In der Schwäche stark sein

Evangelischer Rundfunkgottesdienst
In der Schwäche stark sein
Rundfunkgottesdienst aus Köln
23.08.2020 - 10:05
12.08.2020
Uwe Rescheleit
Über die Sendung

Evangelischer Gottesdienst am Sonntag, 23. August 2020, aus der Petrikirche in Köln-Niehl live im Deutschlandfunk ab 10.05 Uhr

 

Ein Gottesdienst mitten im Corona-Sommer 2020: Was gestern noch als sicher galt, ist heute schon wieder ganz anders. Manche sind voller Tatendrang und manche wie gelähmt. Viele Menschen spüren: Wir sind stark und wir sind schwach zugleich. Einige fragen: Sind wir schuld oder die anderen? Viele haben Sehnsucht: Wenn doch alles wieder heil sein könnte! Im Rundfunkgottesdienst aus Köln bringt die Gemeinde Stärken und Schwächen, Fragen und Sehnsucht vor Gott.

 

Die Petrikirche liegt am Nordrand der Kölner Innenstadt. Eine kleine, trutzige Kirche, aus Backsteinen hoch gemauert, mit buntem Lichteinfall. Ein Schutzraum. Die Jazzsängerin Alexandra Naumann singt unterstützt von ihrer Band: vom Licht in der Nacht, vom heiligen Glanz der Hoffnung, vom guten Geist der Liebe Gottes. Die Orgel spielt Kantor Gerhard de Buhr aus Köln. Eine kleine Gruppe von Sängerinnen und Sängern singt stellvertretend für die Gemeinde. Pfarrerin Friederike Fischer und Pfarrer Uwe Rescheleit aus dem Kirchenkreis Köln-Mitte halten diesen Gottesdienst. 

 

Kontakt:

Pfr. Dr. Titus Reinmuth

Stellvertretender Evangelischer Rundfunkbeauftragter beim WDR

Kaiserswerther Str. 450, 40474 Düsseldorf

Homeoffice (02432) 9343792

Mobil (0151) 65176246

Büro (0211) 415581-12

Fax (0211) 415581-20

reinmuth@rundfunkreferat-nrw.de

 

 

Gottesdienst nachhören

 

Den Gottesdienstmitschnitt finden Sie auch direkt unter http://www.deutschlandradio.de/audio-archiv.260.de.html?drau:broadcast_id=122

Predigt zum Nachlesen

Zwei haben sich zum Tempel aufgemacht. So ähnlich wie es viele an einem Sonntagmorgen machen auf dem Weg in die Kirche. Jede und jeder bringt etwas mit.

Eine große Dankbarkeit vielleicht. Oder auch eine schmerzhafte Lücke. Einen Abschied. Oder eine Sehnsucht nach etwas Neuem.

Jede und jeder betet anders. Manche gehen gleich bis ganz nach vorne durch in der

Kirche. Sitzen gerne vorne. Andere lieber ganz hinten. Nah am Ausgang. Sind nicht so gern im Rampenlicht. Aber wir sitzen heute ja gar nicht in der Kirche. Corona halt… Wir sind am Radio!

Ein Glück.

 

Schauen wir uns die beiden aus der Bibel einmal näher an, von denen Jesus erzählt.

Der eine war pharisäisch, der andere arbeitete im Zollhaus.

Schauen wir zunächst den ersten an.

Der hat’s aber drauf, so scheint es. Weiß um die Dinge, die bei ihm gut laufen. Als er betet, zählt er das auf: Er tut kein Unrecht, er hält die Gebote, und er zahlt seine Steuern. Fastet sogar, wenn das dran ist. Vorbildlich. Er weiß: Das, wofür er sich angestrengt hat, darf nicht ins Wanken geraten: „Danke, guter Gott, dass ich nicht so bin wie der da hinten.“

 

Und dann ein Blick auf den Anderen.

Sein Background ist etwas zweifelhaft, er arbeitet im Zollhaus – und dass da so einiges aus dem Lot geraten ist bei ihm, daraus macht dieser Mensch keinen Hehl:

„O Gott, versöhne dich mit mir, ich habe gesündigt.“ Dabei guckt er auf den Boden und nicht nach oben. Auf den Boden der Tatsachen: mit dem Gott, zu dem er ruft, ist er nicht auf Augenhöhe.

 

Lassen wir die beiden jetzt einmal im Tempel.

Ich nehme Sie einmal mit zu uns in den Kölner Norden.

Zuerst zu einem jungen Mann: Leon, 16 Jahre alt. Wäre nicht Corona, wäre er freitags wieder bei der Demo. Fridays for Future. Coole Sache. So kann es ja nicht mehr weitergehen mit dem Artensterben, mit der Klimaerwärmung. Jetzt passiert endlich was, hoffentlich ist es noch nicht zu spät!

Das ist wichtig – denn es gibt keinen zweiten Planeten…

Leon denkt an die vielen Flugreisen, die er schon mit seinen Eltern gemacht hat, und ihm wird richtig mulmig. Diese ganzen Probleme sind doch alle menschengemacht. Und Leon fragt sich auch, was mit den ganzen Kranken jetzt ist. Könnten manche auch selbst schuld sein an ihrer Erkrankung? Haben sie nicht auf sich geachtet? Dieser Gedanke verwirrt ihn und macht ihm richtig zu schaffen. „Zum Glück bin ich gesund“, sagt er sich. Er fängt an, zu trainieren. Das fühlt sich gut an.  Manchmal staunt er, was da alles geht bei ihm. Ob er jetzt stärker ist als vorher?

 

Ich kann Leon ganz gut verstehen. Er strengt sich an, er arbeitet an seinem Leben. Er will sich politisch engagieren. Er will fit bleiben. Von der Schule haben wir noch gar nicht gesprochen. Auch da bleibt er dran.

 

Manchmal ist er stolz auf sich. Sich informieren, sich gut ernähren, in Bewegung bleiben. Sich mit anderen zusammen tun und für das Klima kämpfen. Wenn wir wollen, können wir echt was erreichen, denkt er dann. Ist das ein bisschen so wie bei dem frommen Mann im Tempel, der sich selber auf die Schulter klopft?

 

Darf ich Sie noch einmal mitnehmen in den Kölner Norden? Auf die Niehler Straße Richtung stadtauswärts ganz unweit dieser Kirche an einem Freitagmorgen.

„Was für ein dummer Wind!“, denkt sie sich. Sandra ist Polizistin. Einige der übervollen gelben Tonnen am Straßenrand sind umgestoßen worden von den Windböen, der Plastikmüll verteilt sich ungebremst über Gehsteig, Parkbuchten und sogar die Fahrbahn der Straße. Sie steigt aus dem Wagen, setzt den Mund/Nasen-Schutz auf und zieht die Gummihandschuhe an. Jetzt steigt auch ihr Kollege aus dem Streifenwagen. Beide sammeln jetzt Müll.  Eine Sisyphusarbeit.

 

„Was für ein Jahr“, fragt sie sich. Einfach alles fühlt sich irgendwie krank an. Diese riesen Müllberge. Und all‘ die tägliche Gewalt. Dann all die andern, die sich nicht mehr an die Regeln halten. Kein Abstand, keine Maske.  Von den Übergriffen auf Kollegen und Rettungssanitäter ganz zu schweigen. Da rackerst Du Dich ab und erreichst trotzdem nicht das Ziel. Aber nein, sie knickt nicht ein. Ihre Arbeit ist ihr wichtig. Manchmal wünscht sie sich, dass mehr gewürdigt wird, was sie tut. Und sie wünscht sich einen heileren Ort als diesen jetzt gerade.

 

Auch ihre Fragen kommen mir bekannt vor.

Die täglichen Aufgaben müssen erledigt werden. Die meisten kennen das Gefühl, dass es oft nicht genug ist. „Reicht das denn überhaupt aus, was ich geschafft habe bis hierhin?“ Gott, sei mir gnädig, möchte da mancher beten – so wie der andere Mann im Tempel.

 

Ich spüre noch etwas hinter diesen beiden Geschichten, der von Leon, der stolz und manchmal richtig zufrieden ist mit dem, was er geschafft hat, und der von Sandra, die sich manchmal schwach und klein fühlt. Die Frage, ob da nicht noch etwas anderes kommt, vielleicht sogar schon da ist. Etwas, das heller ist als die ganzen Schatten über dem Land. Ein Licht, das etwas

verändert. Da steht noch etwas aus. Ganz sicher. So etwas wie eine richtige Befreiung, so

etwas wie eine erlösende Antwort auf die ganzen stillen und manchmal auch brennenden Fragen…

 

An dieser Sehnsucht der beiden bleibe ich noch etwas hängen. Genauso wie an den

Gebeten der beiden im Tempel. Lange hatte sich sein Blick in dem Riss der Steinplatte vor ihm verloren – ganz in seine Gedanken versunken:

Ich könnte an meiner Situation etwas ändern. Ich könnte, aber will ich das auch? Es würde bedeuten, dass ich verzichten muss, dass ich weniger für mich habe.  Geld bedeutet Sicherheit, und wenn ich das aufgebe, wer bin ich dann? Bin ich dann wirklich glücklicher? Und würden mich die Leute deshalb mehr mögen? Irgendwer? Jetzt habe ich wenigstens etwas Macht in meinem Zollhäuschen. Wenn ich das aufgebe, wer bin ich noch?  Er schnauft leicht, schüttelt bestürzt den Kopf und lässt seine Faust zur Brust fahren - leise flüstert er: Gott, sei mir Sünder gnädig.

 

Es fällt ihm eine Bewegung auf. Er schaut leicht zur Seite und sein Blick fällt auf einen aufrecht stehenden Mann. Er wirkt stolz. Er steht nahe dem großen Vorhang, der die Halle von dem Allerheiligsten trennt, dem Raum, der alleine dem Hohepriester vorbehalten ist.

„Dort“, schießt es ihm durch den Kopf „dort würde ich mich nie trauen zu stehen. Da gehöre ich nicht hin.“

 

Sein Blick bleibt auf dem Mann haften, der dort mit geradem Rücken und ausgebreiteten Armen betet, den Blick erhoben, mitten in der Halle, so dass alle ihn sehen können. Der Zöllner hört, wie dieser Mann mit fester Stimme spricht:

„Ich danke dir Gott, dass ich nicht bin wie die anderen Leute, Räuber, Ungerechte, Ehebrecher, oder auch wie dieser Zöllner. Ich faste zweimal in der Woche und gebe den Zehnten von allem, was ich einnehme.“

 

Die Worte des Mannes durchzucken ihn wie ein Blitz. „Dieser Zöllner“ hallt es durch seinen Körper. Die Worte des stolzen Mannes lassen ihn noch kleiner werden, er zieht sich weiter in seine dunkle Ecke zurück und merkt, welche Gefühle in ihm aufsteigen. Da ist Trauer. Und da ist unbändige Wut.

 

„Was nimmt der sich raus? Der soll sich trauen nochmal bei mir vorbeizukommen, dann gibt es ne extra Abgabe, dann zeig ich ihm mal wo es lang geht! Warum meint er, dass er besser ist als ich?“

Aber da ist noch eine Stimme in ihm: „Weil er es ist. Schau ihn dir an, stolz steht er da im Licht, kann aufzählen, was er alles tut und kann darum auf Menschen wie mich herunterschauen. Hat er wirklich keine Fehler, nichts, was er im Dunkeln zu verbergen sucht?“ Er seufzt.

 

Der stolze Mann dreht sich um. Hat er das Seufzen gehört? Ihre Blicke treffen sich.  Es ist, als würde sein harter Blick direkt durch ihn hindurchschauen.

 

Er spürt sie wieder, diese Wut. Aber auch eine große Enttäuschung. Er kennt das Gefühl, nicht wahrgenommen zu werden, er weiß, dass er einen Beruf hat, für den ihn viele verachten. Er selbst tut es schließlich auch. Aber er hat es doch nicht verdient, einfach ignoriert zu werden. Wenn er nur könnte, hätte er so viel zu geben. Doch keiner gibt ihm die Chance zu zeigen, wer er wirklich ist.

Und dann dieser arrogante Mann, mit welchem Recht macht er ihn schlecht? Wer ist er überhaupt? Was er nicht ist, das kann er hier sagen, laut und deutlich:  kein Räuber, Ungerechter, Ehebrecher. Aber weiß er auch wer er ist? Kann er sagen, wer er ist, ohne andere schlecht zu machen?

Ich weiß wer ich bin, denkt der Zöllner. Ich bin zwar nicht besonders angesehen, aber ich habe den Mut, der Wahrheit ins Auge zu schauen. Auch meinem eigenen Versagen.

Dabei wird sein Rücken unmerklich etwas gerader und er traut sich, den Blick des Anderen direkter zu erwidern. Und plötzlich nimmt er eine Veränderung wahr. Es ist, als würde der andere ihn nun doch wahrnehmen. Es ist, als könnte er erkennen, welche Zweifel in ihm toben, als könnte er seine Fragen hören: „Weißt du, wer du bist?“ Mit einem leichten Nicken löst der stolze Mann seinen Blick und wendet sich dem Ausgang zu.

 

Der Zöllner betet. Schaut dabei zum Vorhang und spricht:

„Du erforschest mich und kennest mich,“  Da bleibt der stolze Mann noch einmal stehen. Er kennt das Gebet. Es ist ein Psalm. Und so stimmt er mit ein:

„Ob ich sitze oder stehe, so weißt du es; du verstehst meine Gedanken von ferne. Denn siehe, es ist kein Wort auf meiner Zunge, dass du, HERR, nicht schon wüsstest. Von allen Seiten umgibst du mich und hältst deine Hand über mir.“

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

 

12.08.2020
Uwe Rescheleit