Gott will im Dunkel wohnen und hat es doch erhellt

Evangelischer Rundfunkgottesdienst

© M. Hellweg

Gott will im Dunkel wohnen und hat es doch erhellt
Rundfunkgottesdienst aus der Haardter Kirche Siegen-Weidenau
01.12.2019 - 10:05
29.08.2019
Peter Thomas Stuberg
Über die Sendung

Unter diesem Leitwort steht die Einstimmung auf den neuen Advent. Es geht dabei um Erwartungen. Die tragen durchaus verschiedene Züge, ängstliche wie auch freudige. Worauf sich einlassen? Wem die Tür und das Herz öffnen?

 

Die Predigt in diesem musikalischen Adventsgottesdienstes hält der Superintendent des Evangelischen Kirchenkreises Siegen, Pfarrer Peter-Thomas Stuberg. Durch die Liturgie führt der Weidenauer Ortspfarrer Martin Hellweg. Als Lektorinnen wirken Svenja Rinsdorf, Simone Weiß und Helga Hoffmann mit.

Musikalisch wird der Gottesdienst vom Vocalensemble des Siegener Bachchors unter der Leitung von Peter Scholl gestaltet.

 

Die Haardter Kirche ist die größte im Siegerland. Sie wurde auf den Fundamenten der Grube Eisenhardt erbaut und am Reformationstag 1883 eingeweiht. Für die Weidenauer ist sie ein Ort der Begegnung und der Andacht, ebenso ein Ort der Kunst und Kultur.

 

Die Gemeinde singt folgende Lieder aus dem Evangelischen Gesangbuch bzw. Gotteslob:

EG 11  „Wie soll ich dich empfangen“, 1-2+5+7

EG 16  „Die Nacht ist vorgedrungen“    GL 220

EG 1    „Macht hoch die Tür“, 1+3+5    GL 218

 

 

Gottesdienst nachhören

 

Den Gottesdienstmitschnitt finden Sie auch direkt unter Gottesdienste im DLF

 

 

Predigt zum Nachlesen
 

Liebe Gemeinde,

Unbarmherzig klingelt der Wecker lange vor Sonnenaufgang. In dieser nasskalten, schmuddeligen Übergangszeit zwischen den grauen Novembertagen und den geheimnisvoll funkelnden Adventstagen des Dezembers fällt es wahrscheinlich nicht nur mir schwer, aus dem Bett zu kriechen.

Immer dunkler werden die Tage. Und immer sehnsuchtsvoller erwarte ich das Licht. Ich finde es irgendwie schön, dass es jetzt überall funkelt und glitzert. Schwibbögen in den Fenstern, Lichterkaskaden in der Fußgängerzone, ein einziges Lichtermeer, auch wenn es mir manchmal schon zu viel des Guten ist.

Heute feiern wir den ersten Advent. Mit den Millionen von LED–Lichtpunkten, den Engeln, den Nikoläusen und Lebkuchenmännchen; mit den hell funkelnden Sternen und den hell klingenden Glocken, mit all dem kann das erste Adventslicht irgendwie nicht mithalten. Oder doch?

Sein Licht flackert trotzig der Lichterflut in den Kaufhäusern, den Weihnachtsmärkten und manchen Vorgärten entgegen. Klein und warm flackert sein Licht. Es leuchtet mit der Kraft einer einzigen Kerze. Und die flackert lebhaft auf einem Kranz.

Johann Hinrich Wichern, ein Diakon in Hamburg, hat sich vor 200 Jahren den Adventskranz ausgedacht. Für verwahrloste Jungs von der Straße. Im Versammlungsraum ihres Wohnheimes zündet er jeden Tag vor aller Augen eine Kerze mehr an. Eine kleine weiße an jedem Wochentag und eine dicke rote an jedem der vier Adventssonntage. Damit will er den Jungs zeigen: „Das Licht bis zum Weihnachtsfest wird täglich mehr. Es wird heller. Es vertreibt nicht nur die Finsternis an dunklen Abenden. Nein, es vertreibt auch die Finsternis in dir.“

 

Vielleicht pflegen Sie den Brauch des Adventskranzes bei sich zu Hause auch. Wenn ich bei uns zu Hause die erste Kerze des Adventskranzes anzünde, dann geht bis heute für mich etwas Geheimnisvolles von ihm aus.

Augenblicklich habe ich das Gefühl, dass der Druck, den zum Beispiel Unerledigtes in mir hervorruft, weniger wird. Ich habe das Gefühl, dass das Tempo, das über diesen hektischen Wochen liegt, gedrosselt wird. Das Kerzenlicht nimmt mich in seinen Bann.

Im Lichtkegel der kleinen Flamme wird es ruhiger im ganzen Raum; und in mir. Gute Gedanken haben ihren Platz. Aber auch ungute Gedanken dürfen sich zu Wort melden. Ich muss jetzt nichts entscheiden, machen, planen. Nein, jetzt und hier ist einfach nur Licht und Stille. Und ich frage mich, ob es Ihnen auch so geht.

 

Vom wachsenden Licht beleuchtet – so fasst der Apostel Paulus unser ganzes Leben wie in ein Bild. Nicht nur im Advent soll dieses Licht leuchten; nein, weit darüber hinaus. Es ist so, als wenn der nächste Tag anbricht und das Dunkle der Nacht weichen muss vor dem Morgenlicht.

So schreibt Paulus es jedenfalls an einige Frauen und Männer nach Rom.

 

Rom: DIE Megametropole der Antike. Laut, schrill und schmutzig. Menschen geraten hier schnell unter die Räder, wenn sie nicht reich und stark genug sind. Viele verkümmern als Sklaven. Andere profitieren von ihren Diensten und schöpfen für sich aus dem Vollen. Die Gesellschaft ist längst aus den Fugen. Sie driftet nach oben und nach unten.

Genau hier kommt Paulus‘ Brief an. In den winzigen Gemeinden in dieser Megastadt. Im Machtzentrum eines alles beherrschenden Kaisers. Abseits seiner Prachtstraßen und Prunkbauten leben sie. Sie nennen sich Christen. Nach einem gekreuzigten Galiläer weit weg in der jüdischen Provinz. Reihum treffen sie sich in den Wohnungen. Im flackernden Licht rußender Öllämpchen entrollen sie seinen Brief und eine von ihnen liest vor:

Seid niemandem etwas schuldig, außer dass ihr euch untereinander liebt; denn wer den andern liebt, der hat das Gesetz erfüllt. Denn was da gesagt ist (2.Mose 20,13-17): „Du sollst nicht ehebrechen; du sollst nicht töten; du sollst nicht stehlen; du sollst nicht begehren“, und was da sonst an Geboten ist, das wird in diesem Wort zusammengefasst (3.Mose 19,18): „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ Die Liebe tut dem Nächsten nichts Böses. So ist nun die Liebe des Gesetzes Erfüllung. Und das tut, weil ihr die Zeit erkannt habt, dass die Stunde da ist, aufzustehen vom Schlaf, denn unser Heil ist jetzt näher als zu der Zeit, da wir gläubig wurden. Die Nacht ist vorgerückt, der Tag ist nahe herbeigekommen. So lasst uns ablegen die Werke der Finsternis und anlegen die Waffen des Lichts.

 

Paulus drängt die Christen ungeduldig zum Aufwachen:

„Raus aus den Federn. Raus der Komfortzone. Wacht auf. Denn ihr seid für das Licht eines neuen Tages geschaffen, auch wenn es noch mitten in der Nacht ist!“

Paulus meint das sinnbildlich. Er will nicht den Morgenmuffel oder die Nachteule, die sich jetzt gerade aus dem Bett quälen, verletzen. Er will ein Bild vom Glauben zeichnen. Er will dem Glaubenden beim Aufstehen, beim Rauskriechen aus den Federn helfen und den Blick nach vorne, auf den neu anbrechenden Tag richten.

Für Paulus sind die Christen mit ihrem Glauben wie Frühaufsteher – den anderen einen Blick und ein Licht voraus. Und das Licht kommt unzweifelhaft. Jetzt ist der Augenblick, in dem die Nacht ihre Kraft verliert, weil der neue Tag anbricht. Die Zukunft kommt und sie ist für alle freundlich und hell. So wie wir es gerade auch gesungen haben. „Die Nacht ist vorgedrungen, der Tag ist nicht mehr fern.“

Dieses Lied kann zu einer Hoffnungsballade werden, gerade dann, wenn sich meine Tage und Nächte eher trübe anfühlen. So jedenfalls erleben es manche Menschen, die jetzt in dieser adventlichen, in dieser vorweihnachtlichen Zeit unsere kirchlichen Beratungsstellen aufsuchen. Sie empfinden Zwiespältiges, wenn sie an Weihnachten denken.

Einerseits freuen sie sich auf das Fest und wünschen sich, dass es auch bei ihnen gelingt. Andererseits empfinden sie ihre Lage oftmals ziemlich verfahren. In ihren Beziehungen klafft ein schmerzhafter Riss. Der geht tief durchs Herz. Wenn ihnen dann die Werbung noch vorgaukelt, das Glück einer heilen Familie mit einer bestimmten Schokolade zu erreichen, tut es weh, weil es so lächerlich ist. Die Seele hungert eben nach mehr als nach Süßigkeiten und teuren Geschenken.

 

Zwischen seinen Zeilen höre ich Paulus dann auch zu uns sagen: „Macht euch keinen unnötigen Kummer. Lasst euch nicht vom Weihnachtstrubel unter Druck setzen. Ihr müsst keinen Wettkampf um das perfekte Fest gewinnen. Genießt das Adventslicht. Es strahlt euch an, ohne, dass ihr etwas dafür tun müsst. Und es beleuchtet warm und hell, alles, was ihr auf dem Herzen habt.“

So ein Licht, so ein Leuchten kann kein Mensch erzeugen. Bald schon wird es aber von einem kleinen Kind ausgehen, das in einem armseligen Stall geboren wird. Es wird etwas ganz Besonderes sein. Das Licht, das aus diesem Stall und von diesem Kind ausgeht, kann ich nur versuchen zu spiegeln.

Dabei komme ich mir so vor, wie ein kaputter Reflektor, der aus der Halterung gefallen ist. Ein Splitter, der mal zu einem Ganzen gehört hat. Aber der auch auf dem schmutzigsten Asphalt noch kräftig blinken und blitzen kann, wenn ein Lichtstrahl ihn trifft. Das Licht aus dem armseligen Stall, das Licht des kleinen Kindes trifft mich mitten in mein manchmal ganz schön schweres Herz. Das Licht verändert mich.

 

So leuchtet unser Glaubenslicht, sagt Paulus. In unperfekten Menschen! Können wir es annehmen? Hat sein Bild vom Licht genug Kraft für die Zukunft?

Das frage ich mich, wenn ich zum Beispiel an die Jugendlichen von Fridays for future auch in unserer Stadt denke. Sie mahnen uns ja zurecht, ihre Zukunft nicht zu verspielen und das Klima unserer Erde nicht weiterhin so gedankenlos aufzuheizen.

Vielleicht würde sich Paulus heute unter sie mischen. Mit seinem Pappschild: „Die Nacht ist vorgerückt!“ würde draufstehen. Und dann noch dick unterstrichen drunter: „Lasst uns gemeinsam ablegen die Werke der Finsternis!“

Das Licht, auf das er hinweist, scheint barmherzig. Es ist das Licht, das von der Liebe Gottes ausgeht. Solche Liebe tut dem Nächsten nichts Böses, sagt er.

Wenigstens das versucht die Liebe also: Sie will mich dazu bringen, das Mögliche zu erreichen. Und das Machbare in kleinen Schritten zu erreichen. Uns Mögliche zu erreichen. Wenn ich dieser Liebe der kleinen Schritte Raum lasse, dann ist das ein Versuch, gegen alles hoffnungslos Erscheinende anzugehen.

Sehr pragmatisch klingt das für mich, was Paulus zur Liebe meint. Aber auch hilfreich! Versuche, diese Liebe in kleinerer Münze zu leben. Ich frage mich, wird es mir gelingen, diese Liebe, diese kleinen Liebesdinge in meinen Alltag zu tragen?

 

Lasst uns die Waffen des Lichtes anlegen, sagt Paulus.

Das widerspricht sich doch: Waffen und Licht. Schließlich sollen Waffen ja töten. Paulus aber meint ja wohl Waffen ganz anderer Art.

Mit ihnen vergießt man kein Blut. Im Gegenteil: Sie können sogar entwaffnen, ohne zu drohen. Sie helfen heraus aus der Tretmühle von Hektik und Druck. Mit ihnen kann man ein befreiendes Lachen erzeugen.

Was könnte das sein? Ich überlege: Vielleicht gelingt es mir in diesen Tagen mal ein paar freundliche Worte mit den gestressten Paketboten zu wechseln. Ich könnte den Männern von der Müllabfuhr dafür Danke sagen, dass sie ihren Knochenjob bei Wind und Wetter tun. Ich könnte mit einem Fremden ins Gespräch zu kommen, der mir vielleicht auf den ersten Blick unheimlich vorkommt…. Vielleicht fällt Ihnen etwas ein, wohin Sie Ihr persönliches Adventslicht tragen könnten. Konkret! Es löst ja nicht alles. Aber im Kleinen leuchtet dann Großes auf.

So erging es mir übrigens vor einem Jahr. Davon will ich gerne erzählen. Im letzten Jahr besuchte ich einen etwas anderen Weihnachtsmarkt. Eine unserer Gemeinden richtet ihn jedes Jahr aus. Auf ihm gibt es einen Stand mit Geschenken, die höchstens 5 Euro kosten. Er ist eine Fundgrube für Menschen mit wenig Geld.

Ein etwa 8 – jähriger Junge zeigte mir stolz seine Ausbeute: einen gebrauchten Stoffigel für 1 Euro. „Den bekommt meine Schwester“, sagt er mir flüsternd und zeigt auf den Kinderwagen. Ein einjähriges Mädchen schläft friedlich darin. Dabei legt er den Finger auf seinen Mund. „Verrate ihr bloß nichts. Es ist eine Überraschung. Auch für Mama habe ich schon was.“

Und er zeigt mir unterm Tisch eine Postkartenbox, die er günstig erworben hat. Für ihn ist es viel. Und wieder der Finger. „Pst.“ – „Alles klar!“ sage ich. Seine Mutter sieht uns und muss lächeln. Sie wirkt auf mich so, dass sie für ihre Kinder nur wenig Geschenke im Kaufhaus kaufen kann. Und doch strahlt ihr Sohn, der sich riesig auf das Fest mit seiner kleinen Familie freut, gerade jetzt wo er reiche Beute gemacht hat. Darum stoßen wir beide mit einem Glas Limonade auf ein prächtiges Weihnachtsfest an.

Während wir trinken, bleibt für mich manche Frage offen. Zum Beispiel danach, wieviel es eigentlich braucht, um Glück zu erleben. Beantworten kann ich diese Frage nicht letztgültig. Über diesem besonderen Moment liegt aber ein vollkommener Glanz. Es ist der Glanz des Adventes. Er leuchtet auch im Ungelösten und Unfertigen auf und sagt mir mit Paulus Worten: „Mach dir keinen unnötigen Kummer.“ Und mit den Worten der eben erklungenen Hoffnungsballade: „Gott will im Dunkeln wohnen und hat es doch erhellt.“

Amen

 

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

29.08.2019
Peter Thomas Stuberg