Nur nicht provozieren lassen!

Gedanken zur Woche
Nur nicht provozieren lassen!
Gedanken zur Woche
10.03.2017 - 06:35
10.03.2017
Pfarrerin Annette Bassler

Nur nicht provozieren lassen! An diesen Grundsatz haben sich viele Bundespolitiker in dieser Woche abgearbeitet. Und Sie vielleicht auch. Hat doch der türkische Ministerpräsident Erdogan die größte Keule herausgeholt, mit der man den Deutschen eins überbraten kann: den Nazivorwurf. Wenn seine Minister bei uns nicht Werbung machen dürfen für sein Referendum im April, dann seien das Nazimethoden. Demokratische Meinungsfreiheit gelte auch für ihn. Und überhaupt: wenn er wolle, würde er nach Deutschland kommen!


Da muss man schon tief durchatmen, um nicht reflexartig zurück zu pöbeln. Oder sich mit Grausen abzuwenden. Aber nein, wir lassen uns nicht provozieren!  Das ist eine zutiefst christliche Haltung, wie ich meine.  Jesus hat überall dafür geworben. Man soll Gewalt nicht mit Gegengewalt begegnen. Feinde nicht umbringen, sondern ihnen mit guten Taten entgegenkommen. Und wenn es ganz dicke kommt und man schon die Waffen in der Hand hat, dann lieber erst mal durchatmen und in den Sand malen. Bis die Vernunft wieder das Sagen hat.


Ich bin überzeugt, dass Jesus Recht hat. Auch wenn mir das gegen den Strich geht. Wenn man keine Lust auf Krieg hat, wenn man irgendwie miteinander auskommen und leben will, dann ist das der Königsweg. Nur nicht provozieren lassen! Ich liebe Jesus für seine klare Sicht der Dinge.
Aber das mit dem Durchatmen und in den Sand malen fällt mir trotzdem schwer. Männer, die ständig beleidigt sind, wenn sie nicht bekommen, was sie wollen, kann ich schon beruflich kaum ertragen. Und Männer, die man ständig bewundern soll, finde ich lächerlich und habe nicht die geringste Lust, meine Energie an sie zu verschwenden.


„Wenn ich in Deutschland reden will, dann rede ich!“ trampelt Erdogan. Und hofft, dass sein Auftreten Eindruck macht. Dabei weiß er ganz genau, dass die Meinungsfreiheit, auf die er sich beruft, nicht für ihn gilt. Es ist das Recht des Einzelnen gegenüber seinem Staat, nicht das Recht des ausländischen Politikers, im fremden Land für sich Werbung zu machen.


Aber gut, ich will mich nicht provozieren lassen. Atme tief durch, male im Sand und denke nach. Warum gibt es Leute bei uns, die Erdogans Botschaft hören wollen? Dazu gibt es eine Studie des Religionssoziologen Detlef Pollack. Von den 1,4 Millionen Deutschtürken, die in der Türkei wählen dürfen, hat er 1200 danach befragt, wie sie sich hier in Deutschland fühlen. 90% der Befragten fühlen sich wohl und eng mit Deutschland verbunden. Aber - und das finde ich schockierend-  fast die Hälfte von ihnen fühlt sich bei uns ungerecht behandelt. Weil sie wirtschaftlich nicht vorankommen und: weil sie bei jedem Terroranschlag als Muslime unter Generalverdacht stehen.


Diese Mitbürger sind es, die mit einem Präsidenten sympathisieren, der die Türkei zu einem muslimischen Staat machen will. Und dabei die europäischen Werte diskreditiert und unsere Freiheitsrechte lächerlich macht, weil er sie selber in Anspruch nimmt, seinem Land aber verweigert.
Was also können wir tun? Wenn wir genug im Sand gemalt haben. Ich glaube, es ist an der Zeit, Profil zu zeigen. Das Profil unserer christlichen Kultur. Unsere Freiheitsrechte gründen nämlich auf der persönlichen Freiheit, das mit der Ehre gelassen sehen zu können. Christlich gesprochen ist unsere Würde bei Gott geborgen. Und somit unantastbar. Auch von einem trampelnden Erdogan.


Es gehört zu unserem Profil, dass wir schier unkränkbar sind und Beleidiger einfach ignorieren können. So sind wir frei, um für unsere Demokratie zu werben. Wir sind frei, den Deutschtürken unter uns beizustehen, deren Verwandte in der Türkei bedroht werden, die als Terroristen beschimpft, gefangen genommen und für ihre demokratische Gesinnung gefoltert werden. Werben wir miteinander für unsere demokratischen Werte. Zeigen wir Profil, ohne auf Provokationen hereinzufallen. Das können wir schon im Alltag und hier bei uns üben.


Wenn Sie mit mir sprechen wollen,  können Sie mich bis acht Uhr anrufen unter der Telefonnummer 030 325 321 344. Oder diskutieren Sie mit auf Facebook unter „deutschlandradio.evangelisch“.

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10.03.2017
Pfarrerin Annette Bassler