Im Verborgenen

Evangelischer Rundfunkgottesdienst

Foto Britta Scherfer

Protestantische Apostelkirche Kaiserslautern, Foto: Britta Scherfer

Im Verborgenen
Rundfunkgottesdienst aus der protestantischen Apostelkirche Kaiserslautern
22.09.2019 - 10:05
18.07.2019
Pfarrer Peter Annweiler
Über die Sendung

Evangelischer Rundfunkgottesdienst am Sonntag, 22. September 2019 aus der protestantischen Apostelkirche Kaiserslautern live im Deutschlandfunk um 10.05 Uhr

 

Telefonseelsorge wirkt im Verborgenen. Was Menschen tief im Inneren bewegt und bekümmert – das hören deutschlandweit 8.000 ehrenamtliche Mitarbeitende in 105 Telefonseelsorgestellen. Im Schutz des Seelsorgegeheimnisses helfen sie Ratsuchenden, eine andere Sicht auf ihr Leben zu bekommen.

Was im Verborgenen geschieht – Leidvolles und Heilsames – steht im Mittelpunkt dieses Gottesdienstes. Es geht darum, wie Gott auch das Unerhörte hört und Menschen sich durch Zuhören geborgen fühlen können. Mitarbeitende der Telefonseelsorge kommen mit ihren Erfahrungen im Gottesdienst zu Wort. Die Telefonseelsorge Pfalz ist eine Einrichtung der Evangelischen und Katholischen Kirche. Sie feiert mit diesem Gottesdienst ihr 40jähriges Bestehen. Durch den Gottesdienst führt Pfarrer Peter Annweiler. Er hält auch die Predigt.

Musikalisch wird der Gottesdienst gestaltet von Prof. Stefan Viegelahn an der Steinmeyer-Orgel und Claudia Botzner am Saxophon.

 

Die Telefonseelsorge ist deutschlandweit rund um die Uhr unter den Nummern

0800 111 0 111 oder

0800 111 0 222

zu erreichen.

 

Folgende Lieder werden im Gottesdienst gesungen:

„Er weckt mich alle Morgen“ EG 452, 1+2+5

„Da wohnt ein Sehnen tief in uns“ (1+2)

Refrain: Da wohnt ein Sehnen tief in uns, o Gott, nach dir, dich zu sehn, dir nah zu
sein. Es ist ein Sehnen, ist ein Durst nach Glück, nach Liebe, wie nur du sie gibst.

1. Um Frieden, um Freiheit, um Hoffnung bitten wir. In Sorge, im Schmerz –
sei da, sei uns nahe, Gott.

2. Um Einsicht, Beherztheit, um Beistand bitten wir. In Ohnmacht, in Furcht –
sei da, sei uns nahe, Gott.

 

„Wer nur den lieben Gott lässt walten“ EG 369, 1+2+6

„Vertraut den neuen Wegen“ EG 395, 1-3

„Bewahre uns Gott“ EG 171, 1

„Bewahre uns Gott“ EG 171, 2-4

 

 

Gottesdienst nachhören

 

Den Gottesdienstmitschnitt finden Sie auch direkt unter: Gottesdienst im DLF

 

 

 
Predigt zum Nachlesen
 

Liebe Gemeinde, liebe Hörerinnen und Hörer!

 

„Im Dunkeln lässt sich gut munkeln.“ weiß das Sprichwort. Es lässt anklingen, wie Menschen im Verborgenen andere quälen können. Im Verborgenen können Menschen andere sogar auslöschen, seelisch oder physisch.

Oft bleibt auch das damit verbundene Leid verborgen, verlagert und verdrängt. Es wird „tot geschwiegen“.

Bei Opfern von sexualisierter Gewalt ist dieses Tabu besonders stark. Wie bei der Anruferin der Telefonseelsorge: Plötzlich – haben wir vorhin gehört – sind bei einem Familienfest all die schlimmen Erfahrungen mit ihrem Onkel Ralf wieder da: Sie war dreizehn – da hat er sie auf seinen Schoß geholt und überall berührt.

„Das bleibt unser Geheimnis!“ mag er immer wieder gesagt haben. Und als sie sich dann traut, ihrer Mutter doch davon zu erzählen, hat die ihr nicht geglaubt.

Seitdem sind fast 20 Jahre vergangen.

Seitdem viel Scham und Schmerz im Verborgenen.

 

Seitdem ein gebrochenes Vertrauen in sich selbst und in andere.

Vor allem für die Täter gibt es Gründe, das alles im Verborgenen zu lassen. So gehören sie weiter auf die Seite der Starken und Unangetasteten. So können sie ungestört weiter machen, andere demütigen und schädigen.

Manchmal gibt es noch nicht mal ein Schuldbewusstsein für die Untaten.

 

Wenn ich das vor Augen habe, bin ich empört. Da bin ich ganz dabei, Leid und Unrecht schonungslos aufzudecken. Da gefällt mir Jesu Aufruf an seine Jünger, das Verborgene radikal zu enthüllen.

„Es ist nichts verborgen, was nicht offenbar wird und nichts geheim, was man nicht wissen wird. Was ich euch sage in der Finsternis, das redet im Licht.

Und was euch gesagt wird in das Ohr, das verkündigt auf den Dächern. Und fürchtet Euch nicht vor denen, die den Leib töten, doch die Seele nicht töten können.“

 

Kräftig und verheißungsvoll stellt da einer ein radikales „Enthüllungs“programm vor: Was sonst im Verborgenen liegt, soll ans Licht kommen. Was sonst zum Schweigen gebracht wurde, soll zum Himmel schreien.

Es klingt in meinen Ohren wie ein Appell, bisher Verborgenes in den sozialen Medien auszubreiten: Nichts bleibt da geheim – und was einmal gepostet ist, kann sich rasend schnell verbreiten. So haben Frauen unter dem Hashtag „Me Too! – Mir auch!“ vor einiger Zeit sexuelle Übergriffe in der Filmbranche ans Licht der Öffentlichkeit gebracht und damit eine große Debatte ausgelöst.

In dieser Perspektive gilt: Nichts soll verborgen bleiben. Alle sollen – auch im Blick auf kirchliche Missbrauchsfälle – wissen, welches Unrecht geschehen ist und wie das Kartell des Schweigens funktioniert.

 

„Gut so!“ denke ich und bin mir auch sicher: Jesus liegt in seinem Aufruf nicht einfach daran, ein grelles Scheinwerferlicht einzuschalten, um alles Verborgene anzustrahlen oder gar unsere Privat- und Intimsphäre auszuleuchten. Es widerspricht in meinen Augen auch seiner Botschaft, Menschen an den Pranger zu stellen, um sich darüber zu erheben.

 

Jesus baut seine Worte eher darauf auf, dass Gott auch in die verborgenen und leidvollen Winkel des Lebens blickt. In Ecken, in denen Menschen gequält und gedemütigt werden. Gott zerrt Menschen nichts ans Licht, um sie zu demütigen. Gott bringt Licht in die Dunkelheit. Ein Impuls der liebevollen Gerechtigkeit liegt hinter dem „Enthüllungsprogramm“ Jesu: „Auch wenn Du viel durchgemacht hast – Du bist nicht übersehen und vergessen!“

 

Wenn Gott sieht, was oft verborgen bleibt – meine heimliche Traurigkeit, meine bohrenden Zweifel, mein Schmerz über längst Vergangenes, meine Wut über die Ungerechtigkeit– das tröstet. Es tröstet ohne das Schwere und das Schmerzliche wegzuwischen mit einer Hochglanz-Vertröstung: „Wird schon wieder!“. Es tröstet, weil Jesus den klaren Blick darauf behält, dass die dunklen Seiten auch zum Leben gehören.

Mit diesem Blick – oder besser: mit diesem Ohr – hören die Mitarbeitenden der Telefonseelsorge Ratsuchenden zu.

Oft ist das schon ganz großer Trost. Denn das Verborgene wird von einem anderen gesehen – und oft fühlt sich jemand allein dadurch schon geborgen.

 

 

Viel Leid liegt im Verborgenen, viel Empörendes, viel Ungerechtigkeit. Im Verborgenen kann aber auch etwas reifen: Nämlich dann, wenn es leise gelingt, Mut zu machen. Wenn eine neue Perspektive in der Krankheit, in der Trennung oder in der Trauer auftaucht.

Solche „kleinen Wunder“ ermöglichen die ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Telefonseelsorge Tag für Tag und Nacht für Nacht. Sie tragen dazu bei, dass im Verborgenen auch Heilsames geschieht.

Es sind immer nur einmalige Begegnungen, keine langfristigen Therapien. Und gerade deshalb staune ich, wie tief Seelsorge wirken kann: Mein Gegenüber fühlt sich gesehen und hat sich eine Last von der Seele geredet. Ein Mensch fühlt sich wieder kostbar und wertvoll.

 

Es ist als, ob in diesem Raum etwas aufscheint, was Jesus seinen Jüngern mitgibt:

„Verkauft man nicht zwei Sperlinge für einen Groschen? Dennoch fällt keiner von ihnen auf die Erde ohne euren Vater. Bei euch aber sind sogar die Haare auf dem Haupt alle gezählt. Darum fürchtet euch nicht; ihr seid kostbarer als viele Sperlinge.“

Jesus zeichnet starke Bilder. Vielleicht sind sie „überzeichnet“. Aber eines steht für mich fest: Sie stellen den unfassbar großen Wert eines Menschenlebens heraus. –

Allein aus mir heraus traue ich mich oft nicht, so stark zu reden. Ich finde es gewagt, davon zu sprechen, dass kein Spatz umkommt, ohne dass Gott dabei ist oder dass alle meine Haare von Gott gezählt sind.

Europa zeigt etwa gegenüber Tausenden von Geflüchteten die kalte Schulter, wenn die heimat- und hafenlos auf dem Mittelmeer treiben. Da frage ich mich, wie man ihnen glaubwürdig sagen kann: ‚Ihr seid mehr wert als viele Spatzen.’ Hat Gott auch ihre Haare gezählt?

 

Nun ist der Satz von den Spatzen und den Haaren aber in der Bibel so aufgeschrieben – und ich will beides: Ich will mich von ihm irritieren und anregen lassen.

Jesus ist ja bekannt für seine krassen Bilder. Mit ihnen zeichnet er andere Möglichkeiten in die Welt. Er malt Heilsames in mein Leben: Denn er ermutigt in allen Furcht einflößenden, verletzenden und kränkenden Erfahrungen auch zu einem anderen Leben:

Ein Leben,

in dem Verletzlichkeit eine Chance ist,

in dem Armut keine Schande ist,

in dem Beeinträchtigung eine Begabung ist.

 

Gottes Liebe zeigt sich in seinem klaren Blick für das Verwundbare, das Kleinste und Unscheinbarste: Zwei Spatzen am Himmel. Oder die Haare auf meinem Haupt.

Keine Faser meines Körpers ist wertlos.

Kein Teil meines Lebens ist von Gott vergessen.

 

Der Blick ins Verborgene eines Menschenlebens in der Seelsorge spiegelt wider, wie kostbar und einmalig Gott jeden Menschen geschaffen hat. Er schult mich neu in der Ehrfurcht vor dem Leben, wenn ich entdecke: Menschen werden stark und schön – manchmal gerade, wenn sie für andere verletzt und schwach wirken.

Dieser Blick ins Verborgene schenkt mir ganz leise Worte:

„Ich staune, wie Sie das alles ausgehalten haben.“

„Wie viel Mut Sie in ihrer Verzweiflung haben, jetzt alles auf eine Karte zu setzen!“

Leise Worte – gesagt als Flüsterpost der Seelsorge.

Diese leisen Mutworte wachsen

zwischen Erfahrung und Gottvertrauen, zwischen Glauben und Zweifeln,

zwischen Verzweiflung und Ermutigung.

Behutsamer Zuspruch, Balsam für die Seele:

„Fürchtet euch nicht – ihr seid kostbarer als viele Sperlinge!“ sagt Jesus.

Und obwohl es so viele Gründe gibt, sich zu fürchten,

sind das die wichtigsten Worte der Welt.

Sie machen stark.

Sie hebeln die Welt aus den Angeln.

Sie zeigen neue Wege aus dem Verborgenen.

Diese Botschaft ist mehr als „Flüsterpost“.

Von ihr soll laut und heilsam auf den Straßen und Dächern geredet werden. So, dass es alle Welt hören kann.

Amen.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

18.07.2019
Pfarrer Peter Annweiler