Wahre Größe

Morgenandacht
Wahre Größe
07.02.2018 - 06:35
11.01.2018
Pfarrerin Annette Bassler
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Wer ist der Größte unter uns? Manchmal muss man sich miteinander messen, um herauszufinden, wer das Sagen hat. Wer die Richtung vorgibt oder die Maßstäbe setzt.

Also: Wer ist der Größte unter uns? Das fragen sich auch die Vögel untereinander, wie eine Fabel erzählt. Und sie beschließen: „Wer am höchsten fliegen kann, der soll der Größte unter uns sein!“ Und so schwingen sie sich in die Luft. Die einen flattern mit ihren kurzen Flügelchen, die anderen mit ihren großen Schwingen. Manche lassen sich von der warmen Luft nach oben tragen. Aber irgendwann werden sie alle müde und kehren um. Bis auf den Adler. Mit seinen mächtigen Schwingen schraubt er sich immer höher in die Luft. Als schon lange kein Vogel mehr in Sicht ist, sagt er sich: „Da bin ich wohl der Größte!“ und kehrt um. In diesem Moment schlüpft ein Spatz unter seinen Federn hervor, flattert noch ein paar Meter höher und ruft: „Ich bin der Größte! Ich bin am höchsten geflogen!“

 

Als Kind habe ich diese Fabel geliebt. Sie hat mein Selbstvertrauen gestärkt. Auch wenn du nur kleine Flügelchen hast, mit Geschick und Cleverness kannst du es trotzdem weit bringen. Nur Mut!

 

Mich rührt immer, wenn ein junges Mädchen oder ein junger Mann, den keiner kennt, sich vor einem Millionenpublikum vors Mikrofon stellt und singt. Weil sie oder er glaubt, Superstar werden zu können. Nur Mut! Möchte ich ihnen zurufen. Probiert euch aus!

 

Der derzeitige Präsident von Amerika wollte eigentlich gar kein Präsident werden, hat er von sich erzählt. Er wollte nur ausprobieren, ob er es schafft, die Wahl zu gewinnen. Und weil er es geschafft hat, ist er von sich selber überzeugt, dass er der Größte sei.

 

Aber wer ist der Größte? Woran messen wir Größe? Wer darf bei uns die Richtung vorgeben und Maßstäbe setzen? Genügt es, einfach einen Wettbewerb zu gewinnen?

Jesus hat in dieser Frage die Verhältnisse umgekehrt und gesagt: Der Größte ist der, der sich um die Kleinsten kümmert. Oder anders gesagt: Der Größte ist, der den Geringsten dient, denen mit den kurzen Flügelchen. Denen, die keine Idee haben, wie sie ihre eigene Schwerkraft überwinden. Groß ist, wer die Kraft zur Solidarität und Gemeinsinn hat.

 

Fangen wir bei uns selber an. Es gibt Dinge, die kann ich z.B. richtig gut. Besser vielleicht als die meisten, die ich kenne. Aber ich kann sie nicht einfach so aus mir heraus. Ich hatte Lehrer, Mentoren, Menschen, die mich gefördert haben. Die mir Mut gemacht haben. Und die mir zur richtigen Entscheidung verholfen haben. Ich hatte Eltern, die mir eine Ausbildung und eine robuste Natur geschenkt haben. Ich bin zwar gut, aber irgendwie auch ein Spatz auf den Flügeln meiner Vorfahren, Lehrer und Wegbegleiter.

 

Deutschland gilt derzeit als das wirtschaftlich erfolgreichste Land in der EU. Weil es in der Tat viele fleißige und clevere Menschen in diesem Land gibt, die für ihre Sache brennen und mutige Unternehmer sind.

Aber auch in Deutschland sind wir wie der Spatz auf den Flügeln unserer Vorfahren und Freunde. Ohne die Unterstützung der Besatzungsmächte nach dem zweiten Weltkrieg, ohne das immense Wissen, das unsere Vorfahren uns übergeben haben, wären wir ein winziges, unbedeutendes Land. Wer die Größe unseres Landes nur für die reklamiert, die derzeit einen deutschen Pass haben, schneidet willkürlich alles ab, was uns zu dem gemacht hat, was wir derzeit sind.

 

Der Spatz darf ruhig hoch, ja am höchsten fliegen. Wenn er nicht vergisst, dass ihn zuvor ein Adler nach oben getragen hat. Der Erfolgreiche darf es genießen, auf dem Siegerpodest zu stehen. Wenn er seine Lehrer und Trainer und Freunde nicht vergisst, die ihm diesen Weg ermöglicht haben.

 

„Wer unter euch der Größte sein will, der sei euer Diener.“ Jesus bindet die Größe der Größten an die Kleinen, an das Unscheinbare zurück. Weil wir alle aus der Kraft der Schöpfung leben und darin miteinander verbunden sind. Größe ist es, jeden Tag bewusst aus dieser Kraft zu leben.

11.01.2018
Pfarrerin Annette Bassler