Im Anfang war die Tat

Wort zum Tage
Im Anfang war die Tat
06.12.2016 - 06:23
02.12.2016
Pfarrerin Kathrin Oxen

Ein Buch vor der Nase, eines in der Hand, eines unter den Arm und noch eines zwischen die Knie geklemmt. So steht er auf einer Leiter vor dem Bücherregal. Es ist eher eine Bücherwand, muss man sagen. Ein wenig hilflos wirkt er dabei. Statt ordentlich am Schreibtisch mit Buch und Stift und Papier zu studieren, hat er anscheinend wahllos hinein gegriffen in die vor ihm ausgestellte Weisheit. Unglücklicherweise ist er dabei auch noch in die Abteilung „Metaphysik“ geraten. Sein Gesichtsausdruck spricht Bände – diese Bände da vor ihm sagen ihm jedenfalls nichts.

Carl Spitzwegs „Bücherwurm“ ist heute auf meinem „Der andere Advent“-Kalender zu sehen. Klassisch, dieser weltfremde Bücherfreund. Und klassisch ist auch der Text dazu. Er könnte ohne weiteres seinen Platz in dem ehrwürdigen Bücherregal finden, denn es ist ein Ausschnitt aus Goethes „Faust“.

Faust – auf der Suche nach dem „was die Welt im Innersten zusammenhält“ – übersetzt darin den Anfang des Johannesevangeliums. Von „Im Anfang war das Wort“ kommt er am Ende zu der Übersetzung „Im Anfang war die Tat“.

Zum Handeln ist der kauzige Bücherwurm ganz sicher nicht in der Lage. Man kann ja schon froh sein, wenn er nicht von seiner Leiter herunterfällt. Aber auch die Geschichte von Goethes so tatkräftigem „Faust“ trägt nicht ohne Grund den Untertitel: „Eine Tragödie“.

Ich glaube, mit dem Gegensatz von Wort und Tat kommen wir nicht weiter. In der Bibel ist das Wort Gottes nie bloß gesprochen. Es ist immer auch wirkendes, schaffendes Wort. „Und Gott sprach: Es werde Licht! Und es ward Licht“. So steht es im ersten Buch der Bibel.

Darauf bezieht sich auch der Anfang des Johannesevangeliums, „Im Anfang war das Wort“. Und dieses Wort bleibt nicht metaphysisch abstrakt. Es wird ein redender, handelnder Mensch: Jesus von Nazareth. Der hat immer zusammen gesehen, was Menschen sagen und was sie tun. Denn es gehört zusammen. Der Bücherwurm muss seine Bücher wegstellen, runter von der Leiter und raus ins Leben. Und gleichzeitig hätte dem so verheerend tatkräftigen Faust eine Stunde vor der Bücherwand sicher gutgetan.

Wir erleben gerade, welchen großen politischen Erfolg schon die bloße Ankündigung von Taten hat, egal, ob sie überhaupt umgesetzt werden können. Und wir erleben auch unfassbare Tatenlosigkeit bei der Umsetzung von Ankündigungen und Beschlüssen. Donald Trump mal eine Weile in eine Bibliothek einsperren – und viel mehr tun und wagen, zum Beispiel in der Friedenspolitik. Mein Adventskalender bringt mich heute wirklich auf Ideen.

02.12.2016
Pfarrerin Kathrin Oxen