Das Kreuz

Wort zum Tage
Das Kreuz
27.03.2018 - 06:20
01.03.2018
Melitta Müller-Hansen
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„Wie wäre es, wenn wir mal über das Kreuz sprechen würden?“ fragt ein Moslem seinen Freund, den Abt eines Klosters während einer Autofahrt. „Welches?“ „Das Kreuz Jesu natürlich“. „Ja, aber welches? Wenn du ein Bild von Jesus am Kreuz betrachtest, wie viele Kreuze siehst du dann?“ „Vielleicht drei… Sicher zwei.“ Diese überraschende Beobachtung macht der muslimische Freund. Und so bleibt es in diesem Gespräch, das der Abt Christian de Chergé später in seinem Tagebuch festhält: Die Fragen stellt der Christ, die Antworten gibt der andere, der Gast in seinem Auto und in seiner Religion.

 

Zwei Kreuze beim Blick auf den Gekreuzigten. „Eins vorne und eins hinten“.

„Und welches kommt von Gott?“

- Das vordere!

Und welches kommt von den Menschen?

- Das hintere…

Und welchen Sinn hat dieses vordere Kreuz, dieser Mann mit den ausgestreckten Armen?

- Wenn ich die Arme ausbreite, dann um zu umarmen, um zu lieben.

Und das andere?

- Das ist das Instrument eines Hasses, der das Zeichen des Lebens erstarren lässt und zugrunde richtet….(1)

 

Soweit das Gespräch dieser Freunde. Das vordere Kreuz, der Mensch mit den offenen Armen. Wenn ich jetzt am Morgen im Spiegel mein Gesicht betrachte, ist es da: die Waagrechte Linie bei den Augen, und die Senkrechte von der Stirn über die Nase bis zum Kinn. Oder wenn ich mit den Füßen auf dem Boden stehe, den Kopf gerade hoch halte und die Arme ausbreite. Ausgespannt zwischen Himmel und Erde, mit geöffneten Armen. Das von Gott geschaffene Kreuz. Unsere Bestimmung – offen auf das Leben zuzugehen. Zu lieben, zu umarmen. Das Kreuz ist nicht nur ein Zeichen des Todes, erst der Mensch macht daraus ein Folterwerkzeug. Aus Angst und Wut, aus Gier, aus Gleichgültigkeit, aus einer Lust an der Zerstörung. An diesem Kreuz ist Jesus von Nazareth gestorben. Und sterben bis heute so viele Gerechte, Unschuldige.

 

Doch Jesus vollzieht am Kreuz eine innere Bewegung: Die Menschen haben ihn festgenagelt, die Arme, die zum lieben offen waren, überdehnt, und er kehrt zurück in die offene Haltung des Liebenden. Er vergibt, erbarmt sich. Dieses Kreuz, diese Bewegung der Liebe – das sollten wir groß machen, in unseren Kirchenräumen und in den Bildern, die unsere inneren Räume bewohnen. Es hat nichts mehr von einem Opfer; es hat viel von einer freien Tat der Liebe.

 

 

 

Literaturhinweise:

(1) aus Christian Salenson: Den Brunnen tiefer graben – Meditieren mit Christian de Chergé; Verlag Neue Stadt München 2010, S. 35.

01.03.2018
Melitta Müller-Hansen