Bis der Tag anbricht

Auferstehungskirche Stuttgart

Moritz Gräper

Bis der Tag anbricht
Rundfunkgottesdienst aus der Auferstehungskirche in Münster
31.01.2021 - 10:05
26.01.2021
Pfarrer Dr. Moritz Gräper
Über die Sendung

 

 

 

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Teil I

Wie lange noch? Seit Monaten schon diese Unsicherheit. Bei jedem Besuch im Altenheim bleibt trotz aller Vorkehrungen bei mir die Sorge, dass ich womöglich das Virus zu jemandem bringe.

Ich finde es wichtig, als Pastor auch in der jetzigen Situation Menschen persönlich zu begegnen. Aber ich möchte natürlich auf keinen Fall jemanden gefährden. Und ich denke auch an meine eigene Oma, die 97 Jahre alt ist. Würde sie in einem Heim leben, wäre sie wahrscheinlich schon geimpft. Aber sie ist im betreuten Wohnen und dadurch erst später dran. Um sie herum gab es dort schon Corona-Fälle. Ich hoffe, Sie bleibt negativ. Und klar, auch um meine Eltern mache ich mir Sorgen. Beide Ende 60, beide mit Risikofaktoren. Wir sehen uns über Videochats regelmäßig, aber es ist nicht das gleiche, wie in echt zusammenzukommen. Besonders auch für die Enkel. Da fehlt einfach körperliche Nähe.

 

Wie lange noch? Irgendwie halten wir durch. Mir ist bewusst, ich bin im Vergleich zu vielen anderen privilegiert: Ich bin nicht in Kurzarbeit oder in meiner Existenz bedroht, unsere Zwillinge kommen erst im Sommer in die Kita, also treffen uns die Einschränkungen einfach nicht so hart wie viele andere. Dafür bin ich dankbar und trotzdem habe ich Sehnsucht.

Ich sehne mich nach Unbeschwertheit und Ausgelassenheit, nach Begegnung und Nähe. Ich verfolge wie ein Junkie die Nachrichten und die aktuellen Zahlen. Inzidenzwerte, Neuansteckungen, Tote. Das macht mir immer wieder den Ernst der Lage deutlich. Beantwortet mir aber nicht meine ganz elementaren Fragen:

Wann werden meine Lieben geimpft? Wann wird es sich wieder wie Normalität anfühlen? Werden wir uns noch die Hände schütteln, uns umarmen, beim Abendmahl aus einem großen Kelch trinken? Wann werden wir wieder zusammen singen, laut und ohne Maske und Abstand? Wann kommt das Ende dieser verdammten Pandemie? Wie lange noch?

 

Das ist auch die brennende Frage für die Menschen gewesen, an die der Predigttext gerichtet ist. Sie sehnen nicht das Ende einer Pandemie herbei. Ihre Wünsche und Hoffnungen hängen an der Wiederkehr Jesu. Sie gehören schon zur dritten Generation von Gläubigen, die erwarten, dass der Tag des Herrn kommt. Mit diesem Tag verbinden sie große Hoffnungen auf eine ganz andere Welt. Das Reich Gottes, vollendet und himmlisch und gerecht. Schon ihre Eltern und Großeltern hatten angenommen, dass dies kurz bevorsteht. Der Tag des Herrn blieb aber aus. Die Erwartungen wurden jetzt schon viele Jahrzehnte enttäuscht.

Der Brief an sie, aus dem der Predigttext stammt, der soll helfen, in dieser Situation gut mit der Gegenwart klarzukommen und weiter zuversichtlich in die Zukunft zu blicken. Der Absender will seinen Leuten beim Durchhalten helfen, denn er weiß, dass eine enttäuschte Hoffnung und eine unsichere Zeit, genau wie heute, leider ein guter Nährboden für Verschwörungstheorien, Querdenker und sogenannte alternative Fakten sind. Dagegen stellt er eine kraftvolle Erinnerung. Kraftvoll, weil sie so schön und eindrücklich ist.

 

Apropos kraftvolle Erinnerung: Ich denke da zum Beispiel an Weihnachten 2019, mit der ganzen Familie, und allem was dazugehört. Rappelvolle Kirche, aus vollen Kehlen O du fröhliche und Zuhause in großer Runde, ausgelassen essen, trinken, erzählen, in alten Zeiten schwelgen, sich seiner Liebe vergewissern, sich von der Freude der Kinder berühren lassen und alles das ohne Abstand, Mund-Nasen-Schutz oder dem leisesten Gefühl von Gefahr durch Kontakt. Wie schön das war und wie lang her es sich anfühlt! Hochzeiten, Geburtstage, Jubiläen, Abschlussfeiern, Mannschaftssport, Reisen, Feiern gehen, enge Clubs, wilde Konzerte, volle Häuser, alle Generationen an einem Tisch. Das waren Highlights vor Covid19. Bevor Vokabeln wie Aerosole, FFP 2, 7-Tage-Inzidenz und Super-Spreading ganz selbstverständlich zu unserm Wortschatz gehörten.

 

Zurück zum Predigttext: Der Brief erinnert an ein Highlight, das schon einige Jahrzehnte und Generationen zurück liegt. Man kennt es aber aus Erzählungen. Auch wir haben die Geschichte eben gehört. Das Ereignis, das als kraftvolle Erinnerung beim Durchhalten helfen soll, ist die Verklärung Jesu.

Jesus nimmt Petrus und zwei weitere Jünger mit auf einen Berg und wird hell und leuchtend und neben ihm erscheinen zwei der größten und wichtigsten Figuren des Judentums, Mose und Elia. Und dann ist da auch noch die Stimme Gottes: »Das ist mein Sohn, ihn habe ich lieb. An ihm habe ich Freude. Hört auf ihn!«

Für die Jünger muss dieser Moment einzigartig und verstörend schön gewesen sein. Gottes Präsenz und all das, was sie mit Jesus bisher erlebt hatten kommt hier zu einem Höhepunkt. Es ist der sichtbare Beweis, dass alles wahr ist, woran sie glauben und warum sie Jesus nachfolgen. Sie würden am liebsten dieses Erlebnis festhalten, „Zelte aufschlagen“ sagen sie, buchstäblich auf den Höhen des Lebens bleiben, aber die Verklärung endet und sie gehen wieder ins Tal, zurück ins echte Leben. Dorthin, wo nicht alles leuchtet und hell und leicht ist.

 

Der Predigttext geht davon aus, dass die Erinnerung an ein Highlight wie die Verklärung, den Glauben an ein Durchkommen durch eine schwere Zeit stärkt. Petrus, so nennt sich der Absender des Briefs in Andenken an den Jünger Petrus, will die Zuversicht der Menschen, die ihm am Herzen liegen, wachhalten, obwohl noch nicht ganz absehbar ist, wann das Ziel erreicht ist. Im Brief heißt es:

Umso fester haben wir das prophetische Wort, und ihr tut gut daran, dass ihr darauf achtet als auf ein Licht, das da scheint an einem dunklen Ort, bis der Tag anbricht und der Morgenstern aufgeht in euren Herzen.

 

Was brauche ich, was brauchen Sie heute an Erinnerungen bis der Tag anbricht? Welche Highlights geben Kraft bis der Morgenstern aufgeht in Ihrem Herz?

Zwei Frauen aus unserer Gemeinde erzählen jetzt, welche Erinnerungen ihnen in der Pandemie helfen:

 

Statement 1

In meiner Freizeit spiele ich Fußball und trainiere zudem eine Mannschaft. Es fehlt mir, meine Mitspielerinnen regelmäßig zusehen, das Training aufzumischen und die Kleinen selber als Coach über den Platz zu scheuchen.

Das Virus hat auch mich und meine Familie ganz direkt getroffen und wir mussten in Quarantäne. Es war eine schwierige Zeit, vor allem als klar war, dass wir uns tatsächlich alle angesteckt haben. In diesen Tagen war das Einzige, was uns nicht durchdrehen ließ, der Zusammenhalt. Viele positive Worte untereinander, Zuspruch und das Zuhören und ernst nehmen der Sorgen des anderen. Aber auch das Mutmachen von vielen Freunden und der Verwandtschaft via WhatsApp, Videoanrufen, normalen Anrufen und Briefen. Das alles gab uns Hoffnung, dass wir es überstehen. Und das haben wir.

Ich erinnere mich aktuell gerne an schöne, vergangene Ereignisse. Zu Beginn des letzten Jahres waren wir mit den Konfirmanden noch auf Konfi-Freizeit. Es war eine wirklich tolle Gruppe. Die Jugendlichen arbeiteten intensiv an Filmprojekten, brachten ihre eigenen Ideen ein. Das war einfach schön und wir haben viel zusammen gelacht.

Auch, wenn es zunächst nicht so aussah, konnten sie Anfang Oktober doch noch konfirmiert werden. Wir konnten die große benachbarte katholische Kirche nutzen, damit auch mit Abstand viele Angehörige dabei sein konnten. Es ist vielleicht anders abgelaufen als die letzten Jahre, aber diese Entwicklung mit dem Abschluss der Konfirmation gibt mir Hoffnung, dass die jetzige, ungewohnte Zeit nicht von Dauer ist.

Die Erinnerung an so gemeinsam verbrachte Zeit wie mit den Konfis bringt mir an dunklen Tagen etwas Sonne in meine Gedanken und gibt mir Hoffnung, dass ich bald wieder mit Jugendlichen arbeiten kann. Und dass ich bald wieder mit Ihnen auf dem Fußballplatz stehe.

 

Statement 2

Haben Sie selbst schon einmal bei einem Konzert mitgewirkt? Als Chormitglied vielleicht, oder als Instrumentalist, oder sogar als Dirigierende? Haben Sie schon mal erlebt, mittendrin zu sein in der ganzen Aufregung, in der Anspannung, in der höchsten Konzentration bei einem Konzert? Das Kribbeln spüren, ein Glücksgefühl, ja, einen Rausch erleben, gemeinsam in der Musik aufgehen und schweben, atmen, singen, eins sein mit allem, mit Gott und der Welt.

In tosendem Applaus baden, glücklich und stolz sein! Es ist ein unbeschreibliches Gefühl.

Ich erinnere mich so gut, dass es mir bei unserem letzten großen Konzert im Dezember 2019 mit unserem Gaudeamus-Chor hier in der Gemeinde so erging. Was für ein Erlebnis! Mit 80 Mitwirkenden und 400 Konzertbesuchern! Und ich als Dirigentin mittendrin in diesem Klang und diesem großen Erlebnis.

Danach macht sich oft erstmal eine Leere breit. Der Alltag und auch die normalen Chorproben erscheinen gegen dieses intensive Erleben banal zu sein. Nach diesem üppigen konzertanten Blumen-Bouquet brauchen wir Zeit, um die musikalischen Gänseblümchen im Alltag wieder zu finden und zu schätzen.

Die Corona-Zeit kommt mir vor wie eine Fastenzeit. Manchmal hungere ich nach dichten musikalischen Erlebnissen. Aber oft genug finde ich gerade in diesen Zeiten wunderschöne Gänseblümchen und kann mich dran freuen:

Ich freue mich über Chorsänger, die aufgenommene Lieder in der Dropbox gerne zum Mitsingen zuhause nutzen - manchmal sogar mit der ganzen Familie. Und darüber, dass sich etliche Chormitglieder beim Zoomsingen wiedersehen. Ich freue mich über das Singen in Kleingruppen draußen vor der Kirche, das von Vogelgezwitscher begleitet wird, genieße die romantischen Chorproben im Dunkeln um eine Feuerschale herum. Und ich staune über Klangerlebnisse zu zweit, zu fünft, zu acht im großen Kirchenraum. Das große Konzerterlebnis, das kann uns keiner nehmen, das behalten wir dankbar in unseren Herzen.

 

Teil II

Jugendfreizeiten, Fußballtraining, Konzerte, die Freude, gemeinsam etwas Unmittelbares zu erleben. Das sind kraftvolle Erinnerungen für heute. Highlights aus der Vergangenheit, die beim Durchhalten in unserer Zeit helfen.

Den ersten Leserinnen und Hörern des 2. Petrusbriefs half die Erinnerung an das Highlight der Verklärung Jesu, die Zeit auszuhalten, bis der Tag des Herrn kommt. Wir wissen heute, dass ihre Erwartung nicht erfüllt wurde, wie sie sich das vorgestellt hatten. Es kam anders. Die Geschichte ging weiter, der Glaube und die Erwartung Christi wurde weitergegeben.

Was heißt das für meine Zukunft heute? Ich hoffe zum einen schon, dass meine jetzigen Sehnsüchte in naher Zukunft so erfüllt werden, wie ich es mir vorstelle: Spontan Freunde treffen, zusammen kochen und Wein trinken, Feiern und endlich wieder Bundesligaergebnisse als einzig relevante Zahlen in den Nachrichten wahrnehmen, weil es keine Inzidenz mehr gibt über die man berichten und sich Sorgen machen kann. Andererseits denke ich auch, dass die neue Normalität nach der Pandemie nicht 1 zu 1 die sein wird und sein soll, die ich mir aus meinen Erinnerungen vor Augen rufe.

Denn es gibt Dinge, die in der Krise gut waren. Sachen, die gerne bleiben dürfen. Ein gewachsenes Bewusstsein für das, was wirklich wichtig ist. Für Berufe und Aufgaben in der Gesellschaft, die von unschätzbarer Bedeutung, aber immer noch zu schlecht bezahlt sind. Auch die Einsicht, dass weniger Mobilität der Umwelt gut tut. Hilfsbereitschaft, ein Blick für die Nachbarschaft und Kreativität dürfen auch bleiben.

Auch in der Kirche. Wir haben in den letzten Monaten dazugelernt, dazu lernen müssen. Das war auch schmerzvoll, weil vieles ausgefallen ist. Aber Offene Kirchen, Gottesdienste zum Mitnehmen oder wie bei uns ökumenische Mutmachbriefe im Viertel und der Podcast „Verbunden bleiben!“ im Netz haben auch neue Zugänge zu Kirche und Beteiligung ermöglicht.

Wenn ich also höre „bis der Tag anbricht“ dann hoffe ich auf das Beste aus der Erinnerung plus das Dazuglernte in der Krise. Das wäre eine ziemlich okaye neue Normalität. Dann kann der Tag anbrechen und der Morgenstern im Herz aufgehen.

Amen.
 
26.01.2021
Pfarrer Dr. Moritz Gräper