Gottesdienst aus der Freien evangelischen Gemeinde Dillenburg

Freie evangelische Gemeinde Dillenburg
Gottesdienst aus der Freien evangelischen Gemeinde Dillenburg
Predigt von Pastor Dr. Lothar Beaupain
01.02.2015 - 10:05
05.01.2015
Pastor Dr. Lothar Beaupain

Ein Arbeiter ist seinen angemessenen Lohn wert. Ja, das ist so. Selbst in der deutschen Gesetzgebung ist mit der Einführung des Mindestlohnes zum 1. Januar dieses Jahres ein deutliches Zeichen gesetzt worden: Arbeit ist ihren Lohn wert. Und wer richtig viel arbeitet, sollte dafür meines Erachtens auch eine Sonderzahlung oder Prämie erhalten. Das entspricht unserem Gerechtigkeitsempfinden. Eine ähnliche Erwartungshaltung steckte hinter der Frage, die Petrus Jesus stellte: „Welchen himmlischen Lohn kann ich für meinen Einsatz erwarten?“

Jesus reagiert nicht empört. Er gibt ihm eine doppelte Antwort. Die erste Antwort könnte ungefähr so zusammengefasst werden: Gott hat nicht vergessen, wie du dich für ihn eingesetzt hast. Vertraue.

Doch das ist nicht alles. Danach, so wird im Matthäusevangelium berichtet, schließt Jesus eine weitere Antwort an. Überraschend, vielleicht zunächst sogar befremdend kommt sie daher. Jesus verpackt sie in ein Gleichnis, das den Zugang zu einem tieferliegenden Verständnis öffnet. Eine Sichtweise, die aufzeigt, wie unvergleichlich beschenkt wir in der Gottesbeziehung leben dürfen.

Dieses Gleichnis aus Matthäus 20, Verse 1 – 16 ist der vorgeschlagene Predigttext für den heutigen Sonntag:

1 Denn das Himmelreich gleicht einem Hausherrn, der früh am Morgen ausging, um Arbeiter für seinen Weinberg einzustellen.
2 Und als er mit den Arbeitern einig wurde über einen Silbergroschen als Tagelohn, sandte er sie in seinen Weinberg.
3 Und er ging aus um die dritte Stunde und sah andere müßig auf dem Markt stehen
4 und sprach zu ihnen: Geht ihr auch hin in den Weinberg; ich will euch geben, was recht ist.
5 Und sie gingen hin. Abermals ging er aus um die sechste und um die neunte Stunde und tat dasselbe.
6 Um die elfte Stunde aber ging er aus und fand andere und sprach zu ihnen: Was steht ihr den ganzen Tag müßig da?
7 Sie sprachen zu ihm: Es hat uns niemand eingestellt. Er sprach zu ihnen: Geht ihr auch hin in den Weinberg.
8 Als es nun Abend wurde, sprach der Herr des Weinbergs zu seinem Verwalter: Ruf die Arbeiter und gib ihnen den Lohn und fang an bei den letzten bis zu den ersten.
9 Da kamen, die um die elfte Stunde eingestellt waren, und jeder empfing seinen Silbergroschen.
10 Als aber die Ersten kamen, meinten sie, sie würden mehr empfangen; und auch sie empfingen ein jeder seinen Silbergroschen.
11 Und als sie den empfingen, murrten sie gegen den Hausherrn
12 und sprachen: Diese Letzten haben nur eine Stunde gearbeitet, doch du hast sie uns gleichgestellt, die wir des Tages Last und Hitze getragen haben.
13 Er antwortete aber und sagte zu einem von ihnen: Mein Freund, ich tu dir nicht Unrecht. Bist du nicht mit mir einig geworden über einen Silbergroschen?
14 Nimm, was dein ist, und geh! Ich will aber diesem Letzten dasselbe geben wie dir.
15 Oder habe ich nicht Macht zu tun, was ich will, mit dem, was mein ist? Siehst du scheel drein, weil ich so gütig bin?
16 So werden die Letzten die Ersten und die Ersten die Letzten sein.
 

Großzügig beschenkt. So könnte man das Verhalten des Weinbergbesitzers im ersten Teil des Gleichnisses umschreiben. In diesen Worten liegt auch schon eine handfeste Überraschung. Keiner konnte mit einem solch hohen Lohn für die rechnen, die erst im Verlaufe des Tages oder gar erst eine Stunde vor Feierabend mit ihrer Arbeit im Weinberg begonnen hatten. Ich kann mir ihre verblüfften Gesichter so richtig vorstellen. Den Tag über hatten die so Überraschten sich immer wieder fragen müssen, warum si so unnütz rumstehen müssen. Vielleicht sogar hatten sie sich selbst als wertlos empfunden, weil niemand ihre Arbeitskraft wertschätzte. Und nun das. Nicht nur entlohnt für ihre Arbeit, sondern geradezu beschenkt. Ihre Sorgen waren gänzlich verflogen. Mit diesem Geld hatten sie das, was sie zum Lebensunterhalt brauchten. Sie konnten ihre Familien versorgen.

Jesus sagt damit in diesem Gleichnis: So ist Gott. So geht es zu in seinem Reich und unter seiner Herrschaft. Gottes Verhalten gleicht dem des Weinbergbesitzers, der ständig unterwegs ist. Er sucht nach Menschen, die sich in seine Herrschaft einfinden. Er gibt ihnen, was sie zum Leben benötigen.

Jesus selbst ist dafür das herausragende Beispiel. Er kam in diese Welt. Der Sohn Gottes machte sich auf zu den Menschen. Er reiste durch das Land. Lud Menschen ein, ihr Leben in die Verbindung der Königsherrschaft Gottes hineinzuführen. Er sprach die Reichen genauso an wie die Armen; die Akademiker wie diejenigen, die perspektivlos am Straßenrand sitzen.

Er tat es damals und er tut es auf seine ganz eigene Art und Weise bis heute. Jung und Alt sind in gleicher Weise angesprochen. Hier in diesem Gottesdienst und wo auch immer Sie diesen Gottesdienst hören. Gott ist in Jesus Christus unterwegs, um Menschen zu suchen, die in der Gestaltung ihres Lebens ihm die Führung überlassen möchten. Menschen, die Jesus Christus versorgen möchte mit dem, was sie zum Leben brauchen. Im Lukasevangelium, Kapitel 19, Vers 10 wird berichtet, wie Jesus es selbst einmal so formulierte: „Ich bin gekommen um zu suchen und zu retten was verloren ist.“

Ich werde an einen Mann erinnert. Mit Mitte 50 bin ich ihm das erste Mal begegnet. Beruflich weit vorangekommen, Geschäftsführung, finanziell abgesichert. Aber eine Beziehung zu Gott? Fehlanzeige. Der Kinderglaube, wenn er ihn überhaupt mal hatte, war längst ins Leere verlaufen. Dieser Mann wurde von Gott auf seine ganz eigene Art und Weise persönlich angesprochen. Dazu gehörten Vortrags- und Gesprächsabende im Rahmen des Alpha-Kurses genauso, wie die Erfahrung eines offenen und liebevollen Lebensstils anderer Christen. Das wollte er für sein Leben auch erfahren. So lud Christus ihn ein, die Gestaltung seines weiteren Lebens in seine Hände zu legen. Er tat es. Um mit dem Gleichnis zu reden: Er trat ein in die Arbeit im Weinberg Gottes. Das ist jetzt schon einige Jahre her.

Letztens noch sagte er mir mit Tränen der Freude in den Augen: „Lothar, das hätte ich schon viel früher machen sollen. Ich habe so viel versäumt und Christus hat mich so reich beschenkt.“ Sein Leben wirkt ausgeglichen und hat eine erkennbar andere Mitte erhalten. Gerne setzt er sich heute aktiv für andere Menschen ein. Dabei erlebt er immer wieder, wieviel Lebenskraft und Segen er dadurch zurückbekommt.

Ja, so geht es zu im Reich Gottes. So großzügig beschenkt uns Gott. Sogar großzügiger als wir zu denken vermögen.

 

Alle Arbeiter im Weinberg bekommen ihren Lohn und sind versorgt. Das wäre doch ein guter Schluss für das Gleichnis. Doch nein, die eigentliche Zuspitzung steht noch aus. Sie trifft auch heute noch ins Schwarze.

Jesus erzählt das Gleichnis auf die Frage von Petrus hin. Es ist die Anfrage eines Mitarbeiters, der den ganzen Tag gearbeitet hatte. Damit rückt die Personengruppe in den Mittelpunkt, die im Gleichnis die Unzufriedenen sind. Auf sie spitzt sich das Gleichnis auch zu.

Offen gesprochen, kenne ich diese Denkweise. Das Berechnen. Ich kann mich gut dahinein versetzen. Nicht das wir anderen das großzügige Beschenkt werden nicht gönnen, aber …

„Wenn sie schon für ihren kleinen Einsatz den ganzen Lohn bekommen, dann ist doch wohl für die treuen Arbeiter eine Prämie drin. Wenn sie so unverhältnismäßig beschenkt werden, dann ich doch bitte auch. Denn schließlich muss bei aller Unverhältnismäßigkeit das Verhältnis doch stimmen!“

Sicher gibt es Christen, die haben sich augenscheinlich mehr engagiert als andere. Es gibt Menschen, die tatsächlich die „Last des Tages getragen und die Hitze erlitten“ haben, wie es im Gleichnis heißt. Beispielsweise Christen, die sich für die Sache Gottes in Arbeitsgruppen und Aktivitäten aufopfern. Manchmal stöhnen sie unter der Last. Daneben gibt es diejenigen, bei denen man den Eindruck hat, man kann sich schon bei ihnen bedanken, wenn sie gelegentlich einen Gottesdienst besuchen. Ganz besonders in einer freikirchlichen Struktur wie der unsrigen, die auf einer Mitarbeit vieler ehrenamtlichen Helfer aufgebaut ist. Wer hier fordernd vergleicht, legt den Nährboden für Verstimmungen. Andere erstellen womöglich ihre an Gott gerichtete Wunschliste. „Lieber Gott, wenn wir uns schon so aufopfern, dann doch bitte eine Zugabe. Dann etwas mehr Glück im Leben, etwas mehr Gesundheit, bessere Fügungen.“

Klar, wir sind als Christen nicht so naiv, als dass wir wirklich eine Wunschliste schreiben würden wie es Kinder tun. Einem anderen Christen würden wir von diesen Wünschen auch nichts verraten. Aber mit einer Prämie für besonders engagierte Mitarbeit könnte sich unser Herz anfreunden. Das wäre doch nur gerecht.

Mitten in diese Gedanken hinein fragt Gott: „Freund, tue ich dir Unrecht? Hatten wir uns nicht am Anfang geeinigt?“ Wie war das, als wir unseren Weg mit Gott begonnen haben? Wir hatten verstanden, dass Gott uns lieb hat. Wir hatten verstanden, dass er uns Jesus Christus gegeben hat, der für unsere Sünden gestorben ist und in dem wir die Vergebung unserer Schuld haben. Wir hatten Gottes Zusage verstanden, die er über unser Leben gestellt hat: „Ich bin der Herr, dein Gott, ein Gott, der für dich ist.“ Unsere Antwort lautete doch: „Herr, ich danke dir für alles, was du mir gegeben hast. Ich bin glücklich darüber. Ich gebe dir mein Leben: Jesus Christus, ich will dir folgen.“ Das war die Abmachung.

Wir hatten nicht verabredet: Gott, ich werde für dich arbeiten und du schenkst mir dafür Gesundheit, Glück, Reichtum, Ansehen und viel Erfolg.

 

Mich nötigt dies, noch einmal über den „Lohn“ nachzudenken, von dem Jesus im Gleichnis spricht. Kein auch nur in Ansätzen realistisch kalkulierender Arbeitgeber erhöht über Tag den Stundenlohn für gleiche Arbeit um bis auf das Zwölffache. Gerade die völlige Überhöhung im Gleichnis lässt deutlich werden: Es geht in der Zuspitzung auf das, was Jesus meint gar nicht um Silber und Geld. Anders gesagt: Es geht in Gottes Reich gar nicht um materiell gegeneinander abwägbare Entlohnungen. Das, was uns Gott geben, an was er uns teilhaben lassen möchte, ist eine Beziehung zu ihm. Ist leben in der Verbindung mit ihm. Ein Leben, das viel wertvoller ist als Geld es sein könnte. Leben hier in dieser Zeit und in Gottes Ewigkeit. Um das zu ermöglichen, erlitt Christus den Kreuzestod. Die trennende Schuld zwischen Gott und den Menschen ist aufgehoben. Wir dürfen in ein gutes Kindschaftsverhältnis zu ihm eintreten. So nahe lässt Gott uns an sich heran.

Der Apostel Paulus formulierte die Konsequenzen daraus in Kapitel 8 seines Briefes an die Christen in Rom einmal so:

37 In all dem tragen wir einen überwältigenden Sieg davon durch den, der uns so sehr geliebt hat.
38 Ja, ich bin überzeugt, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch unsichtbare Mächte, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, noch gottfeindliche Kräfte,
39 weder Hohes noch Tiefes, noch sonst irgendetwas in der ganzen Schöpfung uns je von der Liebe Gottes trennen kann, die uns geschenkt ist in Jesus Christus, unserem Herrn.“
 

„Geschenkt“, sagt Paulus, nicht verdient. Damit lässt er den gleichen Ton anklingen, auf den Jesus es in seinem Gleichnis zuspitzt. Gottes Absicht mit unserem Leben ist nicht, uns eine angemessene Entlohnung für geleistete Arbeit zu geben. Er will mehr. Er möchte uns sozusagen mit dem Hauptgewinn beschenken. Seine Güte treibt ihn dazu.

Und was tun wir? Wir fragen kleinlich: „Ist das gerecht?“ und wollen Gottes Güte mit dem Taschenrechner nachrechnen. Doch Gott ist souverän. Er ist unfassbar und unbegreiflich. „Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken“, lässt er Jesaja in Kapitel 55, Vers 8 sagen. Wer sich auf das Reich Gottes einlässt, der lässt Gott Gott sein. Das ist ein großes Thema in der Bibel. Mit unserem Verstand können wir es letztendlich nicht erfassen.

Der Apostel Paulus hat intensiv darüber nachgedacht. Im schon genannten Römerbrief Kapitel 9, Vers 20 zieht er sein Fazit mit einer Frage: „Ja, lieber Mensch, wer bist du denn, dass du mit Gott rechten willst?“

Ja, wer bin ich denn? Wer bin ich, der vielleicht von 1965 bis ca. 2041 lebt. Falls sich Gott an die Berechnungen des Statistischen Bundesamtes zur durchschnittlichen Lebenserwartung für Männer in unserem Land hält? Wer bin ich, wo er doch ewig ist? … Wer sind Sie?

Die alten Römer hatten in ihrer Kriegskunst einen eindrücklichen Begriff: Resignation. Jede Truppe hatte ihr Signum, ihr Zeichen. Wenn man einsah, dass man den Kampf nicht auf seine Weise gewinnen konnte, dann „resignierte“ man. Dann legte man sein Signum zurück. Man legte es auf den Boden. Es gibt auch eine gesunde Resignation vor Gott. Es ist der Augenblick, in dem Sie und ich sagen: Jesus, deine Liebe hat gesiegt. Deine Güte sprengt jedes Verhältnis. Ich will nicht mehr aus dem Vergleich mit anderen Menschen heraus leben. Du hast mich überzeugt.

Im Heidelberger Katechismus, eine wesentliche Bekenntnisschrift der evangelisch reformierten Kirche, heißt es in der ersten Frage: „Was ist dein einziger Trost im Leben und im Sterben?“

Darauf gibt es die Antwort: „Dass ich mit Leib und Seele, im Leben und im Sterben nicht mein, sondern meines getreuen Heilands Jesu Christi eigen bin.“

Das ist der Hauptgewinn. Gott schenkt sich selbst – allen, die seinem Sohn Jesus Christus nachfolgen. Ein unverdientes Geschenk, dessen Haltbarkeitsdatum nicht abläuft. Darum persönlich zu wissen entlastet ein Leben. Es schenkt Freiraum, sich den eigenen Begabungen und Fähigkeiten zu widmen, ohne dem Können anderer hinterherhecheln zu müssen.

Rücken wir dies unverdiente Geschenk in den Mittelpunkt unseres Denkens, und Leben wird sich verändern. Wir werden unsere Freude daran haben. Jetzt schon, nicht nur mal irgendwann in ferner Zukunft. AMEN.

 

Als Antwort auf die Predigt lade ich Sie ein, mit mir das Lied „Allein deine Gnade genügt“ zu singen.

05.01.2015
Pastor Dr. Lothar Beaupain