Versöhnung braucht langen Atem

Wort zum Tage
Versöhnung braucht langen Atem
21.12.2017 - 06:20
01.11.2017
Militärdekan Dirck Ackermann
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Ein kühler Novembermorgen in Dublin. In der Nacht hat es geregnet. Die Luft ist feucht. Ich schlendere durch die Straßen der irischen Hauptstadt. Nur ein paar Stunden bis meine Veranstaltung beginnt. Die Zeit will ich nutzen, um jedenfalls einige Highlights der Stadt zu besichtigen, das Book of Kells zum Beispiel, ein Evangeliar aus dem 8. Jahrhundert. Oder die Christ Church Cathedral mit ihrem eindrucksvollen romanischen Portal. Zeugnisse davon, wie lange hier schon das Christentum Wurzeln gefasst hat. Doch so richtig kommt bei mir keine Begeisterung auf. Die kühle und feuchte Luft durchzieht meinen Körper. Fröstelnd biege ich um eine Ecke. Etwas versteckt sehe ich ein großes Plakat. An diesem versteckten Ort wird an den Osteraufstand von 1916 erinnert. Jener Aufstand von militanten irischen Republikanern, der nach ein paar wenigen Tagen gewaltsam niedergeschlagen wurde. Jetzt wird es mir richtig kalt. Wieviel Gewalt hat dieses Land seither schon erlebt, denke ich.

 

Durchgefroren, mit schweren Gedanken nähere ich mich dem Ziel meines Weges, dem Gemeindehaus der deutschen evangelischen Gemeinde. Kurz vor dem Volkstrauertag wollen wir dort gemeinsam nachdenken, wie Krieg und Feindschaft überwunden werden können, wie Versöhnung möglich ist.

Im Gemeindesaal herrscht munteres Treiben. Viele sind gekommen. Manche kennen einander von jahrelangem Engagement in der Versöhnungsarbeit. Andere sind neu hier, so wie ich. Eine junge Frau aus Österreich studiert in Dublin Politikwissenschaft mit Schwerpunkt Friedensforschung. Sie entwickelt gerade eine Theorie, welche Fähigkeiten in Versöhnungsprozessen besonders gebraucht werden. Ein älterer Mann ist seit Jahren auf internationaler Ebene in Verhandlungen zum Verbot von bestimmten Waffen und Waffensystemen engagiert. Er erzählt von den Verhandlungen zum Verbot von Kampfrobotern, die gerade in Genf stattgefunden haben, und von dem Erfolg, dass endlich ein Vertrag zur Ächtung von Atomwaffen geschlossen wurde. Eine Teilnehmerin setzt sich seit dreißig Jahren für den Versöhnungsprozess der Konfessionen in Irland ein.

Und mir wird langsam wieder warm, obwohl es draußen noch immer ungemütlich ist.

Was für eine Vielfalt denke ich, und was für ein Engagement über Jahre hinweg trotz vieler Enttäuschungen und Rückschläge. An diesem Nachmittag in Dublin höre ich, erlebe ich: Versöhnung braucht einen langen Atem. Diesen langen Atem spüre ich hier.

01.11.2017
Militärdekan Dirck Ackermann