Die Bürde, ein Adoptivkind zu sein

Gemeinfrei via unsplash / Patrick Fore

Die Bürde, ein Adoptivkind zu sein
Glück und Trauer emfinden
18.06.2023 - 07:05
27.01.2023
Susanne Lohse

von Susanne Lohse

Über die Sendung:

„Was ich erreichen möchte, ist, dass gesehen wird, dass Adoption Glück und Unglück ist. Ich habe eine gute Kindheit gehabt bei meinen Adoptiveltern, und zugleich war ich traurig. Und ich möchte das Recht haben, traurig zu sein.“ Sagt der Gesprächspartner der Autorin, der hier seine Erfahrungen als Adoptivsohn schildert und reflektiert - nicht zuletzt aus seinem christlichen Glauben heraus.

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Auf dem Nil treibt ein Binsenkörbchen. Darin liegt ein Säugling. So beginnt die Geschichte von Mose, wie sie die Bibel erzählt. Mose gilt für Christen, Juden und Muslime als wichtiger Prophet, als Leitfigur. Er gibt den Menschen weiter, was Gott ihm gesagt hat. – Ausgerechnet dieser große Sohn seines Volkes wurde von seiner Mutter ausgesetzt und später von einer fremden Frau aufgezogen.

Ralf Lengen: Mose wurde adoptiert. Mose wurde von seiner Mutter wegegeben, weil sie damit sein Leben retten wollte. Alle israelitischen Jungen wurden ja damals ermordet, und sie wollte ihren Sohn schützen und hat ihn ausgesetzt. Er wurde von der Tochter des Pharaos adoptiert. Wir haben hier ein Phänomen, das nennt sich: deine Mutter hat dich so sehr geliebt, dass sie dich weggeben hat. Was stimmt. Und was im Auge des Kindes einfach nicht stimmen kann. Also wenn meine Mutter mich so geliebt hätte, dann hätte sie mich ja nicht weggeben.

…sagt Ralf Lengen aus Berlin. Er wurde als Kind in Pflege gegeben und später adoptiert. Knapp 4.000 Kinder wurden laut Statistischem Bundesamt 2021 in Deutschland an Adoptiveltern vermittelt. Die Motivationen zum Adoptieren eines Kindes sind verschiedene: Kinderlosigkeit, die Adoption eines Stiefkindes, humanitäre Gründe. Wenn von Adoption die Rede ist, geht es meist um Paare, die sich ein Kind wünschen, um Recht und Gesetz. Susanne Panter schult in Frankfurt am Main Mitarbeitende von Jugendämtern in der Beratung von Adoptiveltern.

Susanne Panter: Es wurde in den 70-er Jahren ja noch ganz anders beraten. Da gab es noch gar keine DNA, das wurde noch gar nicht entdeckt. Dann gab es ja 89 das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung. Da wurde verfassungsgerichtlich verbrieft, dass ein Mensch das Recht darauf hat, zu wissen, wo seine genetische Abstammung herkommt. Das wurde begründet mit dem Paragraphen im Grundgesetz „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ und mit dem Recht auf freie Persönlichkeitsentfaltung. Das heißt, ich muss wissen, wenn ich ein Kind bekomme, vererbe ich irgendwelche Erbkrankheiten oder ich habe eine besondere Eigenschaft. Ist das vielleicht durch meine Herkunft begründet oder habe ich das selber ausgebildet?

Nach 40 Jahren ist 2021 ein neues Adoptionsgesetz in Kraft getreten. Es verändert die Art und Weise, wie Eltern mit dem Wunsch, ein Kind zu adoptieren, beraten und ausgewählt werden. Aus ihrer Beratungspraxis weiß Susanne Panter, dass das Gesetz zwar die gesellschaftliche Realität abbildet. Für die Herkunftsberaterin geht es aber nicht weit genug.

Susanne Panter: Jetzt ist es so, dass für 16-jährige Kinder die Eltern angeschrieben werden, dass sie darauf noch einmal hingewiesen werden, ob sie das Kind aufgeklärt haben, dass sie es aufklären sollen. Für mich ist dieses Gesetz noch viel zu kurz gesprungen. Aus meiner Sicht sollte es so sein, dass alle annehmenden Eltern ganz klar gemacht bekommen, dass es nicht darum geht, dass es eine Kinderbeschaffungsanstalt ist, in der man sich einfach ein Kind holt. Sondern, dass es darum geht, dass man einem Menschen, der auch ein Erwachsener wird, ein Heim gibt und dem Menschen sein Herkunftssystem auch lassen soll.

Die Adoption eines Kindes ist, wie auch die Verantwortung für ein Pflegekind, ein Balanceakt. Materielle Sicherheit, Bildung, stabile familiäre Strukturen können einen Rahmen bilden für ein gutes Aufwachsen. Der äußere Rahmen vermag es jedoch nicht, die Wurzeln des Kindes zu ersetzen.

Ralf Lengen: Was ja die Gesellschaft sieht, das ist das adoptierte Kind, dem es in der überwältigen Zahl der Fälle gut geht in der neuen Familie. Was nicht gesehen wird, ist, dass das Kind eine Vorgeschichte hat, dass es weggeben wurde, was dieses Weggeben werden mit dem Kind macht. Diese Loyalitätskonflikte, die das Kind zwischen erster und zweiter Familie hat. Was nicht gesehen wird, sind die Minderwertigkeitsgefühle, die Verlustängste und andere Gefühle, die aus diesem Wegegeben werden resultieren.

Loyalitätskonflikte begleiten Adoptiv- und Pflegekinder ihr Leben lang, sagt Ralf Lengen. In dem Buch „Ins neue Leben getreten! Adoption und Pflege aus Sicht des Kindes“, das beim Inschluss Verlag Berlin erschienen ist, arbeitet er seine Geschichte auf. Der gebürtige Iraner räumt auf mit dem Ideal einer „normalen“ Familie, wenn Eltern nicht das eigene, sondern ein Pflege- oder Adoptivkind großziehen. Der Autor verknüpft seine Lebensgeschichte mit Stimmen von Adoptiv- und Pflegekindern aus aller Welt. Bei seinen Recherchen hat er festgestellt: Tiefe Scham verbindet Adoptivkinder weltweit. Was für kinderlose Paare Glück bedeutet, ist im Erleben des Kindes oft alles andere als pure Freude und Glück. Stimmen aus dem Buch:

„Ich schäme mich dafür, dass jemand mich weggegeben hat. Ich frage mich, ob ich den Ansprüchen meiner neuen Familie gerecht werden kann.“  Scott aus den USA im Alter von zehn Jahren.

Jedes Mal, wenn ich diesen Fragen ausgesetzt war, brannte das Stigma der Adoption in mir und mit ihr die Scham, aber auch die Wut über das Nicht-Dazugehören.“ Tinga aus China, die als Vierjährige adoptiert wurde.

„Man wagt nicht, darüber zu sprechen, aus Angst, erneut verlassen zu werden.“ Laurent aus Frankreich im Alter von 32 Jahren.

Die Zitate sind dem Buch „Ins neue Leben getreten! Adoption und Pflege aus Sicht des Kindes“ entnommen. Für sein Buch hat der Autor schriftliche Dokumente von Pflege- und Adoptivkindern ausgewertet. Ihre Aussagen sind collageartig den persönlichen Schilderungen zur Seite gestellt; in farbigen Sprechblasen, jeweils versehen mit der Länderflagge des Landes, aus dem die Mädchen, Jungen, die Therapeuten oder Adoptiveltern stammen. Der Leser, die Leserin kann nicht umhin, dem Kind zuzuhören.

Ralf Lengen: Als ich fünf Jahre alt war, hat sich meine Mutter von unserem Vater scheiden lassen. Wir waren drei Kinder. Mein Bruder war zehn, meine Schwester sechs und ich fünf Jahre alt. Und dann ist sie von Oldenburg nach Bremen gezogen, und hat dann sich entschieden, ein Kind in Pflege zu geben, weil sie sich überfordert fühlte. Und dieses Kind, das war ich.

Eine Zeitungsanzeige sollte das Leben des kleinen Reza Ralf, so der volle Vorname Ralf Lengens, von heute auf morgen verändern. Viele Jahrzehnte lebte er in der Verdrängung. Reza Ralf wollte nicht auffallen und nannte sich in der deutschen Familie nur noch „Ralf“. Bis ihn, in einer Art Midlife-Crisis, die eigene Geschichte einholte. In einer Therapie wird sich der 54-jährige bewusst, dass Adoptivkinder oft „Ersatzkinder“ sind. Kein schönes Gefühl für ein Kind, das wie jeder Mensch, um seiner selbst willen geliebt werden und seine Wurzeln kennen lernen will.

Ralf Lengen: Das fängt ja schon damit an, dass ich anders aussehe als meine Eltern. Also, ich stelle meine Eltern vor, meine Eltern stellen mich vor, und dann gibt es erst einmal fragende Blicke. Skeptische Blicke. Ich habe mich immer so unter Rechtfertigungsdruck gefühlt. Hinzu kommt, dass mein erster Vater Perser ist. Und in den 70-er Jahren, als ich aufwuchs, da war Multikulti noch nicht so schick, und da fiel ich natürlich auf.

…beschreibt Ralf Lengen sein Innenleben als Kind. Im Rückblick spricht er von einem dreifachen Verlust: Die Mutter verliere bei der Freigabe des Kindes zur Adoption einen Teil ihres Selbst. Die Adoptivmutter erlebe beim Anblick des Kindes jedes Mal ihre eigene Unfruchtbarkeit. Das Kind erkaufe sich den „Gewinn“ einer intakten Familie mit dem Verlust der ersten Familie. Der Konflikt entsteht, weil es dem Kind in der neuen, der Adoptivfamilie, gut geht. Gleichzeitig fühlt es sich wertlos, weil die biologische Mutter es abgegeben hat. Dies ist, so Lengen, der Grundkonflikt des adoptierten Kindes. Besonders deutlich wird der Loyalitätskonflikt des Kindes, wenn es um einen Namen für die Eltern geht.

Ralf Lengen: Was in meinem Kopf abgelaufen sein muss, ist ungefähr folgendes gewesen: Wie soll ich meine erste Mutter nennen? Wenn ich Mama zu ihr sage, dann wird ja meine Pflege- und Adoptivmutter verletzt sein, weil ihr gebührt doch der Titel „Mama“. Wenn ich sie aber nicht „Mama“ nenne, dann wird meine erste Mutter böse auf mich sein. Es kann ja sein, dass ich eventuell auch noch einmal zu ihr zurückkomme, und sie wird diese fehlende Loyalität bestrafen. …Was habe ich als gemacht als kleiner Junge? Ich habe gar nichts gemacht. Ich habe immer „du“ gesagt, du komm einmal her. Das haben die Erwachsenen bald gemerkt und dachten, da muss eine Lösung her. Wir haben uns darauf geeinigt, wie es auch in vielen anderen Familien ist, dass ich meine Mutter mit dem Vornamen angesprochen habe.

Die Verwirrung im Kopf des Kindes also ist groß.

„Meine Mama sagt, sie wisse nichts von meiner Mama.“  Luciana aus Brasilien, die mit 20 Monaten nach Italien adoptiert wurde.

„Ich nannte ihn Vater. Ich habe ihn nie Dad genannt. Es gehört mehr dazu als eine Handvoll Besuche und ein bisschen Geld, um jemanden zu einem Dad zu machen.“ Michael aus den USA, der mit sieben Jahren in Pflege gegeben wurde und alle paar Monate eine neue Familie bekam.

„Aber Madame, ich bin nicht Ihre Tochter. Sie haben mich zur Welt gebracht, das ist alles.“ Bernadette aus Belgien, die mit drei Monaten adoptiert wurde.“

Ralf Lengen fährt fort in seiner Geschichte:
Ralf Lengen: Es ist übrigens auch sehr komplex über sie zu reden. Ich sage „erste Mutter“. Ich mag nicht so gerne den Begriff „leibliche Mutter“. Das reduziert meine Mutter so auf eine Gebärmaschine, und ich find, es gibt eine tiefere Beziehung zwischen uns als nur eine körperliche. Auch solche Sachen wie: Wer ist denn deine richtige Mutter? Gibt es denn eine falsche Mutter? Und da ist die Konfusion. Und die lässt sich auch nicht auflösen.

Wehmut, Schmerz, innere Zerrissenheit sind kennzeichnend für Pflege- und Adoptivkinder. Das Gefühl, von der Mutter weggegeben worden zu sein, erschüttert. Was geht in der Seele eines Kindes vor, das von seiner Mutter weggeben wurde? Susanne Panter, die Frankfurter Herkunftsberaterin, erklärt, was Verlustängste schon bei Neugeborenen auslösen.

Susanne Panter: Man sagt ja immer, wenn es direkt aus dem Krankenhaus vermittelt wird, dann ist es nicht so schlimm, aber: Nein! Das Kind war ja neun Monate, bestenfalls, im Bauch, kennt die Stimme, die Wärme. Und das Programm, was abläuft bei einem Menschen, ist, dass das Kind aus dem Bauch rauskommt, auf den Arm der Frau, die es gewohnt ist. Und wenn das nicht erfolgt, dann entsteht automatisch ein Trauma, also Lebensgefahr. Dass man nicht mehr da ist, wofür man eigentlich programmiert ist, sondern irgendwo anders, wo man nicht weiß, ob sich um einen gekümmert wird. Und dann ist diese Frau, die man da kennt, weg. Und das ist wie, als ob die stirbt.

Das Kind – gleich in welchem Alter - ist in Trauer und in Panik. Oft traumatisiert. Wenn diese Gefühlslage nun auf die freudig erwartungsvolle Adoptivfamilie trifft, entsteht eine Verwirrung. Das Kind findet seine Gefühle in den Gesichtern der Adoptiveltern nicht gespiegelt. Mit der Folge, dass es sich ausgeschlossen, nicht dazugehörig fühlt.

Ralf Lengen: Die Wunde ist ja dieses Verstoßen sein, dieses Ausgeschlossensein. Das ist ja ein konkreter Anlass. Aber dieser Ausschluss, der dauert ja an.

Von seinen Eltern abgeschnitten zu sein, ist ein so großer Schmerz, dass auch Ralf Lengen lange nichts mit seiner frühen Kindheit zu tun haben wollte. Als er mit fünf Jahren in Pflege kam, sprach er seine Muttersprache, Persisch. Mit der Eingewöhnung in die Adoptivfamilie verlernte er die Sprache. Erst als Erwachsener erlernte er sie wie eine Fremdsprache neu. Den Verlust, den Schmerz zu betrauern, wäre die normale, gesunde Gefühlsreaktion.

„Aber uns wird nicht erlaubt, diesen Verlust anzuerkennen. Wir werden ermahnt, dankbar zu sein, als wenn es Trauer und Dankbarkeit nicht zugleich geben könne.“ Beata aus Indonesien, die als Neugeborene von ihrer Mutter getrennt wurde.

„Adoption beginnt mit Schmerz, und das Kind bringt diesen Schmerz in die Familie, und dann braucht jeder Heilung.“ Adoptivmutter Shannon USA.

Adoption sei das einzige Trauma, bei dem von den Betroffenen erwartet wird, dankbar zu sein, schreibt die Autorin Nancy Verrier 2009 in dem Buch „The Primal Wound: Understanding the adopted child“. Diese „Urwunde“ gilt seit dem Begründer der Psychoanalyse, Sigmund Freud, als nicht gelöstes Trauma. Es entsteht in der frühen Kindheit und bezeichnet eine Störung der wesentlichsten emotionalen Bindung, nämlich der zwischen Kind und Eltern. Die Wunde überlebt und bleibt auch im Erwachsenenalter. Sei dankbar! Das Kind spürt die subtile Botschaft, erfüllen kann es die damit verknüpfte Erwartung jedoch nicht. Nicht, ohne zu trauern.

Ralf Lengen: Was ich erreichen möchte, ist, dass gesehen wird, dass Adoption Glück und Unglück ist. Ich habe eine gute Kindheit gehabt bei meinen Adoptiveltern, und zugleich war ich traurig. Und ich möchte das Recht haben, traurig zu sein und mir nicht von andern sagen lassen, du hast es doch so gut getroffen.

Hilflosigkeit, Ohnmacht, Loyalitätskonflikte, Ausgrenzung, Unsicherheit… Adoption nagt am Selbstwertgefühl. Trost findet der Historiker Ralf Lengen im christlichen Glauben.

Ralf Lengen: Es wirkt sich auf das Selbstwertgefühl aus. Warum? Weil wir unseren Wert danach definieren, wie andere uns sehen und am meisten unsere Eltern. Und wenn du nicht gut genug bist für deine eigene Mutter, was bist du dann? Du bist ein Nichts. Und die christliche Lösung, die ist nun wirklich wunderbar. Und die lauter folgendermaßen: Wenn ich mich als Sohn Gottes des Vaters sehe, dann beziehe ich daher meinen Wert. Und den kann mir niemand nehmen. Und das finde ich sehr tröstlich.

Zu allen Zeiten, in allen Kulturen wurden und werden Kinder von Menschen aufgezogen, die nicht die leiblichen Eltern waren oder sind. Soziale Elternschaft ermöglicht es, dass Kinder ein Zuhause erhalten, die sonst keines bekämen. Die Bibel erzählt einige Geschichten von Adoptivkindern. Mose im Binsenkörbchen ist nur eine von ihnen.

Ralf Lengen: Samuel wurde in Pflege gegeben zu Eli, dem Priester. Einmal im Jahr kam seine Mutter, um ihn zu besuchen und ihm ein neues Kleid mitzubringen, was mich erinnert an die Besuche meiner Mutter zu Geburtstag und zu Weihnachten. Und ich denke mir, der kleine Samuel hat gedacht: was will diese Frau hier? Also, wenn sie mich wirklich haben will, dann bringt sie mir kein Kleid mit, sondern dann nimmt sie mich mit, sodass ich bei ihr aufwachsen kann. Christus selbst ist ja adoptiert. Er wurde von Joseph angenommen. Und es ist interessant zu sehen, dass in den Stammbäumen, in Matthäus und Lukas, Joseph jeweils als Vater Jesu angegeben wird. Und daran merken wir, dass auch Adoption von Gott anerkannt wird. Ja, es wird die erste Familie anerkannt. Aber es wird auch die Adoptivfamilie anerkannt.

So interpretiert Ralf Lengen die biblische Erzählung für sich. Vor allem aber kann er dem christlichen Leitmotiv der Vergebung viel abgewinnen in dem Prozess, seine persönliche Erfahrung zu reflektieren - und sie zu bewältigen.   

Ralf Lengen: Eine andere, wichtige Sache ist es, zu vergeben. Das heißt, allen Beteiligten zu vergeben. Ich denke, das hat sehr viel mit einem inneren Prozess zu tun. Und um es christlich zu sehen: Jesus Christus hat am Kreuz gesagt: Vater, vergib ihnen. Der hat also nicht gesagt, ich vergebe ihnen, sondern man bittet Gott, den Betroffenen zu vergeben. In diesem Fall meiner Mutter, dass sie mich weggegeben hat. Das sage ich vor dem Hintergrund, dass ich selbst mittlerweile Vater bin, und meine Kinder mir auch einiges zu vergeben haben.

Er sei das Kind aller vier Eltern, hebt Ralf Lengen die Verbundenheit mit seinen beiden Elternpaaren hervor. Bis der Autor diesen Satz aussprechen konnte, musste er einen langen Weg zurücklegen. Er musste sich alte Verletzungen bewusst machen, Wut und Trauer zulassen, Mitgefühl mit sich und den Eltern aufbringen.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

Musik dieser Sendung:
1. Benjamin Richter: Zeit des Erwachens, CD-Titel: Piano mortem, Track Nr. 3.

2. Martin Todsharow: Memories, CD-Titel: Honig im Kopf – Original Motion Picture, Track Nr. 2.

3. Daniel Backers: September Piece (b), CD-Titel: Piano memories, Track Nr. 1.

4. Jean-Michel Vallet: Bridge of Memories, CD-Titel: Paris Postcards, Track Nr. 1.

27.01.2023
Susanne Lohse