Hohe Ansprüche?

Evangelischer Rundfunkgottesdienst

Bild: Gemeinde der Reformierten Kirche Windisch

Hohe Ansprüche?
Rundfunkgottesdienst aus der Reformierten Kirche Windisch
26.01.2020 - 10:05
03.01.2020
Peter Weigl-Schatzmann
Über die Sendung

Evangelisch-reformierter Rundfunkgottesdienst am 3. Sonntag nach Epiphanias, 26. Januar 2020 aus der Kirche Windisch / Schweiz live im Deutschlandfunk und SRF ab 10.05 Uhr

Salz der Erde, Licht der Welt: Mitten in der düsteren Zeit und der Ernüchterung nach den Festtagen erwischen die hohen Ansprüche aus der Bergpredigt Christen auf dem falschen Fuß – oder doch nicht?

Jesus verschärft die gängige Ethik in einigen Punkten. Wer ihm folgt, soll im Verhalten sichtbare und spürbare Akzente für die Gemeinschaft setzen. Wie kann Kirche dieser Spur folgen und Salz und Licht für die Welt sein? Der Gottesdienst gibt Impulse für das heutige Leben und inspiriert mit lebenssprühender Musik aus Barock und Klassik. Es predigt Pfarrer Peter Weigl, musikalisch wird der Gottesdienst gestaltet vom Barockensemble «Sthélios».

 

 

Gottesdienst nachhören

 

Den Gottesdienstmitschnitt finden Sie auch direkt unter http://www.deutschlandradio.de/audio-archiv.260.de.html?drau:broadcast_id=122

Predigt zum Nachlesen

Liebe Gemeinde! Wir schmecken es jeweils sofort: Da fehlt es an Salz! Der Teller kann noch so schön angerichtet sein, das Menu bunt und reichhaltig – aber wenn das Essen nicht gut abgeschmeckt ist, bleibt es fade. Salz springt nicht ins Auge, es drängt sich auch geschmacklich nicht auf. Aber es würzt, es akzentuiert und verstärkt erwünschte Geschmacksnoten. So unerlässlich Salz für gutes Essen ist, so dringend braucht die Erde glaubende Menschen. Dies hat Jesus in der Bergpredigt gesagt:

„Ihr seid das Salz der Erde. Wenn aber das Salz fade wird, womit soll man dann salzen? Es taugt zu nichts mehr, man wirft es weg und die Leute zertreten es.“

 

Salz ist nicht die Hauptsache – es dient dem Ganzen und macht Essen genießbar. Dazu ermächtigt Jesus die Menschen, die ihm zuhören: Ihr seid das Salz der Erde. Ihr macht die Erde zu einem Ort, wo mit der nötigen Würze miteinander umgegangen wird. Seid wahrhaftig zueinander und zu eurer Umwelt. Zeigt Konturen, bringt Wesentliches hervor. Seid nicht geschmacklos, sondern profiliert. Und ja, nicht alle mögen es kräftig gewürzt, manche wird es auch brennen. Offenbar ist dies nicht selbstverständlich, es klingt wie eine Drohung: Seht zu, dass ihr salzig genug bleibt, sonst seid ihr unnütz. – Kann Salz fade werden? Chemisch bleibt Salz stabil, es kann allenfalls feucht werden und verklumpen, aber geschmacklich ändert sich nichts. Man hat darauf hingewiesen, dass Salz vom Toten Meer nur zu etwa einem Drittel aus Kochsalz besteht und sich daher unter Umständen der Geschmack verändern kann. Vielleicht will Jesus seine Hörerinnen und Hörer aber auch bewusst irritieren: Das unerwartete Bildpaar „Salz“ und „Erde“ wirkt ja nicht gerade naheliegend: Vielleicht hat Jesus eine unmögliche Möglichkeit entworfen, einen Stolperstein ausgelegt, der in eine Entscheidung ruft: Genauso wie Salz seinen Geschmack nicht verliert, könnt ihr gar nicht anders, als Salz für die Erde zu sein. Da beginnt die Metapher, ihren Geschmack zu entfalten: Denn wir wissen ja, dass wir durchaus anders können. Dass wir uns nobel auf die Meinungsfreiheit berufen, wo ein Bekenntnis gefordert wäre. Dass wir uns feige

wegducken, wo Widerstand gegen eine Ungerechtigkeit geboten ist. Dass wir cool zur Seite treten, weil es ja auch um unseren Lebensstil und unsere Privatsphäre geht. Salz zu sein, hat etwas Verbindliches, bedeutet als Minderheit ein größeres Gemenge zu durchdringen und zu würzen – und in Glaubensfragen ist das plötzlich mehr als eine Geschmackssache. Sören Kierkegaard hat diesen hohen Anspruch seiner Kirche im 19. Jahrhundert zugerufen:

„Salz, Salz her! Denn die Christenheit ist eine Fäulnis des Christentums! Eine christliche Welt ist der Abfall vom Christentum.“

 

Wo die Christen sich gemütlich in der Welt einrichten und davon ausgehen, ihre bürgerliche Behaglichkeit komme dem Reich Gottes schon ganz nahe, da sind sie eher Öl im Getriebe als Salz der Erde. Salz tritt nicht in Gegensatz zur Nahrung, die es würzt – aber es agiert nicht blind in einem bestehenden System mit. Salz legitimiert nicht ungenießbare Kochkunst – es bringt an den Tag, wo nachgebessert werden muss.

Dabei sind wir Glaubenden nicht die Hauptsache – wir dienen dem Ganzen und machen die Welt zu einem Ort, an dem alle genießen können sollen; – und darüber hinaus: Wir tragen bei zu einem Ort, an dem alle satt werden sollen. Denn wenn wir als Salz für die Erde angesprochen werden, geht es um mehr als meine eigene Suppenschüssel. Der Zuspruch Jesu trifft noch heute. Bitten wir Gottes Geist um Kraft, Salz für die Erde zu sein und es immer aufs Neue zu werden:

„Kyrie, Gott heiliger Geist, tröst, stärk uns im Glauben allermeist!“ Wir hören eine Vertonung von Johann Sebastian Bach.

 

 

„Ihr seid das Licht der Welt. Eine Stadt, die oben auf einem Berg liegt, kann nicht verborgen bleiben. Man zündet auch nicht ein Licht an und stellt es unter den Scheffel, sondern auf den Leuchter; dann leuchtet es allen im Haus“.

Wie das Salz ist auch das Licht nicht für sich selbst da. Spannend ist nicht das Licht selbst, sondern was es sichtbar macht. Und auch da geht es um Konturen, Können, Kunst: Eine gekonnte Lichtregie taucht nicht alles in gleich gleißendes Baustellenlicht und dunkelt auch nicht alles ab, sondern hebt das eine hervor und lässt anderes zurücktreten. Begleitet von Schauplatz zu Schauplatz, lässt es Abend und wieder Morgen werden, hilft uns hingucken und lässt uns ein Licht aufgehen.

In der Bergpredigt fällt das Licht zuerst auf die Menschen, die Jesus zuhören: Er nennt verschiedene Menschen und Gruppen „selig“, preist sie glücklich auf eine paradoxe Weise und beleuchtet ihre Eigenschaften neu. Die Armen im Geist erscheinen in ganz neuem Licht: Ihnen gehört das Himmelreich.

Hören Sie neu hin, liebe Gemeinde, vielleicht entdecken Sie sich bei den einen oder anderen, die da selig gepriesen werden:

 

„Selig die Armen im Geist – ihnen gehört das Himmelreich. Selig die Trauernden – Sie werden getröstet werden. Selig die Gewaltlosen – sie werden das Land erben. Selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit – sie werden gesättigt werden. Selig die Barmherzigen – sie werden Barmherzigkeit erlangen. Selig, die reinen Herzens sind – sie werden Gott schauen. Selig, die Frieden stiften – sie werden Söhne und Töchter Gottes genannt werden. Selig, die verfolgt sind um der Gerechtigkeit willen – ihnen gehört das Himmelreich. Selig seid ihr, wenn sie euch schmähen und verfolgen und euch das Ärgste nachsagen um meinetwillen und dabei lügen. Freut euch und frohlockt, denn euer Lohn im Himmel ist groß. Denn so haben sie auch die Propheten verfolgt“.

 

Wir sind das Licht der Welt, wir, die vor Gott mit leeren Händen dastehen, wir Trauernden, wir, die wir Frieden stiften. Wie eine Stadt auf dem Berg können wir nicht verborgen bleiben, wenn wir Gewalt nicht mit Gegengewalt vergelten, wenn wir beharrlich nach Gottes Gerechtigkeit suchen in der Welt. Und die Verheißung gilt, dass nicht wir selbst dabei groß aufleuchten, sondern dass dem einen und der anderen um uns herum ein Licht aufgeht. Wer sich von den Seligpreisungen ansprechen lässt, gerät in Bewegung. Wer diese Worte für sich in Anspruch nimmt, macht sich auf und wird Licht. Die Bergpredigt verspricht niemandem einen leichten Weg, im Gegenteil. Jesus von Nazareth ist uns auf diesen Weg vorausgegangen. Es wurde kein Spaziergang, es sind wechselnde Pfade, mit Schatten und Licht – und Jesus ist auch noch in der Dunkelheit mit seinem Leben für dieses Licht eingestanden. – Wenn die Trauernden und die Verfolgten selig gepriesen werden, gilt ihnen die Verheißung, auch auf den dunklen Strecken nicht allein zu bleiben; allen, die sich auf diesen Weg machen, ist aufgetragen: Ihr seid das Licht der Welt – leuchtet den Menschen und einander, bringt Gottes Licht dorthin, wo Menschen leiden und wo sie feiern.

 

Wir hören auf ein Stück Musik von Antonio Vivaldi. Es ist eine Vertonung des Glaubensbekenntnisses, die Verse, die von der Kreuzigung, vom Tod und vom Begräbnis Jesu berichten.

 

 

Jesus erwartet viel von seinen Begleiterinnen und Zuhörern. Und er überbietet dabei die gängige Ethik – es geht ihm um die bessere Gerechtigkeit.

„So soll euer Licht leuchten vor den Menschen, damit sie eure guten Taten sehen und euren Vater im Himmel preisen“.

 

Wie zeigt sich diese bessere Gerechtigkeit? Worauf richtet sie ihr Licht? Zuerst unterstreicht Jesus das Gesetz und die Propheten: Nicht um sie aufzulösen, ist er gekommen, sondern um sie zu erfüllen. Und dann überbietet er die gängige Praxis radikal: In Konflikten und bei Totschlag, im Rechtsverhältnis der Geschlechter zueinander, in Fragen der Vergeltung geht es ihm um eine ganz andere Haltung: Die Nachfolgerinnen und Anhänger Jesu sollen sich nicht um ihre Gerechtigkeit sorgen, sondern um das Ganze, um Gottes Reich und seine alles umfassende Gerechtigkeit. Dabei führt der Blick weg vom eigenen Schmerz und Rechtsanspruch; das Gegenüber erscheint in neuem Licht. Den Gipfel dieser Gesetzesauslegung bildet die Aufforderung, nicht nur Freunde, sondern auch Feinde zu lieben – da ist nicht nur Salz, sondern auch jede Menge Pfeffer drin. Wem soll das denn, bitte schön, gelingen?! Dieser Anspruch klingt alles andere als menschenmöglich. Das Ziel all dieser Bemühungen ist aber auch hier nicht, als bessere Menschen dazustehen, sondern auf Gottes Liebe zu antworten: im Gotteslob. Beeindruckt von den guten Taten der Glaubenden werden die Außenstehenden dazu verführt, in den Jubel und die Freude über diesen Gott einzustimmen: Einen Gott, dem offenbar die Verfolgten, die Friedensstifter, die Trauernden so wichtig sind, dass er sich ihnen besonders zuwendet. Und einen Gott, der uns zutraut, mit unserer kleinen Kraft zu suchen, was Frieden schafft, was der Gerechtigkeit dient, was zur Bewahrung der Schöpfung beiträgt.

Da nehmen Menschen freiwillig Verschärfungen des gängigen Rechts auf sich, um dem Leben selbst zu dienen, um das Zusammenleben freundschaftlicher zu gestalten, um letztlich Gottes Liebe zu den Menschen und der Welt zu feiern. Noch einmal Sören Kierkegaard:

 

„Die Christen leben wie Gänse auf einem Hof. An jedem siebten Tag wird eine Parade abgehalten, und der beredsamste Gänserich steht auf dem Zaun und schnattert über das Wunder der Gänse, erzählt von den Taten der Vorfahren, die einst zu fliegen wagten und lobt die Barmherzigkeit des Schöpfers, der den Gänsen Flügel und den Instinkt zum Fliegen gab. Die Gänse sind tief gerührt, senken in Ergriffenheit die Köpfe und loben die Predigt und den beredten Gänserich. Aber das ist auch alles. Eines tun sie nicht – sie fliegen nicht; sie gehen zu ihrem Mittagsmahl. Sie fliegen nicht, denn das Korn ist gut und der Hof ist sicher“.

 

Salz der Erde, Licht der Welt zu sein, ist nicht umsonst zu haben, es erfordert Engagement. Themen und Mitmenschen, denen diese Art von tätigem Gottesdienst zugute kommen kann, gibt es reichlich. Und schön, wenn viele und auch junge Menschen mit großem Ernst nachhaltige Lebensweisen für sich entdeckt haben. Sozialem und umweltbewusstem Engagement muss kein moralisches Besserwissertum anhaften – der besseren Gerechtigkeit von Jesus ja auch nicht: Das Licht auf die richtige Stelle gerichtet, ist genug; die nötige Dosis Salz und Pfeffer machen deutlich, wo Umkehr und neue Anfänge nötig sind.

Dann breiten sich die Flügel wie von selbst aus – und es ist uns verheißen, dass wir getragen bleiben, auch im rauen Wind.

Das neue Jahr ist noch jung – mit welcher Stimmung haben Sie es begonnen? Und wovon geraten Sie in Schwingung? Gibt es ein Stück jener besseren Gerechtigkeit, die bei Ihnen Resonanz auslöst? Sie gar stimuliert, selber Salz oder Licht in sich zu entdecken aus Freude am Leben?

Wir hören ein Stück Musik von Wolfgang Amadeus Mozart. Es ist ein Gotteslob aus dem Gloria seiner grossen c-moll-Messe. Lassen wir uns inspirieren davon – und wer weiß, vielleicht begleitet Sie diese Musik weiter in den kommenden Tagen, und lässt Sie innerlich immer wieder einmal einstimmen ins Lob. Und ganz gezielt an neuen Orten fröhlich salzen und leuchten. Halleluja!

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

03.01.2020
Peter Weigl-Schatzmann