Was kann ich für dich tun?

Evangelischer Rundfunkgottesdienst

Bild: Gemeinde Emmauskirche Feldkirchen-Westerham (Bayern)

Was kann ich für dich tun?
Rundfunkgottesdienst aus der Emmauskirche Feldkirchen-Westerham (Bayern)
23.02.2020 - 10:05
13.02.2020
Christian Kopp
Über die Sendung

Hinter der Frage steckt eine Grundhaltung. Da bietet jemand ganz offen seine Hilfe an. Außerdem schwingt darin mit: Ich lasse dich nicht hängen. Jesus fragt mit dieser Haltung im Markusevangelium einen blinden Menschen, der ihn um Hilfe gerufen hat.

Im Gottesdienst sind Menschen zu hören, die konkrete Hilfe erfahren haben, etwa durch die ökumenische Nachbarschaftshilfe. Daneben kommen Menschen zu Wort, die konkret helfend tätig geworden sind. Der Münchner Regionalbischof Christian Kopp reflektiert in seiner Predigt Jesu Frage an den Hilfesuchenden und verortet sie mitten in der Alltagswelt.

Auch in der musikalischen Gestaltung und in den liturgischen Texten spiegeln sich der Hilferuf und die befreiende, weil zurückfragende Antwort. Zu hören sind ein Vokalensemble unter Leitung von Dekanatskantor und Organist Andreas Hellfritsch und der Trompeter Uwe Baumer. Neben Pfarrer Samuel Fischer verleihen zwei Jugendliche aus der Kirchengemeinde Bruckmühl den Texten ihre frische, aufmunternde Stimme.

 

 

Gottesdienst nachhören

 

Den Gottesdienstmitschnitt finden Sie auch direkt unter http://www.deutschlandradio.de/audio-archiv.260.de.html?drau:broadcast_id=122

Predigt zum Nachlesen

Ich bin in einer großen Familie aufgewachsen: Mit drei Schwestern und vielen Cousinen und Cousins. In der Folge der Geschwister bin ich die Nummer Drei und der einzige Junge. Da ging es manchmal ziemlich turbulent zu. Und da musste ich immer wieder einmal schreien. Ich. Meines. Das will ich. Das Ich pflastert meinen Weg in der Großfamilie. Mal ging es um ein Stück leckere Pizza. Mal darum, wer zu einem Konzert oder Theaterbesuch mitfahren durfte. Mal ging es darum, wer gerade die meiste Zuwendung von den Eltern gebraucht hat. Da musste ich als Junge manchmal laut „ich“ sagen. Hier! Ich bin auch noch da.

 

Manchmal hilft nur schreien. Das weiß auch der blinde Bettler im heutigen Evangelium. Er kommt einfach nicht durch. Es ist so viel Trubel. Viel zu viele Leute sind auf der Straße. Die ganze Stadt ist auf den Beinen. Jesus kommt nach Jericho. Und der Bettler schreit: Hey Jesus. Aber keiner hört ihn.

 

Um Hilfe schreien. Das möchte ich auch, wenn ich an das Attentat von Hanau denke. 12 Menschen getötet. Aus rassistischem Hass heraus. Das ist zum Schreien und Verstummen zugleich. O Gott! Entsetzlich! Wie kann das sein?

 

Angesichts von Hanau geht es mir ähnlich wie dem Bettler: Ich fühle mich hilflos, mittellos. Keine Erklärung, kein Rezept. Ich habe nichts außer dem Schrei „O Gott“.

 

Sohn Davids, hallo, hörst Du mich. Erst den zweiten Schrei des Bettlers hört Jesus.

 

Wenn der blinde Mann nicht geschrien hätte - was wäre passiert? Alles wäre geblieben, wie es war.

Eine Chance, eine Gelegenheit wäre vorbei gegangen.

„Es geht vorbei“ sagen wir nicht umsonst.

Und nicht wenige Chancen und Gelegenheiten gehen achtlos vorbei. Und auch die öffentliche Aufregung und die Trauer gehen vorbei.

 

Doch das Schreien unterbricht.

Der blinde arme Mann ergreift die Chance. Seine Lebenschance. Er weiß nicht, ob es hilft. Er kennt diesen Jesus nicht. Aber vielleicht. Vielleicht geht hier gerade die Chance seines Lebens vorbei. Diese Chance lässt er nicht verstreichen. Er kann sie nicht verstreichen lassen.

 

Ich denke an die Chancen meines Lebens, bei denen ich laut „Hier“ gerufen habe. Als Student habe ich in einer Theatergruppe mitgespielt. Mit einer Kommilitonin habe ich ein zankendes Ehepaar gespielt. Der Mann - versoffen, die Frau eine ziemliche Zicke. Irgendwann sagte die Kommilitonin zu mir: „Wollen wir uns mal auf einen Tee treffen und uns mal anders kennen lernen?“ Ich habe Ja gesagt. Und mein Herz hat laut „Hier“ geschrien. Und heute – sind wir 32 Jahre miteinander verheiratet. Die Chance meines Lebens – bei der wir beide laut „hier“ gerufen haben. Klar, das war kein Schrei aus Not. Aber auch – existenziell. Es geht um das, was uns unbedingt angeht. Im Glück und auch in tiefer Verzweiflung.

 

 

Was willst du, dass ich dir tue? Es ist so, als ob Jesus uns hier ganz persönlich fragt: „Was machst Du mit Deinen Lebenswünschen?“ „Wofür setzt Du Dich ein?“ Was nicht wirklich tief aus Dir kommt, bleibt wirkungslos. Es muss aus Dir kommen. Der Wunsch muss fest in Dir sein, damit er Kraft entfaltet. Als Vater von zwei Kindern und als junger Großvater weiß ich: Wenn Kinder wütend und trotzig sind, kann man sich an ihnen aufarbeiten oder gar versuchen den Willen der Trotzschreier zu brechen. Manchmal liegen die Nerven auch einfach blank. Besser aber ist es: Mit Geduld mit diesen Suchbewegungen der jungen Nerven umzugehen und freundlich zu fragen: Was willst Du?

 

Was willst Du? Jesus lehrt mich mit dieser Frage eine Grundhaltung für mein Leben: Achte auf Deine Bedürfnisse und achte darauf, was Deine Mitmenschen brauchen. Im zwischenmenschlichen Kontakt klärt sich mit so einer Haltung grundsätzliches. Was willst Du? Was brauchst Du? So eine einfache Frage verändert meine Haltung.

Sehr viele Störungen entstehen dadurch, dass Menschen in ihren Grundbedürfnissen nicht wahrgenommen werden.

Mich schockiert, wie sich im Netz eine Unkultur von Hasskommentaren ausbreitet und immer selbstverständlicher wird. Was ist da los? Dass man sich hemmungslos beleidigt? Dass Hemmschwellen sinken, um andere übel zu beleidigen und ihnen das Schlimmste zu wünschen? Solche Worte, so eine Hasskultur ist der Boden, auf dem Taten wie die von Hanau oder von Erfurt erst möglich werden.

 

Ist die Zunahme von Hatespeech, von öffentlicher Hassrede auch so etwas wie ein Ringen um Aufmerksamkeit?

 

Ich frage mich, ob ich und viele nicht zu stumm sind oder zu still waren. Dass wir den Hassschreiern nicht energischer widersprochen haben.

Ich glaube, ich muss lauter werden. Wir müssen lauter werden. Ich will diese Gewalt in Worten und Taten nicht. Niemals. Niemals wieder hier bei uns. Ich stehe auf und ich werde aufstehen.

 

Und: Ich will von Jesus die Grundhaltung lernen: Was brauchst du? Ich glaube, nur aus so einer Grundhaltung heraus lassen sich Hass und Aggression überwinden. Was brauchst du? Was brauche ich? Warum schreist du so?

 

Wer sensibel auf die eigenen Bedürfnisse und Wünsche achtet, spürt viel leichter das, was das Gegenüber gerade braucht.

 

Der Kontakt zwischen dem blinden Mann und dem Jesus verläuft für den Bettler enorm zufriedenstellend. Was willst Du? Sehen! - Deal. - Dein Glaube hat Dir geholfen. – Und Schreien hilft manchmal. Auf nicht wenige Menschen heute wirkt diese Wundergeschichte wie ein Märchen. Für den scharf geschliffenen Verstand ist diese Story nur Phantasie der Antike. Hier trennt uns moderne Menschen in der Tat ein garstiger Graben von den sehr viel breiter aufgestellten Vorstellungen Anfang des 1. Jahrhunderts. Wichtig an dieser Geschichte ist mir: Menschen können sich verändern. Ist das nicht ein Wunder, wenn einer sich aus einer unzufriedenen Lebenssituation aufmacht und etwas Neues beginnt? Einen neuen Job. Eine neue Stadt. Eine andere Art sich zu ernähren. Für mich ist das auch ein Wunder, wenn Menschen ihre Haltungen ändern. Wenn Hass aufhört und sich wandelt. Wenn Menschen einen neuen Zugang zu ihren persönlichen Bedürfnissen finden und sich selbst und andere annehmen und lieben könnten. Leben aus der Grundhaltung Jesu: Achte auf Deine Bedürfnisse und achte darauf, was Deine Mitmenschen brauchen.

 

 

Ich besuche eine Frau im Krankenhaus, und sie erzählt mir. Jahrelang, so sagt sie, hatte ich keinerlei Kontakt zur Kirche. Ich hatte für so etwas schlicht keine Zeit. Es war mir auch nicht wichtig. Ich habe immer viel gearbeitet. Ich war sehr erfolgreich. Berufsbedingt musste ich immer wieder umziehen. Da blieb nicht viel Zeit, auch keine Zeit, mich ehrenamtlich zu engagieren. Und irgendwann war ich in einer ziemlichen Krise und fragte mich: Was will ich eigentlich für mein Leben? Wo soll es noch hingehen?

Was mich getragen hat, so die Frau, war die Erinnerung an meine Jugend, und vor allem: Das Abendgebet aus meiner Kindheit. „Müde bin ich geh zur Ruh ...“. Und das ist mir bis heute wichtig.

Und so hat sich alles zum Guten gewendet.

Seit längerem wohne ich jetzt wieder an einem Ort, an dem meine Familie Wurzeln geschlagen hat. Wir haben Kinder bekommen. Dadurch habe ich wieder engeren Kontakt zu meiner Kirchengemeinde bekommen. Und das Abendgebet ist jetzt auch für meine Kinder tägliche Übung. Und für mich ist es ist meine Trost- und Kraftquelle.

 

An der Lebensgeschichte dieser Frau verstehe ich die Worte Jesu besser: Dein Glaube hat Dir geholfen. Damit der Glaube helfen kann, braucht er Vorbilder. Frauen, Männer, die mir die Wirkung ihres eigenen Glaubens vorgelebt haben. Ich denke regelmäßig an Sie. Zum Beispiel Elisabeth, meine Nachbarin in den ersten Berufsjahren, hat mir gezeigt, dass Glaube musikalisch sein und als Musik durchs Leben tragen kann. Seitdem höre und summe ich Johann Sebastian Bach oder die Beatles und habe dabei immer ein bisschen Elisabeths Stimme in den Ohren.

Glaubensvorbilder sind für mich auch die menschlichen Begleitengel für die Drillinge, von denen wir eben gehört haben. Es tut gut, wenn Menschen an meiner Seite sind und mich fragen: Was brauchst du gerade, was willst du?

 

In den letzten Tagen haben in ganz Deutschland Mahnwachen stattgefunden. Und sehr viele aus unseren Kirchen waren dabei.

Mahnwachen mit der Botschaft: Wir sind an der Seite der Opfer von Hanau. Wir denken an Euch und Eure Angehörigen. Wir sind an der Seite aller, die angefeindet werden: Menschen mit Migrationshintergrund, Jüdinnen und Juden, ihr alle seid uns wichtig, wir gehören zusammen. Was braucht ihr gerade?

 

Jesus lehrt uns das genaue Hinschauen, das genaue Hinhören: Auf das, was ich brauche. Auf das, was mein Mitmensch braucht. Beides gehört zusammen.

Und mein Mitmensch spricht manchmal türkisch und deutsch und hebräisch und dann auch arabisch. Amen.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

13.02.2020
Christian Kopp