Mut, der mitreißt

Mut, der mitreißt
Mut, der mitreißt
Wie Frauen sich den Weg ins Pfarramt bahnten
15.09.2019 - 08:35
18.07.2019
Barbara Manterfeld-Wormit
Über die Sendung:

Der Weg ins Pfarramt - für Frauen war er voller Widerstände und Demütigungen. Heute sind Frauen aus dem Pfarramt nicht mehr wegzudenken. Zu verdanken ist das mutigen Theologinnen wie Hildegard Hoffmann und Angelika Fischer.

 

"Am Sonntagmorgen" im Deutschlandfunk zum Nachhören und Nachlesen

 
Sendung nachhören

 

Sendung nachlesen:

Hildegard Hoffmann:

Mein Mädchenname war Hildegard von Knorr, verheiratete Hildegard Hoffmann. Mein Vater landete als Arzt in der Niederlausitz und war froh, für seine Frau, sechs Kinder und viele Verwandte hier in dem kleinen Ort eine gute Bleibe zu finden. Meine beiden älteren Geschwister entschieden sich für Medizin, worauf ich sagte: Jetzt ist Schluss mit Medizin in der Familie! Und als mein Direktor, der ein furchtbar verbohrter Parteimensch war, sagte: Du willst doch nicht etwa Theologie studieren?! – dachte ich: Jetzt bin ich mächtiger als er. Sonst war ich immer die Unterlegene. Und ich habe gesagt: Doch, ich will Theologie studieren!

 

Hildegard Hoffmann ist Jahrgang 1937. Sie schaut auf ein bewegtes Leben zurück. Ein Leben voller Widerstände… In Altdöbern schließt sich der Kreis. Hier wuchs Hildegard Hoffman auf. Hier machte sie in der DDR ihr Abitur, ehe sie dann später zum Studium aufbrach – erst nach Jena, dann nach Berlin. Im Alter kehrte sie zurück in die Niederlausitz. Gemeinsam mit einer Schwester lebt sie im Haus der verstorbenen Eltern. Sie ist nicht groß, doch nach wie vor voller Energie. Das Ziel, das die junge Hildegard von Knorr sich damals gesetzt hatte, schien zu der Zeit unerreichbar. Sie wollte auf die Kanzel, Menschen taufen, trauen und beerdigen, das Abendmahl spenden, predigen. Sie wollte Pfarrerin sein – die Sache hatte nur einen Haken: Zwar wurden vor nunmehr 111 Jahren Frauen zum Theologiestudium zugelassen und durften später auch als Pfarrvikarinnen in die praktische Ausbildung und in den Verkündigungsdienst – doch nur, solange sie unverheiratet blieben. Wer als Frau den Mann fürs Leben traf und vor den Traualtar trat, erhielt postwendend die Entlassungsurkunde aus dem Pfarrdienst. Die sogenannte Zölibatsklausel fiel erst im Jahr 1974. Hildegard Hoffmann nahm es damals gelassen:

 

Hildegard Hoffmann:

Ich fand das alles nicht tragisch. Und es war für mich klar: Ich geh nicht selber ins Pfarramt, ich war sowieso in der Jugendarbeit engagiert und auch war mein Bewusstsein: Wenn ich verheiratet bin, hab ich auch so viel zu tun, dass ich gar nicht ‘n volles Pfarramt haben will. Und wie mein Mann dann zunächst als Vikar an den Brandenburger Dom kam, da passierte es dann. Dass er drei Sonntage hintereinander zu predigen hatte, und da sagte ich: Ach, willst Du nun drei Sonntage hintereinander predigen? Ich mach einen. Und das fand er sehr schön. So stieg ich auf die Kanzel. Ein Unglück war nur, dass der zuständige Superintendent mal den neuen Vikar am Brandenburger Dom hören wollte, und da stand ich nun auf der Kanzel. Und er sagte mir einfach dann am Kirchenausgang: „Ach, wissen Sie, das nächste Mal fragen Sie vorher!“ Aber ich hab nie wieder jefragt… Ich habe alles gemacht, ja. Und ich weiß noch, wie das irgendwie doch wieder zur Debatte stand und ein junger Mann, den ich mit seiner Frau und seinen beiden Kindern getauft hatte, der sagte plötzlich: „Ja sagen se mal, gilt vielleicht unsere Taufe gar nicht?“ Naja, aber das sind so ganz schöne Geschichten.

 

Der Weg für Frauen in das Pfarramt war ein steiniger. Bis heute bleibt er Frauen in der katholischen Kirche verwehrt. Die evangelische Kirche von Lettland zog die Frauenordination im Jahr 2016 gar wieder zurück.

Die Ordination – die offizielle Einführung in den Pfarrberuf – ist ein geistlicher Akt, das über Jahrhunderte Männern vorbehalten blieb. Im vergangenen Jahr erinnerte die Evangelische Kirche in Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz an die ersten Frauen, die damals vor 75 Jahren ordiniert wurden. Die meisten von ihnen auf Zeit – es sei denn, sie blieben unverheiratet und kinderlos. Für Hildegard Hoffmann kam das nicht infrage. Sie wollte alles: Ehefrau sein und Mutter und trotzdem Theologie studieren und Vikarin werden. Den geistlichen Beruf ergreifen, das Evangelium leben und weitergeben. Als Frau – in einer Männerdomäne:

 

Hildegard Hoffmann:

Ich hab gemacht, was nötig war. Wenn man eben mit 'nem Hammer nen Nagel einschlagen muss, dann ruft man nicht, wo is ein Mann, der nen Hammer halten kann, sondern man schlägt ihn ein… Das, was mir erst zehn Jahre später auffiel, als unsre Söhne mal nach unseren Zeugnissen fragten, da hab ich vom 2. Examen ein Zeugnis mit allen Fächern und mein Mann hat zwei Zeugnisse. Mein Mann hat genauso eins wie ich mit allen Fächern und dann hat er noch ein ganz schön gedrucktes herrliches Zeugnis und da steht drauf: Befähigung zum geistlichen Amt erkennen wir ihm zu. Und ich dachte: Komisch, warum hab ich das nicht bekommen? Das hab ich 10 Jahre später gemerkt. Und ich hab‘s eben nicht bekommen, weil ich verheiratet war!

 

Hildegard Hoffmann diente ihrer evangelischen Kirche viele Jahrzehnte. Als voll ausgebildete Theologin folgte sie ihrem Mann an den Brandenburger Dom. Und tat, was nötig war. Als Katechetin, Predigerin, Pfarrfrau und Pastorin – auch wenn sie diese Amtsbezeichnung offiziell nicht führen durfte. Fast immer tat sie ihren Dienst unbezahlt. Aus Liebe und Überzeugung. Als schließlich 1974 die sogenannte Zölibatsklausel fiel und damit auch verheiratete Frauen ordiniert werden und somit eine ordentliche Pfarrstelle bekleiden konnten, verzichtete Hildegard Hoffmann darauf. Aus Überzeugung:

 

Hildegard Hoffmann:

Also zuerst konnte ich nicht ordiniert werden und dann in dieser Situation, dass ich eben die ganze Arbeit auch machte und die Kirche sich längst überlegt hatte, dass auch verheiratete Frauen Pastoren sein können, da war ich ja die ganze Zeit immer im Katechetinnenkonvent und hab‘s erlebt auch am eigenen Leibe, wie Pastoren auf Katecheten herabschauen, so ungefähr: Ihr seid das kleine Personal. Und das hat mich sehr in Brast gebracht und dann habe ich gegenüber den Kirchenleitenden, die dann sagten: Lassen Sie sich ordinieren und übernehmen Sie das Pfarramt! – da hab ich gesagt: Nein, ich lass mich erst ordinieren, wenn auch die Katecheten ordiniert werden. Da schrieb ich an die Kirchenleitung: Ich werde mich zu gegebener Zeit ordinieren lassen. Und das war, wie ich heute sage, noch zu frech!

 

Angelika Fischer ist Jahrgang 1933, geboren in Halle an der Saale. Beruflich wollte sie den Spuren ihres Vaters folgen, der Pfarrer der Bekennenden Kirche gewesen war.

 

Angelika Fischer:

Mein Vater hat mir damals gesagt: wenn Du unbedingt Theologie studieren willst, ich freu mich drüber, aber denk daran, Kind, es wird ein dorniger Weg….

 

Angelika Fischer, die damals noch ihren Mädchennamen Dombrowski trug, musste Widerstände überwinden. Nicht nur in der Kirche. Als die Mauer kam, floh sie in den Westen. Allein – ohne Familie. Sie absolvierte ihr Vikariat und wurde 1962 nach ihrem 2. Theologischen Examen in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche ordiniert. Doch ihre Amtstätigkeit dauerte nur kurz – die junge Frau war verliebt, und sie wollte heiraten:

 

Angelika Fischer:

Ich hab ja etliche Verehrer gehabt, wollen wir gar nüscht uns vormachen, das war eben so – sausen lassen für den geliebten Beruf, das mocht ich dann doch nicht, da ging ich lieber den anderen Weg.

 

Angelika Fischer lebt heute in Berlin-Lichterfelde. Hier bahnte sie sich viele Jahre später doch noch den Weg in das ersehnte Gemeindepfarramt:

 

Angelika Fischer:

Und die Pfarrstelle war frei. Ich hab mich beworben zusammen mit drei Herren. Mich ham se gewählt, nun mussten se auch mit mir leben! Das war nun mal so. Der Korinthertext, den man kurz bekannt gemacht hat unter dem nicht ganz sprachlich korrekten Satz „Das Weib schweige in der Gemeinde“ – und ich wollte den Text nicht nehmen. Und dann hat mein Mann sehr ruhig gesagt: Wenn Du das machst, biste sicher, dass de nich gewählt wirst, denn dann hätten die Ältesten sofort gesagt: Die geht Schwierigkeiten aus dem Weg.

 

1974 beschloss die Regionalsynode West der evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg die Gleichstellung von Männern und Frauen im Pfarramt. Es war nicht zuletzt dem unermüdlichen Einsatz von Angelika Fischer zu danken, dass diese Gleichstellung endlich kam. In den vielen Jahren bis dahin musste sie einiges an Demütigungen ertragen –

 

Angelika Fischer:

….was habe ich für Briefe vom Konsistorium bekommen: Heut waren Sie wieder Gegenstand in unserer konsistorialen Beratung. Na wunderbar! Und dann geht‘s los: Dass ich das nicht kriege und jenes nicht darf und wer weiß, was noch nicht alles! Das hab ich dann abgeheftet. Ich hab mich selten lange mit mir selbst aufgehalten. Vielleicht bin ich auch deshalb durchgekommen.

 

Heute sind Frauen aus dem Pfarramt nicht mehr wegzudenken. Dass da so ist, verdanken wir dem Mut und der Ausdauer der ersten Frauen auf der Kanzel. Sie folgten ihrer inneren Berufung – und gingen damals einen Berufsweg, der Jahrhunderte lang nur Männern vorbehalten war. Als Kinder haben diese Frauen den 2. Weltkrieg erlebt – als junge Frauen die deutsche Teilung. Sie mussten Demütigungen ertragen und immer wieder kämpfen in einer Kirche, die sie lange Zeit nicht wirklich wert schätzte, trotz gleichwertiger Ausbildung wie ihre männlichen Kollegen. Sie ließen sich trotzdem nicht beirren auf ihrem Weg. Und haben damit anderen Frauen Türen geöffnet. Eine davon bin ich. Pfarrerin mit Leib und Seele, Ehefrau und Mutter – und das alles zusammen. Meine Eltern haben mich auf diesem Weg ermutigt. Mein Mann hat mich unterstützt, meine Kirche hat mich gewollt in diesem Dienst. Dank Frauen wie Hildegard Hoffmann und Angelika Fischer. Ich bin froh, dass es sie gibt.

 

Hildegard Hoffmann, Angelika Fischer:

Ich hab ja gleich einen Talar bekommen. Das war 1960 sofort. Und ich hab ihn mir möglichst lang machen lassen, damit ich nicht schwarze Strümpfe immer anziehen muss. Und im Talar stand ich auch gerader als … schon damals war ich schon n bisschen sehr krumm. Inzwischen hab ich ihn viel kürzer gemacht, weil ich viel kleiner geworden bin, aber vielleicht wird‘ ich ihn auch nicht noch einmal anziehen.

Also jetzt ganz fromm ausgedrückt: Wir wollten der Gemeinde dienen mit dem, was wir konnten.

Ich meine, ich hab auch n bisschen vom Beten gewusst – nebenbei gesagt. Aber man redet ja nicht gern so fromme Töne. Ohne eigenes Glaubensleben in welcher Form auch immer hält man‘s nicht durch.

Lebt euer Christsein. Macht nicht etwas aus irgendwelchen Vorstellungen, weil die das sagen.

Widerstand ist was Schönes!

 

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

 

Musik dieser Sendung:

  1. Gabriella’s piano, Lidingö Motett Quoir, Wie im Himmel
  2. Mendelssohn-Fragment 1 für Violine solo, Georg Kallweit, Vocalconsort Berlin
18.07.2019
Barbara Manterfeld-Wormit