Glaubensfreiheit

Feiertag
Glaubensfreiheit
Erinnerung an Caritas Pirckheimer (1467-1532)
19.03.2017 - 07:05
18.03.2017
Anne Bezzel
Über die Sendung

1525 hält die Reformation Einzug in der freien Reichsstadt Nürnberg. Die humanistisch gebildete Äbtissin des Klaraklosters verteidigt ihre Lebensform. Sie fordert Glaubens- und Gewissensfreiheit – auch für die "Altgläubigen".

Sendung zum Nachhören
Sendung nachlesen

2017. Allerorten gedenkt man in diesem Jahr der Geburtsstunde der reformatorischen Bewegung. Sie ist eine Bewegung, die sich die Freiheit des Glaubens auf die Fahnen schreibt. Die den Glauben als persönliche Herzensangelegenheit begreift. Und als Geschenk Gottes, das wir aus freien Stücken annehmen sollen:

 

„Dass wir aber wider unser Gewissen sollten handeln oder glauben, will uns auch schwer sein, … Denn der Glaub’ ist ja ein Gnad von Gott, will auch ungenötigt sein, darum kann er nicht mit Gewalt oder Drohung in den Menschen gegossen werden…Denn das ist unser Glaub’, …, daß wir die Rechtfertigung allein Gott zugeben und dem Verdienst und Leiden Christi.“

 

Rechtfertigung allein durch Christus. Glauben als Gnade von Gott. Stichworte, die man mühelos, beinahe reflexartig Martin Luther zuschreiben möchte. Aber sie stammen nicht von dem Wittenberger Theologen. Aufgezeichnet hat sie Caritas Pirckheimer, eine der vielleicht außergewöhnlichsten Frauen jener Epoche, an deren 550. Geburtstag in diesem Jahr gedacht wird.

Geboren wird sie am 21. März 1467 als Barbara Pirckheimer , als älteste Tochter eines angesehenen Juristen aus einem Nürnberger Patriziergeschlecht. Ihr Geburtsort ist Eichstätt, wo der Vater Hans Pirckheimer als Berater des Bischofs tätig ist. Später pendelt er zwischen München und Innsbruck: Er ist zur gleichen Zeit Ratgeber des Herzogs von Bayern und des Erzherzogs von Österreich. Als überzeugtem Humanisten liegt Hans Pirckheimer die Bildung seiner Kinder besonders am Herzen. Er macht dabei keinen Unterschied zwischen Söhnen und Töchtern.

Barbara, die älteste, schickt er mit etwa 7 Jahren nach Nürnberg zum Großvater. In dessen Haus wird sie von ihrer Großtante Katharina unterrichtet. Deren außergewöhnliche Gelehrsamkeit ist stadtbekannt. Unter ihrer Obhut entwickelt sich Barbaras lebenslange Leidenschaft, zu lernen.

1479, im Alter von 12 Jahren, vertraut man sie der Schule des Nürnberger Klaraklosters an. Sie brilliert in Latein. Ihre Äbtissin notiert über eine Begegnung ihrer jungen Schülerin mit einem franziskanischen Generalvikar:

 

„… wie sie mit ihm und er mit ihr in Latein redet und ihn verstehen konnt', das gefiel dem Vater so wohl, dass es wunder war, es zu hören.“

 

Barbaras Bildungseifer ist im Kloster am rechten Ort. Freilich ist dieser Ort alternativlos: Latein zu erlernen, die Schriften der klassischen Antike zu lesen – für Frauen ist dies nur im Kloster möglich. Das Kloster als idealer Lernort. Aber ist es für Barbara auch der rechte Ort, um zu leben?

Abgeschlossen von der Welt, eingeschlossen in ein festes Regelwerk der Frömmigkeit? Barbara Pirckheimer entscheidet sich aus freien Stücken für diesen Weg. Der genaue Zeitpunkt dieser Entscheidung ist nicht bekannt: Mit 16 oder womöglich erst mit 18 Jahren nimmt sie den Schleier.

 

„Ich gelobe Gott und unserer Frauen Sankt Marien, der ewigen Jungfrau, Sankt Franziskus und Sankt Clara und allen Heiligen, zu leben unter der Regel, die unserm Orden gegeben ist von dem Papst Urban dem IV, zu aller Zeit meines Lebens. In Gehorsam. Ohne eigenen Besitz. Und in Keuschheit. Auch unter dem Schlosse nach der selbigen Regel Ordnung.“

 

Zur Ordnung des Klosterlebens gehört auch, die alte Identität zurückzulassen. Sich einen neuen Namen zu geben. Barbara wählt mit Bedacht: Caritas. Zu deutsch: Die barmherzige Liebe. Ein Leben lang wird sie sich an dem Anspruch dieses Namens abarbeiten.

 

„… denn nur dem Namen nach, nicht in der Sache trage ich diesen Namen“

 

Caritas meint, ihrem Namen nicht gerecht zu werden. Sie bekennt, nicht immer der Liebe als dem Leitstern ihres Lebens zu folgen. Aber als sie 1502 einmütig zur Äbtissin gewählt wird, spielt nicht allein ihre Bildung, sondern auch ihr Wesen eine entscheidende Rolle. Der Probst von St. Lorenz, der aus erster Hand über Caritas’ Umgang mit den ihr anvertrauten Schwestern informiert ist, hält fest, -

 

„… daß ein milder Brunnen der Lieb’ gegen deine Schwestern aus dir entspringe.“

 

Und eine junge Schwester aus dem Kloster schreibt an ihren Vater:

 

„Ich habe eine getreue, freundliche, liebe, würdige Mutter an ihr – mehr denn ich sagen oder schreiben kann…“

 

Caritas als ideale, liebevolle Äbtissin? Wäre sie nicht mehr gewesen als das, sie wäre heute vergessen. Aber Caritas geht in dieser Rolle nicht auf. Trotz der strengen Klausur steht sie in einem engen Beziehungsnetz – weit über die Mauern von St. Klara hinaus. Die führenden Köpfe ihrer Zeit suchen die gut 30jährige, gebildete Ordensfrau als Gesprächspartnerin. Man stilisiert sie zum weiblichen Idealbild des Humanismus. Bisweilen treibt dies seltsame Blüten. Etwa bei Konrad Celtis, dem vom Kaiser gekrönten Dichterfürsten, der versucht, sie vor den Karren seiner deutschen Überlegenheitsideologie zu spannen:

 

„Jungfrau, wohlgeübt in der Römer Sprache,

Aller Frauen seltener Stern und Krone…

Seltne Zier bist du in den deutschen Gauen…“

 

Man sollte meinen, dass Caritas von solchen Lobeshymnen eingeschüchtert sein könnte. Aber schon hier zeigt sich ihre erstaunliche Autonomie. Ihr Eigen-Sinn – verstanden als selbstbewusste Haltung und Meinungsstärke. Caritas lässt sich nicht vereinnahmen. Dem Dichter Celtis schreibt sie freundlich und doch distanziert zurück: Seine Elegie auf ihre Heimatstadt, seine „Norimberga“ sei sicherlich ein „köstliches Büchlein“ – eine Ode auf das himmlische Jerusalem hätte ihr freilich besser gefallen. Und auch wenn sie wie er die antiken Schriften schätze –

 

„vorzuziehen ist stets die mystische Theologie – „sed praeferenda est semper mystica theologia“.“

 

Es ist gerade nicht Caritas‘ klassische Bildung, sondern ihre biblisch fundierte, mystische Theologie, auf der sie ihr Selbstbewusstsein gründet: Gott selbst habe, so lehre es die Schrift, Männer und Frauen gleichwertig geschaffen – nach seinem Ebenbild. Beiden habe er dieselbe Intelligenz geschenkt.

In den Jahren, die folgen, wird der Eigen-Sinn, das Selbstbewusstsein der Caritas Pirckheimer hart auf die Probe gestellt. Die freie Reichsstadt Nürnberg ist einer der ersten Orte in Deutschland, die mit den Forderungen Luthers ernst machen. Im März 1525 veranstaltet man ein sogenanntes Religionsgespräch, eine „freundliche christliche Unterred“ zwischen Altgläubigen und Luther-Anhängern. Im Sinne der Schriftgemäßheit fordern die überlegenen evangelischen Kräfte von der Gegenseite,

 

„daß ihr Päpste, Konzilien, Väter, Tradition, Gebräuche, Gewohnheit, alt Hergekommenes und was des Dings auf dem Wort Gottes nicht gegründet ist, ruhen lasst.“

 

Dieses Verdikt soll nicht zuletzt das Ende der Klöster besiegeln. Die unmittelbaren Folgen lassen nicht lange auf sich warten. Bereits wenige Tage nach dem Religionsgespräch werden den Klarissen die Franziskaner entzogen. Ein weitreichender Einschnitt im Leben der Nonnen. Sie verlieren mit ihren Seelsorgern zugleich den Zugang zu den Sakramenten. Kein Abendmahl, keine Beichte, keine Krankensalbung, keine letzte Ölung für die Schwestern von St. Klara.

In dieser Situation trifft Caritas eine Entscheidung. Mögen auch alle anderen Konvente dem Rat gehorchen– sie ist gewillt, Widerstand zu leisten. Zuviel steht für ihre Schwestern und sie selbst auf dem Spiel: Ihre Freiheit in Glaubensdingen. Ihre Gewissensfreiheit.

 

„… da ja der Geist frei und ungezwungen sein will und muss, auch niemand gedrungen wird in der Weltlichkeit einem Herrn zu dienen, der ihm nicht gefällt, viel minder ein Herrschaft genötigt ist, Diener anzunehmen, die ihm nicht fügsam sind, wieviel mehr geziemt es sich dann, den Geist in den geistlichen Dingen ungenötigt und frei zu lassen…“

 

In allen weltlichen, äußeren Belangen sei man dem Rat Gehorsam schuldig, jedoch in den Fragen, die das Gewissen und den Glauben betreffen, dürfe es keinen Zwang geben:

 

„Aber ebenso wie wir niemand gerne bedrängen wollen, also gerne wollten auch wir unbedrängt sein und mit dem Geist, nicht mit dem Leib frei sein.“

 

Der Entzug der franziskanischen Seelsorger ist nur der erste Schritt. Bald schon fordern Nürnberger Familien ihre Töchter aus dem Kloster. Diese verwehren sich dagegen. Doch ihre Weigerung nimmt niemand ernst. Bitter notiert die 23jährige Margarete Tetzel, deren Mutter sie gegen ihren Willen zurück nach Hause beordert:

 

„Das Gott erbarm, verhört man doch einen Dieb, eh man ihn henkt, weß solch ich entgelten, daß man mich in der Sach, daran mir so groß gelegen ist, nicht verhören will.“

 

Caritas Pirckheimer jedoch hört auf ihre Schwestern. Und sie gibt nicht auf. Sie wehrt sich: gegen die Vorurteile und Klischees, die den Nonnen entgegengebracht werden. Sie tut dies bisweilen mit sanfter Ironie, bisweilen mit scharfzüngigem Sarkasmus.

Die „Altgläubigen“, zumal die Klosterleute, seien allesamt christusvergessene Fanatiker der Heiligenverehrung? Auch wenn Caritas die Heiligen in Ehren hält, betont sie:

 

„Aber weh dem Menschen, der seinen Glauben und sein Vertrauen anderswohin setzt denn in Gott, … und in seinen eingeborenen Sohn… Wir wissen wohl, wie wir Franziskum halten sollen … wir halten ihn auch für keinen Gott, beten ihn noch keinen anderen Heiligen an… Wer mehr von Franzisko denn von Christo hält, der verantwort‘ das – unrecht ist allweg unrecht.“

 

Auch das bis heute gängige Vorurteil, jenseits des Protestantismus habe es keine Leidenschaft für die Bibel gegeben, entlarvt sie als höchst fragwürdig:

 

„Wir haben das Alte und Neue Testament eben wohl hier drinnen als ihr draußen, lesen es Tag und Nacht, im Chor, am Tisch, lateinisch und deutsch, … darum haben wir von Gottes Gnaden keinen Mangel am heiligen Evangelium und Paulus.“

 

Caritas lässt an ihren theologischen Überzeugungen keinen Zweifel: Allein Christus! Allein die Schrift! Wer mag die Äbtissin in diesen Ansichten mit geprägt haben? Es ist gut möglich, dass Caritas einen Theologen wahrgenommen hat, der auch für Martin Luther entscheidend war: Johannes Staupitz. Ab 1504 hält dieser sich immer wieder in Nürnberg auf. Er predigt. Bald gründet sich dort ein fester Zirkel von Anhängern, die „Sodalitas Staupitziana“. Die theologischen Parallelen zwischen Martin Luther und Caritas Pirckheimer sind jedenfalls bisweilen frappierend – bis hinein in einzelne Formulierungen. Caritas Ansichten zur Rechtfertigung allein aus Glauben könnte man ebenso bei Martin Luther lesen:

 

„Das Leiden Christi ist unsere Gerechtigkeit und gar nicht unsere Werke, denn wir wissen wohl, daß aus den Werken niemand gerechtfertigt wird, sondern allein aus dem Glauben, denn hätten wir durch unsere Werke können selig werden, so wäre der Herr Christus vergebens für uns gestorben.“

 

Wenn Caritas dennoch von der Notwendigkeit der Werke spricht –

 

„…denn wir wissen wohl, daß wir unsere Werke für nichtig achten sollen… wo aber viel Leut’ beieinander sind, muss ja eine Ordnung sein…“

 

– so trifft sie sich auch hier mit Martin Luther, der in seiner berühmten Schrift über die Freiheit eines Christenmenschen festhält:

 

„Warum sind denn die guten Werke geboten? Obwohl der Mensch inwendig nach der Seele durch den Glauben gerechtfertigt ist – so bleibt er doch noch in diesem leiblichen Leben auf Erden und muss seinen eigenen Leib regieren. Da heben sich nun die Werke an, da muss fürwahr der Leib mit Fasten, Wachen, Arbeiten getrieben sein!“

 

Soviel Gleichklang der Meinungen! Wenn jedoch Luther und Caritas in der Frage nach dem Glauben und den guten Werken so grundlegend übereinstimmen – warum gerät dann der Nürnberger Konvent immer stärker ins Visier der reformatorischen Kräfte? Gibt es in der neuen Ordnung der Gesellschaft schlicht keinen Raum für jene, die darauf beharren, in Glaubensdingen als mündige Subjekte zu handeln? Und nicht als Objekte behandelt zu werden?

Den Eigen-Sinn der Schwestern begreift der Rat schlicht als undankbaren Ungehorsam. Die alternative Lebensform des Klosters lässt sich mit dem von Luther propagierten neuen Frauenbild offenbar nicht zur Deckung bringen.

 

„Denn es ist ein nötig, natürlich Ding, dass alles, was ein Mann ist, muss ein Weib haben, und was ein Weib ist, muss ein Mann haben… Und wo man dem wehren will, da ist’s dennoch ungewehrt und geht doch durch Hurerei, Ehebruch und stumme Sünde seinen Weg, denn es ist Natur und nicht freies Ermessen hierin.“

 

Luthers lautstarke Worte drohen Caritas’ Bitte um ihre Glaubensfreiheit zu übertönen. Da hilft es auch nichts, daß er im Einzelfall Ausnahmen von jener Gleichschaltung der Lebensentwürfe zugesteht. Eine Auseinandersetzung auf Augenhöhe scheint mit Luther dennoch unmöglich.

Und doch erfüllt sich Caritas Sehnsucht nach einem Gegenüber, das bereit ist zum Diskurs. Schon im Frühjahr 1525 hatte ihr jüngerer Bruder Willibald einen Hilferuf verfasst, in dem er die Not des Klosters beschreibt. Der Adressat dieses Briefes: der Reformator Philipp Melanchthon in Wittenberg. Als dieser im Spätherbst nach Nürnberg reist, erklärt er sich zu einem Gespräch mit Caritas bereit.

Es ist eine denkwürdige, in der Reformationsgeschichte vielleicht einzigartige Begegnung, die dort im Beichthaus des Klosters im November 1525 stattfindet: Der gerade einmal 25-jährige Melanchthon, Luthers rechte Hand, trifft auf die beinah 60-jährige, überzeugt „katholische“ Äbtissin.

Und das erstaunliche geschieht: Hier finden sich zwei Menschen, die respektvoll miteinander umgehen. Die den Konsens suchen – und sich über ihn freuen. Aber auch, wo man uneinig bleibt, lehnt man den anderen nicht ab. Verbindlichkeit zählt. Nicht die Gräben. Die Achtung für den anderen, nicht der eigene Überlegenheitsgestus. Caritas notiert später:

 

„Wir concordierten zu beider Seiten in allen Punkten, denn allein der Gelübde halber konnten wir nicht eins werden: Er meinet ja, sie bünden nicht; … so meinet ich, was man Gott gelobet hätte, wäre man schuldig zu halten mit seiner Hilf. Er war bescheidener mit seiner Red’ denn ich noch keinen Lutherischen gehört hab; es war ihm sehr zuwider, daß man die Leut’ mit Gewalt nötigt. Er schied mit guter Freundschaft von uns.“

 

In der Zeit des erbitterten Konflikt erweist sich Melanchthon als unerwarteter Freund der Caritas Pirckheimer. Er wird sich schließlich vehement dafür einsetzen, daß die Angriffe gegen das Kloster aufhören. Denn ebenso wie für Caritas stehen für ihn zwei Dinge im Zentrum: Gewaltfreiheit – und Gewissensfreiheit. Auch wenn sie in der Frage nach den Gelübden uneins bleiben, bedeutet dies nicht das Ende ihres Dialoges. Beide sind bereit für einen Dialog, der die Freiheit auszuhalten vermag. Auch die Freiheit des anderen, sich anders zu entscheiden. Ein Dialog, der den christlichen Glauben als angstfreien Raum begreift, der allen Menschen zugedacht ist.

 

 

Musik dieser Sendung:

(1) Parce mihi domine, Jan Garbarek / The Hilliard Ensemble

(2) Phantasie in d-minor, Karl Nyhlin / Kellner & Weiss

(3) Phantasia in a-minor, Karl Nyhlin / Kellner & Weiss

(4) Blomgren, Erik Ask-Upmark

(5) Koral fran Seglora, Erik Ask-Upmark

18.03.2017
Anne Bezzel