Das Tor zum Himmel

Ev.-Luth. Marien-Kirchengemeinde Herford
Das Tor zum Himmel
Gottesdienst aus der Marien-Kirchengemeinde in Herford
05.09.2021 - 10:05
Über die Sendung

Mitwirkende: 

PredigerIn

Matitjahu Kellig, Martin Decking, Frauke Wagner

Musikalische Leitung

KMD Johannes Vetter

Orgel

Hebr. Gesang

KMD Johannes Vetter

Jakow Zelewitsch

Chorleitung

LKMD Harald Sieger

 

Bläserchorleitung

Oliver Alamprese

 

Solo-Gesang

Dariia Litvishko

 

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Predigt zum Nachlesen
 

Matitjahu Kellig

Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Herford-Detmold

 

Teil 1

 

Jaakow beginnt seine Wanderschaft. Darum wird das „Er zog aus…“ (wa-jeze) betont. Jaakow entflieht in die Fremde nach Haran, weit weg vom Vaterhaus. Umso wichtiger ist es, dass G’tt ihm einen Segen zuspricht, der ihn auf dem Weg begleitet: „Und siehe, ich bin bei Dir, und ich will Dich behüten überall, wohin Du gehst.“

Dem fliehenden Jaakow schenkt der Ewige einen wundersamen Traum: Eine Leiter, die Erde und Himmel verbindet; und die Engel G’ttes steigen auf und nieder. Und bedenken Sie: Es ist Jaakows erste persönliche Begegnung mit dem G’tt seiner Väter. Es ist überraschend neu für ihn, so dass er spricht: „Fürwahr, der HERR ist an dieser Stätte!“

Er nennt den Ort das Haus G’ttes, hebräisch Beit-El, hier öffnet sich das „Tor des Himmels“.

 

Als Jaakow sich auf dem Weg nach Haran befindet, ist das Erste, was ihm widerfährt: Ein ganz gewöhnlicher Schlafplatz am Rande des Weges erweist sich als „Ort der Heiligkeit“. Und was tut er? Er betet. Warum tut er das? Er hat doch eigentlich ganz irdische Pläne. Er geht nach Haran, um dort eine Ehepartnerin zu suchen. Hätte er nicht zuerst die Sprache und Sitten jenes Ortes erkunden sollen, sich die dort üblichen Kleider anziehen sollen? Jaakow jedoch lässt all diese Dinge beiseite und widmet sich dem Dienst des Gebetes.

 

Die Tora erzählt, wie Jaakow auf dem Weg nach Haran „… von den Steinen des Weges nahm und sie unter seinen Kopf legte“. Für mich ist das ein Vorbild. Muss man nicht darauf achten, dass vor allem der Kopf beschützt ist, damit der Kopf so ist, wie er sein soll? Und wenn der Kopf so ist, wie er sein soll, dann werden wohl auch Hände und Füße so sein, wie sie sein sollen. Ausgerechnet Steine sind es, mit denen Jaakow seinen Kopf umringt und ihn so vor der Welt abschirmt. Er grenzt sich weder durch Verstandeskraft noch Gefühl ab, sondern mit Steinen – mit leblosen Dingen, die nicht einmal die Kraft haben zu wachsen.

 

Ein lebloses Ding kann sich nicht alleine bewegen, es verharrt an seinem Ort, bis es aufgehoben und wieder niedergelegt wird. Manchmal betrachte ich mich genau so: als einfachen Diener, der von einem Ort zum andern getragen wird und der sich tragen lässt, um die Aufgaben zu erfüllen, die G’tt ihm auferlegt.

 

Am Ende der Geschichte erfahren wir aber, dass sich das Arrangement der leblosen Steine gar wunderlich verwandelt:

Diese Steine werden „zum Hause G’ttes“. Einfache Steine, nicht Silber, nicht Gold, keine Edelsteine, nicht einmal Steine aus der Stadt, aus einem bewohnten Haus, sondern Steine, die Jaakow mitten auf dem Wege eher zufällig aufsammelt, ohne besonders wählerisch zu sein. Sie werden zum Hause G’ttes dadurch, dass er sich mit ihnen umgibt und dadurch, dass er sich mit G’tt durch einen Schwur verbindet.

Wäre lediglich Jaakows Wille, sein Verstand und sein Gefühl wirksam gewesen, so hätte er seinen Eid nicht halten können, aber dadurch, dass er sich verpflichtet, gelangt er zur allerhöchsten Stufe der Verbindung mit G’tt, wo selbst die gewöhnlichsten Dinge sich in ein Haus G’ttes verwandeln können.

 

Nicht nur der Siddur, das Gebetbuch, und der Chumasch, die Tora, im Haus sind heilig, sondern - auf andere Weise – auch Gabel und Löffel. Lange, bevor Jaakow sein Reiseziel, man kann auch sagen, sein Lebensziel, erreicht hat, also bereits am Anfang, trifft er „auf einen Ort der Heiligkeit“. Und dieser Ort der Heiligkeit, sein Beit-el mit der Engelsleiter, wird nicht nur im wachen Zustand und nicht nur beim Beten, sondern auch beim Schlafen und Träumen zum „Tor des Himmels“. Damit wird unser Zuhause mit allem, was sich darin befindet, zu einem Haus G’ttes.

 

Für mich persönlich heißt das, dass die ganze Erde ein Haus Gottes ist samt allen Menschen, die darin wohnen.

Respekt, Toleranz, Demut, Dankbarkeit und Bescheidenheit sind in unserer heutigen Zeit mehr als notwendig. Das mag altmodisch klingen. Aber falsch ist es beileibe nicht! Sondern lebensnotwendig. Sogar überlebensnotwendig!  Wir alle, die wir das Tor zum Himmel suchen, müssen unsere Kräfte zusammenlegen.

Vor kurzem habe ich in unserer Synagoge in Herford eine Abordnung islamischer Imame empfangen. Toleranz will geübt sein. Dazu gehört Mut und Risikobereitschaft. Im Namen unseres Glaubens sind wir dazu aufgefordert, aufeinander zuzugehen, uns die Hände zu reichen. Damit noch viele Orte zu einem Haus Gottes werden, einem Tor zum Himmel, an dem Menschen sich begegnen.

 

Aus diesem Grunde ist diese gemeinsame Feier für mich ein besonders beglückendes Ereignis. Deshalb sage ich an dieser Stelle das Schehechejanu (der uns am Leben erhalten hat):

Baruch atah Adonaj, Elohejnu, Melech HaOlam, schehechejanu, wekijmanu wehigianu la’seman haseh.

Gepriesen seist Du, Ewiger, unser G’tt, König der Welt, der Du uns hast Leben und Erhaltung gegeben und uns hast diese Zeit erreichen lassen.

 

 

 

 

 

 

 

Martin Decking

Dekanatsreferent des katholischen Dekanats Herford Minden

 

Teil 2

 

Ein Haus Gottes, das Tor des Himmels, unterwegs gefunden, ganz unverhofft. Und ein Traum, der in die Wirklichkeit hineinreicht, der hilft, Gott und die Welt zu verstehen.

Dass kommt mir doch zunächst einmal etwas seltsam und fremd vor. Und dann ist dieses Haus Gottes nur ein Stein, der Stein, auf den Jakob unterwegs sein Haupt gebettet hat? Oder ein paar Steine, um seinen Kopf gelegt, um sich zu schützen? Diese Steine an jenem Ort, wo Jakob übernachtet hat – sollen ein Tor zum Himmel sein?

Ob ein Stein ihm diesen ungewöhnlichen Traum beschert hat? Dann muss es wohl ein besonderer Stein gewesen sein und wohl auch ein besonderer Ort.

Wenn ich mal unter freiem Himmel oder in einem Zelt geschlafen habe, habe ich immer einen Platz ohne Steine gesucht, und die Steinchen beiseite geräumt. Und die, die ich übersehen habe, die haben mir keine Träume, sondern schlaflose Stunden bereitet.

 

Ein Haus Gottes – da denke ich, als Christ, als Katholik, doch zunächst nicht an einen Stein, ob er nun auf dem Boden liegt, oder aufrichtet zu einem Denkmal steht. Sondern ich denke zunächst doch an ein Gebäude. An ein Gotteshaus, eine Kirche. Vor allem an diejenigen Kirchen, die mir vertraut sind oder auch waren. Und ja, manche dieser Kirchen haben tatsächlich ein sogenanntes Paradiesportal, einen Eingangsbereich, der dazu einlädt, ganz bewusst durch ihn hineinzugehen.

Dass Gott in diesen Gotteshäusern anwesend ist, diese Vorstellung ist mir wohl vertraut. Dass ich dort mit ihm in Beziehung treten kann – erfahre ich wie auch viele andere Menschen immer wieder. Mal mehr oder weniger intensiv.

 

Aber natürlich weiß ich auch, dass Gott nicht, oder zumindest nicht ausschließlich, in diesen Gotteshäusern „wohnt“. Und ich weiß leider auch, dass sich diese Gotteshäuser nicht immer und nicht für jeden Menschen als eine Pforte des Himmels erweisen. Also als ein Ort, eine Gelegenheit, in der ein Mensch spürt, dass er hier mit diesem Gott, seinem oder ihrem Urgrund ganz eng verbunden ist.

 

Wie aber kann es zu einer solchen engen Beziehung kommen, wenigstens zu der Ahnung, dass eine solche enge Beziehung besteht, eine Beziehung zwischen mir und dem, den wir Gott nennen?

Der biblische Bericht über Jakobs Traum mag hier einen Fingerzeig geben.

 

Jakob ist auf einem langen Weg, aus dem Negev im Süden des heutigen Israel ins Zweistromland, in die Heimat seines Großvaters Abraham im heutigen Irak. Er weiß, zuhause ist er nicht mehr sicher. Denn er hat einen handfesten Konflikt mit seinem älteren Zwillingsbruder Esau. Jakob hat Esau durch eine List um den väterlichen Segen und damit auch um sein Erbe gebracht.

 

Auf diesem Weg, auf den er durch seine eigene Schuld geraten ist, muss Jakob – allein – draußen übernachten. Allein, und schutzlos. Und er ist sich, das stelle ich mir zumindest so vor, seiner Wehrlosigkeit und seiner Schuld bewusst.

 

Und nun, mitten in der Nacht, hat er diesen Traum, den Traum einer Leiter, die bis an den Himmel reicht und an der Boten Gottes auf- und niedersteigen. Und Gott spricht zu Jakob und verspricht ihm: Ich will dich behüten, wohin Du auch gehst, ich will dich heimkehren lassen und verlasse dich nicht. 

 

- Welch ein Segen! –

 

Und Jakob, der erwacht aus dem Traum. Er erinnert sich an diese Begegnung und spürt noch im Nachhinein, dass er Gott nahegekommen ist. „Der Herr ist an diesem Ort – und ich wusste es nicht“.

Wenn ich das auf mein eigenes Leben übertrage, heißt das: Welch ein Geschenk, welche Gnade, dass Gott in meinem eigenen Leben anwesend ist, und ich das ab und zu tief im Herzen selber spüren darf. Auch wenn mein Leben gefährdet ist, auch wenn ich mir Sorgen mache.

 

Für mich bedeutet es noch mehr: Ich glaube, wenn wir bereit sind, in den anderen Menschen, gleich welcher Konfession und Religion, Gottes geliebte Kinder zu sehen und einander als solche zu begegnen, dann können auch wir, mit seiner Hilfe, so etwas wie Boten Gottes werden. Ist es nicht ermutigend, dass, wie wir gerade gehört haben, in der Herforder Synage einige Imame zu Gast waren. Ja, auch unsere eigenen Begegnungen können zu Orten werden, an denen Gott wohnen kann. Dann werden diese Orte zu einem Haus Gottes, ganz gleich ob so ein Haus sich Kirche, Synagoge oder Moschee nennt. Oder auch Laden, Spielplatz oder Parkbank heißt.

 

Dass solche Orte zu einem Haus Gottes werden, das können wir nicht machen, das können wir uns nur wie Jakob schenken lassen. Hilfreich ist dabei sicherlich, dass wir uns unserer Geschichte stets bewusst sind und bleiben. Was hinter uns liegt, auch die Schuld, die hinter uns liegt, gehört zu unserem Leben. Aber wir dürfen den Mut haben, unsere Türen und Herzen zu öffnen, Begegnungen und Neuanfänge zu wagen. Mit seinem Segen mag das ein- oder andere Mal dann jemandem bewusst werden, dass der Ort, an dem er oder sie ist, auch ein solches Haus Gottes ist. Und so können wir dann vielleicht sogar einen kleinen, eben unseren Teil dazu beitragen, dass da ein Tor des Himmels ist – ein Weg, auf dem Menschen und Gott sich begegnen können.

 

 

Frauke Wagner

Pfarrerin der Evangelisch-Lutherischen Marienkirchengemeinde Herford

 

Teil 3

 

Das Tor des Himmels. Das ist auch ein realer Ort. Mit Atlanten oder Google Maps ist er aufspürbar. Man findet dieses Sehnsuchtsziel etwa im Tiamnem Shan Nationalpark in China. Dort steht, im bergigen, hochalpinen Gelände ein buddhistisches Kloster. Gebaut in der Nähe zu einer imposanten Felsformation. In einer Bergkette findet sich dort ein großes Loch im Felsen. 130 Meter Durchmesser. Unverstellter Blick in den Himmel. Das Tor zum Himmel, so wird dieses Naturphänomen genannt.

 

Das Tor zum Himmel. Ein urmenschlicher, spiritueller Sehnsuchtsort.

In der biblischen Geschichte kommen Jakob und dieser Ort zueinander.

Ungeplant. Jakob ist gezwungenermaßen unterwegs. Weder Reiselust noch spirituelle Sehnsucht trieb ihn fort. Sondern Familienzwist.

 

Erschöpft von seinem unfreiwilligen Abenteuer-Marsch, muss Jakob sich einen Schlafplatz suchen. Mangels Reisegepäcks mit weicher Füllung, legt er seinen Kopf auf einem Stein ab.

Erschöpft findet er unter freiem Himmel Schlaf. Und im Schlaf dann kommt der Ort zu ihm. Mit träumenden Augen sieht Jakob eine Leiter. Erdwärts gestellt, reicht die Spitze bis in den Himmel. Weit hinauf. In die Regenbogensphären. In dem Text klingt es fast so, als sei die Leiter schwebend. Zwischen Himmel und Erde. Keine Erdenleiter, keine Himmelsleiter. Eine Dazwischen- Leiter.

Und auf dieser Stiege steigen Engel auf, Sprosse für Sprosse. Von Jakob aus, Richtung Himmel. Gleichzeitig steigen aber auch Engel nieder - so heißt es. Wie am Eingang eines fleißigen Bienenstockes. Die einen kehren zurück und die anderen machen sich auf. Und am Ziel- und Ausgangspunkt dieses emsigen Treibens formiert sich etwas. Es ist: Gott.

 

Gott schauen…. Kein Wunder, dass Jakob schaudernd erwacht. Die Begegnung mit dem Numinosen berührt ihn bis unter die Haut. Es vibriert tief in seine Knochen hinein. Sein Herz setzt aus. Fängt wieder an zu schlagen. Erschaudert ist er und es wird ein doppeltes Erwachen für Jakob.

Ein Verstehen setzt ein. Jakob begreift, was Gott ihm mit diesem Traum geschenkt hat: Die innere Landkarte zum Tor des Himmels. Einen Schlüssel zu seiner Befreiung.

 

Jakob versteht: Auf den Stufen der Leiter, da gab es Engel, die hinaufsteigen. Diese Engel, so eine jüdische Auslegung, sie stehen für die Engel der Heimat. Es sind die Engel der Vergangenheit, die Jakob nun verlassen. Sie gehören zu seinem bisherigen Leben, zu dem Land, wo er mit seiner Familie gelebt hat. Sie haben ihn da begleitet. Es sind die, die wie die fleißigen Arbeiterinnen nun zurückkehren. Ihr Job ist nun beendet. Die Zeit des Geschehens schließt die Tore.

 

Und neben diesen heimkehrenden Engeln, da gibt es die Aufbrechenden. Achtsam und waghalsig klettern diese Engel an den anderen vorbei und steigen hinunter. Das sind die Engel der Zukunft. Die Begleiter für die Fremde. Die Engel, die ihn von nun an begleiten. Hinein in das, was kommt.

Und ich stelle mir vor: dass auch jetzt gerade einige von diesen Aufbruchsengeln voll Tatendrang losziehen wollen. Hinein in eine Zukunft, in der es keine Polizeiautos vor Synagogen geben muss und niemand mehr das Gotteshaus seiner Freundinnen und Freunde bewachen muss. Hinein in eine Zukunft, in der wir aushalten können, dass wir unterschiedlich sind. Und in der wir spüren, dass wir doch alle Menschen sind. Gottes Geschöpfe, die wir sind.

 

Zurück zu Jakob:  Bei ihm stelle ich mir vor, dass nach dem Schauer sich wärmende Zuversicht breit macht. Und er merkt, dass sein Name hält, was er verspricht: Jakob - Gott schützt.

 

Das Tor des Himmels. Jakob hat diese Stelle gefunden. Den schier unerreichbaren Sehnsuchtsort jenseits des Regenbogens. Gefunden hat er ihn an einem Platz voller Geröll. An einer unkultivierten, lebensfeindlichen Stelle. Im Dunkel der Nacht. Und auch wenn Jakob weiterzieht, wird er das Tor zum Himmel nicht mehr verlassen. Denn egal wohin er geht, er trägt nun eine Landkarte in sich, auf der diese Stelle eingezeichnet ist: Das Wissen, dass Gott ihn begleitet, in der Zukunft und in der Fremde. Er hat den Ort gefunden und damit seine Freiheit.

 

Es gilt das gesprochene Wort.