Vorbei, aber nicht vergangen

Wort zum Tage
Vorbei, aber nicht vergangen
23.10.2017 - 06:20
18.10.2017
Pfarrer Michael Becker

Gerne sage ich Ihnen einen Satz weiter über die Vergangenheit. Er stammt vom Amerikaner Mark Twain (1835 – 1910). Berühmt ist er wegen seiner Jugendbücher über Huckleberry Finn und Tom Sawyer. Dieser Mark Twain hat über die Vergangenheit gesagt:

 

                            Vergangenheit ist, wenn’s nicht mehr weh tut.

 

Das stimmt, finde ich. Ein schöner Satz, finde ich, und ein wahrer. Vergangenheit ist, wenn’s nicht mehr weh tut. Mir fällt gleich ein Freund ein, den ich mal hatte. Wir taten uns gut, dachte ich. Telefonierten, schrieben uns, tauschten uns aus über die Arbeit und das Leben, kritisierten uns auch. Als er eine neue Stelle bekam, war plötzlich Stille. Ich hörte nichts mehr von ihm. Ich kannte keinen Grund, nur Andeutungen. Das ist lange her, als wäre es Vergangenheit. Ist es aber nicht, merke ich, wenn ich daran denke oder sein Name fällt. Es ist wie ein Pieks, ein kleiner Stich im Herzen. Ich merke, wie alles noch etwas weh tut. Ich bin mir zwar keiner Schuld bewusst. Das heißt aber nicht, dass ich unschuldig bin. Ich habe vermutlich etwas Falsches gesagt oder getan, sonst bricht man doch nicht alles ab. Ich weiß aber nicht, was. Er sagt oder schreibt es nicht. Es ist lange her, aber nicht vergangen. Vergangenheit ist, wenn’s nicht mehr weh tut.

 

Vergangen ist erst, was abgeschlossen ist. Dass etwas nicht mehr berührt, kann dauern. Manche leiden Jahrzehnte unter dem, was sie getan haben oder ihnen angetan wurde. Da ist nichts vergangen. Es kann weit weg sein. Aber jeder kleine Pieks, jede Erinnerung daran tut auch wieder weh. Wir streifen die Zeiten nicht ab wie alte Kleider. Vielleicht meinen wir, wir könnten das. Aber dann geht’s eben doch nicht. Lange lenken wir uns ab, mehr oder weniger geschickt. Auf einmal ist aber doch wieder da, was damals wehtat. Und tut wieder weh.

 

Zeit heilt wenig. Unausgesprochenes heilt die Zeit nicht. Das muss ich schon selber angehen mit Gottes Hilfe. Und mich ehrlich fragen: Welchen Anteil habe ich an der Schuld? Was habe ich beigetragen zum Schmerz? Und was könnte ich tun, damit es weniger weh tut? Was ließe sich bereinigen? Erst ein reines Gewissen hilft, dass mir Vergangenes weniger weh tut.

 

18.10.2017
Pfarrer Michael Becker