Ein Liebesgebet

Wort zum Tage
Ein Liebesgebet
09.12.2016 - 06:23
02.12.2016
Pfarrerin Kathrin Oxen

Ein Klingelschild voller Namen. Auf einen Namen – Hillebrand – zeigt ein Pfeil. Auf die graue Wand daneben hat jemand mit Kreide geschrieben: „Ich mag Herr – Hillebrand – sehr“. Auch ohne Akkusativ kommt diese Botschaft an.

Das Bild auf dem Kalender „Der Andere Advent“ von heute macht Lust, sich Geschichten auszudenken. Ich sehe kichernde Schülerinnen, die rausbekommen haben, wo ihr netter junger Lehrer wohnt. Sie stehen vor seiner Tür und feuern sich gegenseitig an, bis eine endlich so mutig ist und mit einem Stück Kreide den Pfeil und die Worte malt. Dann laufen sie schnell weg. Aber „Herr Hillebrand“ wird es vielleicht doch gefreut haben, wenn er nach Hause kommt als er nach Hause gekommen ist. So sieht die Liebe in Zeiten von „Fack ju Göte“ aus.

Auf dem Kalenderblatt ist außerdem noch ein Gedicht von Friedrich Rückert „Du bist die Ruh / der Friede mild, / die Sehnsucht du / und was sie stillt.“ Franz Schubert hat diese Worte sehr innig und sehr romantisch vertont.

Vielleicht haben „Herr Hillebrands“ Schülerinnen seufzend über der Interpretation dieses Gedichts gesessen. Denn Romantik gehört zum Lehrplan im Deutschunterricht. Aber nicht in den Alltag. Das lernt man ja schon in der Schule.

Romantik ist aber etwas anderes als rote Rosen und Klaviermusik oder ein Wochenende im sogenannten „Romantik-Hotel“. Die Romantiker in Musik und Literatur im 18. und 19. Jahrhundert haben voller Sehnsucht nach einer anderen Welt hinter der grauen, rationalen Wand des Alltags gesucht, nach Liebe, Gefühl und Nähe. Und das war nicht nur eine Epoche, das gibt es bis heute. Danach suchen schwärmerische Teenies und auch ihr verständnisvoller Lehrer. Und auch bei Frau Meyer und Herrn Lehmann von nebenan wohnt die Liebe und die Sehnsucht nach Liebe.

Viele Liebeslieder und –gedichte sprechen einen geliebten Menschen an. Sie könnten sich aber genauso gut an Gott richten. In der Bibel wird Gott immer wieder als großer Liebender beschrieben, voller Gefühl, zärtlich und leidenschaftlich. Die Liebe hat eine menschliche und eine göttliche Seite.

Vielleicht kann man es so sagen: auf der einen Seite der Liebe ist Gott. Auf der anderen Seite der Liebe sind wir Menschen. Und wo wir lieben oder uns auch nur danach sehnen, zu lieben und geliebt zu sein, kommen wir Gott nahe. Denn wo die Liebe wohnt, da wohnt Gott. Gleich neben „Herr Hillebrand.“

02.12.2016
Pfarrerin Kathrin Oxen