Glaube und Politik

Am Sonntagmorgen

Gemeinfrei via pixabay/ Tobias Rehbein

Glaube und Politik
Die Seele der Verantwortlichen
30.01.2022 - 08:35
14.01.2022
Barbara Manterfeld-Wormit
Über die Sendung:

Der neue Bundeskanzler Olaf Scholz hat sich bei seiner Amtseinführung nicht wie seine Vorgängerin auf Gott berufen. "Schade", äußerte sich Margot Käßmann daraufhin. Barbara Manterfeld-Wormit über die Verbindung zwischen Glaube und Politik und die Frage, ob die Kirche sich in politische Themen einmischen sollte.

 
Sendung nachhören:

Es war die Stunde der Wahrheit: Als der neue Bundeskanzler Olaf Scholz und seine neuen Ministerinnen und Minister Ihren Amtseid leisteten, taten auffällig viele von ihnen das ohne Gottesformel. Auch der neue Kanzler gebrauchte die Formulierung „So wahr mir Gott helfe“ nicht. „Schade“, äußerte daraufhin die ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland Margot Käßmann in der „Bild am Sonntag“. Und sie begründete das folgendermaßen: „Wer sich auf Gott beruft, sieht sich ja in Verantwortung vor einer größeren Instanz.“ Andererseits sei es ein Zeichen für den schwindenden Einfluss der Kirchen und der, so Käßmann weiter, sei schlicht Realität. Ein Blick auf die Statistik gibt ihr Recht: Nur 47% der Bundestagsabgeordneten gehören einer der beiden großen christlichen Kirchen an. Ein Drittel der Kabinettsmitglieder ist evangelisch. Der neue Bundestag ist nicht nur jünger und diverser geworden - auch die Zahl der konfessionell Gebundenen hat abgenommen. Und: Wer an Gott glaubt, tut dies nicht automatisch als Christ oder Christin.   

In Deutschland leben wir in einer säkularen Gesellschaft: Es gilt die Trennung von Staat und
Kirche. Und doch gibt es Berührungspunkte – sind Kirche und Politik in wechselseitigem Austausch und Gespräch. Seit 1949 gibt es das Amt des Bevollmächtigten des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland bei der Bundesregierung – erst in Bonn, dann in Berlin und seit 1990 auch mit einer Außenstelle in Brüssel. Den derzeitigen Amtsinhaber Prälat Martin Dutzmann habe ich in Berlin getroffen und ihn gefragt, was sich hinter der langen Amtsbezeichnung verbirgt: Ist er eine Art Botschafter der Kirche bei der Bundesregierung?

 

Das trifft es schon in etwa. Als ich vor 8 Jahren in mein Amt eingeführt wurde, habe ich in
irgend‘ner Zeitung gelesen, ich sei der Cheflobbyist der Evangelischen Kirche in Deutschland. Da habe ich dann doch geschluckt und gedacht: Mmmh, willst Du das denn eigentlich sein? Bist Du das? Und im Laufe der Zeit ist mir klar geworden, dass ich eigentlich eine Mischung bin aus Pastor, Lobbyist und Diplomat. Aber insofern ist von allem was dabei – und das ist hochspannend!

 

Seit Oktober 2013 vertritt Martin Dutzmann die Anliegen der Evangelischen Kirche in Deutschland bei der Bundesregierung und im Europäischen Parlament in Brüssel. Vorher war er Superintendent in einem Kirchenkreis im Rheinland und ehrenamtlich Militärbischof. Er ist Seelsorger und Ansprechpartner – damals für die Pfarrerinnen und Pfarrer seines Kirchenkreises und für Bundeswehrangehörige – heute für die Mitarbeitenden des Deutschen Bundestages. Ein Beruf mit vielen Facetten. Was liegt ihm dabei am meisten?

 

Am wohlsten fühle ich mich in der Rolle des Pastors. Das habe ich gelernt. Dafür bin ich ausgebildet worden, damit bin ich beauftragt worden, und ich merke, dass die geistlichen Angebote, die wir machen – seien es Gottesdienste, seien es Andachten im Bundestag, sei es aber auch seelsorgerliche Begleitung – dass das alles sehr gerne angenommen wird. Und ich habe auch den Eindruck, dass die seelsorgerliche Aufgabe in meinem Amt immer wichtiger werden wird.

 

Martin Dutzmann macht geistliche Angebote für alle Abgeordneten, auch gemeinsam mit seinem katholischen Kollegen Prälat Karl Jüsten. Er lädt ein zu Andachten oder Gottesdiensten, wenn zum Beispiel eine neue Legislatur beginnt. Er ist ansprechbar als Seelsorger. In regelmäßigen Abständen findet in den Räumlichkeiten seiner Geschäftsstelle am Berliner Gendarmenmarkt ein Gebetsfrühstück statt. Gelegenheit zu Austausch über biblische Themen aber auch zu allem, was die Abgeordneten selber mitbringen.

Politikschaffende haben keinen leichten Stand in diesem Land: Sie verdienen viel und müssen hohe Erwartungen erfüllen – und es dabei am besten allen Recht machen. Die Anforderungen sind hoch, erst recht in Krisenzeiten, die Nerven liegen blank bei vielen seit Beginn der Pandemie. Für viele gilt Politik als seelenloses Geschäft. Hier widerspricht der Kirchendiplomat: 

 

Also zunächst mal wird Politik von Menschen gemacht, die natürlich ‘ne Seele haben. Es geht mitunter wirklich erbarmungslos zu. Wir haben das … im Wahlkampf erlebt: Bestimmte Menschen konnten tun, was sie wollten: Die kamen auf keinen grünen Zweig mehr. … Die waren einmal runtergeschrieben, damit war es auch erledigt: kriegten keine neue Chance mehr.  Die Erbarmungslosigkeit sehe ich natürlich auch im Tagesgeschäft. Also wenn ich mit ansehe, was Abgeordnete des Bundestages oder auch mitarbeitende Referatsleiter in Ministerien leisten müssen, mitunter …. arbeiten die ganze Wochenenden durch, ohne dass das großartig vorher angekündigt worden ist, um Gesetzesentwürfe zu machen, die Abgeordneten mitunter bis drei Uhr morgens. … in der zu Ende gegangen Legislatur hatten wir einmal ne Tagesordnung des Bundestages, die endete morgens um sieben! Da sind dann nicht mehr alle da, klar, aber der Druck ist ganz erheblich.

 

Das sind Seiten des Politikbetriebes, die Außenstehende nur am Rande wahrnehmen: Wer Debatten im Bundestag verfolgt oder Auszüge davon abends in den Nachrichten sieht, ist belustigt oder empört – hin und wieder auch erschrocken, wenn oben von der Tribüne zum Beispiel ein Abgeordneter hasserfüllt anderen Parlamentariern entgegenschreit, dass er sie – bis auf wenige Ausnahmen – verachte. Mir selber gefror das Blut in den Adern, als am 27. Januar vor einem Jahr die gesamte AfD-Fraktion der hoch betagten Zeitzeugin im Anschluss an Ihre Rede zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus Respekt und Beifall verweigerte, während alle anderen Abgeordneten sich erhoben und bewegt applaudierten. Doch im Unterschied zu ihnen kann ich anschließend abschalten oder das Programm wechseln. Es sind nicht meine Arbeitskollegen, denen ich Tag für Tag begegnen muss, denen ich mich nicht entziehen kann. Doch genauso wie jeden von uns Konflikte am eigenen Arbeitsplatz belasten, leiden auch viele Abgeordnete im Bundestag: 

 

Was man schon gar nicht richtig mitkriegt, sind die atmosphärischen Veränderungen. Da merke ich doch in Einzelgesprächen, dass das sehr viele Menschen bedrückt, dass es doch eine Kraft im Deutschen Bundestag gibt, die die Demokratie als solche ablehnt und eigentlich im Wesentlichen destruktiv sich verhält.

Zwei Parteien im Deutschen Bundestag tragen ein C für christliche Überzeugungen im Parteinamen. Das Bemühen um eine friedliche Form der Auseinandersetzung, Feindesliebe, Nächstenliebe – das sind Maßstäbe, die Jesus gelebt und gepredigt hat -

 

Und die auch für viele gelten! Also es sind ja ‘ne ganze Menge von Christenmenschen unter den Abgeordneten. Die treffen sich auch und finden sich auch, und das sind Menschen, die ich – jedenfalls in der Öffentlichkeit - niemals respektlos erlebt habe. Also es gibt sicherlich keine spezifisch christlichen Maßstäbe für das politische Geschäft, aber es gibt natürlich sowas wie Anstand und Respekt und Toleranz und das kann man am Ende von jedem Volksvertreter verlangen.

 

Martin Dutzmann ist Botschafter der Evangelischen Kirche in Deutschland. Er vertritt deren Anliegen im politischen Berlin und in Brüssel. 

 

Ein Thema, das uns in der letzten Legislatur sehr berührt hat und uns weiter beschäftigen wird, ist das Thema Sterbehilfe im weitesten Sinne. Genauer geht es um den begleiteten, assistierten Suizid, die assistierte Selbsttötung. Da hat das Bundesverfassungsgericht ein sehr grundsätzliches Urteil gefällt und hat einen entsprechenden Paragraphen des Strafgesetzbuches gekippt und da muss jetzt eine neue Gesetzgebung her und da geht es gesellschaftlich wirklich auch sehr kontrovers zu. Das ist ein Thema, das uns sehr berührt, wie überhaupt die Fragen am Anfang und am Ende des Lebens für uns besonders wichtig sind und da werden wir auch in besonderer Weise gehört.

 

Bei Themen wie diesen bedarf es diplomatischen Fingerspitzengefühls. Martin Dutzmann stimmt sich dabei eng mit seinem Kollegen von der katholischen Kirche ab. Gleichzeitig ist er im Gespräch mit Vertretern anderer christlicher Kirchen und Religionsgemeinschaften, denn Glaube hat in diesem Land viele Gesichter. Doch nicht typisch kirchliche Themen wie Beginn und Ende des Lebens beschäftigen den Bevollmächtigten. Er will, dass Kirche sich einmischt in politische Themen. Glaube bezieht Position, soll sich auch auf die Lebensgestaltung in der Gesellschaft auswirken:  

 

… Die Flüchtlingspolitik ist für uns ein ganz wichtiger Punkt. Das hat schlicht und ergreifend damit zu tun, dass in unserer Bibel es erst einmal viele Flüchtlingsgeschichten gibt, aber auch sehr viele Gebote, die die geflüchteten und fremden Menschen schützen. Und da sehen wir, dass vieles im Argen ist in der Europäischen Union und in Deutschland und da melden wir uns dann auch zu Wort.

 

Doch wie genau meldet sich Kirche im Politikbetrieb zu Wort? Wie erhebt sie ganz praktisch Einspruch und wirbt für die eigenen Überzeugungen?

 

Also das fängt an mit ganz informellen Gesprächen mit Abgeordneten, die sich en passant ergeben. Da gibt es dann keinerlei Dokument dazu, da wird dann kein Protokoll geführt. Dann machen wir selber auch Veranstaltungen in unserer Dienststelle zu bestimmten Themen … und erläutern dort die Position der Kirche zu einem bestimmten politischen Problem. Manchmal schreiben mein katholischer Kollege und ich auch gemeinsam einen Brief – wir nennen das dann den Doppelkopfbrief. Haben wir jetzt zum Beispiel gemacht im Zusammenhang mit der Evakuierung aus Afghanistan … manchmal machen wir auch zusammen ‘ne Pressemitteilung … und dann ist natürlich nicht zu vergessen: Es gibt die Verbändeanhörungen. Das heißt: Im Gesetzgebungsprozess werden immer auch zivilgesellschaftliche Gruppen und Verbände angehört, und da sind wir dann dabei – wobei das uns … dann doch schon mal sehr beschwert hat, dass die Fristen, in denen wir antworten konnten, dann doch schon mal sehr, sehr kurz waren… aber das hängt mit den Abläufen auch in der Regierung zusammen.

 

Seit vielen Jahren sorgt Martin Dutzmann dafür, dass Kirche und Politik im Gespräch bleiben. Er schafft Räume, wo Abgeordnete frei von Parteiinteressen in geschützter Atmosphäre Austausch finden und – wo gewünscht – auch Raum für die eigene Spiritualität durch Gottesdienste, Bibelgespräche und Gebet. Weil Politik kein seelenloses Geschäft ist und hinter jedem Abgeordneten und hinter jeder Abgeordneten ein Mensch mit einer Seele steckt. Im Sommer geht der Prälat in den Ruhestand. Gibt es ein persönliches Bibelwort, das ihn durch’s Leben begleitet?

 

Also bei mir ist es immer so, dass mir – weil die Bibel so spannend ist – eigentlich immer nochmal wieder andere Passagen wichtig werden, aufleuchten, und das eigentlich ständig in Bewegung ist. Trotzdem ist mir mein Konfirmationsspruch, der mir bei der Konfirmation eigentlich gar nicht richtig was gesagt hat, mit dem hab ich gefremdelt … damals hat der Pastor das ausgesucht für die Konfirmanden und ich dachte immer: Warum hat der mir nicht irgendwie so was Schönes gegeben, was die anderen haben … Ich hatte aus Psalm 25: Weise mir, HERR, deinen Weg und lehre mich deine Steige. Leite mich in deiner Wahrheit und lehre mich, denn du bist der Gott, der mir hilft. Täglich harre ich auf dich. Auch schrecklich lang, konnte ich mir als 14-Jähriger und wollte ich mir auch gar nicht merken. Inzwischen kriege ich das fehlerfrei hin, einfach weil er mir viel bedeutet. Auch dieses tägliche neu nach dem Willen Gottes zu fragen und sich leiten zu lassen und nicht immer schon alles zu wissen.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

Musik dieser Sendung:
 

  1. Arif Mandu & Norah Jones, Those Sweet Words, CD-Titel: Nora Jones Feels like Home
  2. Arif Mandu & Norah Jones, Sunrise, CD-Titel: Norah Jones Feels like Home
14.01.2022
Barbara Manterfeld-Wormit