Reformation neu feiern: Wahrheit

Evangelischer Rundfunkgottesdienst

Foto der Stadtkirche Jever: Thorsten Harland

Reformation neu feiern: Wahrheit
Rundfunkgottesdienst aus der Stadtkirche Jever
31.10.2019 - 10:05
29.08.2019
Thomas Adomeit
Über die Sendung

Evangelischer Rundfunkgottesdienst am Reformationstag, 31. Oktober 2019 aus der Stadtkirche in Jever live im Deutschlandfunk ab 10.05 Uhr

 

Reformation neu feiern: Wahrheit. So heißt das Motto des Rundfunkgottesdienstes zum Reformationstag. Doch wie lässt sich Wahrheit feiern? Dazu bringt der Gottesdienst eine der geschicktesten Regentinnen der Reformationszeit zu Gehör, Fräulein Maria von Jever. Ob sie jemals ihren katholischen Glauben abgelegt hat, ist bis heute nicht klar. Sicher ist, dass sie 1548 evangelische Ideen nicht verboten hat – was sie auf Geheiß des Kaisers hätte tun müssen - sondern alle Pfarrer einlud, ihr eigenes Bekenntnis vorzutragen. So blieb die Pfarrerschaft in Jever ziemlich bunt und war im friedlichen Miteinander ihrer Zeit voraus.

 

Als im Oktober 1959 die barocke Stadtkirche zu Jever bis auf die Grundmauern niederbrannte, waren viele Menschen in der Stadt verzweifelt. Zum vierten Mal hatte die Gemeinde ihr Gotteshaus verloren. Und doch ließ sie vor sechzig Jahren Neues auferstehen, eine neue Kirche auf altem Grund. Am Reformationstag blickt die Gemeinde auf ihre wechselvolle Geschichte zurück. Dabei verbindet sie auch musikalisch Neues und Altes. So erklingen die Seligpreisungen der Bergpredigt in einer Collage für Orgel und Saxofon, neue Lieder sind genauso zu hören wie Luthers bekannte Choräle  „Verleih uns Frieden“ und „Ein feste Burg ist unser Gott“. Musikalisch begleiten Frauke Harland (Saxofon), Kantor Klaus Wedel (Orgel) und der Posaunenchor der Gemeinde den Gottesdienst, liturgisch Pfarrer Thorsten Harland und Lektorin Christina Kretschmer. Die Predigt hält der Bischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Oldenburg, Thomas Adomeit.

Mehr Informationen zur Kirche unter www.kirche-jever.de

 

 

Gottesdienst nachhören

 

Den Gottesdienstmitschnitt finden Sie auch direkt unter Gottesdienste im DLF

 

Predigt zum Nachlesen

Liebe Gemeinde!

 

Feuereifer! Etwas ausposaunen. Ein Herz und eine Seele sein. Oder: „Wer anderen eine Grube gräbt, fällt selbst hinein.“ Lauter Redewendungen aus der Feder Martin Luthers. Ich persönlich feiere die Reformation ja als Sprachereignis.

 

Noch vor 500 Jahren konnten sich Menschen aus München und Hamburg nicht verstehen. Damals verlief die Grenze in Deutschland nicht zwischen Ost und West, sondern zwischen Nord und Süd. Es war eine Sprachgrenze. Oberdeutsch und Niederdeutsch waren grundverschieden. Luther verstand beide Dialekte. Durch seine Bibelübersetzung hat er beide zu einer gemeinsamen Sprache verbunden und wunderbare Redewendungen geschaffen.

 

Eines meiner Lieblingsworte in der Bibel steht zum Beispiel in Psalm 91: „Jemanden auf Händen tragen“. Das finde ich schön, weil es mir von der Geborgenheit erzählt, die Gott uns Menschen schenken will.

 

Was ist ihre Lieblingsstelle in der Bibel?

Welcher Text fällt Ihnen spontan ein, wenn Sie danach gefragt werden?

 

So fragte vor rund 500 Jahre eine der klügsten Regentinnen der deutschen Reformationsgeschichte: Fräulein Maria von Jever. Im Trubel der politischen Veränderungen hat sie sich Zeit genommen. In der Frage, ob sie evangelisch werden oder katholisch bleiben möchte, hat sie alle ihre Pfarrer persönlich gefragt. „Was glauben Sie? Welche Bibelstelle ist für Sie besonders wichtig?“

 

Was dabei herauskam, hören wir gleich. Aber eines fällt mir sofort auf. Hier, in Jever, ging es von Anfang an um das Fundament des christlichen Glaubens. Das sind die Text der Bibel. Sie ziehen sich wie ein roter Faden durch die Geschichte Gottes mit seinen Geschöpfen – durch Raum und Zeit. Sie begleiten uns aber auch auf unseren Wegen. Und manchmal können biblische Texte erstaunlich modern sein, weil natürlich die Themen, die Sorgen und die Hoffnungen der Menschen früher oft die gleichen waren wie heute und darum aktuell bleiben: „Welchen Sinn hat das Leben?” „Wer hilft mir in der Not?” „Wie kann es Frieden geben?”

 

Unser heutiger Predigttext zum Beispiel ist wie für das Radio gemacht. Jesus redet hier von Sendern und Empfängern. Im Matthäusevangelium im 10. Kapitel heißt es: „Was euch gesagt wird in das Ohr, das verkündigt auf den Dächern”.

 

Jesus sucht Verstärker für seine Nachricht. Hören wir einmal in diesen Text hinein. Jesus spricht:

Was ich euch sage in der Finsternis, das redet im Licht; und was euch gesagt wird in das Ohr, das verkündigt auf den Dächern. Und fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, doch die Seele nicht töten können; Verkauft man nicht zwei Sperlinge für einen Groschen? Dennoch fällt keiner von ihnen auf die Erde ohne euren Vater. Bei euch aber sind sogar die Haare auf dem Haupt alle gezählt. Darum fürchtet euch nicht; ihr seid kostbarer als viele Sperlinge. Wer nun mich bekennt vor den Menschen, zu dem will ich mich auch bekennen vor meinem Vater im Himmel.

 

Was erst noch im Dunklen gesprochen wurde, soll nun in das helle Licht gerückt werden. Was erst noch geflüstert wurde, soll nun herausposaunt werden. Wer ER ist, soll in alle Welt weitergesagt werden. Jesus beruft dazu viele verschiedene Menschen: Fischer, Zöllner, Frauen und Männer. Heut würden wir sagen: Er gewinnt Multiplikatorinnen und Multiplikatoren für seine Nachricht und schickt sie los.

 

„Was euch gesagt wird in das Ohr, das verkündigt auf den Dächern”. Jesus sagt das in der sogenannten Aussendungsrede, die er an seine Gemeinde richtet. Zunächst wendet er sich an seine Gefährtinnen und Gefährten. Jesus wusste, dass das nicht leicht ist: mutig bekennen. Weder Menschenleben noch die Glaubensfreiheit waren damals geschützt, wie es inzwischen in unserer Verfassung klar geregelt ist. Und doch fordert Jesus ein klares, ein mutiges Bekenntnis. So wird die Bewegung ausgesprochen erfolgreich. Ohne moderne Medien verbreiteten sich die Nachrichten über den liebenden Gott wie ein Lauffeuer.

 

Das ist die Herausforderung, vor der wir auch heute stehen. Das ganz persönliche Bekenntnis, das, was ich von meinem Glauben erzähle, das ist – wenn Sie so wollen – das einfachste Medium, aber zugleich das verletzlichste.

 

Das ahnte Jesus schon zu seiner Zeit. Das zieht sich durch die Geschichte des Christentums, das gilt sogar bis heute. Dass Menschen heute in Deutschland, jüdische Geschwister, weil sie sich zu ihrem Glauben bekennen und zum Gebet versammeln, deswegen Angst um Leib und Leben haben müssen, erfüllt mich mit großer Wut und Traurigkeit. Bedeutet das doch, dass in unserer Gesellschaft noch viel zu tun ist, damit sie ihrem Anspruch, eine freie und offene Gesellschaft zu sein, näherkommt. Und das heißt für uns Christen, dass wir die Geschichte vom liebenden Gott auch in unserer Zeit weitererzählen sollen. Denn Jesus ruft heute Morgen ja auch uns in die Nachfolge, wenn er sagt: „Verkündigt es auf den Dächern! Bekennt euch zu mir, wie ich mich vor Gott zu euch bekenne!“

 

Wie geht das? Das ist nicht zu allen Zeiten und an allen Orten gleich, da Sprache, Kultur und Mentalitäten sich unterscheiden – und das ist auch für uns selbst in unserer eigenen Freiheit ganz unterschiedlich.

 

War es für die Freundinnen und Freunde Jesu vor allem das Erzählen über Jesus, ging es zu Zeiten von Martin Luther um ein neues Verstehen dieser Botschaft. Luther hatte seine schützenden Klostermauern verlassen und sich den Mächtigen in Kirche und Staat ausgesetzt. Er übersetzte die Bibel ins Deutsche und machte sie für viele Menschen zugänglich.

 

Feuereifer, Perlen vor die Säue werfen, sein Scherflein zu etwas beitragen – Luther hatte dem Volk aufs Maul geschaut. Heute würden wir sagen: Er hat die damalige Umgangssprache studiert, um das weitersagen zu können, was ihn am meisten umtrieb: dass Gott gnädig ist.

 

Er machte den gnädigen Gott wieder hörbar. Mehr noch: Er suchte Mittel und Wege, um Gottes Wort zum Klingen zu bringen: In Musik. In vielen Liedern. In den besten Unterrichtsentwürfen seiner Zeit, besser bekannt als Kleiner Katechismus.

 

Gott will mit jedem Menschen persönlich zu tun haben, ganz direkt, er will nicht gefürchtet, sondern geliebt und verstanden werden. Diese Erkenntnis hat die Welt verändert. Plötzlich war wichtig, was ich selbst denke, wozu ich mich selbst bekenne.

 

Damit kommen wir nun zurück nach Jever, wo diese Fragen auf einzigartige Weise gemeinsam beantwortet wurden. Lassen Sie sich mitnehmen in die Mitte des 16. Jahrhunderts. Zur Einstimmung hören wir Musik aus genau jener Zeit, einen Altniederländischen Tanz von Tielman Susato.

 

 

Ja, manchmal ist man gezwungen, sich zu bekennen und auszusprechen, was für einen selber die Wahrheit ist.

So war es im Jahre 1548 hier im Jeverland.

Das Jeverland wurde regiert von Fräulein Maria, der letzten Regentin der Herrschaft Jever.

 

Sie war und ist die Identifikationsfigur unseres Jeverlandes. Nach Maria von Jever wurde eine Straße, ein Denkmal, ein Gymnasium und eine Kirchenglocke benannt und bis heute heißt die Stadt Jever Marienstadt.

 

Kaiser Karl V. forderte im August 1548 die Annahme des Augsburger Interims und brachte Fräulein Maria in einen Zwiespalt.

In der Ordnung des Augsburger Interims sollten alle Errungenschaften der Reformation zurückgenommen werden. Nur der Abendmahlskelch und die Priesterehe sollten vorläufig erlaubt bleiben.

 

Einerseits verspürte Maria den Druck des Lehnsherrns, ihres Kaisers, andererseits war die Reformation im Jeverland schon weit fortgeschritten, ja seit 16 Jahren umgesetzt.

 

Taktisch klug forderte sie zwar die Annahme des Interims von den Predigern, ließ sie sich aber selbst entscheiden.

Sie beauftragte die 21 jeverländischen Geistlichen, ihre persönlichen Bekenntnisse zu formulieren und Fräulein Maria ließ diese abschreiben und archivieren, falls sie noch benötigt werden sollten.

 

Dies war dann nicht der Fall, weil sich das Interim nicht durchsetzen konnte.

Aber die Bekenntnisse bieten heute einen einmaligen Einblick in Denken, Glauben und Wissen der damaligen Landpastoren und wie sie in unterschiedlicher Weise das Interim ablehnten.

 

So schreibt zum Beispiel Abel Sybrnadi, der Pastor in Wiarden war und auf Kosten Marias in Wittenberg studiert hat, über die Sakramente Taufe und Herrenmahl:

„Es gibt daher zwei Sakramente, nämlich die Taufe und das Herrenmahl, die die eigentlichen Zeichen für den göttlichen Willen sind. Ein Sakrament ist nichts anderes als das Sinnzeichen für ein heiliges Geschehen. Aber die anderen papistischen Sakramente sind Erfindungen des Teufels, die durch keine Bibelstelle begründet und deshalb als unnütz zurückzuweisen sind.“

 

Und Henricus Bernhardus Tymmermann aus Sillenstede schreibt zur Sündenvergebung: „Hier glaube ich, dass mir und der ganzen Christenheit die Sünden vergeben wurden, nicht wegen des Werkes des Genießens als eines heilskräftigen Werks, sondern aus der Gnade wegen Christus.“

 

Es waren mutige Bekenntnisse in einer unsicheren Zeit, ein wichtiges Eintreten für die Wahrheit, ungeachtet der möglichen Folgen.

 

Liebe Schwestern und Brüder, viermal ist die gotische Kirche zu Jever seit dem 14. Jahrhundert niedergebrannt, viermal ist sie wiederaufgebaut worden. Zuletzt: 1959, in diesem Monat vor 60 Jahren. Immer wieder hat die Gemeinde ein neues Gotteshaus geschaffen, das im Stil zur jeweiligen Zeit passte, aber architektonisch von den Vorgängerbauten erzählte. Mutig ist die Gemeinde die Herausforderungen angegangen, die Menschen wussten sich gut gegründet in ihrem Glauben.

 

Das finde ich beeindruckend. Und ich freue mich, dass wir heute hier in dieser Kirche zu Gast sein dürfen.

 

Mit der Geschichte Gottes ist es vielleicht ähnlich: Sie muss so erzählt werden, dass sie von den Hörenden der jeweiligen Zeit verstanden werden kann, aber immer auch auf dem Ursprung des Glaubens aufbaut, auf Jesus Christus, den Gekreuzigten und Auferstandenen.

 

Ich versuche es mal mit Worten aus unserem Predigttext. Darin haben wir vorhin gehört:

Verkauft man nicht zwei Sperlinge für einen Groschen? Dennoch fällt keiner von ihnen auf die Erde ohne euren Vater. Bei euch aber sind sogar die Haare auf dem Haupt alle gezählt

 

Die „Sperlinge“ und die Groschen, die Haare auf dem „Haupt“, ich glaube, junge Leute von heute würden sagen: Das klingt doch sehr nach gestern. Aber den Inhalt dieser Worte finde ich schön. Ich verstehe sie so:

Wir sind für Gott mehr wert als zwei kleine Singvögel. Doch nicht einmal die lässt Gott in seiner Güte fallen. Und an Haaren auf dem Kopf haben wir so zwischen 100 und 150.000 – geschätzt. Aber unserem Gott sind wir so unendlich wichtig, dass er es genau weiß. Er hat nachgezählt, er kennt uns besser als wir uns selbst.

 

Dieser Gott will, dass wir nach seinem Willen leben, dass wir uns an Jesus Christus orientieren und vor allem, dass wir uns zu ihm bekennen, vor den Menschen: Selig sind die Barmherzigen. Selig sind, die Frieden stiften. Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden. Wir sind gemeint. Sie und ich. Hier in der Kirche, zu Hause, unterwegs. Gott will unser je eigenes Ja dazu hören.

 

Mutig sind die Pastoren des Jeverlandes mit der Aufgabe umgegangen. Es waren die Erkenntnisse der Reformation, die sie als ihre Glaubenswahrheit aufgeschrieben haben. Um dieses Risiko einzugehen, brauchte es eine gehörige Portion Gottvertrauen. Und Menschen wie Maria von Jever, die an Diplomatie und Geschick viele andere Landesfürsten in die Tasche gesteckt hat.

 

Was bedeutet das heute: ein mutiges Bekenntnis? Ich glaube, es ist vor allem der innere Schweinehund, der uns lähmt. Glaubensfragen sind so persönlich. Wir leben in einer sehr pluralen Welt, die Freiheit jedes und jeder Einzelnen steht weit oben auf der Werteskala. Und die EINE allgemeingültige Wahrheit gibt es offenbar nicht.

 

Aber: Wir können der Wahrheit eine Sprache geben. Das geht nie allein. Auch das ist eine Erkenntnis der Reformation. Wir müssen uns austauschen. Und wenn wir das tun: zu zweit oder zu dritt oder als ganze Gemeinde? Dann strahlt das etwas aus. Wo zwei oder drei in seinem Namen versammelt sind, da will Gott mitten unter uns sein.

 

Was mich am heutigen Reformationstag besonders freut: Wir haben so viele Medien entwickelt, die uns den Austausch erleichtern! Zeitungen, Briefe, Telefon und Email werden zwar mittlerweile weniger genutzt. Aber wichtig geblieben sind Authentizität und die persönliche Begegnung. Und der Kurznachrichtendienst zwischendurch! Bekennen ist Begegnen mit einem Thema, das mich trägt. Reden, Tippen, Skypen wir davon! Auch mit Stickern und Emojis! Und ein gutes Buch lesen an einem Feiertag mitten in der Woche: herrlich.

 

„Wer nun mich bekennt vor den Menschen, zu dem will ich mich auch bekennen vor meinem Vater im Himmel”, sagt Jesus. Brauche ich das denn? Ja, ich persönlich glaube, dass ich seine Fürsprache benötige. Ich gehe nicht fehlerfrei durchs Leben, auch ich habe Zweifel, auch mein Bekennen ist manchmal eher Zaudern.

Aber ich glaube, dass Gott ein gnädiger Gott ist, der mir verzeiht und mich zugleich ermutigt. Dafür haben wir unseren Herrn und Bruder Jesus Christus, damit unser Leben das Ziel erreicht: Damit wir gerettet werden. Durch den Tod hindurch, zu Gott hin. Christus ist vom Tode auferweckt worden und auch wir dürfen darauf hoffen. Das ist das wahre Leben, wie es Martin Luther übersetzt: mal mit Feuereifer, aber eben auch: sich von Gott tragen zu lassen.

Amen

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

29.08.2019
Thomas Adomeit