"…dem Schicksal in den Rachen greifen!"

Portrait von Ludwig van Beethoven von Joseph Karl Stieler, 1918 (gemeinfrei via Wikimedia Commons)

Portrait von Ludwig van Beethoven von Joseph Karl Stieler, 1918 (gemeinfrei via Wikimedia Commons)

"…dem Schicksal in den Rachen greifen!"
Beethoven und die Religion
26.07.2020 - 07:05
23.07.2020
Diederich Lüken
Über die Sendung:

Der "Feiertag" von Pastor Diederich Lüken im DLF zum Nachhören und Nachlesen.

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Wohl jeder, der auch nur am Rande mit der Musik zu tun hat, kennt folgende vier Töne:

 

Musik: 5. Symphonie von Beethoven

 

Das ist der Beginn der 5. Symphonie Beethovens. „So pocht das Schicksal an die Pforte!“ soll der Komponist dazu gesagt haben. Der Überlieferer, Anton Schindler, ist indes nicht besonders zuverlässig; er überhöhte gern den Komponisten und seine Werke. Dennoch bekam die 5. Symphonie den Beinamen „Schicksalssymphonie“. Das Konzept, nach dem die Symphonie aufgebaut ist, legt eine solche Interpretation auch nahe. Der Anfang ist ruppig und rau, rhythmisch markant. Ganz anders der zweite Satz, der in einem elegischen Klanggewand daherkommt. Der dritte Satz nimmt das Motiv des ersten Satzes in veränderter Form wieder auf; es wird kontrastiert durch ein Zwischenspiel, doch am Ende bleibt die Rastlosigkeit. Ohne Übergang schließt sich der vierte Satz an, der in triumphalem C-Dur steht. Noch einmal wird auf das pochende Motiv des dritten Satzes verwiesen, doch dann bricht sich der Jubel ungehindert Bahn. Der Weg, durch den der Hörer geleitet wird, führt vom Aufbegehren über mehrere Stationen hin zum Triumph. Es scheint so, als habe Beethoven ein seinerzeit weit verbreitetes Motto in Musik gesetzt. Auf Lateinisch lautet es: „per aspera ad astra“ - durch die Rauheiten hin zum Gestirn. Im Deutschen würde man es so ausdrücken: Durch Nacht zum Licht. Man kann sich dieser Deutung der 5. Symphonie kaum entziehen, wenn man sie hört. Damit aber ist diese Symphonie ein religiöses Werk. Es spricht von der Mühsal und dem Kampf des Lebens, von den Inseln der Hoffnung und vom endgültigen Sieg.

 

Musik: 5. Symphonie von Beethoven

 

Worin dieser Sieg besteht, macht Beethoven in einem anderen Werk deutlich. Das ist die 9. Symphonie. Im ersten und zweiten Satz erklingen rastlose Motive, es ist alles ein Ringen um Form und Inhalt. Der dritte Satz bietet eine wunderbare Erholung, bis ein schriller Akkord den vierten Satz eröffnet. Die Musik beruhigt sich aber wieder; sogar die berühmte Melodie von „Freude, schöner Götterfunke“ wird schon intoniert. Plötzlich erklingt wieder der schrille Akkord vom Anfang. Das schrille Szenarium wird aber gebrochen durch den Einsatz eines Solisten, der in profundem Bass singt: „O Freunde, nicht diese Töne! Sondern lasst uns angenehmere anstimmen, und freudenvollere.“ Diese angenehmeren und freudenvolleren Töne bestehen aus der Vertonung der „Ode an die Freude“ von Friedrich Schiller. Beethoven sprengt damit jedes bis dahin übliche Maß. Die Länge dieses Satzes mit über 20 Minuten Dauer übertrifft alle bis dahin komponierten Schlusssätze, ja, er ist so lang, wie vorher ganze Symphonien sein konnten. Beethoven fügt dem großen Orchester ein Solistenquartett hinzu sowie einen Chor. Das war bis dahin undenkbar. Kaum singbar sind für den Chorsopran die hohen Töne, die er zu singen hat; in voller Reinheit können dies nur professionelle oder wenigstens halbprofessionelle Chöre. Der Höhepunkt dieser freudevollen Komposition ist erreicht, wenn der Chor in höchsten Tönen singt: „Seid umschlungen, Millionen! Diesen Kuss der ganzen Welt! Brüder, überm Sternenzelt muss ein lieber Vater wohnen.“ Man kann natürlich einwenden, diese Worte seien doch von Schiller; aber die Großartigkeit, mit der der Komponist sie in Musik gesetzt hat, lässt darauf schließen, dass Beethoven hier seine eigene Glaubensüberzeugung kundtut. ‚Per aspera ad astra‘ bedeutet hier, ähnlich wie in der 5. Symphonie: Durch die Niederungen und Qualen des irdischen Lebens gelangt man hin zur Gottheit. Gott ist über dem Sternenzelt, aber er ist nah – ganz im Sinne Hölderlins, der seine „Hymne“ mit den Worten beginnt: „Nah ist und schwer zu fassen der Gott.“ Wenn Beethoven beide Symphonien, die fünfte und die neunte, hymnisch ausklingen lässt, ist dies ein hörbarer Hinweis darauf, dass für ihn die Gottheit schlussendlich den Sieg behält über das menschliche Elend. Am Ende steht nicht das Chaos, sondern die Freude. Sie verbindet die Menschheit in universaler Verbrüderung mit der Gottheit.

Für die Religiosität Beethovens zeugt auch das Streichquartett Opus 132. Es gehört zu den sechs sogenannten späten Quartetten. In der Mitte dieses Streichquartetts findet sich die Überschrift: Heiliger Dankgesang eines Genesenen an die Gottheit. Der Titel dieses 3. Satzes geht auf die Umstände seiner Entstehung zurück. Beethoven schrieb diesen weihevollen Adagio-Satz unter dem Eindruck einer schweren Krankheit, die seinen enormen Schaffensdrang im April 1825 unterbrochen hatte.

 

Musik: 3. Satz Streichquartett op. 132

 

Der vollständigen Genesung wird im darauffolgenden Abschnitt „Neue Kraft fühlend“ Ausdruck verliehen. Beethoven vertonte auch christliche Texte, wenn auch nur in geringem Umfang. Bedeutend ist die Vertonung von sechs Liedern Christian Fürchtegott Gellerts (1715-1769). Dieser gehörte zu den Schriftstellern, die einen christlichen Glauben suchten, der dem Rationalismus der Aufklärung standhalten konnte. Unter seinen Gedichten befindet sich das Lied: „Die Himmel rühmen des Ewigen Ehre.“ Diese Formulierung zeigt schon die Nähe dieses Textes zu den Überzeugungen Schillers und Beethovens. Die Vertonung für Singstimme mit Klavier fand weiteste Verbreitung. Es existieren Bearbeitungen für Männerchöre, gemischte Chöre, Klavier solo, unter anderen von Franz Liszt. Das Lied ist ein einziger Lobpreis der Größe Gottes. Entstanden ist es im Jahre 1802.

 

Musik: Die Himmel rühmen

 

Die anderen Lieder, weit weniger populär, befassen sich mit der Nächstenliebe, die Beethoven ja sowieso am Herzen lag, mit dem Tod, mit der Buße.

Schon im Jahre 1801 musste Beethoven befürchten, dass es für seine zunehmende Schwerhörigkeit, die schließlich zu seiner gänzlichen Ertaubung führte, keine Heilung gab. Er stellte sich seinem Schicksal, aber doch noch mit einer guten Prise Hoffnung und Kraft. An seinen Jugendfreund Franz Gerhard Wegeler schrieb er am 16.11.1801: »Ich will dem Schicksal in den Rachen greifen, ganz niederbeugen soll es mich gewiss nicht. Oh, es ist so schön, das Leben tausendmal leben!« Der Hintergrund dieser hoffnungsvollen Worte war bestimmt von zwei sehr unterschiedlichen Begebenheiten. Beethoven hatte seinen Arzt gewechselt und hoffte nun, von seinem Gehörleiden doch noch befreit zu werden oder wenigstens Linderung darin zu erreichen, und er hatte sich in ein, wie er schrieb, „zaubrisches Mädchen“ verliebt. Angesichts dieser Tatsachen ist es kaum verwunderlich, dass der Komponist neue Lebensfreude erhielt.

Zur Lebensfreude verhalf ihm auch die Natur. In Beethovens Bibliothek befand sich ein vom Lesen zerfleddertes Buch des Theologen Christoph Sturm (1636-1703) mit dem Titel „Betrachtungen über die Werke Gottes im Reiche der Natur und der Vorsehung auf alle Tage des Jahres“. Hier lesen wir, dass die Natur „eine Schule für das Herz sei, die uns auf sehr einleuchtende Art die Pflichten lehrt, welche wir sowohl in Absicht auf Gott, als auch auf uns selbst und unsere Nebenmenschen auszuüben schuldig sind. Die Naturliebe des Komponisten kann man unschwer aus der 6. Symphonie, der von Beethoven so genannten Pastoral-Symphonie, entnehmen. Es ist von Belang, dass dieses eher heitere Werk, versehen mit Naturlauten, zusammen mit der
5. Symphonie uraufgeführt wurde. Es liegt im Wesen des Komponisten, dass er nicht nur Kampf und trotzige Suche nach dem Absoluten kannte, sondern auch heitere Aspekte. Wenn die Pastoral-Symphonie seine Naturliebe bezeugt, so wird dieser Eindruck noch bestätigt durch zwei Zitate Beethovens: „Froh bin ich wieder einmal in Gebüschen, Wäldern, unter Bäumen, Kräutern, Felsen wandeln zu können, kein Mensch kann das Land so lieben wie ich. Geben doch Wälder, Bäume, Felsen der Widerhall, den der Mensch wünscht.“ Und dann, religiös überhöht: „Ist es doch, als ob jeder Baum zu mir spräche auf dem Lande: heilig, heilig!“ Auf seinen Spaziergängen kamen ihm seine Einfälle, seine Inspiration; auf seinen Spaziergängen korrigierte er seine Skizzen und führte sie zu der Gestalt, die den Meister zufriedenstellte. In der Natur konnte der Komponist sogar seine Taubheit vergessen.

 

Musik

 

Im Jahr 1802 erkannte Beethoven, dass seine Ertaubung endgültig war. Die fortschreitende Krankheit führte ihn in die fortschreitende Isolation. In dem erschütternden „Heiligenstädter Testament“ schildert er die Folgen, die dies für den Umgang mit anderen Menschen hat. Die Verzweiflung des Komponisten spricht aus jeder Zeile. Er war damals erst 31 Jahre alt. Die Aussichtslosigkeit seines Zustandes veränderte seine Haltung zur Religion. War er bis zu seiner Erkrankung mit Witz und Ironie dem Göttlichen entgegengetreten, suchte er nun ernsthaft nach einer Vertiefung seines Glaubens. Darum ist es kein Zufall, dass er als Reflex seiner äußeren und inneren Situation die Vertonung der Gellert-Gedichte vornahm. Manche Wendungen in seinem „Heiligenstädter Testament“ kommen den Formulierungen Gellerts so nahe, dass der Einfluss der Gellertschen Formulierungen auf die Worte Beethovens offensichtlich ist.

Beethoven schrieb drei weitere Kompositionen mit christlichem Inhalt. 1803 entsteht sein Oratorium „Christus am Ölberge“. „Die Handlung des Oratoriums setzt im Garten Gethsemane ein, als Jesu Verhaftung kurz bevorsteht und er seinen Vater um Trost bittet, gleichzeitig aber seinen bevorstehenden Kreuzestod ‚zum Heil der Menschheit‘ willkommen heißt. Als die Krieger auftauchen, um Jesus zu verhaften, bittet er seinen Vater, die Leidensstunden mögen schnell vorübergehen. Währenddessen flehen die Jünger um Erbarmen. Petrus versucht, Jesus zu retten, wird aber von diesem davon abgehalten. Als Jesus von den Kriegern gepackt wird, beschließt ein Chor der Engel das Werk“ (1). Beethoven schuf diese Komposition wie im Fieber und brauchte dazu lediglich 14 Tage. Das lässt darauf schließen, dass er seinen Zustand mit dem Jesu Christi vor seiner Folterung und Kreuzigung verglich – so wie dieser haderte der Komponist mit seinem Schicksal. Der Text von Franz Xaver Huber (1760-1810) lieferte dazu die Vorlage. Fraglich bleibt, ob der versöhnliche Schluss des Textes mit seinem Engelchor die Hoffnungen des Komponisten widerspiegeln oder gar erstarken lassen.

Im Jahre 1807 komponierte Beethoven seine Messe in C-Dur im Auftrag des Fürsten Nikolaus II. in Esterházy. Dieser war der Sohn Nikolaus I., der sich in der Musikwelt einen unschätzbaren Namen dadurch gemacht hatte, dass er Joseph Haydn als Hofkomponist anstellte. Haydn komponierte für ihn mehrere Messen. Beethoven war zeitweise sein Schüler. So verwundert es nicht, dass seine C-Dur-Messe im Stil und Geiste Haydns komponiert wurde; sie enthält sogar zwei Zitate aus der Schöpfungsmesse Haydns, nicht zu verwechseln mit dem Oratorium „Die Schöpfung“. Obwohl Nikolaus II. Haydns Musik sozusagen mit der Muttermilch aufgesogen hatte, gefiel ihm die Messe nicht. Beethoven widmete sie daraufhin dem Fürsten Kinsky.

 

Musik

 

Das religiöse Hauptwerk Beethovens ist die Missa solemnis, die feierliche Messe, in fünfjähriger Arbeit um 1820 herum geschaffen. Missa solemnis ist eine große, feierliche Messe – in der Regel bezeichnet sie eine Messe, in der auch Trompeten, Pauken und Posaunen erklingen. Bei Beethoven ist sehr deutlich zu spüren, dass die Missa solemnis nicht für die Kirche geschrieben wurde, sondern für den Konzertsaal. Sie zeugt von dem Ringen Beethovens um einen eigenen Zugang zum Glauben. Einerseits wurde die Messe, losgelöst von kirchlichen oder liturgischen Funktionen, zu einer Verklärung des humanen und humanistischen Menschenbildes, das universale Gültigkeit beansprucht. Andererseits offenbart sie das innere Erleben des Komponisten. Es gelingt ihm, das allgemein Gültige und das Individuum zusammenzudenken. In der Missa solemnis wurde der Glaube an das allgemein Gültige, an die Gottheit, eine individuelle Herzensangelegenheit. Wie ernst es Beethoven damit war, geht aus dem vorangestellten Motto hervor: „Von Herzen – möge es wieder zu Herzen gehen“.

Er hielt die Missa solemnis für „das gelungenste seiner Geistes-Produkte“. Der Chef der Elbphilharmonie Hamburg, Thomas Hengelbrock, ist dann auch davon überzeugt, dass es ein Stück ist, das dem Komponisten aus der Seele entspringt. Es kehrt die ganze Persönlichkeit Beethovens nach außen und bringt alles mit, was dort nicht nur an Glaubenszuversicht und an Trost und an Beglückung, sondern auch an großer Not und an Zweifel und manchmal an großer Verzweiflung drinsteckt. Beethoven fügt dem zum zweiten Mal auftauchenden Miserere nobis, erbarme dich unser, ein chorisch gesungenes „A“ hinzu, so, als wolle er dieser Bitte besonderen Nachdruck verleihen. Am Ende des Credo, zu Deutsch „Ich glaube“, wird die Hoffnung auf die Auferstehung der Toten erweckt. Sie sollen teilhaben an dem Leben der zukünftigen Welt. Diesen Satz wiederholt der Komponist geradezu exzessiv, so, als sei darin seine ureigenste Hoffnung ausgedrückt. Nach dem Amen am Ende dieses Passus lässt er die Instrumente in geradezu rasendem Aufschwung vielmal eine Kette von Achtelnoten und Sechzehntelnoten von unten nach oben steigen. Das lässt darauf schließen, dass ihn die Hoffnung auf das Ewige Leben beseelte. Erbarmen Gottes und die Hoffnung auf Ewiges Leben – das lässt tief in die Verzweiflung und in den Trost des Komponisten blicken.

 

Musik

 

In den Selbstzeugnissen Beethovens, vor allem in seinen Konversationsheften, die er wegen seiner Taubheit führte, wird sein Bezug zur Religion ebenfalls deutlich. Sein verzweifeltes Aufbegehren gegen seine Taubheit wandelt er um in ein Gebet, in dem seine Klage laut wird: „Du darfst nicht Mensch sein, für dich nicht, nur für andre, für dich gibts kein Glück mehr als in dir selbst, in deiner Kunst. – O Gott! gib mir Kraft, mich zu besiegen! Mich darf ja nichts an das Leben fesseln…”. Da ist nichts Titanisches zu vernehmen. Da inspiziert ein Mensch sein Inneres und kommt zu dem verzweifelten Schluss: Nichts Äußeres darf ihn mehr ablenken, es gilt nur noch die Kunst. Sie gegen die Widerstände seines Schicksals durchzusetzen ist sein heißumkämpftes Ziel. Das gibt ihm den Mut, dem Leben die Musik abzutrotzen. Seine kompositorische Kraft wird ihm immer bewusster, gerade in den Jahren seiner Taubheit, also nach der Lebenswende, die ihm die Taubheit einbrachte. Er kann so weit gehen, dass er sich als eine Art Mittler zwischen der Gottheit und den Menschen empfindet: „Höheres gibt es nichts, als der Gottheit sich mehr als andere Menschen nähern, und von hier aus die Strahlen der Gottheit unter das Menschengeschlecht verbreiten.“ An anderer Stelle behauptet er: „Musik ist eine höhere Offenbarung als alle Weisheit und Philosophie“. Beethoven ruft in Teilen seiner Musik die Gottheit an; freilich nicht so sehr als Person oder als ontologische Grundsubstanz des Lebens, sondern mehr als Prinzip, das in der Humanität, in der Naturverbundenheit und sogar auch in der Aufklärung wirksam ist. Die Göttlichkeit Jesu Christi hat er dabei niemals akzeptiert, Jesus war für ihn nichts als ein „gekreuzigter Jude“, wie er einmal sagte. Trotzdem verehrte er ihn als ein Vorbild für die Standhaftigkeit im Leiden. Er fand Parallelen zwischen Jesus und Sokrates. Insofern darf Jesus doch als ein Motivator unter anderen für den Lebenskampf des Komponisten gelten.

 

Musik

 

Beethoven verstand sich und seine Musik nur als Mittler des Göttlichen, nicht aber als das Göttliche selbst. Seine Kompositionen sind in zwei Richtungen transparent. Sie zeigen einerseits die Menschlichkeit des Menschen in vielen ihrer Aspekte, andererseits reichen sie „an die Gottheit an“, (Schikaneder in Mozarts Zauberflöte). Beethoven versuchte, das Göttliche menschlich zu machen und nicht das Menschliche göttlich.

Es war wohl nicht in seinem Sinne, während der Romantik selbst als Objekt göttlicher Verehrung zu dienen. Beethoven wurde zu einer Kultfigur. „Die Vorstellung, dass die Musik das Christentum abgelöst hat, dass die traditionellen Religionen dem Menschen nichts mehr zu sagen hätten und nun diese Funktion von der Musik übernommen wird, finden wir schon bei E. T. A. Hoffmann. Wir finden sie bei Robert Schumann und wir finden Sie bei Richard Wagner. Und sonst natürlich noch viel häufiger“ (Christian Röther in Deutschlandfunk). Das Christentum erschien der Bürgerlichkeit als altmodisch. Eine neue, andere Religion musste gefunden werden. Neben Atheismus, Kommunismus und Buddhismus war dies die Musik, insbesondere die Musik Beethovens und mit der Musik auch der Komponist selbst. Ihn zu verehren wurde zu einer Ersatzreligion. Die Aufführungen seiner Symphonien, vor allem der fünften und der neunten, nahmen einen gottesdienstlichen Charakter an. In ihnen feierte das Bürgertum sich selbst und gab sich die religiöse Überhöhung, deren sie durch den Verlust des christlichen Glaubens bedurfte. An Versuchen, Beethoven von diesem Sockel zu stoßen, gab es viele; in Erinnerung ist der Film „Ludwig van“ von Mauricio Kagel. Zu erwähnen ist auch eine Aufführungspraxis, die das vermeintlich Hehre der Musik auf menschliches Normalmaß zurückführt. Zu nennen sind hier unter anderen die Dirigenten Hermann Scherchen, René Leibowitz und Roger Norrington. Friedrich Gulda „entmythologisierte“ die Klaviersonaten und -konzerte. Trotz aller Versuche aber, Beethoven von seinem göttlichen Thron zu stoßen und ihn seiner Menschlichkeit wieder zuzuführen, ist die Verehrung bei weiten Teilen des Bürgertums ungebrochen. Wer über Beethoven und die Religion nachdenkt, sollte nicht übersehen, dass Beethoven selbst zu einer religiösen Figur geworden ist.

Wie Musik und Leben bei Beethoven miteinander verwoben waren und sein inneres Überleben ermöglichten, zeigt ein Aphorismus des Komponisten: „Die Kreuze im Leben des Menschen sind wie die Kreuze in der Musik: sie erhöhen.“

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

 

Literaturangaben:
(1) https://gemeinden.erzbistum-koeln.de/stifts-chor-bonn/dokumente/werkbeschreibung/Beethoven_op85.html).

 

23.07.2020
Diederich Lüken