Heilendes Erinnern

Morgenandacht
Heilendes Erinnern
20.03.2018 - 06:35
01.03.2018
Pfarrer Jost Mazuch
Sendung zum Nachhören
Sendung zum Nachlesen

Petrus war stark. Jedenfalls meistens. Trat sicher auf, vertrat seinen Standpunkt. Ein Fels von einem Mann. Seinem Meister, Jesus, würde er treu bleiben, was auch immer passierte. „Und wenn alle dich verlassen, ich nicht“, behauptete er voll Überzeugung.

 

Dann die Niederlage. Als Jesus verhaftet worden war, war er noch hinter ihm her gegangen, wollte ihm nah sein, wartete im Hof des Hohepriesters, was sie mit ihm machen würden. Dort sprach ihn eine Frau an: „Du gehörst doch auch zu dem Jesus aus Galiläa!“ Und er? Anstatt zu ihm zu halten, stritt er ab, worauf er doch kurz vorher noch so stolz gewesen war: dass er ein Schüler des Mannes aus Nazareth war. „Ich weiß nicht, was du sagst“, brachte er nur hervor.

Das war beschämend. Doch er konnte nicht anders. Die Angst war stärker als seine Überzeugung. Und es kam noch schlimmer: eine andere Frau sah ihn an und sagte laut: „Der da gehört auch zu dem Jesus aus Nazareth!“ Wieder leugnete er: „Ich kenne den Menschen nicht!“ Und auch beim dritten Mal, als ihn noch andere erkannten: „Deine Sprache verrät dich – du bist einer von denen!“… Er brachte es wieder nicht über sich, einfach ja zu sagen. Stattdessen schwor er: „Ich kenne den Mann nicht!“

Da krähte der Hahn, und Petrus erinnerte sich, was Jesus am Abend vorher gesagt hatte: „Ehe der Hahn kräht, wirst du mich dreimal verleugnet haben!“ Als er sich vom Hof schlich, stiegen bittere Tränen in ihm auf.

 

Wie kann man leben mit den Erinnerungen, die nicht in das eigene Selbstbild passen? Am liebsten würde man vergessen, was passiert ist. Weiter leben, als wäre nichts geschehen. Nicht über die eigene Schwäche sprechen. Vielleicht weiß ja kein anderer davon, dann wird man auch nicht darauf angesprochen.

 

Es sind schwere Erinnerungen, die man lieber nicht mit sich schleppen würde: Verletzungen, Trauer, Beschämung, Schuld. Niemand ist in der Lage, so etwas willentlich zu vergessen. Einfach eine innere Taste zu drücken, die das belastende Ereignis löscht – das geht nicht. Selbst dann, wenn eine Schuld oder seelische Verletzung verdrängt scheint, arbeitet sie im Inneren weiter, bleibt belastend und kommt unerwartet wieder zum Vorschein. Gerade das, was ich lieber nicht mehr ansehen will, tritt irgendwann mit Macht wieder in die Erinnerung. Ein kleiner Auslöser, und alles, was vergangen schien, ist wieder ganz gegenwärtig.

 

Vermutlich wäre es Petrus nach dem Tod seines Lehrers Jesus auch so ergangen. Er hätte die Erinnerung an seine Schwäche ein Leben lang mühsam tief in seinem Inneren verborgen; und hätte sie doch nie vergessen können. Doch es kam anders. Die Bibel erzählt, wie er Jesus noch einmal traf.

 

Er und die anderen Jünger erkannten den Auferstandenen sofort, obwohl Jesus wie ein Fremder dort am Ufer stand, am See Genezareth, wo sie so oft mit ihm zusammen waren. Die Dinge wiederholen sich: die Aufforderung, noch einmal fischen zu gehen, der wundersame Erfolg, die übervollen Netze. Und dann lädt der fremde Vertraute sie zum Essen ans Feuer, wie so oft früher, in dem anderen Leben. Und keiner wagt, ihn anzusprechen.

Doch er spricht Petrus an: Petrus, hast du mich lieber, als die anderen hier? Ja, Herr, antwortet der, du weißt, dass ich dich liebhabe. Noch einmal fragt Jesus: Petrus, hast du mich lieb? Und noch einmal antwortet er: Ja. Und ein drittes Mal: Petrus, hast du mich lieb? Dreimal hat er ihn verleugnet. Dreimal muss, darf er jetzt zu ihm sagen: Ja, ich habe dich lieb. Er spürt noch einmal die Traurigkeit aus jener Nacht. Und wird frei, zu einem neuen Auftrag: Weide meine Schafe!

Von einer belastenden Vergangenheit werden wir nicht frei ohne bewusst aufgesuchte Erinnerung. Gegen alles Vergessen und Verdrängen – Erinnern ist der Schlüssel zu einer neuen Zukunft. Weil nur Erinnern die Erinnerungen heilen kann.

01.03.2018
Pfarrer Jost Mazuch