Sie wussten, was sie tun?

Sie wussten, was sie tun?
Passionsgeschichte von Massen, Mächtigen und Manipulation
26.03.2017 - 08:35
24.03.2017
Borchers

War Jesus das Opfer gelungener Massenmanipulation? Letztlich war es das Volk, das sein Todesurteil forderte: „Kreuzige ihn!“ So schrien die Massen dem Machthaber Pilatus zu. Dabei hatte Jesus ursprünglich viele Sympathien im Volk. Noch zu Beginn seines Jerusalem-Aufenthaltes haben die Menschen ihm zugejubelt: „Hosianna! Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn!“

 

Unter den Mächtigen, der religiösen Führungsschicht, allerdings hatte Jesus von Anfang an Todfeinde:

 

„Jesus ging in die Synagoge. Da war ein Mensch, der hatte eine verdorrte Hand. Und die Pharisäer gaben acht, ob Jesus ihn am Sabbat heilen würde, damit sie ihn verklagen könnten. Und Jesus sprach: Was ist am Sabbat erlaubt: Gutes tun oder Böses tun, Leben retten oder töten? Sie aber schwiegen still.“

 

Jesus heilte die Hand. Trotz des Gebotes „Am Sabbat sollst du ruhen!“

 

„Und die Pharisäer gingen hinaus und hielten alsbald Rat über ihn mit den Anhängern des Herodes, dass sie ihn umbrächten.“ (Markus 3, 1-6)

 

Mordgedanken gegen Jesus von Anfang an. Weil die Mächtigen um ihren Einfluss fürchten: dass ihr Gesetz hinterfragt wird, die Religion.

Und das Volk? Zuerst: begeistert für Jesus. Dann: schreiend gegen Jesus.

 

Ja, Jesus, so ist es wohl, das Volk: eine leicht zu beeinflussende Masse, hin und hergeworfen von Meinungen, Behauptungen. Geschüttelt von Empörungen und Spielball der Mächtigen. Es ist eine unselige Entwicklung, wenn sich die religiöse Führung mehr um ihre Macht als um das Seelenheil der Menschen sorgt. Am Ende hat sie das Volk auf ihre Seite gezerrt – gegen dich.

 

Aber noch ist alles gut. Jesus redet von Gott, der wie ein Vater liebt. Redet von seinem Königreich, in dem Gerechtigkeit und Frieden sich küssen. Jesus selbst ist Gesprächsthema vom Norden des Landes bis in den Süden: „Hast du schon gehört: Sogar der Sturm auf dem Galiläischen Meer hat ihm gehorcht.“ – „Ich habe gehört, er soll das Gesetz des Mose übertreten haben.“ – „Nein, er hat gesagt, er will es erfüllen.“ – Das Volk ist fasziniert oder empört.

Nun ist Jesus auf dem Weg nach Jerusalem, in die Hauptstadt. Wird er die Regierung stürzen? Auch das will man gehört haben...

 

„Jesus zog auf einem Eseljungen nach Jerusalem ein. Und viele Menschen breiteten ihre Kleider auf den Weg, andere aber grüne Zweige, die sie auf den Feldern abgehauen hatten. Und die vorangingen und die nachfolgten, schrien: Hosianna! Gelobet sei, der da kommt in dem Namen des Herrn!“ – Ehre dem neuen König! (Markus 11, 7-10)

 

Jesus, du hast selbst schuld, dass die Begeisterung gekippt ist. Du hast die Leute verwirrt. Wer sollte denn kapieren, dass deine Königsherrschaft so anders ist als gewohnt?

Aber vor allem: Du hast dich nicht konsequent genug beliebt gemacht. Du hättest noch ein paar mehr emotionale Reden halten sollen, noch ein paar mehr öffentlichkeitswirksame Wunder tun. Dann hättest du nur noch auf die Mund-zu-Mund-Propaganda warten müssen.

      

In Jerusalem geht Jesus als erstes in den Tempel. Dort herrscht emsiges Treiben. Das Passafest steht vor der Tür. Beten im Gotteshaus gehört dazu. Beten und Opfern. Das Geschäft mit den Opfertieren im Tempelvorhof floriert. Und ausgerechnet da muss Jesus stören, stürzt Warentische um, Geldkassen. Schimpft, dass ein Tempel nur zum Beten da sei. – Jesus als Wutbürger?

Jedenfalls wird dieser Zwischenfall der jüdischen Führung zugetragen. (Markus 11, 15-25)

Der Hohe Rat versucht, Jesus endlich loszuwerden: Die religiöse Führung verwickelt Jesus in Streitgespräche über Moral und Religion.

 

Na klar, Jesus, irgendwo wirst du dich schon angreifbar machen, dachten sie. Und sei es nur, dass deine Worte zu ungewöhnlich sind für die gewöhnlichen Bürger. Sympathieverlust wäre schon ein großer Erfolg für deine Gegner. Ganz altes Prinzip, Jesus. Wird heute immer noch so gemacht. Wer versucht nicht, seinen Gegner öffentlich vorzuführen!? Die Dinge aus dem Zusammenhang zu reißen, ins falsche Licht zu rücken oder sogar handfeste Lügen zu verbreiten!? Obwohl man als normaler Mensch eigentlich weiß, dass nicht alles stimmt, was so behauptet wird…, es setzt sich fest im Kopf.

Und du, Jesus, natürlich hast du mit ihnen über Moral geredet. Und Gerechtigkeit. Liebe. Und darüber, was Gott gefällt. Aber damit hast du die Mächtigen gereizt. Musstest du sie unbedingt mit bösen Weingärtnern vergleichen? Wer lässt sich schon gern vorhalten, dass er sich mit anvertrauten Geldern persönlich bereichert? (Markus 11, 27 - 12, 34)

 

Das Volk fiebert dem Fest der Feste entgegen. Die Führung fiebert, wie sie Jesus aus dem Weg räumen könnte.

 

„Es waren noch zwei Tage bis zum Passafest. Und die Hohenpriester und Schriftgelehrten suchten, wie sie ihn mit List ergreifen und töten könnten. Sie sprachen: Ja nicht bei dem Fest, damit es nicht einen Aufruhr im Volk gebe.“

 

Der Zufall kommt zu Hilfe. Bei einer privaten Einladung zeigt sich Jesus verschwenderisch und unsozial – so jedenfalls sehen es einige. Jesus lässt sich mit kostbarer Salbe die Füße salben. Von einer Frau. Dabei hätte man mit dem Erlös für diese Salbe viele Arme versorgen können.

 

„Jesus sprach: Ihr habt allezeit Arme bei euch, und wenn ihr wollt, könnt ihr ihnen Gutes tun; mich aber habt ihr nicht allezeit. Die Frau hat getan, was sie konnte; sie hat meinen Leib im Voraus gesalbt zu meinem Begräbnis.

Und Judas Iskariot, einer von den zwölf Vertrauten von Jesus, ging hin zu den Hohepriestern, dass er Jesus an sie verriete. Da sie das hörten, wurden sie froh und versprachen, ihm Geld zu geben. Und Judas suchte, wie er Jesus bei guter Gelegenheit verraten könnte.“ ( Markus 14, 1-11)

 

Jesus, damit warst du geliefert. Gegen Verrat aus den eigenen Reihen kann man sich nicht wehren. Du konntest nicht wissen, was sich da hinter deinem Rücken zusammenbraute: Enttäuschte Erwartung, empfindlich gestörte Bürgerlichkeit, bedrohte Macht – das alles kochte hoch: zu Verrat, schreiendem Mob, Intrigen. Das hat dich zum Opfer gemacht. Zum Opfer von Massen, Mächtigen und Manipulation.

 

Zwei Tage später, zu Beginn des Passafestes, hält Jesus mit seinen Jüngern ein festliches Abendessen. Er sagt:

 

„Wahrlich, ich sage euch, einer unter euch, der mit mir isst, wird mich verraten.“ (Markus 14, 18)

 

Du wusstest also doch Bescheid, Jesus. Du hättest alles ändern können. Aber du hast es nicht getan. Das heißt, du warst nicht Opfer... du warst Herr der Lage.

 

Nach dem Abendessen zieht Jesus sich mit seinen engsten Vertrauten zurück, zum Beten im Garten Gethsemane. Die Truppen der Machthaber rücken an mit Waffen. Judas küsst Jesus. Diesen Jesus sollten sie festnehmen.

Eilig einberufene Gerichtsverhandlung. Zeugen treten auf, vor dem Hohen Rat und dem Hohenpriester sagen sie gegen Jesus aus. Sie widersprechen sich. Andere Zeugen führen religiösen Größenwahn an. Auch sie: widersprechen sich. Doch hier hakt der Hohepriester ein.

 

„Er fragte Jesus: Bist du der Christus, der Sohn des Hochgelobten? – Jesus sprach: Ich bin's.“ (Markus 14, 61-62)

 

Das reicht. Wer das glaubt, wird selig. Der Hohepriester glaubt es nicht. Sein Urteil ist klar: Gotteslästerung! Darauf steht die Todesstrafe.

 

Ich kann mir vorstellen, Jesus, dass die Einzelheiten aus deiner Verhandlung schnell durchgesickert sind: „Weißt du schon das Neueste über den Wunderheiler, den Prediger? Den Scharlatan, den Gotteslästerer!“ Ja, die Menschen sind schnell dabei mit einem Urteil.

Als nächstes kamst du vor den römischen Machthaber Pilatus. Noch als du von ihm verhört wurdest, rottete sich das Volk zusammen. Es wollte – nach guter Tradition – einen Gefangenen freigegeben kriegen, zum Fest.

 

Pilatus versucht, Jesus freizugeben. Aber die Hohenpriester heizen das Volk auf: Pilatus soll ihnen viel lieber den Mörder Barabbas freigeben, nicht Jesus. Das Volk schreit dem Machthaber Pilatus zu: Kreuzige ihn! – Und Pilatus? Der will dem Volk zu Willen sein. (Markus 15, 1-15)

 

Alle trudeln in diesen teuflischen Sog der Empörung. Das Volk hat Angst vor den Mächtigen, fühlt sich aber in der Masse stark, will endlich Volkes Macht demonstrieren. Egal, welche Konsequenzen.

Der politisch Mächtige, Pilatus, hat Angst vor dem Volk. Das ewige Dilemma. Und du, Jesus, mittendrin. Einer von uns – und doch so anders.

Vielleicht waren noch einzelne Stimmen für dich, Jesus, aber jetzt war es zu spät, sie wurden niedergebrüllt. Es galt nur noch: Recht hat, wer lauter brüllt. Kreuzige! – Ja, Jesus, das Blatt hatte sich gewendet.

 

Jesus wird gekreuzigt. Verstummen soll die Stimme der Wahrheit; dessen, der anders ist. Die Hohenpriester haben ihre Macht bewiesen. Sie spotten über die Ohnmacht dessen, der nicht dazu gehört.

 

„Sie sprachen: Er hat anderen geholfen und kann sich selber nicht helfen. Der Christus, der König von Israel, er steige nun vom Kreuz, damit wir sehen und glauben.“ (Markus 15, 31-32)

 

Wo hätte man die Weichen anders stellen können? Wenigstens du, Jesus, hättest alles verhindern können. Du wolltest wohl etwas anderes erreichen: Wahrheit, Gerechtigkeit, Vergebung, Gottesnähe.

Du zeigst einen Weg, aus dem Teufelskreis menschlicher Schuld herauszukommen. Du hast das schreiende Unrecht ertragen und hast es mit in den Tod genommen.

Und die Menschen? Wussten sie, was sie tun? Hätten sie was anderes tun können? Du hast etwas anderes vorgelebt: Du hast dich immer wieder zurückgezogen aus dem Sturm von Begeisterung oder Empörung, hast gebetet, hast deine Kraft bei Gott gesucht. Du hast dich auf das Gute besonnen. Sogar noch kurz vor deinem Ende.

Zu deinen Freunden hast du in der Nacht gesagt: Bleibt bei mir. Wacht. Betet! –

Bei dir sein, Jesus, wachsam sein, beten! So kann ich mich dem teuflischen Sog entziehen. Und dann kann ich anders handeln. Kann mutig Gutes dagegen halten.

 

„Denn Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.“ (2. Timotheus 1, 7)

 

Selbst, als du am Kreuz starbst, Jesus, hast du diese Kraft bewiesen:

 

„Vater, vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun!“ (Lukas 23, 34)

 

Jesus stirbt. Er wird ins Grab gelegt. Aber nach drei Tagen ist das Grab leer...

 

Du lässt dich nicht totkriegen, Jesus. Das gibt mir Hoffnung: Die intrigante Macht der Mächtigen ist beschränkt, die brüllende Masse behält nicht recht. Kraft, Liebe, Besonnenheit sind deine gute Botschaft, stärker als alle zerstörerische Manipulation. Und die dir folgen, die treiben Dämonen aus und heilen, statt zerstören. Gott sei Dank! (Markus 16, 8-20)

24.03.2017
Borchers