Demokratie strengt an

Demokratie strengt an
Pastorin Annette Behnken
17.09.2016 - 23:20
18.01.2016
Annette Behnken

„Demokratie strengt an“

Im Moment komme ich an meine Grenzen. Ich merke, wie ich drauf und dran bin, mich von einigen Idealen zu verabschieden. Meine tiefe Überzeugung ist es, dass ich andere Meinungen achten will, zuhören. Versuchen zu verstehen. Mich auseinandersetzen, nachhaken, aber auch Position beziehen. So wie es mühsam mit der Demokratie erkämpft worden ist. Und so, wie es dem christlichen Menschenbild entspricht, das von der grundsätzlichen Hochachtung und Liebe zum Anderen ausgeht. In der politischen Diskussion in diesen Wochen der Wahlen erlebe ich aber, dass kaum einer dem anderen zuhören will. Lager stehen sich unversöhnlich gegenüber, es wird beschimpft und abqualifiziert statt respektiert und zugehört. Und ich merke an mir selbst, wie schnell das geht, dass man da mitmacht.

Morgen wird in Berlin gewählt und im Vorfeld des Wahlkampfes war von Argumenten und Sachdiskussion wenig zu spüren. Viel mehr von Wut, Enttäuschung und Angst. Die Angst vor einer ungewissen Zukunft. Das Gefühl, nicht vorzukommen in der Politik, nicht gesehen und gehört zu werden. Mißtrauen, Enttäuschung über die etablierten Parteien. Das kann ich noch nachvollziehen. Ich kann auch, obwohl ich diese Gedanken in überhaupt keiner Weise teile, ich kann mir auch ansatzweise erklären, dass diese Angst und dieses Mißtrauen sich dann auf das richten, was fremd und verunsichernd ist: Ausländer, der Islam. Von der Enttäuschung zur Wut ist es nur ein kleiner Schritt. Über den müssen wir reden können, den müssen wir versuchen, noch viel besser zu verstehen – um ihn rechtzeitig zu stoppen.

Ich merke aber, wie ich dabei an meine Grenzen komme. Dann nämlich, wenn es gar nicht um den echten Dialog geht. Das Abqualifizieren anderer, weil sie eine andere Meinung vertreten, das ist zur Zeit besonders ausgeprägt. Und ich merke, wie leicht es mir passiert, dass ich darauf genauso reagiere: Du hörst mir nicht zu - dann hör ich dir nicht zu. Abqualifizieren, nicht hinhören: Ich muss um meine eigene Dialogbereitschaft ringen, wenn demokratische Werte in Frage gestellt werden, da geh ich an meine Grenzen. Aber wenn menschenverachtende und rassistische Positionen salonfähig gemacht werden sollen, dann ist meine Toleranz am Ende. Wenn die Gleichheit jedes Menschen nicht mehr gilt. Und die Werte unseres, wenn man es denn so nennen will, christlich geprägten Abendlandes: Nächstenliebe und Barmherzigkeit.

Es gibt sie, die Alternative. Die wirkliche Alternative zum wütenden Abschotten etwa gegen alles Fremde. Die ist manchmal furchtbar anstrengend. Und trotzdem: Leben wir sie! Mutig und leidenschaftlich. Im Respekt vor der Gleichheit jedes Menschen. Mit jeder Geste der Toleranz, jeder getanen Nächstenliebe, jedem Akt von Barmherzigkeit. Dazu gehört auch der Einsatz für geflüchtete Menschen und jeder gespendete Euro an Seenotretter im Mittelmeer. Denn, so steht es in der Bibel: „Gott hat uns nicht einen Geist der Feigheit gegeben, sondern den Geist der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.“

Ich wünsche Ihnen eine gute Nacht.

18.01.2016
Annette Behnken