Losfliegen. Gott finden

Friedenskirche Vaihingen

Losfliegen. Gott finden
Live-Übertragung aus der Evangelisch-methodistischen Kirche, Vaihingen
16.07.2023 - 10:05
10.05.2023
Bernhard Schäfer, Jihan Ha
Über die Sendung:

Evangelischer Rundfunkgottesdienst am 16. Juli 2023 aus der Evangelisch-methodistischen Friedenskirche in Vaihingen an der Enz live im Deutschlandfunk ab 10.05 Uhr.

Der Gottesdienst aus der evangelisch-methodistischen Friedenskirche lädt ein zum Davonfliegen. Weg vom Alltag. Hin zu einem Ort, der allen gefällt. Er lässt hören von der Freiheit des Fliegens und von Menschen, wohin sie entfliehen, wenn der Alltag sie zu sehr fordert. Von Zufluchtsorten. Was diese sein können und was sich dort vielleicht finden lässt? „Wenn ich doch Flügel hätte! Wie eine Taube wollte ich davonfliegen und mich woanders niederlassen.“ Diese Worte eines Beters aus Psalm 55 der Bibel stehen im Mittelpunkt der Predigt aus der Friedenskirche in Vaihingen an der Enz. Predigen werden gemeinsam die Pastoren Bernhard Schäfer und Jihan Ha. Musikalisch wird der Gottesdienst vom Posaunenchor und dem Musikteam unter der Leitung von Tobias Blessing und Tobias Zucker gestaltet.

Offen und lebendig. Eine Gemeinde für Groß und Klein. Das zeichnet die evangelisch-methodistische Friedenskirche in Vaihingen an der Enz aus. Und dabei steht sie ganz in der Tradition ihres Kirchenvaters John Wesley. Er und sein Bruder Charles standen im 18. Jahrhundert am Anfang einer Erweckungsbewegung, die von England aus um die Welt ging. Ihr Motto: „Not erkennen und handeln.“ Ein Ausfluss davon sind die „Sozialen Grundsätze“, die weltweit ein Bekenntnis, eine Selbstverpflichtung der Evangelisch-methodistischen Kirche sind.

Gottesdienst nachhören:
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Predigt zum Nachlesen:

BS:
Einfach davonfliegen, wie ein Segelflieger. Das wäre schön, manchmal zumindest. Den ganzen Schlamassel hinter mir lassen. Einfach auf und davon.
Mir geht das manchmal so. Den Stress in der Arbeit, die Hektik im Alltag, den Streit in den Beziehungen hinter mir lassen. Abheben, über den Dingen schweben. Sie dadurch klein werden lassen. Ihnen damit das Bedrohliche und Bedrängende nehmen. Das Schwere wird leicht, es gibt wieder Luft zum Durch- und Aufatmen.
So ähnlich kommt es in Psalm 55 zum Ausdruck. Auch hier lesen wir von dem Wunsch, einfach davonfliegen zu können. Zwar nicht wie ein Segelflieger, aber wie eine Taube. Abheben, wegfliegen, an einem anderen Ort landen. Ruhe und Sicherheit finden. Der Beter des Psalms öffnet sein Herz, schüttet es vor Gott aus. Ohne Scheu schildert er seine Not. Beschreibt, was er wahrnimmt, was ihn bedrängt. Er nimmt wahr, wie Menschen laut ihre Interessen durchsetzen. Rücksichtslos, ohne dabei an die anderen zu denken.
Starke Bilder und Worte werden hier verwendet. Von Gewalt ist die Rede, auch von Kriminalität. Die Gemeinschaft, das Miteinander funktioniert nicht mehr. Was aber noch viel schlimmer wiegt: sogar sein Freund hat ihn verraten. Neben all den gesellschaftlichen Missständen nun auch das noch. Der Freund, die Freundin, ja sogar der Glaubensbruder, die Glaubensschwester lässt ihn im Stich. Dass sie zusammen in „Gottes Haus“ waren, auch gemeinsame Glaubenserfahrungen gemacht haben – es spielt alles keine Rolle mehr.

Ich finde, das ist ganz schön viel, was auf den Beter des Psalms einstürmt. Zu den allgemeinen schwierigen und bedrängenden Umständen auch die Enttäuschungen im persönlichen Bereich. Das ist wirklich hart und kaum auszuhalten. Ich verstehe den Wunsch, einfach davonzufliegen.
Mir hilft es, solche Worte zu lesen. Da merke ich, dass ich nicht allein bin, wenn ich ähnliche Gedanken und Empfindungen habe. Es darf sein, so zu denken und so zu empfinden. Ich darf wissen: Gott sieht das auch.

Jihan, wir sind Pastorenkollegen, wie geht es dir mit diesen Psalmworten? Bist du schon davongeflogen?

JH:
Ja, aus meinem persönlichen Leben kenne ich solche Situationen auch. Zum einen erlebe ich die aktuelle Situation schon auch als bedrängend. Der Krieg in der Ukraine. Drohende Hungerkatastrophen im Sudan und Nigeria. Die Folgen des Klimawandels. Die Stimmung hier in unserem Land -all das belastet mich. Und auch im persönlichen Bereich: es gibt Momente, in denen mir manchmal alles zu viel wird.
Und übrigens: ich bin tatsächlich auch mal sozusagen „davongeflogen“. Von Südkorea nach Deutschland. Weil ich den Eindruck hatte, hier in Deutschland kann ich so Pastor sein, wie es zu mir und meinem Glauben passt.


JH:
Vom Davonfliegen war die Rede. Der Beter des Psalms möchte in die Wüste fliehen, die Nacht dort verbringen. Die Wüste, ein Bild für den Rückzugsort. Ein Ort der Ruhe, der Stille. Ein Ort, um sich zu sammeln, neue Gedanken zu bekommen. In der Bibel ist die Wüste oft auch ein besonderer Ort der9Gottesbegegnung. Der Prophet Elia machte in der Wüste eine besondere Erfahrung mit Gott. Er wollte und konnte nicht mehr, ging in die Wüste, um dort zu sterben. Dort brachte ihm ein Engel Brot und Wasser, stärkte ihn körperlich und seelisch. Das gab ihm wieder Kraft und Lebensmut. Oder Jesus: er wurde in die Wüste geführt, um dort sozusagen auf seinen weiteren Weg vorbereitet zu werden.

Wir haben vorhin verschiedene Statements gehört von Menschen und deren Rückzugsorte … Es ist gut, solche Orte zu haben. Der Gedanke, einfach davonzufliegen und alles Schwierige hinter sich zu lassen, ist verlockend. Aber auch trügerisch. Denn so einfach ist ja nun auch nicht. Die Probleme und Herausforderungen sind ja nicht einfach weg, nur weil ich an einem anderen Ort bin. Ich nehme mich ja auch immer mit, mit meinen Gedanken und Empfindungen. Die kreisenden Gedanken kann ich nicht einfach so ausblenden.

BS:
Jetzt, im Sommer, ist ja auch die Urlaubszeit. Für so manche sind das besondere Tage. Mit viel Vorfreude fiebern wir ihnen entgegen. Aber nicht immer hält der Urlaub, was wir uns im Vorfeld davon versprochen haben. Es geht los mit nervigem Stau auf der Autobahn oder am Flughafen. Das Hotel ist doch nicht direkt am Strand, sondern eine Hauptstraße ist dazwischen. Auf dem Campingplatz ist es laut. Und zu allem Überfluss ist das Wetter auch noch mies. Es muss nicht so sein, kann aber passieren. Die Enttäuschung ist dann groß.
Trotzdem: Es ist gut, Orte des Rückzugs zu haben. Einen schönen Urlaub zu verbringen. Sie lösen die Probleme und Herausforderungen meines Alltags vielleicht nicht. Aber diese Orte des Rückzugs, sie können die Kraft geben, sich den Problemen zu stellen. Sie geben die Kraft, die Herausforderungen anzupacken. Die Situation auszuhalten. Mit etwas Abstand auf sie zu blicken. Sie aus einer anderen Perspektive zu sehen. Nur Flucht ist allerdings nicht die Lösung. Denn irgendwann muss ich wieder zurück in den Alltag.


JH:
Werfen wir noch einmal einen Blick auf die Verse aus Psalm 55. Der Beter des Psalms hat eine Lösung für sich gefunden, die mir gefällt. Er wendet sich an Gott. Er betet zu Gott. Bittet Gott darum, dass er ihn hört. Gott will der Ort sein, an den ich fliehe. Aber wo finde ich Gott überhaupt, wie kann ich ihm begegnen?

Nun, Gott ist ja im Prinzip überall. Also kann ich ihm grundsätzlich auch überall begegnen. Überall dort, wo ich für eine Begegnung mit ihm offen bin. Das kann in der Natur sein, bei einem Spaziergang im Park oder Wald. Das kann in der U-Bahn oder im Bus sein. Eine Begegnung mit einem anderen Menschen kann ebenfalls eine Möglichkeit sein, wie zum Beispiel, wenn mich jemand freundlich anlächelt. Gott begegnet mir, wenn ich in der Bibel lese. Oder wenn ich mit anderen Menschen in der Gemeinde zusammen bin. Wenn ich neue und alte Lieder singe. Es gibt viele Wege und Möglichkeiten, Gott zu begegnen. „Suchet, so werdet ihr finden“ – sagte Jesus zu seinen Jüngern und ermutigte sie damit, Gott zu begegnen.
Und noch etwas bietet der Psalmbeter als Lösung an: Vertrauen. Vertrauen auf Gott: „Ich aber setze mein ganzes Vertrauen auf dich.“ (V24c). Das klingt gut und schön. Aber was heißt das konkret? Wie kann ich auf Gott vertrauen und wie finde ich Hilfe bei Gott?

BS:
Sicherlich gibt es hier kein Patentrezept, das auf alle anwendbar wäre. Ich kann darauf antworten, wie ich Hilfe bei Gott finde. Beispielsweise finde ich bei Gott Hilfe, wenn ich bete. Ihm, wie der Beter des Psalms 55, meine Sorgen, Ängste, Herausforderungen sage. Gott hat ein offenes Ohr für mich. Das hilft schon mal. Aber auch nicht immer. Mir hilft es auch, mit anderen darüber zu reden. Mit Menschen, denen ich vertrauen kann. Mit ihnen darüber spreche, was mich umtreibt. Höre, was sie mir sagen. Durch andere Menschen finde ich Hilfe bei Gott. Was mir auch gut tut ist zu wissen, dass andere für mich beten. Im Gebet an mich denken. Mich sozusagen zu Gott bringen. Meine Sorgen, Ängste und Herausforderungen mittragen.

Ich weiß, dass ich nicht einfach davonfliegen kann. Aber ich höre die Einladung, auf Gottes Gegenwart und Hilfe zu vertrauen. Das möchte ich tun. Immer wieder. Ich weiß, dass ich Gott alles sagen darf. Er hört mich. Ich bitte ihn, mir die Kraft zu geben, die Herausforderungen anzunehmen und auszuhalten. Und an guten Lösungen zu arbeiten. Vielleicht da, an dem Ort, an dem ich mich geborgen fühl. Wo ich bei mir sein kann. Zur Ruhe komme und ausspanne. Wir wünschen Ihnen allen, Orte der Ruhe. Auszeiten. Hier oder anderswo.

Amen.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

10.05.2023
Bernhard Schäfer, Jihan Ha