Nahe den gebrochenen Herzen

St. Magdalena in Kempten

Ralf Lienert

Nahe den gebrochenen Herzen
Alt-Katholischer Rundfunkgottesdienst aus der Gemeinde Maria von Magdala in Kempten
22.08.2021 - 10:05
Über die Sendung

Mitwirkende: 

PredigerIn

Pfarrer Sebastian Watzek

LiturgIn

Pfarrer Sebastian Watzek

 

 

 

 

Musikalische

Leitung

Roland Tschugg

Orgel

Florian Putner

Mitwirkende

Band "Sotér": Sebastian Jung (Gesang, Keyboard), Daniela Lutzenberger (Gesang, evtl. Gitarre), Ruben Hefele (Cello), Klara Schöllhorn (Flöte), Alisa Ramona Böck (Gesang), Lukas Tschugg (Gitarre, Cajon), Roland Tschugg (Gesang, Gitarre), Maria Köpf (Trompete)

 

Lektoren: Christian Kosak, Marieluise Gabler, Michael Hofer, Hans Bauer, Claus Fischer

 

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Predigt zum Nachlesen

Ich finde die Bibel faszinierend. Sie nimmt das Leben ernst. Höhen und Tiefen, Brüche und Veränderungen im Leben kommen darin vor. Nichts wird verschwiegen oder schöngeredet. Alles hat seinen Platz. Es darf da sein, erzählt werden.

 

So wie die Hintergrundgeschichte zu Psalm 34. Wir haben die Psalmworte gerade gehört, zusammen mit persönlichen Berichten aus unserer Gemeinde. In den beiden Büchern des Propheten Samuel wird berichtet, dass die Situation zwischen David und seinem Schwiegervater, König Saul, spannungsreich und belastet gewesen ist. David muss wiederholt vor seinem eigenen Schwiegervater fliehen. Einmal bleibt ihm keine andere Wahl, als bei den Philistern, den Feinden seines eigenen Volkes, Zuflucht zu suchen! Und er findet keinen besseren Aufenthalt als im Palast des Königs Achisch. Seiner misslichen Lage ist sich David vollauf bewusst, dort kann er nicht bleiben, mitten unter den Feinden. Den Bruder von König Achisch, Goliath, hatte David ja als junger Mann getötet. Da kommt ihm eine Idee:

Er führt sich im Palast seiner Feinde auf wie ein Verrückter, er lässt Speichel in seinen Bart tropfen und schreibt an die Türen: „Achisch, König von Gath, schuldet mir einhundert Goldmünzen“. Dies führt dazu, dass der Philisterkönig ihn kurzerhand aus dem Palast werfen lässt.

 

Nach seiner so geglückten Rettung stimmt David seinen Psalm an: „Ich will den Herrn allezeit preisen; /immer sei sein Lob in meinem Mund.“

 

Wer aufmerksam die Bibel liest, wird merken, dass David in den Psalmen anders beschrieben wird als in den Samuelbüchern. Dort wirkt er eher als ein starker orientalischer Herrscher. Er ist ein absolutes Vorbild und trägt den Hoheitstitel „Knecht Gottes“. Ganz anders in den Psalmen: hier wird David als Verfolgter dargestellt, der schwach ist und Angst hat. Wenn ich auf die Pandemie blicke, erkenne ich diesen ratlosen und hilfesuchenden David in so vielen Gesichtern und Schicksalen: In bis zur Erschöpfung arbeitenden Ärzten und Ärztinnen, Krankenschwestern – und pflegern auf Coronaintensiv-stationen. All diejenigen Menschen, die unter Aufbietung aller Kräfte den Laden am Laufen gehalten haben. Kinder und Jugendliche, für die und für deren Familien die Isolation und das Homeschooling, das Verbot, Freunde und Freundinnen zu treffen, eine enorme Herausforderung darstellte. Und nicht zu schweigen von denen, die daheim unter familiärer Gewalt leiden, die fernab der Öffentlichkeit hinter geschlossenen Türen passiert.   

 

Wie können wir mit solchen Extremsituationen und -schicksalen umgehen? Der 34. Psalm gibt eine Orientierung. Bei allem Lob und Dank nach der Errettung blendet er die schlimme Zeit davor nicht aus. Viele Helfer*innen in den von den Flutkatastrophen betroffenen Gebieten haben davon berichtet, wie viele Menschen dort am Tag danach erst einmal unter Schock standen. Sie funktionierten, nahmen die Schaufel in die Hand, räumten den Müll weg. Erst später kommen die ganzen Gefühle wie Trauer, Angst um die eigene Existenz. Fragen, wie alles weitergehen soll — oder ob es überhaupt weitergehen kann. Und hier ist genauso viel Hilfe und Unterstützung entscheidend wie bei den Aufräumarbeiten. David, der Verfolgte, hat auch nicht gleich auf jedes Problem eine Antwort parat. Der erste Schritt, ein gebrochenes Herz zu heilen, besteht darin, das Gebrochene zu sehen und anzunehmen. Auch wenn es enorm weh tut — wie bei den vielen Menschen, die tatenlos mitansehen mussten, wie die Wassermassen vor ihren Augen ihr Hab und Gut mit sich gerissen haben.

 

 

Wir können das Leben nicht kontrollieren. Das ist eine wichtige geistliche Lektion! David hat sie mehrmals lernen müssen — im Konflikt mit seinem Schwiegervater König Saul, in vielen Kämpfen und Schlachten — sogar später mit seinem eigenen Sohn Abschalom. David gibt aber nicht nur seinen tiefsten Gefühlen Ausdruck. Er sucht dabei bewusst die Nähe Gottes. Das ist ein entscheidender Schritt! Wie oft fressen Menschen so viele Probleme in sich hinein, denken, immer stark sein zu müssen. Hier kommen mir die Sprüche in den Sinn, die Generationen immer wieder hören mussten und noch müssen: „Das wird schon. Wir hatten es früher noch viel schlimmer!“, „Nimm Dich nicht so wichtig!“, „Da muss man halt mal die Zähne zusammenbeißen!“.

 

Solche Sätze zerstören viel mehr als dass sie einem Menschen in Not — oder auch nur in den kleinen oder größeren Problemen des Alltags— helfen können.

Manchmal ist auch die Rolle als Opfer ein Problem. Dann, wenn Betroffene sich allzu sehr nur noch als Opfer sehen. Wenn immer die anderen oder die Umstände daran schuld sind, wie schlecht es mir geht. Da heraus zu kommen tut weh und ist schwer. Aber nur Opfer zu sein - davon wird ein gebrochenes Herz nicht heil. Wut, Enttäuschung, Frust, Zorn können so weiter wuchern.

 

Gebrochene Herzen brauchen vor allem Aufmerksamkeit und Zuwendung. Genau deswegen lässt David alle seine Gefühle zu und stellt sie bewusst in die Gegenwart Gottes. Eine Gegenwart, die alles umfasst und umschließt. David tut das als glaubender Mensch im Angesicht Gottes. Und das kann ich mir auch heute gut vorstellen: Mich in Gottes Gegenwart stellen, in der Stille im Gebet, in der Annahme von Hilfe durch andere, durch ein aufmunterndes Wort oder einen liebevollen Blick. Schmerz, Gewalt, Leid, Verletzungen werden dadurch nicht heruntergespielt. Aber es wird ihnen die Macht genommen, alles nur schwarz und dunkel zu machen. Und auch, wenn sich noch keine Lösungsvorschläge abzeichnen sollten – in Gottes Gegenwart bin ich nicht allein, ist der erste Schritt einer Heilung getan.

Manchmal bleibt Gottes Gegenwart ein Geheimnis und will entdeckt werden. Jesus umschreibt die Gegenwart Gottes im heutigen Evangelium mit Geistkraft und Leben. Und sie lässt sich entdecken – in der Flasche Wasser  , die ein Helfer im Katastrophengebiet dem reicht, der alles verloren hat. Im Rettungsring, der einem Ertrinkenden zugeworfen wird. Der Spende, die in Afrika Schulbildung ermöglicht. Und dem Gebet, dass wir für unsere Schwestern und Brüder in Not sprechen.

 

Egal, was wir an freudigen Ereignissen oder an Schwierigkeiten, an Höhen und Tiefen unseres Alltags durchmachen und erleben — alles spielt sich in der Gegenwart Gottes ab.

 

Wir können wie David dem Leben trauen, weil wir es nicht allein leben müssen. Gott ist immer da. Unser Leben liegt in seinen Händen.

Und so können wir mit David voller Zuversicht und Hoffnung sprechen: „Nahe ist der Herr den gebrochenen Herzen“. Amen.

 

Es gilt das gesprochene Wort.