Stolpersteine

Morgenandacht
Stolpersteine
22.03.2018 - 06:35
01.03.2018
Pfarrer Jost Mazuch
Sendung zum Nachhören
Sendung zum Nachlesen

Eine kleine Messingplatte auf dem Gehweg nahe bei meiner Wohnung, ein paar Worte sind darin eingraviert: „Hier wohnte Dr. Louise Straus-Ernst (Jahrgang 1893). Deportiert 1944. Tod in Auschwitz.“ Ein Stolperstein. Einer von vielen tausend, die der Künstler Gunter Demnig seit Jahren unermüdlich verlegt. Eine unscheinbare, 10 mal 10 Zentimeter große Metallplatte mit einigen wenigen Angaben: Name, Geburts- und Sterbedaten, wenig mehr. Man kann sie leicht übersehen. Dennoch bleiben hier immer wieder Menschen kurz stehen, beugen sich hinunter, lesen. „Es sind nicht die Füße, die über diese Steine stolpern, sondern die Köpfe und die Herzen“, hat mal ein Jugendlicher gesagt. Auch ich gehe selten vorbei, ohne kurz an die Frau zu denken, deren Name dort steht.

 

Louise Straus-Ernst, genannt Lou, war zu ihrer Zeit in Köln eine recht bekannte Persönlichkeit. Tochter aus bürgerlich-jüdischer Familie, erste promovierte Kunsthistorikerin an der Universität Bonn, Journalistin, Künstlerin, Museumskuratorin. 1918 heiratete sie den Maler Max Ernst. Mit ihm und anderen Künstlern engagierte sie sich in der avantgardistischen Kunstbewegung „Dada“. Nach der Scheidung von Max Ernst 1926 lebte sie mit ihrem Sohn Jimmy in der Emmastraße 27. Sie schrieb Kunst- und Theaterkritiken, Reportagen und Radiobeiträge. Als die Nazis 1933 an die Macht kamen, emigrierte sie – vorübergehend, wie sie dachte – nach Paris. In Frankreich war sie im Widerstand gegen das Naziregime aktiv, wurde zeitweise interniert und musste jahrelang vergeblich auf ein Visum zur Ausreise nach Amerika warten. 1943 wurde sie in das Sammellager für Juden in Drancy bei Paris verschleppt und von dort im Juni 1944 nach Auschwitz deportiert, wo sie kurz darauf ermordet wurde.

Über Louise Straus-Ernst habe ich einiges erfahren, seit der Stolperstein in meiner Straße verlegt wurde. Im Gemeindehaus in der Nachbarschaft wurde ein Theaterstück über sie aufgeführt, und es gab eine Lesung aus ihrer Biografie.

 

Auf der gegenüberliegenden Straßenseite, vor der Emmastr. 14, liegen ebenfalls zwei Stolpersteine. „Hier wohnte Theodor Schäfer. (Jahrgang unbekannt). Tod 1944 im KZ Sachsenhausen“, ist da zu lesen. Und „Hier wohnte Lina Wissbrunn, geb. Ruhr. (Jahrgang 1885). Deportiert 1942. Osttransport. Verschollen“. Über diese beiden Menschen ist nur noch wenig bekannt. Schon oft habe ich mich gefragt, wer sie wohl waren. Doch ich vermute, es gibt niemanden mehr, der darüber etwas weiß. Nur die wenigen Worte auf einer kleinen Messingplatte halten ihr Gedenken fest.

 

In meinem Stadtteil gibt es viele solche Stolpersteine; über 60 habe ich gezählt, vielleicht sind es mehr. Wenn man einmal angefangen hat, darauf zu achten, sieht man sie immer häufiger. Sie erinnern an Menschen, die von den Nationalsozialisten verfolgt und umgebracht wurden. Weil sie Juden waren, Sinti oder Roma, oder Zeugen Jehovas. Weil sie politisch unliebsam waren oder homosexuell. Oder weil sie wegen ihrer Behinderung nicht mehr leben durften. Manchmal sammeln wir in einem Gottesdienst meiner Kirchengemeinde für die Verlegung neuer Stolpersteine. Und dann wird mit einer kleinen Zeremonie ein neuer Gedenkort geschaffen. Vor den Häusern, wo die Gemordeten ihren letzten freigewählten Wohnort hatten.

 

Eine kleine Messingplatte, kaum größer als eine Hand, damit die Namen nicht vergessen werden. Die Namen derer, die keinen Friedhof und keinen Grabstein haben. Für mich hält eine solche kleine Messingplatte auch die große Hoffnung fest, dass die Mörder nicht Recht behalten zuletzt. Die Hoffnung, dass kein Mensch verloren ist bei Gott, der sagt: „Siehe, ich habe deinen Namen in meine Hand geschrieben, ich habe dich immer vor Augen.“ (Jes. 49,16)

 

01.03.2018
Pfarrer Jost Mazuch