„Von der Lust, Gutes zu tun“

Elisabethkirche in Marburg

Bild: Pfr. Bernhard Dietrich

„Von der Lust, Gutes zu tun“
Gottesdienst aus der Elisabethkirche in Marburg
28.06.2015 - 10:05
26.06.2015
Pfarrerin Andrea Wöllenstein und Propst Helmut Wöllenstein

Helmut Wöllenstein:

Liebe Gemeinde, wir laden Sie ein, mitzugehen auf einen Rundgang durch die Kirche: Drei Stationen auf den Spuren der Heiligen Elisabeth.

 

Nur wenige Schritte von diesem Altar entfernt steht die sogenannte „französische“ Elisabeth. Eine Holzfigur, farbig bemalt, fast lebensgroß. Elisabeth ist als elegante Dame dargestellt mit goldener Krone und blauem Gewand aus Seidenbrokat, modisch mit einem Gürtel auf Taille geschnürt. Sie gehörte ja tatsächlich zum Europäischen Hochadel. Ihr Vater war König von Ungarn, die Mutter aus dem Hause Andechs-Meran.  Ihr Landgrafenschloss, die Wartburg, war einer der reichsten Höfe in Deutschland. Es wird erzählt, beim Essen an der Tafel saß sie gern neben Ludwig, ihrem geliebten Mann. Schon das war ungewöhnlich. In diesen Kreisen wurde eine Ehe damals nicht aus Liebe geschlossen, sondern aus machtpolitischen Gründen. Die beiden galten als eigensinnig, Ludwig und Elisabeth wurden belächelt, weil sie ihre Gefühle füreinander in der Öffentlichkeit nicht verbargen.

 

Vollends verblüfft war dann die feine Gesellschaft, wenn Elisabeth bei Tisch fragte: „Woher kommt der Wein, den wir heute trinken, woher stammen Brot und Fleisch?“ Wenn das Getränk von den leibeigenen Bauern mit Gewalt abgepresst worden war, ließ sie den Krug an sich vorübergehen und sagte: „heute können wir nicht trinken, nur essen“. War das Fleisch von den Tieren, die man aus den Ställen der armen Leute gezerrt hatte, nahm sie keinen Bissen. „Heute können wir nicht essen, wir können nur trinken“. War aber beides, Essen und Trinken, rechtmäßig von den Ländereien der Familie, dann griff sie herzhaft zu und füllte den ganzen Raum mit ihrer Heiterkeit.

 

Andrea Wöllenstein:

Eine alte Heiligengeschichte und doch ganz aktuell!. In Marburg fragen viele heute genauso, wenn sie einkaufen: „Woher kommen die Sachen? Der Kaffee zum Beispiel. -Unter welchen Bedingungen wurde er angebaut und gehandelt? Können bei dem Preis die Kaffeebauern davon existieren? Oder das T-Shirt, das für 8 Euro über den Ladentisch geht? Wurde es in Bangladesch genäht für Billigstlohn unter krankmachenden Bedingungen? Immer mehr Geschäfte achten darauf, Produkte anzubieten, die fair gehandelt und regional hergestellt worden sind.

 

Aber auch bei uns gibt es Leute, die solches Engagement belächeln. „Das ist naiv“, sagen sie. „Solche kleinen Schritte, die ändern keine Weltwirtschaft. Man kann den Markt nicht gängeln, der muss sich von selbst regulieren. Mit Gutmenschentum ist da nichts zu machen.“

 

Auch Elisabeth ist von ihrer Familie nicht ernst genommen worden. Im Gegenteil. Man hat ihr vorgeworfen, dass sie ihrer Rolle als Landgräfin nicht gerecht wird /als Landgräfin aus der Rolle fällt.

 

Helmut Wöllenstein:

Das sehe ich anders. Elisabeth war doch die einzige am Tisch, die ihre Rolle als Landgräfin ernst genommen hat. Sie ist eben nicht nur zur Falkenjagd durchs Land geritten, sondern hat die Augen aufgemacht.  Sie hat gesehen wie es ihren Bauern ging. Und sie hat Verantwortung übernommen für die Lebensbedingungen im Land. Einmal nach einer Missernte lässt sie Weizen austeilen an das Volk. Nicht nur damit die Leute etwas zu essen haben, sie gibt Saatgetreide aus den landgräflichen Vorratskammern her. Denn ihr ist klar: Die Bauern brauchen keine Almosen, sondern Gerechtigkeit und Hilfe zur Selbsthilfe.

 

 

Andrea Wöllenstein:

Die zweite Station führt uns in das nördliche Querschiff der Kirche. Eine Wandmalerei zeigt das Schlafzimmer von Elisabeth und Ludwig. Ein großes Bett, darin ein Kruzifix. Dahinter stehen mehrere Personen, die lebhaft miteinander reden, vielleicht auch streiten. Es wird erzählt, dass immer wieder Arme an das Tor der Wartburg klopften. Sie bekamen etwas zu essen und ein wenig Geld, so wie es damals üblich war an den Türen der Rathäuser, Kirchen und Klöster. Einmal ist die Landgräfin selbst ans Tor gegangen. Draußen stand ein Kranker. Aussätzig und hochansteckend, von Lepra befallen. Der Mann hätte nicht kommen dürfen. Nicht so nah. Er hätte von weitem rufen und um Hilfe bitten müssen. Dann hätte man ihm etwas rausgestellt in einem alten Korb. Doch Elisabeth schickt den Kranken nicht weg. Sie hat Mitleid und lässt ihn ins Schloss. Sie badet ihn, reinigt seine Wunden und bringt ihn anschließend – weil`s  niemand sehen soll - in ihrem eigenen Ehebett unter. Es hat aber doch jemand gesehen und kann es nicht fassen. Elisabeth ist ja schon oft sehr weit gegangen, aber das ist nun zu viel! Als Ludwig nach Hause kommt, drängt man ihn, er soll nun endlich durchgreifen. Sie eilen ins Schlafzimmer. Ludwig schlägt die Decke zurück und er sieht in dem Kranken den gekreuzigten Christus. Er sieht auf wunderbare Weise das, wofür uns eigentlich erst in einer anderen Welt vollends die Augen geöffnet werden. Wie wir es im Evangelium gehört haben: „Was ihr einem dieser Geringsten getan habt, das habt ihr mir getan“. Und so sagt Ludwig zu seiner Elisabeth: „Liebe Schwester, solche Gäste magst du allezeit in mein Bett legen.“

 

Helmut Wöllenstein:

Wenn ich höre, Arme klopfen ans Burgtor, denke ich an die Festung Europa. Wir führen ein gutes und sicheres Leben wie hinter hohen Mauern. Und viele Menschen stehen draußen vor den Grenzen, in größter Not, und wollen zu uns. Für die meisten bleibt das Tor geschlossen, viele ertrinken im Burggraben. Anderen stellt man ein Körbchen raus, gibt ihnen Almosen – doch mit der klaren Ansage:  „Bleibt bloß da wo ihr seid! Mit Euch wollen wir nicht in Berührung kommen. Eure Armut, euer Trauma, - das ist uns zu viel“. Die Fremden vor der Tür machen Angst. Auch wenn es nicht um ansteckende Krankheiten geht, wird doch gefragt, wer sind sie? Was bringen sie mit?. Wie neulich in einem kleinen Ort hier in der Nähe. Bei einer Bürgerversammlung wollen die Behörden informieren, dass demnächst Flüchtlinge im Ort einziehen. Da kommt ein lauter Zwischenruf: „Wer kommt denn da? Welche Mischung?“ – Und eine junge Frau antwortet: „Es kommen Menschen, Menschen wie Sie und ich.“

 

Andrea Wöllenstein:

Ludwig sieht den gekreuzigten Christus in seinem Bett liegen, und er kapiert was zu tun ist. Die beiden gründen wenig später ein Hospital in Gotha, also in einer der Städte unten im Land, wo nicht nur manchmal ein Armer an die Tür kommt, sondern wo viele von ihnen dauerhaft versorgt werden müssen. Beides gehört zusammen: Mitgefühl und die Initiative, ein ordentliches Haus für die Menschen zu bauen, die es brauchen. Nicht nur spontan zu reagieren, sondern auch nüchtern zu planen. Dazu gehört auch die sachliche Frage: Wer sind die, die zu uns kommen? Was brauchen sie? Worauf müssen wir uns einstellen?. Trotzdem ist die erste und wichtigste Antwort: Es kommen Menschen, Menschen wie wir. Sie brauchen uns. Sie brauchen Ehrenamtliche, die mit ihnen reden, die ihnen das Dorf zeigen oder den Stadtteil. Und sie brauchen die Fachleute in den Behörden, die ihnen den öffentlichen Nahverkehr erklären und mit den Schulen über den Unterricht ihrer Kinder verhandeln. Sie brauchen das, was wir alle brauchen. Denn sie sind wie wir.

 

 

Helmut Wöllenstein:

Ein letztes Bild. In den schönen Glasmalereien der alten Fenster im Hohen Chor leuchtet es uns entgegen. Elisabeth besucht Kranke. Eine Frau liegt im Bett. Elisabeth beugt sich zu ihr hin, nimmt ihre Hand und fühlt den Puls. Diese Szene spielt hier in Marburg. Elisabeth hat die Wartburg verlassen. Ludwig, ihr Mann, war auf einer Reise am Fieber gestorben. Sie hat sich ihr Witwengeld auszahlen lassen und davon hier in den Lahnwiesen ein Hospital gebaut. Für die Armen unter den Kranken. Für die ohne Geld, ohne Familie, ohne Wohnung. Und sie ist nicht nur adlige Stifterin. Sondern sie packt selbst mit an, füttert, pflegt, badet, legt Verbände an, putzt den Boden, kocht, wäscht die schmutzigen Laken im kalten Wasser der Lahn.

 

Sie schont sich nicht, kümmert sich kaum darum, wenn sie selbst erkältet ist und Ruhe braucht. Der einzige Luxus, den Archäologen später im Boden ihrer Hütte nachgewiesen haben, ist ein Kachelofen. Sie liebte die Wärme. Das macht sie menschlich, diese Frau, die unmenschliche Kräfte entwickelt, um für andere da zu sein. Man hat den Eindruck, sie selbst ist ein Ofen, ein Ofen voller Liebe, voller Wärme für andere. .Mit nur 24 Jahren stirbt sie hier in Marburg und wird in ihrem kleinen Hospital begraben.

 

Andrea Wöllenstein:

„Einer trage des anderen Last“. Ist das so gemeint, dass eine die Last der anderen auf sich nimmt, bis sie zusammenbricht? Mir wird an Elisabeths Geschichte deutlich, dass ich gut auf mich achten muss, wenn ich für andere da sein will. Ihre Situation ist uns ja nicht fremd. Gerade Frauen, die in ihrem Alltag vieles unter einen Hut bringen müssen, kennen das. Es gibt so viel, was ich will und was mir wichtig ist. Da passiert es schnell, dass ich mich und das, was ich brauche, aus dem Blick verliere. Aber wer nicht gut zu sich selber ist, folgt nicht dem biblischen Gebot der Nächstenliebe. Denn das stellt die Liebe zum Nächsten und die Liebe zu mir selbst auf gleiche Höhe. „Du sollst Gott lieben und deinen Nächsten wie dich selbst.“ Darum ist es wichtig, dass ich mich nicht verliere in meinen Aufgaben. Dass ich gut im Kontakt bin mit mir und mit dem, was mir Freude macht und Kraft gibt. Nur das, was mich selber erfüllt und beglückt, kann ich auch an andere weiter geben.

 

Das wiederum beeindruckt mich an Elisabeth. Ihre Fröhlichkeit und Begeisterung, die andere angesteckt hat. Ihre Freundinnen haben in ihr Tagebuch geschrieben, dass sie heiter war und geduldig, selbst schwierigen und schwer Kranken. Einmal hatte sie groß eingeladen, gleich zu Beginn ihrer Marburger Zeit. Draußen auf den Platz um ihr Hospital. Ein Fest sollte es werden für die Armen aus der Gegend. 1000 Leute waren gekommen! Und sie teilt aus. Eigenhändig, ein Viertel ihres Barvermögens, von dem sie als Witwe leben sollte. Als sie sieht, wie die Menschen sich freuten, wie sie anfangen zu tanzen und zu singen, da sagt sie zu ihren Freundinnen: „Ich habe euch doch gesagt: Wir sollen die Menschen froh machen!“

 

Helmut Wöllenstein:

Neulich habe ich einen Psychologen gehört. Er sprach vom dem was Menschen antreibt, was ihre vitalsten Kräfte sind: An erster Stelle nannte er Liebe, Lust, Sexualität, - und an zweiter Stelle sieht er die Motivation, Gutes zu tun. Für andere da zu sein. Ich finde das hochspannend: An zweiter Stelle steht nicht die Aggression des Menschen, die Neigung sich durchzusetzen, andere runter zu machen,– sondern an zweiter Stelle der Kräfte, die uns bewegen, steht die Lust, Gutes zu tun.

 

In Marburg gibt es heute viele Einrichtungen, die kranken Menschen helfen. Ein großes Uni-Klinikum, ein Hospiz, ein Diakonissenkrankenhaus. Hier wurde die „Deutsche Lebenshilfe“ gegründet. Das kleine Hospital der Elisabeth war wie ein Urknall, aus dem ein ganzer Kosmos entstanden ist. Professionalität steht heute an erster Stelle. Aber das ist nicht alles. Vor ein paar Tagen sagte eine Ärztin im Gespräch über anstehende Umstrukturierungen: „Es darf nie aus dem Blick geraten, warum wir alle unseren Beruf gewählt haben: Aus Nächstenliebe, einfach weil es Freude macht, Menschen zu helfen“.

 

Andrea Wöllenstein:

Das sagen auch viele Menschen, die ehrenamtlich arbeiten. Dass sie es nicht aus Pflichtgefühl tun, sondern weil es ihnen Spaß macht. „Ich helfe gern und freue mich, wenn ich mal raus komme von zu Hause“, sagt mir eine Frau, die einmal in der Woche bei der Tafel arbeitet. Und ein pensionierter Lehrer, der Flüchtlingen Deutschunterricht gibt, freut sich: „Endlich kann ich meine pädagogischen Erfahrungen noch einmal einbringen“.

 

Anderen helfen, ihre Lasten zu tragen, muss keine Last sein. Im Gegenteil. Denn es weckt in uns das Schönste, das Zarteste und Vitalste, was wir haben: Unsere Liebe, unser Mitgefühl und die Lust, Gutes zu tun.

Amen

 

Helmut Wöllenstein:

Von drei Szenen aus dem Leben der Heiligen Elisabeth haben wir erzählt, aber es gibt viel mehr. Eine ist zu einem Lied geworden. Fast alle Besuchergruppen wollen es bei ihren Andachten in der Kirche singen und dazu die Geschichte hören: Wie Elisabeth wieder einmal unterwegs war zu den Armen, mit einem Korb voll Brot, obwohl die Familie gesagt hatte: Jetzt ist`s mal langsam gut mit der Gutherzigkeit. Ludwig ertappt sie und fragt: Was hast Du da im Korb? Sie nimmt das Tuch weg und Ludwig sieht lauter Rosen im Korb liegen. -  Bei ihr gehört eben immer zusammen, was andere trennen: Brot und Rosen. Etwas zu essen und der Glanz, von dem wir leben.

26.06.2015
Pfarrerin Andrea Wöllenstein und Propst Helmut Wöllenstein