Gottvertrauen angesichts der Hinrichtung

Gottvertrauen angesichts der Hinrichtung

© epd-bild / Daniel Sambraus. An der Westfront der Westminster Abbey in London steht eine Reihe mit 10 Statuen von Märtyrern des 20. Jahrhunderts, darunter eine Statue von Dietrich Bonhoeffer.

Gottvertrauen angesichts der Hinrichtung
Zum 75. Todestag von Dietrich Bonhoeffer
05.04.2020 - 07:05
02.04.2020
Diederich Lüken
Über die Sendung:

Der Blick wird frei „für den Gott der Bibel, der durch seine Ohnmacht in der Welt Macht und Raum gewinnt.“ Für das Selbstverständnis eines Christen hat das Folgen. Bonhoeffer sagt: „Nicht der religiöse Akt macht den Christen, sondern das Teilnehmen am Leiden Gottes im weltlichen Leben.“

Sendung nachhören

 

Sendung nachlesen:

Am 9. April vor 75 Jahren wurde Dietrich Bonhoeffer in den frühen Morgenstunden zusammen mit Admiral Wilhelm Canaris und Generalmajor Hans Oster im KZ Flossenbürg ermordet. Alle drei waren auf je ihre Art am Widerstand gegen Adolf Hitler beteiligt.

 

Die politische Tätigkeit des Theologen begann spätestens 1939. Er schlug eine Berufung in den USA aus und kehrte von dort nach Deutschland zurück, wohl wissend, dass er sich damit in Gefahr begab. Er begründete dies damit, dass er sich dem deutschen Volk in seiner schwersten Krise, gemeint war der Nationalsozialismus, nicht entziehen könne. Zunächst führte er das illegale Predigerseminar in Finkenwalde bei Stettin weiter. Das war ein Ort, an dem zukünftige Pfarrer eine Zusatzausbildung erhielten. Die Trägerin dieses Instituts war die Bekennende Kirche. Sie vertrat eine Theologie, die sich bewusst von der offiziellen Kirche abwandte, weil diese von den Nationalsozialisten unter dem berüchtigten Reichsbischof Müller gleichgeschaltet worden war. Finkenwalde wurde 1940 von den Nazis geschlossen; Bonhoeffer erhielt Rede- und Schreibverbot. Er schloss sich nun der Widerstandsbewegung um Hans von Dohnanyi und Admiral Wilhelm Canaris an. Canaris war noch unverdächtig, was den Widerstand anging. Er stellte Bonhoeffer im Amt Ausland/Abwehr im Oberkommando der Wehrmacht ein. Damit konnte dieser ins Ausland reisen, scheinbar im Dienst der deutschen Wehrmacht. Er nutzte diese Reisen für die Zwecke des Widerstandes gegen Hitler und knüpfte damit an kirchliche und politische Kontakte an. Er suchte unter anderem seinen alten Freund und Weggefährten, George Bell auf, Bischof von Chichester. Dieser hatte sich seit 1933 vehement für den Sturz der Nationalsozialisten eingesetzt, vergeblich. Bonhoeffer traf sich außerdem auf seinen Fahrten ins Ausland mit Politikern verschiedener Staaten und konnte ihnen mitteilen, wie in Deutschland das Gesetz missbraucht und die Humanität zum Gespött der Gewaltherrschaft wurde. Er warb dabei um eine Friedenspolitik nach dem erhofften Sturz Adolf Hitlers.

 

 

1943 geriet Bonhoeffer in den Verdacht der sogenannten Wehrkraftzersetzung. Am 5. April dieses Jahres wurde er deswegen verhaftet und in das Militärgefängnis Berlin-Tegel verfrachtet. Bonhoeffer erlitt dabei eine tiefe Depression, zumal er in Einzelhaft ohne Kontakt zur Außenwelt gehalten wurde. Erst später erlaubte man ihm, sich Bücher zu beschaffen und Briefe zu schreiben. Er konnte den Kontakt mit seiner jungen Verlobten Maria von Wedemeyer wieder aufnehmen und seiner Familie schreiben. Später entstand im SS-Hausgefängnis in der Prinz-Albrecht-Straße neben anderen dichterischen Versuchen das berühmte Gedicht „Von guten Mächten treu und still umgeben“ mit seiner vielzitierten Schlussstrophe „Von guten Mächten wunderbar geborgen…“ Dieses Gedicht schrieb er als Weihnachtsgruß an die Verlobte und die Familie. Es bezog sich aber nicht so sehr auf das Weihnachtsfest als vielmehr auf die Jahreswende. Es erstaunt immer wieder, dass Bonhoeffer in seiner schier ausweglosen Situation ein so trostreiches Gedicht verfassen konnte. Einer seiner wichtigsten Briefpartner war sein Finkenwalder Schüler, Freund und späterer Biograph Eberhard Bethge. In den Briefen an ihn entwickelte er neue theologische Erkenntnisse – immer als Gefangener und ohne Gewissheit, was auf ihn zukommen würde. Man hatte ihm in den ersten Monaten noch nicht einmal den Grund für seine Inhaftierung mitgeteilt. Er wusste wohl, dass seine Agententätigkeit aufgeflogen war, und wartete auf den Prozess. Der sollte bei dem sogenannten Volksgerichtshof stattfinden. Aber das zog sich lange hin. Ein Grund dafür war, dass höhere Beamte mit Verbindungen zu Widerstandskreisen das Verfahren aufhalten konnten. Außerdem konnte man ihm seine wehrkraftzersetzende Tätigkeit nicht recht nachweisen. Es sah relativ gut aus für Bonhoeffer.

 

Doch dann kam das fehlgeschlagene Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944. Der Name Bonhoeffer tauchte bei den Untersuchungen auf, man erkannte, dass er am aktiven Widerstand gegen Hitler beteiligt war. Von da an war sein Schicksal besiegelt. Am 7. Februar 1945 wurde er in das KZ Buchenwald verlegt. Anfang April wurde er nach Flossenbürg überführt. Am 8. April gab es einen kurzen Scheinprozess, in dem Bonhoeffer zusammen mit anderen Widerstandskämpfern zum Tode durch den Strang verurteilt wurde. Am 9. April wurde das Todesurteil vollstreckt.

 


Die Bedeutung Bonhoeffers liegt einmal darin, dass er als Christ und Theologe in den Widerstand gegen Hitler trat und dessen Ermordung mitplante. Er tat dies mit erheblichen Gewissenskonflikten; er kam aus einem Elternhaus, in dem die Loyalität gegenüber den jeweils Herrschenden selbstverständlich war. Aber die Zeitumstände machten es für Bonhoeffer unabdingbar, zu überlegen, ob diese Obrigkeit, nämlich die des Nationalsozialismus, wirklich noch Loyalität verdiente. Schon 1933 sagte er: „Es reicht nicht, die Opfer unter dem Rad zu verbinden. Man muss dem Rad selbst in die Speichen fallen.” Das geht nun nicht in der politischen oder gesellschaftlichen Abstinenz. Er war zum Beispiel entsetzt über den grauenvollen Umgang mit den Juden. Er dekretierte 1938: „Nur wer für die Juden schreit, darf gregorianisch singen.“ Das bedeutet: Die Kirche darf nicht abseits vom Weltgeschehen ihre Rituale feiern und ihre Kirchenmusik pflegen. Sie ist hineingestellt in die Welt und muss dort den Mund auftun für die Leidenden, nicht allein durch eine oberflächliche Wohltat, sondern mit dem helfenden und heilenden Handeln. Mit dieser Einsicht war der Weg bereitet, den Bonhoeffer im Gefängnis betrat.

 

Im Gefängnis formulierte Bonhoeffer dann die überraschenden theologischen Ansätze, die bis heute die Gemüter und das Denken bewegen. Er tat dies in einer Reihe von Briefen an seinen Freund Eberhard Bethge. Seine Erkenntnisse konnte er nicht mehr systematisieren. Sie erfolgten spontan und situativ, immer wieder neu ansetzend. Im Mittelpunkt steht Hinwendung Bonhoeffers zur Welt und seine Erkenntnis, dass die Welt mündig ist. Sie ist nicht mehr abhängig von überweltlichen Gewalten, sondern kann ihre Belange selbst regeln. Das begann spätestens mit den naturwissenschaftlichen Entdeckungen. Mit der Erfindung des Blitzableiters konnte man nicht mehr Gott für den Blitzeinschlag verantwortlich machen. Der Mensch selbst konnte nun den Blitz abwenden. Was davor Gottes Werk war, wurde nun zu einem erforschbaren Objekt der Wissenschaften. Gottes Wirken erstreckte sich nur noch auf Bereiche, die noch nicht genügend erforscht waren. Da gab es Erkenntnislücken, in denen Gott noch als Lückenbüßer fungierte. Aber die wurden immer seltener und mit jeder naturwissenschaftlichen Entdeckung kleiner. Jede offengebliebene Frage wurde prinzipiell beantwortbar „ohne die Hypothese Gott“, so Bonhoeffer. Man muss sich darüber klar werden, dass die Welt funktioniert, als ob es Gott nicht gäbe. Die Kirchen sahen die zunehmende Autonomie des Menschen als Abfall von Gott und Christus an. Der Preis dafür war hoch. Die Welt nahm den Fehdehandschuh auf und betrachtete nun ihrerseits Kirche und Glauben als Gegner. Damit setzte sie sich weithin durch. Bonhoeffer nun unternahm den Versuch, Kirche und Welt so zusammenzudenken, dass die Welt Welt bleiben konnte und Gott Gott blieb, aber nicht in einem wie auch immer gestalteten Jenseits, sondern in der vollen Diesseitigkeit des Lebens und der Geschichte. Christen sind an die Welt gewiesen. Denn Gott ist in Christus Mensch geworden und ist damit zur Welt gekommen, er hat sie durchlebt und durchlitten. Seitdem ist Gott in Christus mitten in der Welt. Selbst in der Gottverlassenheit ist er noch gegenwärtig. Bonhoeffer erinnert daran, dass Christus die Gottverlassenheit erlebte, als er am Kreuz ausrief: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?!“ Bonhoeffer sagt:

„Der Christ … hat nicht aus den irdischen Aufgaben und Schwierigkeiten immer noch eine letzte Ausflucht ins Ewige, sondern er muss das irdische Leben wie Christus … ganz auskosten und nur indem er das tut, ist der Gekreuzigte und Auferstandene bei ihm und ist er mit Christus gekreuzigt und auferstanden.“

 


Bonhoeffer untersucht nun, wie die Theologie auf eine mündig gewordene Welt zu reagieren hatte. In einem langen Brief vom 8. Juni 1944 an seinen Freund Eberhard Bethge nimmt er vor allem zwei Versuche in den Blick. Zunächst setzt er sich mit der liberalen Theologie des 19. Jahrhunderts auseinander. Diese Richtung versuchte, die Aussagen der Bibel mit den wissenschaftlichen und kulturellen Errungenschaften zu verbinden. Das lobt Bonhoeffer. Aber er bemerkt dazu:

„Es war die Schwäche der liberalen Theologie, dass sie der Welt das Recht einräumte, Christus seinen Platz in ihr anzuweisen.“

 

Christus war nicht mehr die allumfassende Wirklichkeit, sondern nur ein Gegenstand neben anderen, wenn auch der bedeutendste. Die Welt bestimmte den Ort, an dem Christus wirksam werden konnte. Bonhoeffer ging es darum, die Welt von Christus her zu bestimmen. Das machte jeden Versuch, die Welt ohne Christus zu verstehen, zunichte, aber auch jeden Versuch, Christus ohne die Welt zu denken. Die Welt in ihrem Recht anzuerkennen und gleichzeitig Christus mitten in ihr zu suchen, das war die Bestrebung Bonhoeffers. Ohne radikales Ernstnehmen der Welt war für ihn eine Erkenntnis Christi nicht möglich.

 

Die andere Richtung, die Bonhoeffer überprüfte, war „der pietistisch-methodistische(n) Versuch, den einzelnen Menschen davon zu überzeugen, dass er vor der Alternative „Verzweiflung oder Jesus“ stehe.“ Er schildert die Praxis, dass der Mensch zuerst tief in den Sündenpfuhl gestoßen wird, um ihn dann triumphierend wieder herauszuziehen. Dabei gerät der Mensch in seiner Schwäche in das Visier der Pfarrer und Seelsorger. Bonhoeffer genügt das nicht. Da schmuggelt man Gott „noch an einer allerletzten Stelle“ hinein. Er will anerkannt wissen,

„dass man die Mündigkeit der Welt und des Menschen einfach anerkennt, dass man den Menschen in seiner Wirklichkeit nicht madig macht, sondern ihn an seiner stärksten Stelle mit Gott konfrontiert, dass man auf alle pfäffischen Tricks verzichtet.“

 


Für Bonhoeffer nun war die Mündigkeit der Welt kein Anlass mehr zu Polemik und Apologetik, sondern „sie wird nun wirklich besser verstanden, als sie sich selbst versteht, nämlich vom Evangelium, von Christus her“, so Bonhoeffer aus dem Tegeler Gefängnis. Nur so kann sich die christliche Wahrheit entfalten, indem sie, ohne religiös zu sein, die Welt ernstnimmt und Jesus Christus dort sucht, wo er sich selbst hineinbegeben hat, als er Mensch wurde. Der christliche Glaube ist deshalb keine letzte Ausflucht vor der Wirklichkeit, sondern radikales Ernstnehmen dieser mündig gewordenen Welt.

 

Im Zentrum seines Denkens steht bei Bonhoeffer Jesus Christus. „Alles, was wir mit Recht von Gott erwarten, erbitten dürfen, ist in Jesus Christus zu finden“, schreibt er. Doch unterscheidet er sich radikal von überkommenen Interpretationen Jesu Christi und damit Gottes. Wenn man auch in einer mündiggewordenen Welt ohne Gott zurechtkommen muss, geschieht dies aber – vor Gott. Gott ist nicht mehr die letzte Zuflucht des religiösen Menschen an seinen Grenzen, sondern er lässt uns mitten in einer Welt leben, in der für ihn kein Platz ist.

 

 

„Der Gott, der uns in der Welt leben lässt ohne die Arbeitshypothese Gott, ist der Gott, vor dem wir dauernd stehen. Vor und mit Gott leben wir ohne Gott. Gott lässt sich aus der Welt herausdrängen ans Kreuz, Gott ist ohnmächtig und schwach in der Welt und gerade und nur so ist er bei uns und hilft uns.“ –

„Die Bibel weist den Menschen an die Ohnmacht und das Leiden Gottes; nur der leidende Gott kann helfen.“


Die mündiggewordene Welt verzichtet auf religiöse Gottesvorstellungen und sie tut gut daran. Dadurch wird mit einer falschen, das heißt religiösen Gottesvorstellung aufgeräumt, der Blick wird frei „für den Gott der Bibel, der durch seine Ohnmacht in der Welt Macht und Raum gewinnt.“ Daraus schließt Bonhoeffer: „Hier wird wohl die ’weltliche Interpretation’ einzusetzen haben.“

Für das Selbstverständnis eines Christen hat das Folgen. Der religiöse Mensch erwartet, dass Gott in seiner Stärke eingreift und Leiden mindert. Diese Erwartung ist in einer mündiggewordenen Welt nicht mehr möglich. Im Gegenteil:


„Der Mensch wird aufgerufen, das Leiden Gottes an der gottlosen Welt mitzuleiden. … Nicht der religiöse Akt macht den Christen, sondern das Teilnehmen am Leiden Gottes im weltlichen Leben.“


Teilhaben am Leiden Gottes in Christus, das ist Glaube. In seinem „Entwurf für eine Arbeit“ beschreibt Bonhoeffer, wie eine Kirche aussehen könnte, wenn sie Anteil haben will am Leiden Gottes und dabei ihre Wahrheit nichtreligiös vermitteln will.


„Die Kirche ist nur Kirche, wenn sie für andere da ist. … Sie muss an den weltlichen Aufgaben des menschlichen Gemeinschaftslebens teilnehmen, nicht herrschend, sondern helfend und dienend. Sie muss den Menschen aller Berufe sagen, was ein Leben mit Christus ist, was es heißt, ‚für andere dazusein’.“


Diese Sätze schrieb Bonhoeffer im August 1944. Er konnte auf eine Freilassung nicht mehr hoffen. Aber er ließ nicht ab vom Nachdenken darüber, was Gott in einer mündiggewordenen Welt bedeutet. Den Tod vor Augen eröffnete er dem Glauben und der Kirche neue Möglichkeiten des Verstehens und des Handelns. Sie sind noch längst nicht ausgeschöpft.

Als Bonhoeffer nach Flossenbürg abgeholt wird, hat er wohl gewusst, dass er dort ermordet werden würde. Er trug dem britischen Mitgefangenen Payne Best, den er kurz zuvor in Buchenwald kennengelernt hatte, eine Botschaft an seinen Freund George Bell auf mit den folgenden Worten:

„Sagen Sie ihm, dass dies für mich das Ende ist, aber auch der Anfang. Mit ihm glaube ich an den Grund unserer universalen christlichen Bruderschaft, die sich über alle nationalen Hassgefühle erhebt, und dass unser Sieg gewiss ist.“


Selbst im Angesicht des Todes verzweifelt Bonhoeffer nicht. Der Glaube tröstet ihn. Es ist nun aber nicht die Hoffnung auf das ewige Leben – so wird Bonhoeffer weithin verstanden –, sondern der Glaube, dass die Gemeinschaft aller Christen Nationalismus überwindet und damit am Ende die Welt verwandelt.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

Musik dieser Sendung:

  1. Rosemont dielagh gedoken, Gerald Stempfel, Engels Liedt
  2. O Heiligh Zaligh, Gerald Stempfel, Engels Liedt
  3. Rosemont, Gerald Stempfel, Engels Liedt
  4. Twede Lavignone, Gerald Stempfel, Engels Liedt
  5. Pavan Lachrymae, Gerald Stempfel, Engels Liedt
     
02.04.2020
Diederich Lüken