Schluss mit Sünde!

Schlange

Gemeinfrei via pixabay.com (Pfeilgiftfeder)

Schluss mit Sünde!
Klaas Huizing im Gespräch
04.03.2018 - 08:35
05.01.2018
Barbara Manterfeld-Wormit
Über die Sendung:

In der Passionszeit kommt der Mensch nicht gut weg. Zeit, etwas gegen die „Sündenverbiesterung“ der Kirche zu unternehmen, findet der Theologe Klaas Huizing. Er hat dabei höchst aktuelle Ideen, wie unser Leben besser gelingen kann.

"Am Sonntagmorgen" um 08.35 Uhr im Deutschlandfunk

 
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Als Zarah Leander damals in den 1930er Jahren diesen Schlager sang, war die Antwort auf die Frage klar: Liebe kann Sünde sein. Und zwar dann, wenn sie dem Falschen gilt. Wer oder was falsch war, bestimmte damals die Gesellschaft – und die Kirche. Da war klar, wann Liebe Sünde war: Wenn Frauen Frauen liebten oder Männer Männer. Oder wenn Mann und Frau sich liebten ohne Trauschein. Sex vor der Ehe – das gab es zwar, doch eigentlich durfte so etwas nicht sein.

 

Klaas Huizing:

Es gibt zunächst einmal die moralische Keule, …dass gesagt wird: Sex vor der Ehe ist Sünde – so klassisch…gibt aber noch andere Ebenen, also Sünde als eine Sünde, die gewissermaßen ewig weitergereicht wird… die hochberühmte Erbsünde. Dann sagen heute gerne Leute: naja, man fängt nicht bei null an. Jeder Mensch wird in einen Kontext hineingeboren… Aber der Hintergrund ist mir immer unsympathisch: Man will damit immer erreichen, dass der Mensch im Grunde genommen es nicht wuppen kann. Dass er also im Grunde genommen nicht ein glückliches Leben führen kann.

 

Klaas Huizing lehrt Systematische Theologie an der Universität Würzburg. Er kennt sich mit Kernbegriffen des christlichen Glaubens aus. 2017, im Jahr des 500jährigen Reformationsjubiläums hat er ein Buch mit dem provozierenden Titel geschrieben: „Schluss mit Sünde!“ Darin wendet er sich gegen die „Sündenverbiesterung“ seiner Kirche und fordert eine neue Reformation. Menschen sollen sich, so der Autor, nicht länger klein und schmutzig fühlen. Beispiele eines überholten Sündenverständnisses sind dem ehemals Reformierten aus der eigenen Familiengeschichte vertraut. Dort galt eine strenge Kirchenzucht. Als die Schwiegereltern – damals noch ein junges Paar – getraut werden wollten, mussten sie in Schwarz vor den Traualtar treten. Jeder in der Gemeinde sollte sehen, dass die beiden bereits vor der Ehe miteinander geschlafen hatten. Auf der Sünderbank mussten die beiden Platz nehmen. Eine Demütigung, die man sein Lebtag nicht vergisst. Doch Strafe muss sein. Das galt damals und gilt auch heute noch in streng gläubigen Kreisen. Schließlich ist der Mensch – schon seit Adam und Eva – nicht ohne die Sünde denkbar. Ein Irrtum, wie Klaas Huizing betont:

 

Klaas Huizing:

Sünde taucht zum ersten Mal als Gefahr auf in der Kain und Abel Geschichte. Ich kenne keinen Alttestamentler von Rang, der wirklich noch behauptet, dass die Genesiserzählung, die Paradieserzählung eine Sündenfallgeschichte ist. Das sagt keiner mehr. Sie sagen immer alle ausdrücklich: Nein! Vielleicht sollten wir den Begriff aus seiner zentralen Stellung heraus katapultieren. Er hat immer den Beigeschmack: Der Mensch kann es nicht leisten. Und dann muss man immer sagen: Es gibt bestimmte Schlüsseltexte im Alten Testament, wo es wirklich anders gesagt wird.

 

Folgt man den biblischen Erzählungen im Buch Genesis im Wortlaut, dann besteht die erste Sünde des Menschen tatsächlich nicht im harmlosen Biss in einen Apfel, sondern im Mord aus niederen Beweggründen am eigenen Bruder – genauer gesagt: bereits in einer Vorstufe der grausamen Tat. Denn Kain tötet nicht einfach so. Er ist zutiefst verletzt, eifersüchtig auf den Bruder, der in Gottes Gunst höher zu stehen scheint als er selber:

 

Klaas Huizing:

In dieser Geschichte tritt Gott als eine Figur auf, die coacht. Also die sagt: Du hast da ein Problem: Du bist neidanfällig. Und Neid ist vielleicht doch eine der kompliziertesten Emotionen, weil sie sehr leicht kippt in Hass. Neid ist etwas, was einen in die Defensive bringt. Er fühlt sich auch beschämt, der Kain. Es wird ihm aber gesagt: Damit kann man umgehen, das kann man coachen. Man kann bestimmte Emotionen wie Neid so bearbeiten, dass der Neid nicht in den Hass umkippt und das ist doch schon eine ganze Menge…

 

Kain schafft es nicht, über den eigenen Schatten zu springen. Seine Enttäuschung, sein Neid auf den Jüngeren entlädt sich in Hass und Gewalt. Er nimmt einen Stein und erschlägt Abel, den Bruder.

 

Klaas Huizing:

Es gibt natürlich die berühmte Erzählung: Wer ohne Sünde oder ohne Schuld ist, werfe den ersten Stein. Da würde ich auch sagen: Ja, das ist schon richtig. Wir machen nicht immer alles so, wie man es sich das wünscht. Wir sind anfällig, wir sind fehlbar. Da würde ich sagen ja, das stimmt: Die Chance, daneben zu langen, die ist schon groß. Denken Sie nur mal wirklich im stillen Kämmerlein über Neidattacken nach. Was da alles mit uns abgeht – oder Eifersucht, ist ja eng damit verwandt. Und da merkt man, da sind wir schon ein Stück weit gefährdet. Aber man kann es bearbeiten! Eine wirkliche Gefühlsbildung, die ist, denke ich, ein zukünftiges Thema für die Theologie. In der Regel kommt immer nur die Liebe…

 

Kain tötet Abel, Joseph wird von den eigenen Brüdern in ein Brunnenloch geworfen und später in die Sklaverei verkauft, König David begeht Ehebruch und räumt dabei den Nebenbuhler aus dem Weg, Pilatus wäscht seine Hände in Unschuld, Judas verrät Jesus. Petrus verleugnet ihn. Die Bibel steckt voll kleiner und großer Sündenerzählungen. Geschichten von menschlicher Schuld und Schwäche, von ausbleibender Nächstenliebe, Egoismus und Feigheit. Der Theologe Klaas Huizing tut sich dennoch schwer mit Begriffen wie Sünde und Sünder.

 

Klaas Huizing:

Man kann sich schon ändern. Man kann schon den Charakter bearbeiten, ja. Das ist nicht so, dass wir dazu verdammt sind, immer nur schuldig zu werden.

 

Und nicht nur Menschen können sich ändern – auch Gott kann anders handeln als erwartet:

 

Klaas Huizing:

Auch im Alten Testament gibt es eine Rechtfertigungslehre: In der Kain und Abel Geschichte ist es so, dass der zum Mörder an seinem Bruder wird, dann redet er nochmal mit Gott und dann sagt er doch im Grunde genommen: Gut, ich verpasse Dir so ne Art Tattoo, ein so genanntes Kainsmal, und damit bist du nicht weiter Rachegelüsten unterstellt, sondern ich hab meine Hand drauf und garantiere dir im Grunde genommen das Leben. Das wird im Alten Testament in der Kain und Abel Geschichte schon gemacht. Er hat gesagt: Klar, du bist ‘n Mörder, aber ich sorge dafür, dass du nicht noch einmal jetzt auf Rache triffst, sondern ich schütze weiterhin dein Leben. Du bist mein Geschöpf, und damit halte ich auch meine Hand drüber. Also das, was in der Rechtfertigungslehre zentral ist, ist da bereits abgedeckt.

 

Sünde – ein Begriff, der für Klaas Huizing überholt ist. Ebenso wie die Einstellung vieler Theologen, dass sich die Rechtfertigungslehre ausschließlich im neuen Testament findet. Für den Systematiker findet sich vieles bereits in den alttestamentlichen Geschichten und Erzählungen. Jesus greift diese Geschichten auf – und entwickelt sie in seinen Gleichnissen weiter. Macht selber Ernst mit dem Glauben der Mütter und Väter:

 

Klaas Huizing:

Jesus ist ein Weisheitslehrer: Am häufigsten mit großem Abstand wird gesagt, er sei ein Lehrer! Ich glaube, 70%. Die Zuschreibung ist Lehrer – nicht Prophet, nicht irgendwas, sondern Lehrer.

Was da auch wirklich auffällig ist, dass auch er in seiner Person das so durchgestanden hat. Denken Sie an den berühmten Satz am Kreuz: Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun – das ist im Grunde genommen wieder eine Verweisstruktur darauf, dass hier wieder Rache droht, und dieses Aussetzen von Hass- und Rachespiralen – ich glaube, das ist in der Tat auch etwas, was man traditionell unter dem Begriff Soteriologie, also Heilslehre, verrechnet hat.

 

In der Passionszeit gehen Christen diesen Weg Jesu mit. Sie folgen der biblischen Passionserzählung – einer Geschichte von Schuld und menschlichem Versagen – und setzen sich dabei mit eigener Schuld und Fehlern auseinander. Viele Menschen fasten in den 40 Tagen bis Ostern – verzichten auf Alkohol oder Fleisch, Süßigkeiten oder Handy. Moderne Versuche der Umkehr. Für Klaas Huizing keine Alternative:

 

Klaas Huizing:

(lacht) Niemals. Ich bin von Hause aus holländisch reformiert, also Calvinist. Ich hab in meinem Leben lange genug Askese gemacht. Das brauch ich für den Rest meines Lebens definitiv nicht mehr! Deshalb werde ich nie, nie jemals noch irgendwie Fasten oder so etwas einlegen. Also Askese ist nicht meins.

 

 

Egal wie man es heute nennen mag: ob Sünde, menschliches Versagen oder Gefühlskälte, wie der Theologe, Philosoph und Schriftsteller Klaas Huizing vorschlägt: Das, was der Begriff Sünde dem Kern nach meint, existiert auch heute noch. Menschen leiden unter den Folgen sündhaften Verhaltens oder verhalten sich selber sündhaft. Im Mittelalter gab es für diese Fälle einen ganzen Sündenkatalog – allen voran die sieben Todsünden, die uns auch heute nicht fremd sind:

Klaas Huizing:

Ein großer Kandidat wäre in der Tat – glaube ich – Neid, weil Neid so wahnsinnig schnell in Hass umkippt. Warum hat man das früher gerne Sünde genannt? Ganz einfach, weil auch gerade der Neid so eine Art indirekte Emotion ist… Man schaut scheel auf einen… Der neidische Blick ist der nicht direkte Blick. Also man zieht sich zurück. Der Neidige schließt sich weg, weil natürlich auch Neid in der Gesellschaft als Übel gilt. Er versteckt sich sogar auch noch und schließt sich wirklich weg. Also das, was Luther früher auch mal genannt hat – dieses berühmte incurvatio in se ipsum – also das in sich Verwurschteln, in sich Zurückziehen – das ist am Neid wirklich abrufbar. Deshalb denke ich, ist es momentan so: Ja, der Neid ist das, was wir primär, glaube ich, in unserer Gesellschaft bearbeiten müssen…

 

Klaas Huizing will Schluss machen mit der Sünde – im doppelten Sinne: Er will weg von einem Sündenbegriff, der den Menschen festhält in seiner angeblichen Sündhaftigkeit – hin zu mehr Selbstvertrauen und Eigenverantwortung:

 

Klaas Huizing:

Mir geht es wirklich immer darum: Wir brauchen ein bestimmtes anderes Menschenbild, also weg von der Tradition, dass der Mensch durch und durch böse ist und immer nur von Gott her neu in den Blick gebracht wird. Die alttestamentlichen Texte sagen es so nicht und auch der Jesus ist in manchen Punkten doch auch noch ganz optimistisch in dieser Frage, dass man wirklich eine Blickänderung auch hinbekommt.

 

Wie das heute gehen kann, beschreibt Klaas Huizing ganz konkret:

 

Klaas Huizing:

Neid ist doof. Keiner will neidisch sein, aber wir sind ein Stück weit anfällig dafür, das ist glaube ich, das Problem. Wir müssen über diese Kränkung hinüber. Wir müssen über unsere Wünsche auch ein Stück weit so agieren, dass wir sie nicht an erster Stelle immer setzen, zumindest wenn der andere gar nicht im Blick ist. Das Christentum steht für Statusverzicht. Diese jüdisch-christliche Kultur hat tatsächlich die Möglichkeit zu sagen, wir können einfach auch mal ein Stück weit von unseren Wünschen Abstand nehmen zugunsten eines anderen. Etwas mehr Selbstdistanzierung hinbekommen – Vielleicht ist das eine der großen Stärken der Religion, und wenn das gelingt, ist die Religion auch jener Agent, der den Ursprung von Gewalt ein Stück weit zurückdrehen kann…

 

Der kirchliche Sündenbegriff hat vielleicht tatsächlich ausgedient. Schluss mit der Sünde und ihren Folgen ist jedoch noch lange nicht – solange auf Erden Kriege und Gewalt herrschen, solange Kain seinen Bruder Abel erschlägt und Neid und Hass regieren statt Liebe und Versöhnung. Höchste Zeit, etwas dagegen zu unternehmen. Klaas Huizing definiert, was für ihn Sünde ist und warum der Mensch sich – trotzdem – immer noch ändern kann:

 

Klaas Huizing:

Die vollständige Unfähigkeit, sensibel auf Nöte und auch Leiden eines anderen zu reagieren, ja. Empathieausfall, das ist schon ganz übel, wenn das passiert. Das ist häufig mit Traumata, was weiß ich, was da im Hintergrund ist, kann man aber natürlich bearbeiten, ja! Sie dürfen sich nicht auf so ne Faulheit zurückziehen, dass man sagt: Ich bin halt unsensibel. Nö, das kann man ja üben! Das kann man auch lernen!

Und dann würde ich sagen: Wenn überhaupt ist die Weigerung, auf dem Gebiet dann sich zu ändern, das kann man dann von mir aus wirklich so etwas wie Sünde nennen…

 

 

 

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

 

 

Musik dieser Sendung:

  1. Kann denn Liebe Sünde sein, Zarah Leander, Ich brech‘ die Herzen der stolzesten Frau’n
  2. Melody for Saxophone No. 10, Lautten Compagney Berlin, Timeless
  3. Capriccio, Lautten Compagney Berlin, Timeless
  4. Su la cetra amorosa, Lautten Compagney Berlin, Timeless
05.01.2018
Barbara Manterfeld-Wormit