Bücherwelten

Wort zum Tage
Bücherwelten
21.07.2017 - 06:20
17.07.2017
Pfarrerin Kathrin Oxen

Auch meine Kinder konnten mich nicht bekehren. Heute vor 10 Jahren erschien der letzte Harry-Potter-Band in der englischen Originalausgabe. Die in Schlafsäcken auf dem Bürgersteig vor den Buchhandlungen campierenden Fans blieben mir fremd. Am damals grassierenden Hype habe ich nicht teilgenommen. Und bis heute habe ich noch keine einzige Zeile Harry Potter gelesen. Mein Sohn nimmt das mit großem Bedauern zur Kenntnis

Expertin bin ich dagegen bei einer anderen Autorin: Mein Mann liest unserer jüngsten Tochter jeden Abend von ihr vor. Die beiden haben sich die Gesamtausgabe von Astrid Lindgren vorgenommen. Nach und nach entdecken Vater und Tochter in der Viertelstunde abends auf dem Sofa Pippi Langstrumpf, Michel und die Kinder aus Bullerbü. Für meinen Mann ist das eine wirkliche Entdeckung, denn er hat als Kind nichts von Astrid Lindgren gelesen.

Und meine Älteste hat mir die „Tribute von Panem“ aufs Kopfkissen gelegt. Ein typisches Jugendbuch – aber das wäre doch sicher nach meinem Geschmack, meinte sie später. Sie hat Recht gehabt.

Bücher sind Welten. Und man kann sich gemeinsam darin bewegen. Das erleben wir jetzt gerade mit unseren Kindern sehr intensiv. Wie sehr es verbindet, wenn alle das Buch kennen. Und wie schade es ist, wenn jemand so gar nicht davon zu überzeugen ist – wie ich selbst bei Harry Potter.

Ich finde: So ähnlich ist es auch mit dem Buch der Bücher, der Bibel. Gerade begrüßt sie als Riesenbuch am Bahnhof alle Besucher der Weltausstellung der Reformation in Wittenberg. 27 Meter hoch.

Als Buch in der Welt oder im Regal herumzustehen, nützt aber noch nichts. Jedes Buch, auch die Bibel, braucht begeisterte Leserinnen und Vorleser, Fans und Weiterempfehler. Mit dem genauen Lesen der Bibel fing das an, was wir heute Reformation nennen und was uns in diesem Sommer so viele Besucherinnen und Besucher in Wittenberg beschert. Die Reformation begann, als Martin Luther nicht nur mit dem Verstand begriffen hat, was in der Bibel steht, sondern als es sein Herz erreichte. Die Reformation beginnt mit einem Leseerlebnis. Deswegen übersetzte Luther die Bibel ins Deutsche, deswegen setzte er sich gleich zu Beginn der Reformation dafür ein, dass überall Schulen eingerichtet werden. Damit Christinnen und Christen in der Bibel lesen. Und die Erfahrungen mit Gott, die darin aufgeschrieben sind, auch zu ihren Erfahrungen werden.

Für die Geschichten der Bibel und die Menschen, von denen sie erzählt, gilt das Gleiche wie für Harry Potter, für Michel und Pippi oder für Katniss Everdeen: Wer sie nicht kennt, hat etwas verpasst. Und weiß womöglich nicht einmal, welche Welten ihm verschlossen bleiben. Schlagen sie ruhig einmal die Bibel auf. Es lohnt sich.

17.07.2017
Pfarrerin Kathrin Oxen