Luther vor allem aus einer ästhetisch-literarischen Position heraus. So kann er in dem Aufklärer Gotthold Ephraim Lessing, selbst Sohn eines Pastors, den Fortsetzer Luthers erkennen, wenn dieser gegen den starren Buchstabenglauben der orthodoxen Lutheraner kämpft.
Jetzt geht es um das Recht auf eine kritische Lektüre der heiligen Schriften, die man nicht Wort für Wort glauben müsse. Um dieses Recht zu verteidigen, veröffentlichte Lessing als Wolfenbüttler Bibliothekar die bibelkritischen Fragmente eines Ungenannten. Ein Sturm der Entrüstung brach los. Von allen Seiten wurde Lessing attackiert, von seinem Arbeitgeber, dem Herzog von Braunschweig, mit Publikationsverbot belegt. Heine zitiert Lessings Anrufung Luthers in diesem Streit:

„O daß er uns (hören) könnte, Er, den ich am liebsten zu meinem Richter haben möchte! – Luther, du ! – Großer, verkannter Mann! Und von niemandem mehr verkannt, als von den kurzsichtigen Starrköpfen, die, deine Pantoffeln in der Hand, den von dir gebahnten Weg, schreiend aber gleichgültig daherschlendern! Du hast uns von dem Joche der Tradition erlöst: wer erlöst uns von dem Joche des Buchstabens.“

Heine hat Luthers antijüdische Schriften, in denen dieser zur Zerstörung der Synagogen aufruft, wohl nicht gekannt. Doch in dem Schlusswort der „Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland“ warnt Heine geradezu prophetisch vor dem kämpferischen altgermanischen Pantheismus.

„Das Christenthum – und das ist sein schönstes Verdienst – hat jene brutale germanische Kampflust eini-germaßen besänftigt, konnte sie jedoch nicht zerstören, und wenn einst der zähmende Talisman, das Kreuz, zerbricht, dann rasselt wieder empor die Wildheit der alten Kämpfer, die unsinnige Berserkerwuth […].“

04.07.2016
Pfarrer Hans-Jürgen Benedict