Aufstehen

Morgenandacht
Aufstehen
22.08.2017 - 06:35
17.08.2017
Pastorin Miriam Stamm

Der Kartengruß meiner Freundin fordert heraus. „Hinfallen, aufstehen, Krönchen richten, weitergehen“ steht auf der Postkarte. Den meisten Menschen fällt das „Aufstehen“ nicht leicht.

 

„Aufstehen“ hat viele Facetten. Allen gemeinsam ist, sich aus einer Sitz- oder Liegeposition heraus bewegen zu müssen. Von der Horizontalen in die Vertikale sozusagen. Egal, ob das viel zu frühe Aufstehen am Morgen gemeint ist oder das kämpferische „Aufstehen“, dieses sich für eine Sache einsetzen, den Aufstand proben. Oder das mühsame Hochrappeln nach einem Sturz. Aufstehen ist anstrengend und kostet Kraft. Und es ist nicht gesagt, dass wir dann auch stehen bleiben.

 

So ging es Sabine. „Ich habe schon zwanzig Bewerbungen geschrieben, ich habe immer nur Absagen erhalten. Es lohnt sich nicht mehr.“ Sabine machte gerade eine schwierige Lebensphase durch.

 

Was hilft ihr, wieder aufzustehen, wenn sie wieder eine Niederlage oder gleich mehrere erlitten hat? Was hilft es ihr, wenn das Leben sich nur noch feindlich zeigt? Zwanzig Bewerbungen und kein Job in Sicht. Dazu eine schlechte Diagnose, eine miese Prognose, Schulden und vielleicht auch Schuld. Soweit der Blick reicht: Kein Land in Sicht. Da wird das Aufstehen unendlich schwer und wirft Fragen auf: Wie und wozu soll ich aufstehen?

 

Im Boxsport gibt es den Begriff „Nehmerqualitäten“. Er bezeichnet die Fähigkeit, Schläge einzustecken ohne aufzugeben. Wer Nehmerqualitäten vorweisen kann, akzeptiert die Niederlagen als Teil des Lebens, nimmt sie aber nicht allzu persönlich.

 

Josef, der berühmte Held aus der Bibel, der sein Volk vor einer Hungersnot bewahrte, ist eine solche Figur mit Nehmerqualitäten. Einst war er der verwöhnte Sohn eines reichen Nomaden. Er träumte davon, dass Gott ihn außerwählt hat, um Großes zu tun. Dann verkaufen ihn seine Brüder als Sklave. In der Fremde klagte ihn die Frau seines neuen Herrn zu Unrecht an. Er wird für schuldig befunden und in ein Verlies gesperrt. Noch tiefer konnte er nicht fallen. Aber Josef gibt nicht auf.

 

Er hat einen Ankerpunkt gefunden für das Leben. Außerhalb seines persönlichen Dramas. Schon das hilft ihm, sich nicht alleine am eigenen Unglück abzuarbeiten.

 

Er hörte mehr auf seine Träume und auf Gott als auf die Katastrophe. Gott, der ihm schon am Anfang sagte: Du bist fähig, ein Volk anzuführen. Auf Josef wartete ein Auftrag. Diese Verheißung will er nicht verpassen.

 

Auf eine bestimmte Art und Weise, trifft das auf alle Menschen zu. Wir sind von Gott gewollt. Es ist sinnvoll, dass es uns gibt. Wir sind hier, um ein Lied zu singen, dass nur wir singen können.

 

Ich glaube, dass ist die Ausgangsbasis für das „Aufstehen“. Egal, ob es das Aufstehen nach einer Niederlage ist oder der nötige Aufstand gegen Menschenrechtsverletzungen. Diese Basis verleiht Menschen die Fähigkeit, mehr den guten Kräften des Lebens zu vertrauen als den destruktiven. Die Fähigkeit, immer wieder aufzustehen, weil jeder einzelne auf gutem Grund steht.

 

Sabine hatte nach der vierzigsten Bewerbung ein vielversprechendes Vorstellungsgespräch. Auch daraus wurde nichts. Nach der siebenundvierzigsten Bewerbung fand sie endlich einen Job. Gefragt, woher sie die Energie genommen hatte, sich nach so vielen Absagen, weiter zu bewerben, sagte sie: „Irgendwann habe ich die Absagen nicht mehr als Angriff gegen mich gewertet. Ich habe mich an meine Fähigkeiten erinnert, an das, was ich gut kann und wo ich mich engagieren möchte. Ich habe mir auch Hilfe geholt, mich coachen lassen. Und dann hat es geklappt.“

 

Wer aufstehen will, nimmt die Hindernisse oder die Schicksalsschläge wahr, ohne ihnen die Macht zu geben, das Leben zu bestimmen. Wer aufsteht, nimmt das Leben wie es ist, baut auf Gottes guten Grund und rechnet mit seiner Hilfe.

 

Aufstehen ist ein Kraftakt, keine Frage. Aber Aufstehen gibt auch Kraft. Das Leben zu leben, wie es ist. Und es überall da zu verändern, wo es nötig und möglich ist.

17.08.2017
Pastorin Miriam Stamm