Von wegen neuer Himmel!

Morgenandacht
Von wegen neuer Himmel!
Wie radikale Gläubige hinterhältig missionieren
15.11.2017 - 06:35
08.11.2017
Pfarrer Martin Vorländer
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Der junge Mann sieht sympathisch aus. Er spricht Sophie auf der Straße an: „Hi, ich bin Christian!“ Sophie will schon weitergehen, da sagt er: „Ich studiere Theologie. Darf ich dich was fragen?“ Sophie ist baff: „Oh, ich studiere auch Theologie! So ein Zufall!“ Christian sagt: „Ich mache ein Projekt für mein Studium und führe dafür kurze Interviews. Hast du Lust mitzumachen?“ Originelle Methode, um zu einem Date zu kommen, denkt sich Sophie. Aber ihre Neugierde ist geweckt. Die beiden treffen sich in einem Café.

 

Christian packt seine Unterlagen aus und fragt Sophie, wie sie verschiedene Stellen in der Bibel versteht. Dann lädt er sie zu einem Bibelkurs ein. Da würden sich Christen aus verschiedenen Konfessionen und aus ganz verschiedenen Ländern treffen. Sophie diskutiert gerne mit anderen Leuten über Glauben. Also geht sie hin. Ein bisschen komisch findet sie, dass ihr keiner so richtig sagt, was das für eine Gruppe ist. Aber alle sind nett und aufgeschlossen.

 

Dann wird es immer enger. Die Mitglieder des Bibelkurses schreiben ihr ständig Nachrichten, rufen an und wollen sich mit ihr treffen. Sie mögen es gar nicht, dass Sophie nur ab und zu zum Bibelkurs kommen will. Auf einmal soll sie außerdem 200 Euro für den Kurs bezahlen, angeblich für die Raummiete. Hier stimmt was nicht, denkt Sophie, und recherchiert im Internet. Sie findet heraus: Hinter der angeblichen Bibelschule steckt eine neue Religion aus Korea. Sie nennen sich „Neuer Himmel, neue Erde“. Sie glauben, dass ihr Anführer der Pastor der Endzeit ist, der alle rettet, die ihm folgen.

 

Von wegen neuer Himmel – nicht mit mir, denkt Sophie und steigt aus. Die Mitglieder der Gruppe schreiben ihr Nachrichten, rufen sie an. Sophie blockiert die Nummern. Sie sucht Hilfe bei ihrer evangelischen Kirche und erzählt ihren Freunden, was ihr passiert ist.

Sophie ist klar geworden: Du kannst von deinem Glauben überzeugt sein. Du kannst auch anderen davon erzählen. Aber Gläubige, egal welcher Religion, dürfen niemals andere zu ihren Missionsobjekten machen, ihnen Interesse und Freundschaft vortäuschen und verheimlichen, worum es bei ihrem Glauben eigentlich geht.

 

Solche radikalen Glaubensanhänger und Gruppen, die Menschen so fangen und Religion missbrauchen, gibt es in vielen Glaubensrichtungen, im Christentum, im Islam, im Buddhismus und Hinduismus. Ich werde immer dann misstrauisch, wenn ich merke: Dem anderen geht es nicht um mich. Ich bin für ihn nur ein Mittel zum Zweck, damit er erfolgreich ein weiteres Mitglied für seine Glaubensgemeinschaft gewinnen kann. Er meint, genau zu wissen, was für mich das Beste ist, und will mich in die Formeln seines Glaubens pressen. Alles, was da nicht reinpasst, ist in seinen Augen schlecht.

 

Ich liebe an meinem christlichen Glauben, dass ich die Freiheit habe, anderen die Freiheit zu lassen, zu glauben oder nicht zu glauben. Freiheit ist für mich ein wichtiges Kennzeichen dafür, dass eine Religion wirklich für den Menschen da ist. In der Bibel heißt es in den zehn Geboten: „Du sollst dir kein Bild machen.“ Das gilt an erster Stelle von Gott. Den dürfen Menschen nicht einspannen für ihre Zwecke. In jeder Religion ist die Versuchung groß, sich selbst an die Stelle Gottes zu setzen, angeblich genau zu wissen, was Gott will und was nicht. „Du sollst dir kein Bild machen.“ Das gilt auch für den anderen Menschen. Den soll ich auch nicht in mein Bild pressen.

Wenn man sich bei einer Glaubensgemeinschaft nicht sicher ist, was dahinter steckt, dafür gibt es Beratungsstellen für Weltanschauungsfragen, Religionsrichtungen und Sondergemeinschaften. Da kann man Informationen bekommen und auch Hilfe, wenn man wie Sophie in eine Gemeinschaft hineingeraten ist, die einen vereinnahmen will.

 

Sophie, die Theologiestudentin, hat aus der Geschichte für sich gelernt: Sie erzählt gerne von ihrem christlichen Glauben und wenn der Funke dabei überspringt, wunderbar. Sie tauscht sich auch nach wie vor gerne mit anderen über Glaubensfragen aus – aber in aller Freiheit und auf Augenhöhe. Zum Missionsobjekt will sie niemanden machen – und auch nicht dazu werden.

08.11.2017
Pfarrer Martin Vorländer