Grenzenloses Vertrauen

Kirche "Zum guten Hirten", Muggensturm

Grenzenloses Vertrauen
Gottesdienst-Live-Übertragung aus Muggensturm
23.01.2022 - 10:05
26.11.2021
Tina Blomenkamp
Über die Sendung

In diesem Gottesdienst im neuen Jahr geht es um die Zukunft. Pfarrerin Tina Blomenkamp fragt sich: Woher kann das Vertrauen in die Zukunft kommen und welche Antworten geben biblische Texte? Außerdem geht es um Sterne als Leitmotiv zwischen Vergangenheit und Zukunft.

 

Gottesdienst zum Nachhören:

Feedback zur Sendung? Hier geht's zur Umfrage! 
 
Predigt zum Nachlesen:

Predigt I

Hier draußen auf der Terrasse sitzt er nachts, wenn er nicht schlafen kann. Eine Reihenhausterrasse. Quadratisch und praktisch. Rundherum Zaun und Hecke. Hier kann er seine Gedanken sortieren. Er setzt sich mit der Decke in den Strandkorb, den er nicht in den Keller gebracht hat. In der Ecke steht der Grill mit der Asche aus dem letzten Sommer. Daneben liegt der vertrocknete Weihnachtsbaum.

Er hatte sein Leben im Griff. Ein Abteilungsleiter ist es gewohnt, dass alles so läuft, wie er sich das denkt – oder zu denken hat.

Aber jetzt … Jetzt ist sein Sohn krank, und die Dinge geraten durcheinander.

Alles Medizinisch-mögliche haben sie getan. Und sein Sohn hat Chancen, wieder gesund zu werden.

Trotzdem sitzt er hier und findet keine Ruhe. Zündet die Kerze an, die nach Zimt riecht, und starrt in die Sterne als könnten sie ihm helfen.

Selbst, wenn sein Sohn wieder gesund wird. Wie geht es dann weiter? Seit Monaten drehen diese Fragen in seinem Kopf ihre Runden. Was ist mit den anderen, die krank sind? Mit den Menschen und Tieren und Meeren und Regenwäldern? Was ist mit der Pandemie?

Er starrt in die Sterne, als könnten sie ihm helfen.

Dann schüttelt er den Kopf.

Ich bin doch nicht einer von denen, die glauben, dass Gott sie gesund macht und vor Corona schützt.

Aber vielleicht, überlegt er vorsichtig weiter, bin ich einer von denen, die trotz allem auf eine gute Zukunft hoffen.

Einer von denen, die sich nicht zufrieden geben. Die glauben, dass wir alles versuchen müssen, und dass noch vieles möglich ist.

Die wissen wollen, ob an diesen Sätzen was dran ist: Macht euch keine Sorgen. Ihr seid das Licht der Welt. Liebt eure Feinde. Dein Reich komme.

Ich bin einer von denen, die nach den Sternen greifen, denkt er staunend.

Aus dem Matthäusevangelium:

Jesus ging nach Kapernaum.
Da kam ihm ein römischer Hauptmann entgegen.
Er sagte zu Jesus:

»Herr, mein Sohn liegt gelähmt zu Hause.
Er hat furchtbare Schmerzen!«
Jesus antwortete: »Ich soll kommen und ihn gesund machen?«
Der Hauptmann erwiderte: »Herr! Ich bin es nicht wert, dass du mein Haus betrittst! Aber sprich nur ein Wort, und mein Sohn wird gesund!
Denn auch bei mir ist es so, dass ich Befehlen gehorchen muss. Und ich selbst habe Soldaten, die mir unterstehen. Wenn ich zu einem sage: ›Geh!‹, dann geht er. Und wenn ich zu einem anderen sage: ›Komm!‹, dann kommt er. Und wenn ich zu meinem Diener sage: ›Tu das!‹, dann tut er es.«

Als Jesus das hörte, staunte er.
Er sagte zu den Leuten, die ihm gefolgt waren:
»Amen, das sage ich euch: Bei niemandem in Israel habe ich so einen Glauben gefunden!
Ich sage euch: Viele werden aus Ost und West kommen. Sie werden mit Abraham, Isaak und Jakob im Himmelreich zu Tisch liegen. […] «
Dann sagte Jesus zum Hauptmann:
»Geh! So wie du geglaubt hast, soll es geschehen!«
In derselben Stunde wurde sein Sohn gesund.

Das ist nicht meine Geschichte, sagt er sich. Wenn mein Sohn gesund wird, dann, weil die Ärztinnen im Krankenhaus gute Arbeit geleistet haben.
Er schaut wieder in den Himmel.
Das ist doch meine Geschichte, denkt er dann. Irgendwie kann ich verstehen, dass sie Jesus alles zugetraut haben. Meinen Sohn macht Jesus nicht gesund. Und Gott schützt mich nicht vor Corona. Trotzdem: diese Geschichte verändert mich. Und ich kann mir vorstellen, mit und zwischen diesen Sätzen zu leben: Macht euch keine Sorgen. Ihr seid das Licht der Welt. Liebt eure Feinde. Dein Reich komme. Glaubt an die Zukunft. Greift nach den Sternen.
Eigentlich sollte der Zaun längst weg, fällt ihm ein. Und die Hecke ist viel zu hoch.

 

Predigt II

Die kalte Stadt riecht nach Zigaretten, Brötchen und Abgasen. Nina hat Vivienne in die Kita gebracht und trinkt ihren Kaffee an der Haltestelle. Manchmal ist das der friedlichste Moment des Tages. Nach der Arbeit muss sie sich beeilen, Vivienne abholen, einkaufen, kochen. Am Abend noch ein, zwei Stunden lernen. Dann wieder früh raus, Vivienne wecken, in die Kita bringen. Kaffee an der Haltestelle.

Die Weihnachtsbeleuchtung ist noch da. Nina mag die Sterne, die etwas unsortiert in den Bäumen hängen.
Hier ist sie irgendwann auf die Idee gekommen. Hier an der Haltestelle, als die Adventszeit anfing und der Weihnachtsmarkt noch nicht abgesagt war. Hier bei den Sternen. So schön hat sie sich das vorgestellt. Mit Vivienne in die Kirche zu gehen. Zu merken, dass sie beschützt ist. Dass sie eine Chance hat.
Lange hat sie gezögert – aber sie hat das nicht mehr aus dem Kopf bekommen und dann doch angerufen. Bei der Kirche. Und nach der Taufe gefragt. Ob das überhaupt geht. Ohne Vater. Ohne Patentante oder sowas. Die Pfarrerin hat sich gewundert. Warum soll das nicht gehen? Das kriegen wir schon hin. Sehr gerne können Sie Ihre Tochter bei uns taufen lassen!

Nina kennt die Geschichten noch von früher. Abraham, der in die Sterne schaut. Jesus, der Kranke gesund macht, sogar aus der Ferne. Aber ob man das alles glauben kann? Es geht nicht um die Details, hat die Pfarrerin gesagt. Sondern um Gottes Versprechen, das immer noch gilt: Mach dir keine Sorgen. Ich bin für dich da.

Die Pfarrerin hatte Zeit. Und Nina hat ihr alles erzählt.
Von der Schwangerschaft und der Trennung.
Von früher und von jetzt.
Sie hat Angst um Vivienne. Obwohl sie so ein fröhliches und unkompliziertes Kind ist. Wer passt auf sie auf, wenn sie anfängt, ihre eigenen Wege zu gehen? Wie verändert sich die Welt, in der sie leben wird? Hat ihre Kollegin nicht doch recht? Wie kannst du ein Kind in diese Welt setzen … Schau doch mal Nachrichten!

Die Bahn kommt. Nina steckt ihren Kaffeebecher ein und wirft einen letzten Blick auf die Sterne. Am Sonntag ist die Taufe. Nina freut sich.

 

Predigt III

Die Zeit hält sich nicht an die Reihenfolge.

Im Winter sitzt er im Strandkorb.

Kinder sterben vor den Eltern.

Die ersten Blüten gehen auf – und die Sterne hängen immer noch im Baum.

Die Kerze mit dem zimtigen Weihnachtsduft brennt im Sommer beim Grillfest.

Was war, holt mich wieder ein.

Was sein wird, ist plötzlich so nah. Kann mir nicht egal sein. Liegt in meiner Hand und fordert mich heraus.

Was Abraham versprochen wurde, was Jesus gesagt und getan hat: das ist für mich von Bedeutung.

Was ich meinen Kindern und Urenkeln wünsche, ist schon tief in mir drin.

„Die Sterne sind uns viel näher, als Sie denken“, sagt der Wissenschaftler und Astronom Martin Rees. „Schließlich sind wir selbst Sternenstaub. Wir sind buchstäblich die Asche längst erloschener Sterne.“

In seinem Buch „Unsere Zukunft“ erklärt er die Lage unseres Planeten für sehr ernst – aber nicht hoffnungslos. Er setzt auf rationales, globales und langfristiges Denken. Rees schreibt: „Unsere Zukunft hängt von klugen Entscheidungen zu grundlegenden gesellschaftlichen Herausforderungen ab, wie Energie, Gesundheit, Ernährung, Robotik, Umwelt und Raumfahrt.“

Die Naturwissenschaft allein kann diese Entscheidungen nicht treffen, meint er. Was er über die Wissenschaft hinaus für wesentlich hält, umreißt Rees mit den Schlagworten „kollektive Intelligenz“, „Verantwortungsbewusstsein“, „Vertrauen“.

Da ist nichts mehr zu machen, sagen die einen. Alles ist sinnlos und ein Haschen nach Wind.

Es gibt immer noch Möglichkeiten, sagen die anderen und werfen noch einen Blick auf die Sterne. Denn wir tragen schon die Ewigkeit in unserem Herzen.

Für mich ist das einer der schönsten Sätze der Bibel: Gott hat die Ewigkeit ins Herz der Menschen gelegt.

Oder, mit Rees: Wir sind Sternenstaub.

Mit der Ewigkeit im Herzen greifen wir nach den Sternen.
Nach Heilung und Schutz für unsere Kinder. Nach Zukunft für unsere Kinder. Über alle Entfernungen, Grenzen und düsteren Prognosen hinweg. So, dass Jesus anfängt zu staunen: was für ein Vertrauen!

 

Predigt IV

Die Zeit hält sich nicht an die Reihenfolge.

Der Raum hält sich nicht an die Ordnung.

Im Baum hängen immer noch die Sterne. Um sie herum ist es Frühling geworden. Der Baum trägt sein neues Grün mit Stolz.
Unter dem Baum sitzen wir zu Tisch. Im Himmelreich. Mitten in der Stadt. Mitten im Leben. Abraham, Isaak und Jakob. Jesus, der Hauptmann und sein Sohn, Nina, Vivienne und die Pfarrerin. Es gibt Kaffee und gegrilltes Gemüse. Dazu Brot und Wein. Auf dem Tisch liegen Blütenblätter und feiner Glitzerstaub. Es riecht nach Frühling, während die Zimtkerze ihren Weihnachtsduft verströmt.

Ich spüre die Ewigkeit in meinem Herzen und greife nach den Sternen. Ich singe sie euch: meinen geliebten Töchtern, meinen Neffen und Nichten, euch Konfis und Schüler*innen, euch Kindern und Jugendlichen in der ganzen Welt.

Ich singe euch die Sterne, denn bis zum Mond und wieder zurück habe ich Hoffnung für unseren Planeten und für eure Zukunft.

Ich singe euch die Sterne, denn ich glaube an die Möglichkeiten des rationalen, globalen und langfristigen Denkens. In den letzten zwei Jahren haben wir erlebt, dass Politik und Wissenschaft gemeinsam nach Wegen aus der Krise suchen. Auch in der Klimapolitik ist das denkbar.

Ich singe euch die Sterne, denn ich habe Vertrauen. Gott hält sein Versprechen: Mach dir keine Sorgen. Ich bin für dich da.

Ich singe euch die Sterne, denn jeder und jede von uns kann Gottes Ewigkeit spüren. Hin und wieder blitzt sie auf und lässt nicht locker. Wenn wir erschöpft an der Haltestelle sitzen oder suchend in den Himmel schauen. Sie führt uns zusammen und macht uns stark für die Zukunft.

Ich singe euch die Sterne. Schaut nach oben, egal, wo ihr seid. Ihr seid nicht allein.

Ich singe euch die Sterne.
I will sing you the stars.

Amen

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

26.11.2021
Tina Blomenkamp