Gib den Zeugen Kraft und Mut

Evangelischer Rundfunkgottesdienst
Gib den Zeugen Kraft und Mut
Rundfunkgottesdienst aus Köln
06.09.2020 - 10:05
31.08.2020
Barbara Manterfeld-Wormit
Über die Sendung

Evangelischer Gottesdienst am Sonntag, 23. August 2020, aus der Petrikirche in Köln-Niehl live im Deutschlandfunk ab 10.05 Uhr

 

Ein Gottesdienst mitten im Corona-Sommer 2020: Was gestern noch als sicher galt, ist heute schon wieder ganz anders. Manche sind voller Tatendrang und manche wie gelähmt. Viele Menschen spüren: Wir sind stark und wir sind schwach zugleich. Einige fragen: Sind wir schuld oder die anderen? Viele haben Sehnsucht: Wenn doch alles wieder heil sein könnte! Im Rundfunkgottesdienst aus Köln bringt die Gemeinde Stärken und Schwächen, Fragen und Sehnsucht vor Gott.

 

Die Petrikirche liegt am Nordrand der Kölner Innenstadt. Eine kleine, trutzige Kirche, aus Backsteinen hoch gemauert, mit buntem Lichteinfall. Ein Schutzraum. Die Jazzsängerin Alexandra Naumann singt unterstützt von ihrer Band: vom Licht in der Nacht, vom heiligen Glanz der Hoffnung, vom guten Geist der Liebe Gottes. Die Orgel spielt Kantor Gerhard de Buhr aus Köln. Eine kleine Gruppe von Sängerinnen und Sängern singt stellvertretend für die Gemeinde. Pfarrerin Friederike Fischer und Pfarrer Uwe Rescheleit aus dem Kirchenkreis Köln-Mitte halten diesen Gottesdienst. 

 

Kontakt:

Pfr. Dr. Titus Reinmuth

Stellvertretender Evangelischer Rundfunkbeauftragter beim WDR

Kaiserswerther Str. 450, 40474 Düsseldorf

Homeoffice (02432) 9343792

Mobil (0151) 65176246

Büro (0211) 415581-12

Fax (0211) 415581-20

reinmuth@rundfunkreferat-nrw.de

 

Gottesdienstübertragung am 6. September 2020, 10.05 bis 11 Uhr im Deutschlandfunk aus dem Dom St. Marien in Havelberg in Sachsen-Anhalt

 

Corona hat den geplanten Festwochen einen Strich durch die Rechnung gemacht -  die Gemeinde feiert trotzdem 850 Jahre Dom zu Havelberg.

Das imposante Bauwerk zeugt von einer bewegten Glaubensgeschichte: 400 Jahre war das Gotteshaus katholisch, seit 450 Jahren ist es evangelisch. Durch bunte Glasfenster scheint das Licht bis heute in die Mitte des Innenraumes und fällt dabei auf die Heiligen Apostel. Vor 600 Jahren wurden die Figuren kunstvoll aus Sandstein gehauen. Bis heute laden sie weiter dazu ein, sich mit den Lebenswegen der Heiligen und mit der Frage nach dem Heiligen im eigenen Leben zu beschäftigen. Im Zentrum des Gottesdienstes steht der Blick auf den Apostel Bartholomäus.

Die Predigt hält Dompfarrer Frank Städler, Lektorinnen sind Sabine Ruß, die Vorsitzende des Gemeindekirchenrates, und Simone Dülfer, katholische Gemeinde Havelberg.

Es singt das Havelberger Vocalensemble unter der Leitung von Domkantor Matthias Bensch, der auch an der Orgel spielt.  

 

Pressekontakt

 

Rundfunkbeauftragte Pfarrerin Barbara Manterfeld-Wormit

Mobil: 0151 191887

Gottesdienst nachhören

 

Den Gottesdienstmitschnitt finden Sie auch direkt unter http://www.deutschlandradio.de/audio-archiv.260.de.html?drau:broadcast_id=122

Predigt zum Nachlesen

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Der Mann steht aufrecht. Sein Kopf ist nach links geneigt. Sein Blick geht in die Ferne. In der rechten Hand hält er einen Beutel, man ahnt, dass ein Buch darin ist:

 

Liebe Gemeinde,

der Apostel Bartholomäus steht seit 600 Jahren unverrückt hier im Havelberger Dom. Er ist aus Sandstein gefertigt und steht direkt an der Vorderseite des Lettners, einer steinernen Wand, die im Dom den Chorbereich der Prämonstratenser -die hier früher einmal zuhause waren-  vom Bereich der Laien trennte. Neben Bartholomäus stehen seine Kollegen, die anderen Apostel – und alle haben etwas dabei. Eine Art Erkennungszeichen: Jacobus eine Pilgermuschel in der Hand. Andras ein Kreuz. Ein Apostel ist weiblich: Maria Magdalena –Apostelin erst seit 2016, denn da erst hat sie die katholische Kirche zur Apostelin erklärt. Wegen ihres Zeugnisses der Auferstehung Jesu.

 

Alle Apostel stehen unverrückt auf einem Sockel. Blicken auf uns herunter. Wir müssen zu ihnen aufschauen, wollen wir sie genau betrachten. Wozu gibt es Heilige? Die Heiligen an diesem Ort sprechen heute zu Gläubigen und zu Menschen, die den Dom einfach als Touristen aufsuchen. Was haben Sie uns zu sagen?  Was wissen wir noch von ihnen?

 

Bartholomäus war einer der zwölf Jünger. Aus den Evangelien hören wir wenig: Jesus rief ihn, er folgte ihm und Jesus beauftragte ihn, ein Apostel zu sein. Ein Gesandter. Ein Bote des Evangeliums. So wurde er einer, der mit Kraft ausgestattet war, das Wort weiterzusagen. Viel mehr wissen wir nicht.

 

Doch wir dürfen fantasieren, indem wir uns denken, was er mit Jesus auf dem Weg durch Galiläa und Judäa erlebt haben wird. Wenn wir Bartholomäus in Gedanken immer dort mit einblenden, wo Jesus dem Volk Gleichnisse und Beispielgeschichten erzählt, wo Jesus Kranke heilt und Menschen zur Umkehr bewegt. Überall können wir ihn bei den Jüngern Jesu sehen, wie er all das in sich aufnimmt. Wir ahnen, wie es ihn prägt und bewegt. Ihn und auch die anderen Jünger und Jüngerinnen.

 

Warum predige ich über ihn? Ich rede heute über Bartholomäus, weil gerade sein Gedenktag war:  am 24. August. Ein Gedenktag, der auch in der Evangelischen Kirche begangen werden kann. Der Havelberger Dom war in seiner Geschichte etwa vier Jahrhunderte katholisch, bevor die Reformation hier einzog. Wir teilen uns also nicht nur den Dom, sondern auch den Apostel. Evangelische und katholische Christen. Im Gedenken, im Betrachten und vielleicht auch im Fragen, wozu wir Bartholomäus und die anderen Apostel -wozu wir Heilige- heute überhaupt noch brauchen.

 

Brauchen wir einen, zu dem wir aufschauen? Das impliziert ja der Begriff des Heiligen – sei etwas, das über uns ist, eine andere Sphäre, eine andere Kategorie. Wir aber leben in einer Zeit, in der wir auf Augenhöhe miteinander reden. In der Gleichberechtigung und Freiheit zu unseren Grundwerten gehören. Heute stürzen wir eher Menschen von ihrem Sockel, als sie zu erheben. Und wenn sich jemand selbst auf einen solchen stellt, stellen wir ihn gerne in Frage.

 

Brauchen wir Heilige? Menschen wie Bartholomäus? Ich meine: Wir brauchen Vorbilder. Wir brauchen Menschen, an denen wir uns orientieren können. Biografien, an denen wir uns reiben können, die uns durch die Auseinandersetzung mit ihnen helfen, unseren eigenen Weg zu finden.

 

Wir brauchen Vorbilder im persönlichen Umfeld: Menschen aus unsere Zeit, denen wir begegnen, die uns beeindrucken, aber auch Vorbilder, die weit vor uns gelebt haben, die für uns etwas Zeitloses transportieren: ein Lebensideal, einen besonderen Wert, etwas Herausragendes und in diesem Sinne Heiliges. Wir brauchen Menschen zur moralischen Orientierung, die für etwas eingestanden haben in ihrem Leben – manche davon auch mit ihrem Leben. Wie Bartholomäus.

 

Er war ein Mensch. Als solcher ist er Jesus begegnet. Und hat sein Leben nach dieser Begegnung neu ausgerichtet. Was ist mein Ziel? Was bestimmt mein Leben? Was will, was muss ich ändern? Heilige stellen sich diesen Fragen – viele davon sehr radikal.

 

Ich bin tatsächlich kein Heiliger, wir sind keine Heiligen – doch die Fragen sind wichtig. Es ist wichtig, vor ihnen nicht davonzulaufen.  Daran erinnern uns diese Heiligenfiguren aus Stein, die nicht weglaufen können. Bleiben auch wir einen Moment stehen und denken nach. Was ist mein Ziel? Lebe ich das, worauf es mir wirklich ankommt?

 

Liebe Gemeinde,

es gibt da so eine Redensart: Ich bin doch kein Heiliger! Das sagt man - als Ausrede. Oder man meint es ironisch, wenn wir etwas tun, das nicht ganz richtig ist, und es ganz genau wissen: Wir sind doch alle keine Heiligen! Und mit diesem kleinen Satz beziehen wir unser Gegenüber gleich in unseren kleinen Irrweg mit ein. Augenzwinkernd. Smiley sendend.

 

Die Frage bleibt aber: Worauf läuft all unser Tun hinaus? In jedem von uns ist etwas, das uns antreibt, etwas Gutes zu tun. Mag es klein sein oder groß. Wir wollen einmal etwas hinterlassen, von dem wir sagen können: dafür hat es sich gelohnt zu leben.

 

Kann Bartholomäus uns helfen? Wenn er als Bote heute gar keine Bedeutung mehr für unseren Glauben und für unser Leben hat, dann sollten wir ihn von seinem Sockel heben und in ein Museum schaffen. Soll man ihn dort anschauen, als Beispiel für die Kunstfertigkeit vergangener Epochen und dafür, wie es früher einmal war.

Als Glaubenszeuge aber hat er uns etwas zu sagen. Darum steht er hier – in einer Kirche – in diesem Dom. Und wir hören, was er zu sagen, was er jeden einzelnen zu fragen hat: Was willst Du tun? Worauf kommt es in Deinem Leben an?

 

Die Geschichte von Bartholomäus ist schnell erzählt: Bartholomäus erzählt weiter, was er mit Jesus erlebt hat. Dass Jesus Christus der Sohn Gottes und der Retter ist. Der Legende nach soll Bartholomäus in Persien das Matthäusevangelium verkündigt haben. Dort soll er auch die Tochter des Königs geheilt haben, der sich daraufhin mit dem ganzen Königshaus zu Christus bekehrte. Später kam Bartholomäus als Märtyrer zu Tode.  Wurde ein Vorbild im Glauben. Er wurde heiliggesprochen und damit zum Schutzheiligen vieler Städte. So kam er als Statue auf die Sockel mittelalterlicher Kirchen. Als ein Vorbild, zu dem die Gläubigen aufschauen.

 

Heute wollen wir ihn einmal auf Augenhöhe betrachten. Hier im Havelberger Dom ist das möglich. Ganz praktisch. Ich stelle mich auf eine Leiter, ganz nah an ihn heran. Ich kann ihm in die Augen schauen.

 

Was würdest du mir sagen, Mann mit Bart? Was soll ich tun, damit ich mein Leben nicht versäume? Damit ich das Besondere in ihm erkenne. Wahrscheinlich würdest du sagen: Was fragst Du mich? Bist selber Christ! Glaub mal ein bisschen an dich! Zeig mal etwas Selbstvertrauen!

 

Oder du würdest sagen: Bist doch selber heilig! Glaubst doch an die Gemeinschaft der Heiligen. Ist doch Teil von deinem christlichen Bekenntnis. Und ich würde entrüstet antworten: Ich? Ich doch nicht! Wie soll ich denn heilig sein? Mit all dem, was ich mache und wie ich bin.Aber du würdest mir antworten: Doch! In dir ist etwas von Gott. So etwas wie ein Funke. Etwas Echtes und Brennendes, etwas Heiliges eben. Es ist vielleicht versteckt, überlagert, kann nicht atmen. Mach es groß! Es ist deine Aufgabe, diesen Funken zu nähren.

 

Liebe Gemeinde,

die Kirche nennt es die Gemeinschaft der Heiligen. So heißt es im Apostolischen Glaubensbekenntnis: Ich glaube die heilige christliche Kirche und die Gemeinschaft der Heiligen. Die Kirche sagt also Menschen wie Paulus, Petrus, Bartholomäus, Maria Magdalena sie sind heilig -selbst wenn Ihr Leben nicht perfekt war. Auch wenn Schuld und Fehler dazugehörten. Und zu dieser Gemeinschaft gehören auch wir!

 

Beides gehört zusammen. Die Apostel hier im Havelberger Dom. Sie gehören zusammen. Die 12 und die die später dazukamen. Heiligsein geht nur in der Gemeinschaft. Und wir heute. Die Heiligen damals und wir heute! Damit das Heilige in uns wachsen kann, stärken wir uns im Glauben und feiern miteinander Gottesdienst. Und dazu braucht es jeden einzelnen von uns, damit Kirche heute nicht bloß eine Gemeinschaft auf dem Papier ist.

 

Also lernen wir von Bartholomäus: Lektion 1: Selbstbewusstsein. Als Christ bin ich nicht bloß Mitglied in einem Verein, einer Organisation. Ich bin Teil der Gemeinschaft der Heiligen. Auf mich kommt es mit an.

Lektion 2 ist die wohl größte Erfindung der Antike: Vergebung. Das Geschenk der Apostel an die Welt: Ich glaube an die Gemeinschaft der Heiligen, die Vergebung der Sünden, so heißt es im Bekenntnis aller Christen. Jesus erteilt seinen Jüngern diese Vollmacht. Sie können und sollen Sünden erlassen, wo sie darum gebeten werde.

 

Vielleicht hat Bartholomäus der Königstochter, die er der Legende nach geheilt hat, auch davon erzählt. Von Jesus, der Kraft schenkt, zu vergeben. Und das Wort des Apostels und die Heilung der Tochter haben das Königshaus überzeugt, dazugehören zu wollen. Vielleicht haben sie sich aus diesem Grunde taufen lassen.

 

Bartholomäus bekam auch Gegenwind. Christlicher Glaube war nicht überall gern gesehen. Im Gegenteil: Andere Menschen haben ihm sicher gesagt: Das bringt doch nichts. Vergebung. Keine Tugend für einen König.  Du musst dich durchsetzen. Du darfst niemals nachgeben, sonst tritt dich die Welt mit Füßen. Und Bartholomäus wird hartnäckig geblieben sein. Und hat vielleicht ein Stück der Heiligen Schrift aus seinem Beutel geholt und gesagt: ich will dir mal was zeigen. Und dann liest er vor:

 

Ihr habt gehört, was gesagt ist: „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ Und die um ihn herumstehen, sagen: ja, das kennen wir, das steht bei schon Mose. Aber jetzt kommts, sagt Bartholomäus. Es geht anders weiter: Jesus, der die Vergebung lehrt, sagt: „Ihr sollt dem Übel nicht widerstehen, sondern, wenn dich einer auf deine rechte Backe schlägt, dem biete die andere auch dar. Und wenn jemand mit dir streiten will und dir den Rock nehmen will, dem lass auch den Mantel.“

 

Dieses Wort ist eine Lebensaufgabe. Eine immerwährende Herausforderung. Sie zielt auf den Funken Gottes in mir. Auf das Licht das von IHM ausgeht. Das Licht ist und bleibt nicht nur einfach so da. Ich muss etwas damit machen. Sonst geht es aus. Das Heilige ist mit einem Ziel verbunden, mit einer Bewegung: die Welt zu einem etwas besseren Ort zu machen. Das gelingt, wenn ich das Heilige nicht nur in mir erkenne, sondern auch im Anderen sehen kann. Denn: Im geliebten Menschen und im ungeliebten Menschen steckt etwas vom selben Heiligen, etwas von Gott.

 

Das Heilige ist nicht Selbstverwirklichung. Manchmal vielleicht sogar das Gegenteil. Denn wenn ich Abstriche mache von meinem Wollen, erreiche ich vielleicht nicht das Ziel, das ich wollte. Doch erreiche ich ein anderes Ziel. Und das ist ja gerade die Botschaft Christi. Es geht nicht um die reine Selbstverwirklichung des ICH, sondern um die Verwirklichung Gottes in meinem Leben. Und da hat Gott größere Pläne mit mir und mit dir, als wir oft denken.

 

Für mich ist Bartholomäus deswegen ein Vorbild im Glauben, weil er festgehalten hat, wovon er im tiefsten Herzen überzeugt war. Ich glaube nicht, dass er sein gewaltsames Ende in irgendeiner Weise gesucht hätte. Ich glaube nicht, dass er das Ziel hatte, als Märtyrer zu sterben und dadurch ein Heiliger zu werden. Ich glaube aber, dass er nicht anders konnte, als von Jesus Christus zu reden und zu vergeben, weil er überzeugt war, dass dies der einzig richtige Weg ist, miteinander zu leben.

In all den nicht ganz einfachen Beziehungen die wir haben: mit unsren Liebsten und unseren Nächsten; mit unseren Nachbarn und Kolleginnen; im Kleinen und auch in der großen Welt. Wer vergeben kann, vergibt sich nichts, sondern gibt, er verliert nicht, sondern erhält dadurch etwas viel Größeres. Der innere Funke, das Göttliche kann atmen und wachsen, bis es aus Ihnen heraus leuchtet. Aus Ihren Augen, Ihrem Lächeln, Ihrem Leben. Das Heilige tritt ins Licht. Das bedeutet Gemeinschaft der Heiligen. Bartholomäus gehört dazu. Und wir auch.

 

Amen.

 

Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, er bewahre eure Herzen und Sinne, in Christus Jesus. Amen.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

31.08.2020
Barbara Manterfeld-Wormit