Neues Leben in alten Mauern

Rundfunkgottesdienst aus der Klosterkirche Maulbronn
Neues Leben in alten Mauern
Rundfunkgottesdienst aus der Klosterkirche Maulbronn
28.07.2019 - 10:05
13.06.2019
Christine von Wagner
Über die Sendung

Evangelischer Rundfunkgottesdienst am Sonntag, 28. Juli 2019 aus der Klosterkirche Maulbronn live im Deutschlandfunk ab 10.05 Uhr


Über 800 Jahre alt ist die Klosterkirche in Maulbronn, aus der am Sonntag, dem 28.7., im Deutschlandfunk der evangelische Gottesdienst übertragen wird. Seit Anfang der 90er Jahre ist dieses Kloster Weltkulturerbe. Es gilt als die am besten erhaltene mittelalterliche Klosteranlage nördlich der Alpen. Maulbronn liegt zwischen Stuttgart und Pforzheim.

Seit der Reformation beherbergt die alte Anlage ein evangelisches Gymnasium. Bis heute bringen Schüler und Schülerinnen Jahr für Jahr neues Leben in die alten Mauern.

Genau das ist das Thema des Gottesdienstes, den Pfarrerin Christine von Wagner mit ihrem Team gestaltet. Im Anschluss an den Predigttext aus dem 1. Petrusbrief unterstreicht sie: Glaube kann lebendig machen. Er kann Menschen als „lebendige Steine“ zu einem Haus zusammenfügen, in dem viele Geborgenheit und Gemeinschaft finden.

Für die Musik im Gottesdienst sorgt Thorsten Hülsemann an der Orgel. Er leitet auch die Klosterkantorei und das Orchester. Unter anderem werden „Wer nur den lieben Gott lässt walten“ von Felix Mendelssohn-Bartholdy und „Lobe den Herren“ von Nicolas Clerambault zu hören sein.

 

Folgende Lieder werden im Gottesdienst gesungen:

"Du meine Seele singe", EG 302, Strophen 1, 2, 4

„Ich sage Ja“, Neuer Anhang zum Gesangbuch der Evang. Landeskirche in Baden + ´Wo wir dich loben, wachsen neue Lieder´, Nr. 158, Strophen 1-4

„Lobt Gott, den Herrn ihr Heiden all“, EG 293, Strophen 1+2

„Mögen sich die Wege“, Neuer Anhang zum Gesangbuch der Evang. Landeskirche in Baden + ´Wo wir dich loben, wachsen neue Lieder´, Nr. 71, Strophen 1+2

 

 

Gottesdienst nachhören

 

Den Gottesdienstmitschnitt finden Sie auch direkt unter http://www.deutschlandradio.de/audio-archiv.260.de.html?drau:broadcast_id=122

Predigt zum Nachlesen

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen! Amen

 

Steine sind nicht nur Zeichen der Erinnerung, Steine sind auch Orientierungszeichen.

 

Und so handelt der heutige Predigttext aus 1. Petrus 2,1-10 unter anderem von Ecksteinen und Steinen des Anstoßes, von lebendigen Steinen und dem nährenden Wort Gottes.

 

„So legt nun ab alle Bosheit und allen Betrug und Heuchelei und Neid und alle üble Nachrede und seid begierig nach der vernünftigen lauteren Milch wie die neugeborenen Kindlein, auf dass ihr durch sie wachset zum Heil, da ihr schon geschmeckt habt, dass der Herr freundlich ist. Zu ihm kommt als zu dem lebendigen Stein, der von den Menschen verworfen ist, aber bei Gott auserwählt und kostbar. Und auch ihr als lebendige Steine erbaut euch zum geistlichen Hause und zur heiligen Priesterschaft, zu opfern geistliche Opfer, die Gott wohlgefällig sind durch Jesus Christus. Darum steht in der Schrift (Jesaja 28,16): "Siehe, ich lege in Zion einen auserwählten, kostbaren Eckstein; und wer an ihn glaubt, der soll nicht zuschanden werden." Für euch nun, die ihr glaubt, ist er kostbar. Für die aber, die nicht glauben, ist er "der Stein, den die Bauleute verworfen haben; der ist zum Eckstein geworden" (Psalm 118,22) und "ein Stein des Anstoßes und ein Fels des Ärgernisses" (Jesaja 8,14). Sie stoßen sich an ihm, weil sie nicht an das Wort glauben, wozu sie auch bestimmt sind. Ihr aber seid ein auserwähltes Geschlecht, ein königliches Priestertum, ein heiliges Volk, ein Volk zum Eigentum, dass ihr verkündigen sollt die Wohltaten dessen, der euch berufen hat aus der Finsternis in sein wunderbares Licht; die ihr einst nicht sein Volk wart, nun aber Gottes Volk seid, und einst nicht in Gnaden wart, nun aber in Gnaden seid (Hosea 2,25).“

 

Lebendiger Stein und Eckstein, Stein des Anstoßes und kostbare Steine. Der Text spielt mit den unterschiedlichen Formen in denen uns Steine begegnen und mit den Gegensätzen, die darin enthalten sind. Und selbst das Wort Eckstein beinhaltet einen Gegensatz. Das griechische Wort, das dafür verwendet wird, hat bei uns im Deutschen zwei Bedeutungen: Es kann Eckstein bedeuten oder aber auch Schlussstein.

Ecksteine bilden mit den Grund eines Fundamentes und sie schützen eine besonders herausragende Hausecke.

 

Schlusssteine hingegen braucht man, wenn man ein Gewölbe bauen will. Schlusssteine halten ein Gewölbe erst zusammen, sie machen es stabil und tragfähig. Sie ermöglichen erst den Durchbruch, die Öffnung. Schlusssteine verbinden zwei Seiten und schenken ein Dach über dem Kopf. Oft sind sie reich verziert. Hier in der Klosterkirche finden sich auf den Schlusssteinen Einhorn und Pelikan, Adler und Panther, Hirsch und Engel, und natürlich das Lamm Gottes, Jesus Christus.

 

Was bedeutet es also, wenn im Petrusbrief hier von Jesus als Eckstein und Schlussstein die Rede ist?

Zunächst einmal: Jesus ist unser Fundament: Auf ihm steht unsere Kirche, auf ihm stehen wir als Gemeinschaft der Gläubigen. „Einen anderen Grund kann niemand legen als den, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus.“ schreibt Paulus im 1. Korintherbrief (1. Kor 3,11). Das haben uns die Reformatoren mit ihren „solus Christus“ – „allein Christus“ noch einmal eindrücklich ins Stammbuch geschrieben. Kirchen gründen sich auf Jesus Christus, auch wenn er selbst die Kirche nicht gegründet hat.

 

Jesus ist der Grund, das Fundament, auf das wir bauen und der Eckstein, der unsere Straßenseite schützt. Die Orientierung an Jesus gibt uns Sicherheit in den verwirrenden Situationen, die uns im Leben begegnen. Jesu Worte von der Feindesliebe zum Beispiel bewahren uns davor allzu schnell zu urteilen und seine Zuwendung zu den Fremden und Ausgeschlossenen hilft uns, einen Weg zu finden, wie wir Fremde und Ausgeschlossene aufnehmen können. Sein Umgang mit Gott prägt auch den unseren: Wie Jesus dürfen wir Gott Vater nennen, mit ihm reden und streiten, fragen und schweigen.

 

Als Schlussstein hingegen hält Jesus zusammen was zunächst keine Verbindung hat: zwei verschiedene Glaubensrichtungen, zwei Menschen, die ganz unterschiedliche Vorstellungen vom Leben haben, Kirchen, die ganz verschiedene Entwicklungen genommen haben. Wenn Jesus wie ein Schlussstein die beiden Seitensäulen eines Gewölbes oder die vier Kreuzrippen zusammenhält, dann kann er auch uns zusammenhalten, die wir oft mehr Trennendes sehen als Verbindendes. Dann kann er auch uns zusammenführen, die wir den anderen oft den rechten Glauben absprechen und das rechte Tun dazu. Dann können wir den anderen achten und respektieren, auch wenn wir seine Meinung nicht teilen. Dann kann Jesus uns zu Geschwistern werden lassen auch wenn unsere Auffassungen von Bibel und Glauben und Moral nicht in allen Punkten übereinstimmen. Wenn wir Jesus zugestehen, der Schlussstein zu sein, wird viel mehr möglich als wir uns vorzustellen wagen. Und ich denke, es tut uns als Kirche und als Gemeinde immer wieder gut uns auf diesen Schlussstein zu besinnen.

 

Kostbar – dreimal kommt das Wort vor im Text.

Kostbar bedeutet: prächtig, wertvoll, schwer zu haben.

Prächtig – auch wenn es uns auf den ersten Blick nicht so scheinen mag, aber Steine standen eigentlich schon immer für Pracht. Die Hütten der gewöhnlichen Menschen waren aus Holz und Lehm gebaut – die Paläste der Kaiser und Könige aus Stein. Wer etwas auf sich hielt trug und trägt nicht nur Tonperlen um den Hals sondern vor allem edle Steine.

Prächtig, auch das kennen wir gut, wenn wir geschliffenen Marmor betrachten etwa oder faszinierende Skulpturen. Und auch das „schwer zuhaben“ trifft zu: Kostbares ist manchmal schwer zu haben im Sinne von schwer zu bekommen. Es kann aber auch schwer zu haben sein, weil sein Besitz das Leben nicht unbedingt einfacher macht. Auch in diesem Sinne ist Jesus als kostbarer Stein nicht immer einfach zu haben: Er eckt an mit seinen radikalen Aussagen, er wirft uns auf unseren Egoismus zurück und legt den Finger genau in die Wunde, wenn wir andere Menschen ausgrenzen und nicht bei uns haben wollen, wenn wir ganz genau zu wissen scheinen ,was gut und was verwerflich ist.

 

Aber gerade mit dem von Menschen Verworfenen passiert etwas Entscheidendes: Was bei Menschen verworfen ist, das ist bei Gott auserwählt und kostbar. Diesen Wechsel mitzumachen, im Verworfenen das Kostbare zu sehen, das macht uns zu lebendigen Steinen, zu lebendigen Steinen, die sich auferbauen lassen zu einem geistlichen Haus.

 

 

Lebendiger Stein und lebendige Steine. Eigentlich ein Paradoxon, ein Unding, gilt doch der Stein als Urbild der eben gerade nicht belebten Natur. Ein Herz aus Stein wird demjenigen nachgesagt, dem alles Lebendige fremd und alles Menschliche zuwider ist, der die Liebe nicht kennt und die Barmherzigkeit nicht spürt und das Glück nicht und die Trauer nicht, der das Leben nicht spürt, den der Tod fest im Griff hält.

Lebendiger Stein und lebendige Steine. Da kommt zusammen, was eigentlich unvereinbar ist: Leben und Tod, Tod und Leben! Tod und Leben kommen zusammen, weil einer den Stein vor seinem Grab ins Rollen gebracht hat, weil Jesus Christus von den Toten auferstanden ist und so zum lebendigen Stein geworden ist. Zum lebendigen Stein, nicht zerrieben zu unbeständigem Sand, sondern fest, sicher und klar, zu einem Felsen, auf dem gut bauen ist.

Nicht starr, steif und tot, unbeweglich den status quo zementierend, sondern eine atmende Seele, die leidet und liebt. Lebendig über den Tod hinaus.

Wo das Leben den Tod sprengt und selbst Steine lebendig macht, da können auch andere Menschen, die versteinert und zerstreut waren, lebendig werden und sich zu einem Haus zusammenfügen lassen, das eine atmende Seele hat, das leidet und liebt, mitfühlt und vergibt. Ein geistliches Haus aus lebendigen Steinen.

 

Für die Christliche Gemeinde haben Häuser schon immer eine besondere Bedeutung. Die ersten Christen versammelten sich in Privathäusern um Gottesdienst zu feiern und um das Leben miteinander zu teilen. Ihre Häuser waren offen für jedermann, für Herren und Sklaven, für Männer und Frauen, für Arme und Reiche. In ihren Räumen wurden die Grenzen überwunden, die das Leben der Gesellschaft prägten.

Und nicht nur in ihren Räumen, sondern darüber hinaus kümmerten sich Christinnen und Christen um verworfene Menschen, um die, die wenige haben, an Geld und Arbeit, an Glück und Gesundheit und um die, die viel haben an Schulden und Problemen mit Haus und Hof, Kind und Kegel.

Diakonisches Handeln wurde und ist eine Art Markenzeichen der christlichen Gemeinde.

Begründet ist diese Zuwendung zum Fremden, zum Anderen, zum Verworfenen, zum Nächsten in der Diakonie Gottes, in seiner Zuwendung zu uns Menschen. In Jesus Christus zeigt uns Gott seine Liebe zu uns. In Jesus Christus wurde Gott Mensch um unter uns zu wohnen, als Bruder zu leben und zu sterben. In Jesus Christus haben wir Anteil an der Auferstehung, in ihm, dem lebendigen Stein, werden auch wir zu lebendigen Steinen. Und wer sich aufbauen lässt im Haus aus lebendigen Steinen, der wird auch anderen zum Lebendigen Stein.

Er der Schlussstein hält zusammen, was auseinander strebt, er, der Verworfene, macht kostbar und heilig:

 

Und wer sich aufbauen lässt im Haus aus lebendigen Steinen, der wird auch anderen zum Lebendigen Stein.

Was von den Menschen verworfen ist, ist Gott kostbar und von ihm erwählt. Diese Gewissheit prägt den Umgang mit anderen Menschen.

Dass Christinnen und Christen damit schon immer zum Stein des Anstoßes wurden, zeigt eine Äußerung Kaiser Julians im 4. Jahrhundert nach Christus, der sagte: „Warum durchschauen wir das nicht, dass es ihre Freundschaft gegenüber Fremden, ihre Sorge für die Toten und die angebliche Heiligkeit ihres Lebenswandels ist, wodurch dieser Atheismus [gemeint ist der Glaube an Jesus Christus anstatt an die römischen Götter] so zunimmt? Denn es ist schändlich, dass die gottlosen Galiläer sowohl für unsere als auch für ihre eigenen Menschen sorgen.“

Wer sich einsetzt für Menschen, die am Rand stehen, der wird zum Stein des Anstoßes, das ist bis heute so geblieben. Aber eine Gemeinde, die sich als Haus aus lebendigen Steinen erfährt, wird sich als Raum verstehen, in dem Ausgrenzung überwunden werden kann. In dem Mauern durchlässig werden und Platz ist für ganz unterschiedliche Menschen. Kirche öffnet sich. Das ist nicht selbstverständlich, denn das Ungewohnte und das Neue bedrohen unser Selbstbild, unsere Ruhe, unser Vertrautsein, unseren gewohnten Lebensstil.

Aber die Kirche soll und sie kann sich öffnen, weil Jesus als Schlussstein diesen Durchbruch zusammenhält.

 

Amen

 

 

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

13.06.2019
Christine von Wagner