Von Seelenlust und Körperzeichen

Am Sonntagmorgen
Von Seelenlust und Körperzeichen
Was Leib und Seele zusammenhält
26.06.2016 - 08:35
11.01.2016
Pfarrerin Cornelia Coenen-Marx

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„Willst‘n Kaffee, kleinen Whisky oder n‘Joint, ich muss in Ruhe mal mir dir reden, mein alter Freund. Ey, du mein armer Körper, was hab ich Dir schon alles angetan – volle Dröhnung, hoch die Tassen, ey, das tut mir ziemlich leid. Ich muss dir jetzt mal danken nach all der Zeit. Ey, mein Body- du und ich – ich weiß, du lässt mich nicht im Stich. Andre hätten bei so ´nemLeben längst den Löffel abgegeben…Ich muss dir jetzt mal sagen, ich zoll Dir Respekt- Du hast den ganzen Wahnsinn weggesteckt.“

 

Udo Lindenberg feiert das Überleben. „Stärker als die Zeit“, wie der Titel seines neuen Albums, scheint auch sein Körper zu sein. Ein Stehaufmännchen wie Udo selbst. Mir gefällt es, wie er hier innehält und auf seinen Körper sieht – auf dessen Kraft und wunderbare Widerstandsfähigkeit. Und auch darauf, was er seinem Körper so alles angetan hat. Es gefällt mir – und ich kann es nachvollziehen. Ich bin zwar kein Feiervogel, der die Exzesse liebt, aber ein Feuervogel bin ich schon- ich weiß, wie es sich anfühlt, wenn man an beiden Seiten brennt. Und alle Ressourcen ausbeutet. Stress, zu wenig Schlaf, trotzdem weitermachen mit Kaffee und Kopfschmerztablette- das kenne ich auch.

Irgendwann kommt der Zeitpunkt, wo die Gesundheit nicht mehr mitmacht. Wenn und solange unser Körper funktioniert, solange die Energie reicht, denken wir nicht viel darüber nach. Gesundheit sei ‚das selbstvergessene Weggegebensein an das Leben‘, hat der Philosoph Hans-Georg Gadamer gesagt. Stimmt – erst wenn die ersten „Warnsignale des Körpers „[1] sich bemerkbar machen, wenn der Druck steigt und das Herz rast, dann spüren wir, dass unser Leib mehr ist als ein jederzeit verfügbares Instrument. Der mittelalterliche Theologe Thomas von Aquin spricht von der verleiblichten Seele. Auch unsere Sprache kennt diesen Gedanken: es läuft uns etwas über die Leber, es bricht uns das Herz.

Für die Personaltrainerin Andrea Lautenbach gibt es Wege, die krank machen, und es gibt Wege, die gesund machen. Sie hat sich mit dem Konzept der Salutogenese beschäftigt. Statt nur auf die Krankheits- und Leidensgeschichten zu schauen, achtet die Salutogenese auf die gesunden Anteile: Gesundheit und Krankheit sind kein Entweder- Oder, sondern ein Kontinuum. Wir haben gesunde und kranke Anteile, solange wir leben – auch noch im Sterben gilt das. Was hilft, gesund zu bleiben oder wieder gesund zu werden ist das Gefühl von Kohärenz: verstehen, was mit uns geschieht; das Gefühl haben, Leid und Krankheit bewältigen zu können und schließlich einen Sinn darin sehen. Wie gesund wir uns fühlen, das hat also auch mit unseren Beziehungen zu tun. Auch mit der Beziehung zu unserem eigenen Körper.

Unser Körper kann uns helfen, achtsam mit unserer Gesundheit umzugehen, sagt Personaltrainerin Andrea Lautenbach.

 

Andrea Lautenbach: „Entscheidend ist die innere Einstellung, dass mein Körper mein Freund ist und nicht mein Feind. Wenn Leib und Seele zusammenarbeiten, entstehen Synergieeffekte. Denn Emotionen sind ja erst durch den Körper erfahrbar- schließlich haben wir unsere fünf Sinne dafür bekommen, das Leben zu erfühlen. Leider denken, entscheiden und handeln wir nur oft an unseren Bedürfnissen vorbei.“

 

Über die Körperarbeit fühlen wir, was uns gut tut: Wenn wir uns entspannen und beweglicher werden, kann auch die Seele aufatmen. Es gibt Halt und Stabilität, wenn wir in unserem Körper zu Hause sind.

Ich bin mein Leib. Mein Gang, meine Haltung, meine Verletzungen und Schmerzen erzählen von meiner Lebensgeschichte, von meiner Stimmung. Wir kommunizieren über unseren Körper, wir präsentieren uns damit – kein Wunder, dass manche ihn wie ein Objekt behandeln, um die eigenen Chancen zu verbessern- ihn optimieren, trainieren, aufhübschen . Ariadne von Schirach[2] erzählt in ihrem Buch „Du sollst nicht funktionieren“ von den Hungermädchen, die den Models nacheifern, von Stresskörpern und Fitnessleibern und von den Best Agern, die das Älterwerden wie eine lästige Krankheit verdrängen. Wir fliehen vor der Endlichkeit, sagt sie, dabei wäre es besser, sich den Leib zum Verbündeten zu machen, – auch wenn er Macken hat oder uns scheinbar zur Unzeit eine Krankheit präsentiert. Unser Body meint es gut mit uns- allerdings dauert es meist eine Weile, bis wir das begreifen. Eine Trainerin wie Andrea Lautenbach kann dabei hilfreich sein. Mir hat sie neu bewusst gemacht: Der Weg ins Gegenwärtig-Sein führt über den Körper. Unsere Körpersinne- Sehen und Hören, Schmecken und Fühlen sind zuverlässige Begleiter in die Wirklichkeit. Und auch im Atmen, Sitzen, Gehen spüren wir Präsenz- ein Einssein mit dem Leben.

 

Ey, mein Body, Du und ich
Hey, wir lassen uns nicht im Stich!
Und sind die Zeiten auch manchmal hart
Wir bleiben lange noch am Start!
Mein Körper, Du und ich
Sowas wird's nie wieder geben
Weißt Du, was wir beide sind?
Wir sind die Meister im Überleben!

 

Ohne Selbstsorge kann auch die Sorge für andere auf Dauer nicht gelingen. Paradoxerweise ist das gerade in der Gesundheitsbranche besonders schwer. Wie andere Dienstleistungsbereiche auch leiden Krankenhäuser und Pflegedienste in besonderer Weise unter Kostendruck. Die Zeit, in der Dienstleistung das teuerste Gut, wird knapp. Wer aber Hilfebedürftige nur noch ein kleines Stück auf dem Weg begleiten kann und nicht mehr sieht, wie es weiter geht, wer sich immer neu einlassen und schnell wieder abgeben muss, verliert das Kostbarste, was diese Berufe ausmacht: die Erfahrung heilender Begegnungen. Wer einen anderen berührt, rührt ja immer auch an Erfahrungen, die sich tief in den Körper eingeprägt haben. Dass wir kranke und sterbende Menschen im wahrsten Sinne des Wortes behandeln, das hat natürlich auch mit der Vorstellung des beseelten Leibes zu tun. Ganz besonders deutlich wird das in der Sterbebegleitung. Ehrenamtlich Engagierte im Hospiz erleben, dass Menschen sich entspannen, wenn jemand ihre Hand hält, und noch einmal aufblühen, wenn sie sich auf etwas oder auf jemanden freuen können.

 

Martin Quel: „Es sind manchmal so simple, kleine Dinge. Es kann ein Eis sein; einer Dame habe ich Erdbeeren mitgebracht, als sie schon im Sterben lag. Aber noch einmal Erdbeeren zu essen, das war eine ganz wichtige Geschichte. Ihr hat das diesen letzten Weg erleichtert…“

 

sagt Martin Quel vom Hospizdienst Pusteblume. Er erzählt aber auch, wie wichtig es sei, einfach da zu sein und es mit dem anderen auszuhalten.

 

Martin Quel: „Dass jemand weiß, da sitzt einer und der ist jetzt einfach nur da – das ist eine ganz wichtige, beruhigende Situation.“

 

„Wie ich berühre, so bin ich berührt“[3] – aber wenn ich niemanden mehr wirklich begleiten und begegnen kann, werde ich auch selbst kälter und distanzierter, nehme auch den eigenen Körper kaum noch wahr. Oder ist es umgekehrt- weil ich mich selbst vor Überforderung kaum noch spüre, kann ich mich auch nicht mehr in andere einfühlen? Jedenfalls haben die Ehrenamtlichen auch die Beobachtung gemacht- dass Pflegende oft kaum die Zeit und Kraft haben, ganz da zu sein für den Patienten. Martin Quel fordert:

 

Martin Quel: „Wir brauchen mehr Mitarbeiter in der Pflege – dann nehmen sie den Einzelnen auch anders wahr. Es kann nicht sein, dass da zwei Mitarbeiter mit zwanzig/dreißig Bewohnern auf der Station alleine sind“.

 

Manchmal werde ich gefragt, ob es für Kirche und Diakonie nicht an der Zeit wäre, unter diesen Umständen aus dem Gesundheitsmarkt auszusteigen. Dann denke ich an Theodor Fliedner, den Gründer der Kaiserswerther Diakonie. Der hatte damals klare Kriterien, wann er seine Diakonissen aus einem Krankenhaus zurückzog. Es ging ihm um Qualität und Ethik der Pflege, um gute Versorgung und medizinische Behandlung. Und genau deswegen ging es ihm auch um die Gesundheit der Schwestern, darum, dass sie Zeit genug zur Erholung hatten. Eine Studie über die Kraftquellen von Pflegenden zeigt auch heute: Was für Pflegebedürftige wichtig ist, das brauchen die Pflegenden auch. Tragfähige Netze, Zeit für Zuwendung und Orte, an denen man Kraft schöpfen kann. Und Rückzugszeiten, um Prioritäten zu klären, sich vielleicht auch neu zu orientieren. „Einkehrtage“ nannte man das in der Diakonissentradition. „Auftanken“ würden wir heute sagen.

„Tu Deinem Leib Gutes, damit Deine Seele Lust hat, darin zu wohnen“, sagt Theresa von Avila, eine spanische Mystikerin aus dem 16. Jahrhundert. Sie versteht den Leib als Tempel der Seele. Wir könnten nicht singen und nicht tanzen ohne unseren Körper, wir spürten die Sonne nicht auf der Haut und könnten den Vögeln nicht zuhören. Wir könnten einander nicht berühren, küssen und festhalten. Die Personaltrainerin Andrea Lautenbach zitiert Hildegard von Bingen:

 

Andrea Lautenbach: „Meine Seele jubelt im Fleisch…O mein Fleisch und meine Glieder in denen ich Wohnung nahm, wie sehr freue ich mich, dass ich zu Euch geschickt wurde... Der Seele Freude ist es, im Leibe wirksam zu sein.“

 

So wie wir nur in einer bestimmten Sprache sprechen können, wie wir nur in einem festgelegten Alphabet schreiben können, so finden auch unsere Beziehungen und Gefühle Ausdruck über den Körper- den eigenen, unvollkommenen Körper. So zerbrechlich und endlich wie er ist. Wer möchte nicht manchmal aus der Haut fahren, strapaziert nicht die eigene Gesundheit, überfordert sich nicht. Und dennoch bin ich in diesem Körper in meiner Zeit- und er ermöglicht mir, ganz da zu sein, auch vor Gott. Kniend, singend, mit ausgestreckten Armen oder sitzend in der Stille. Auch beim Beten und erst recht beim Segnen sind wir im Leib.

 

Martin Quel: „Was ich in meine Begleitungsarbeit eingebracht habe, kommt von meiner Großmutter: Sie hat mir immer mit dem Daumen ein Kreuz auf die Stirn gezeichnet – und so mache ich es heute bei anderen. Besonders wichtig ist mir das, wenn der Abschied naht- und ich stelle immer wieder fest, dass das gern aufgenommen wird. Und dann erkläre ich das: Meine Großmutter hat immer gesagt, das heißt: Gott befohlen. Dann kommt ganz oft zurück: ‚Ja, das ist schön‘.“

 

…erzählt Martin Quel von seinen Erfahrungen in der Hospizarbeit.

Und noch unseren Verstorbenen falten wir die Hände. Am Umgang mit unseren Toten zeigt sich, dass wir den Körper eben nicht nur als Materie verstehen – wir wollen, dass unsere Angehörigen würdig zur letzten Ruhe gehen.

 

Martin Quel: „Man kann nicht etwas, mit dem man 88, 87 Jahre rumgelaufen ist, ablegen wie ein altes Kleid… Das ist nicht egal- ich komme weg und werde eingeäschert; ich bin das ja dann nicht mehr- Nein, so ist das nicht.“

 

Und natürlich sagt es auch etwas über das Verständnis von Leib und Seele aus, wenn wir den toten Körper eines Menschen heute tendenziell als verfügbares Gut verstehen. Als Bank für Genmaterial, als Lager für Organe. Dass sich bei vielen etwas dagegen sträubt, ist in den Debatten um die Organspende deutlich zu spüren. Erträglich wird das Ganze nur, wenn wir die Gabe mit der Vorstellung verbinden, anderen Leben zu schenken. „Mein Leib – für Euch gegeben“, sagt Jesus, als er beim letzten Abendmahl das Brot bricht und es seinen Jüngern gibt. In dieser Tischgemeinschaft drückt sich die Hingabe ganz leiblich aus – ein starkes Symbol, das zum Kern des christlichen Glaubens gehört. Und später erkennen die Jünger den auferstandenen Jesus an seiner Art, das Brot zu brechen. Sie erkennen ihn an einer Geste, aber auch an seiner Stimme und an seinen Wunden, den Zeichen der Folter an seinem Körper. Denn auch der auferstandene Jesus ist im Leib – erlöst und befreit, aber doch erkennbar er selbst. Ich glaube an die Auferstehung des Fleisches, hieß es deshalb früher im Glaubensbekenntnis. Wie das gehen soll? Ich weiß es nicht.

Aber ich weiß: Die Trennung von Leib und Seele, die Abspaltung unseres Körpers passt nicht zu unserem Glauben- sie kommt aus der platonischen Philosophie. In seinem neuen Buch „Gotteskörper“ hat Christoph Markschies[4] beschrieben, wie sich diese Philosophie ganz allmählich im Christentum eingenistet hat- mit ihrer Verachtung von Lebenslust und Leiblichkeit. Und mit der Spaltung von Seelsorge und Leibsorge- und der Missachtung der Pflegearbeit. Die Schöpfungsgeschichte aber erzählt, dass der Atem Gottes durch unseren Körper fließt. Und es ist gut, wenn wir ab und an innehalten und diese Energie wahrnehmen. Widerstandskraft pur. Lebenskraft bis zum Ende- und darüber hinaus. Warum nicht auch mal danke sagen so wie Udo Lindenberg.

 

 

Musik:

„Mein Body und ich“, Udo Lindenberg, Stärker als die Zeit

 

[1] Vgl. z.B. Volker Fintelmann, Marcela Ullmann, Warnsignale des Körpers, Beschwerden von Körper und Seele ganzheitlich verstehen, München 2004

[2] Ariadne von Schirach, Du sollst nicht funktionieren - Für eine neue Lebenskunst, München 2014

[3] Klaus M. Meyer-Albich.

[4] Christoph Markschies, Gotteskörper, München 2016

11.01.2016
Pfarrerin Cornelia Coenen-Marx