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Wort zum Tage
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17.08.2017 - 06:20
15.08.2017
Pfarrer Florian Ihsen

0,000672 Megapixel. – So heißt die Bodenarbeit des Kölner Künstlers Achim Mohné auf einer Wiese hinter dem ehemaligen Wittenberger Frauengefängnis im Rahmen der Ausstellung „Luther und die Avantgarde“. 0,000672 Megapixel – das ist die Auflösung eines Großbildes, das so gering aufgelöst ist, dass es nur von oben aus einiger Distanz sichtbar wird. Aus der Nähe wirkt es wie ein Feld aus überdimensionalen weißen, schwarzen und grauen Quadraten. Wer sich aber beispielsweise in einen Hubschrauber begibt oder sich einer Drone bemächtigt, der kann das Bild in aller Schärfe sehen: Es ist das Konterfeit des US-Whistleblowers Edward Snowden, der sich vor einigen Jahren zum Staatsfeind Nr. 1 machte, weil er sensible Daten seines Arbeitgebers, der National Security Agency (NSA), veröffentlichte.

 

Was macht Edward Snowden in Wittenberg? – Die Parallelen liegen auf der Hand: Denn auch wenn Martin Luther kein Geheimnisverräter sein wollte, mit seiner Übersetzung der Heiligen Schrift in die Landessprache machte er zugänglich, was zuvor nur einer Minderheit, dem katholischen Klerus, vorbehalten war. Das „Geheimnis des Glaubens“ lag nun offen zutage, für jedermann zu lesen und zu verstehen. Keine exklusive Leserschaft mehr. Kein exklusiver Anspruch auf die Verwaltung des Heils. Martin Luther forderte eine der mächtigsten Institutionen seiner Zeit heraus, weil er ihren „Quellcode“, die Grammatik des Glaubens, offen legte und so für Neucodierungen und Umprogrammierungen öffnete, die man heute „Reformation“ nennt. Kein Wunder, dass Martin Luther anschließend – wie Edward Snowden auch – um seine Freiheit und um sein Leben fürchten musste. Und kein Wunder, dass es starke Schutzmächte brauchte, um ihn vor dem Zugriff seiner Gegner zu schützen.

 

Bis heute scheiden sich die Geister an Menschen wie Martin Luther und Edward Snowden. Denn für die einen braucht es Geheimnisse, die hochsensible Informationen vor dem Zugriff der Öffentlichkeit schützen. Während es für die anderen eben keine toten Winkel geben darf, damit die treibenden Kräfte hinter gesellschaftlichen Weichenstellungen nicht dem demokratischen Prozess entzogen werden. – Luther sah damals ein legitimes öffentliches Interesse an der Grundschrift des Glaubens und hat damit einer demokratischen Religiosität den Boden bereitet.

15.08.2017
Pfarrer Florian Ihsen