Herzensbildung

Gedanken zur Woche
Herzensbildung
Gedanken zur Woche
24.02.2017 - 06:35
24.02.2017
Pfarrer Eberhard Hadem

Empörte Menschen kommen zu Jesus. Sie haben eine Frau beim Ehebruch ergriffen und stellen sie vor ihn. Die Frau selber ist ihnen völlig egal. Sie suchen einen Anlass um Jesus zu verklagen. Sie fragen ihn nach seinem Urteil – Daumen hoch oder Daumen runter? Jesus bückt sich und schreibt mit dem Finger auf die Erde. Er verweigert eine Antwort. Er malt irgendetwas in den staubigen Sand. Er lässt sich auf die geschickt eingefädelte Inszenierung an Empörung nicht ein. Was Jesus dort in den Staub schreibt – die Bibel verrät es nicht. Das Malen im Staub scheint Jesus aber wichtiger zu sein als das moralische Problem des Ehebruchs.

 

Die öffentliche Empörung hat heute andere Anlässe: Ein Einwanderungsgesetz für Deutschland – Daumen hoch oder Daumen runter? Weg mit Burka und Nikab für muslimische Frauen – Daumen hoch oder Daumen runter? Verlängerung des Arbeitslosengeldes – Daumen hoch oder Daumen runter? Schnellere Abschiebung nach Afghanistan – Daumen hoch oder Daumen runter? Die Gesellschaft polarisiert sich immer mehr, quer durch alle Fragen des öffentlichen Lebens. Was in den sozialen Netzwerken seinen Anfang genommen hat, ist stilbildend geworden für Politik und Gesellschaft. Meinung stößt auf Gegenmeinung, und jede sucht allein die eigene Bestätigung. Fakten spielen keine Rolle mehr, es sei denn, sie stützen die eigene Meinung. Oder man erfindet Alternativen.

 

Andererseits: Ohne öffentliche Empörung und bürgerlichen Einspruch gegen Lügen und Unwahrheiten wäre die Demokratie ein Körper ohne Immunsystem: ohne Haltung kann kein Zusammenleben sinnvoll funktionieren. Ohne das Fieber der Empörung würde unsere Gesellschaft krank werden. Auch Jesus konnte sich empören, kräftig sogar. Aber der inszenierten Empörung verweigert er sich.

 

Ich finde Jesu Aktion wunderbar: Allen, die dabei sind, macht er ein Geschenk – einen Moment der Selbstprüfung, für die Kläger, für die Beklagte, vielleicht sogar für sich selbst. Bevor ich mich wieder über irgendetwas maßlos aufrege und empöre, lasse ich mir sagen: Mal im Sand. Zeichne Kreise und Herzchen auf Papier, auf deine Schreibtischunterlage. Fahr Fahrrad. Mach Stretching vorm Computer, bevor du schreibst. Tu das Gegenteil von dem, was deine Erregung hochkochen lässt. Zum Asketen werden bei Erregung und Empörung – könnte das nicht stilbildend werden? Gegen die Hyperpolarisierung in meinem Kopf und in der Gesellschaft? Gegen ein undifferenziertes Daumen hoch oder Daumen runter? Ich finde, das hat Stil. Und schenkt mir Zeit, über mich selbst und meine Rolle in der Empörungsspirale nachzudenken.

 

Schon als kleiner Junge wollte ich immer wissen, was Jesus in den Staub malt. Wichtig ist aber nur, dass Jesus malt. Er hält inne, verweigert sich der Empörung, unterbricht die Spirale der Aufregung und schafft Raum zum Nachdenken. Das hilft gegen einen erbarmungslosen Daumen. Das bildet Herzen statt Meinungen einfach zu bestätigen. Manche lächeln über die scheinbar bürgerliche, gar fromme Forderung nach Herzensbildung. Ein einziger Hass-Tweet kann tausend freundliche aufwiegen, so wie ein Liter Öl tausend Liter Wasser vergiftet.

 

Aber Herzensbildung meint nicht ‚Nett-Sein‘. Sie ist auch kein moralischer Appell. Eher eine bestimmte Praxis, eine asketische Übung, sich selbst und den eigenen Gefühlen gegenüber. Sie ist kein Zwang, den ich mir auferlege. Sondern die Freiheit, bei mir selber anzufangen. Die mich den Impuls beherrschen lässt, immer gleich auf andere zu zeigen. Die mich frei macht, den Anderen mit seiner Meinung so wahrzunehmen wie mich selbst. Das braucht Übung. Und Zeit.

 

In fünf Tagen, am Aschermittwoch, beginnt die Fastenzeit, Einladung zum Üben des Herzensgesprächs. ‚Augenblick mal!‘ heißt es bei der evangelischen Fastenaktion. ‚Sieben Wochen ohne – sofort‘. Eben mit Zeit zum Nachdenken.

 

Wenn Sie mit mir darüber reden möchten: bis 8.00 Uhr bin ich erreichbar unter 030 – 325 321 344. Oder diskutieren Sie mit auf Facebook unter ‚deutschlandradio.evangelisch‘.

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24.02.2017
Pfarrer Eberhard Hadem