Angst vor einem Konzert

Wort zum Tage
Angst vor einem Konzert
24.10.2016 - 06:23
24.10.2016
Pfarrerin Christina-Maria Bammel

Shadin ist siebzehn. Eine begnadete Pianistin. Seit Kindertagen sitzt sie jeden Tag am Klavier und trainiert ihre ungewöhnliche Begabung. Sie weiß auch einfühlsam zu begleiten, zum Beispiel den gleichaltrigen Hosam,  einen Meister auf der klassischen Gitarre. Sie gehen zur selben Musikschule. In Beit Zahur, dem Nachbarort von Bethlehem.  Bei jedem Konzert reißen sie ihr Publikum zu Beifallsstürmen hin. Experten sagen ihnen eine erfolgreiche internationale Karriere voraus.

Im letzten Herbst hat ihre Musikschule sie zu einem nationalen Wettbewerb in Jerusalem angemeldet. Der ganze Ort rechnet damit, dass die beiden bei dem Konzert den Ersten Preis machen. Noch intensiver üben sie als sonst.

Längst sind die Anträge gestellt. Bei der israelischen Militärbehörde. Ganz bescheiden. Eine Erlaubnis, für wenige Stunden nach Jerusalem zu gehen. Zu diesem Konzert. Dass beide Anträge zunächst abgelehnt werden, entmutigt sie nicht. „Oft kommt die Genehmigung erst beim zweiten oder dritten Antrag“, sagt die erfahrene Musikschule.

Die Spannung wächst. Auch der zweite Antrag wird abgelehnt. Wenn Shadin heute davon erzählt, merkt man ihr noch an, wie gespannt sie der endgültigen Antwort entgegensah. Und dann kommt sie. Hosam hält seine Genehmigung jubelnd in der Hand.

Und augenblicklich wandelt sich der Jubel in bitteren Schmerz, als er erfährt, dass Shadins Antrag abgelehnt worden ist. Was für eine perverse Entscheidung! Hosam darf nach Jerusalem. Aber ohne Shadin kann er nicht spielen.

Was veranlasst das Militär Israels zu so einer brutalen Entscheidung? „Sicherheitsbedenken“ heißt es lapidar und wie immer. Was ist aus diesem Staat geworden, der sich vor dem Konzert zweier Teenager aus Palästina fürchtet!

Auch wer wie ich für Israels besonderes Sicherheitsbedürfnis Verständnis hat, wird über eine solche Entscheidung nur verständnislos und empört den Kopf schütteln. Solche Maßnahmen verhindern nicht Terrorismus, sie produzieren und fördern ihn.

„Ich hasse nicht die Israelis“, sagt Shadin ein Jahr später, „aber ich hasse ihre Taten.“ Welche Souveränität! Was für eine starke Haltung! Geprägt von Klugheit und Moral!

Täglich beten Jüdinnen und Juden mit Worten des 4. Psalms: „Ich liege und schlafe ganz in Frieden, denn allein du, Herr, hilfst mir, dass ich sicher wohne.“ (V.9) Dieses Vertrauen verlangt nicht naiven Leichtsinn, der die Sicherheit anderer aufs Spiel setzt. Aber dass ich sicher wohne, hängt auch von dem ab, was ich dafür tue, dass meine Feinde von gestern meine Freunde von morgen werden können. Viele in Israel wissen das.

24.10.2016
Pfarrerin Christina-Maria Bammel