I keep falling at you

Wort zum Tage
I keep falling at you
19.08.2017 - 06:20
15.08.2017
Pfarrer Florian Ihsen

„I keep falling at you / But I keep falling at you...“ – Ein stetes Flüstern weht durch den Kirchenraum der Karlskirche in Kassel. Es ist fast nichts zu sehen in dem abgedunkelten Raum. Nur zu hören: Ein Rattern und Klacken von Relais wie man sie von Anzeigetafeln auf Bahnhöfen oder Flughäfen kennt. Als sich die Augen an die Dunkelheit gewöhnen, schält sich ein eigentümliches Objekt aus der Mitte des Kirchenraums: Dicht über dem Boden schwebt etwas, das von weitem aussieht wie ein überdimensionaler Bienenstock. In Wirklichkeit ist es eine Traube aus tausenden schwarzen Mikrofonen, die allerdings nichts aufzunehmen scheinen, sondern etwas sagen: „I keep falling at you, but I keep falling at you...“

 

Die indische Künstlerin Shilpa Gupta hat diese sprechenden Mikrofone anlässlich der Ausstellung „Luther und die Avantgarde“, die parallel zur documenta in Kassel stattfindet, in den Kirchenraum der Karlskirche gehängt. Der ehemals hugenottische Kirchenraum ist sonst hell und weiß. Aber für Ihre Arbeit hat ihn Gupta verdunkelt und ihm gleichsam ein Rätsel implantiert: Die flüsternde Mikrofontraube in der Mitte des Raumes. An den Wänden Zeichnungen, auf denen Sprecher von Mikrofonen weggerissen werden. Gegenüber eine analoge Anzeigentafel, auf der sich Sehnsuchtsworte materialisieren und wieder entschwinden. Vor dem Altar ein aufgeschlagenes Buch, das wie eine Herdplatte funktioniert... – Vorsicht, nicht berühren!

 

Der ganze Raum wirkt wie eine einzige Gefahrenquelle: Die Hitze des Buches , das Rattern der Sehnsuchtsworte, die Gesten des Redeverbots an den Wänden. – „I keep falling at you, but I keep falling at you“ – Man weiß nicht wer hier auf wen zufällt. Und ob der Aufprall eine Katastrophe oder ein Segen wäre. Wie ein Tropfen aus dem All, wie ein Meteorit kurz vor dem Einschlag wirkt die pechschwarze Mikrofontraube: fallend und zugleich schwebend. – Wer spricht hier wem zu? Wer hört und wer spricht, wenn die Redenden nicht reden dürfen und die Ohren zu sprechen beginnen?

 

„O dass ich tausend Zungen hätte / und einen tausendfachen Mund....“, dichtet Johann Metzner zum Anfang des 18. Jahrhunderts in einem Kirchenlied und stimmt damit ein Loblied auf die Wunder der Schöpfung an. – Bei Shilpa Gupta in der Kasseler Karlskirche sind es tausend Lautsprecher-Mikrofone, die uns das Wunder der Schöpfung als Rätselwort in einem dunklen Bild und zugleich als Ankündigung einer Ankunft aufgeben: „I keep falling at you / But I keep falling at you.“

15.08.2017
Pfarrer Florian Ihsen