„Ich glaube, dass nichts verloren geht."

© epd-bild / Bertold Fernkorn

„Ich glaube, dass nichts verloren geht."
Der Theologe Fulbert Steffensky
02.07.2023 - 07:05
31.05.2023
Barbara Zillmann

von Barbara Zillmann

Über die Sendung:

Er kann in biblischen Bildern die Hoffnung entfachen wie kaum ein anderer. Seine poetische Sprache lädt in verschiedene Glaubenswelten ein, mit Zuneigung für das Individuelle, aber auch für die Tradition. So ist der Hochschullehrer und Schriftsteller Fulbert Steffensky ein vielseitiger Übersetzer des Christentums geworden, bewahrend und aufrüttelnd zugleich, der die Ökumene lebte. 

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Friedemann Magaard:
Fulbert Steffensky kam als Referent in das Christian Jensen Kolleg - es muss der Winter 2010 gewesen sein, ich erinnere das Datum relativ genau, weil wir in einer Ausnahmesituation waren in dem Haus, es war unser Haupthaus abgebrannt nach einer Brandstiftung.

Pfarrer Friedemann Magaard hatte eine Veranstaltung vorbereitet zum Thema „Ökumenische Spiritualität“. Trotz des Unglücks in dem ökumenischen Tagungshaus im nordfriesischen Breklum hielt er daran fest. Bei Fulbert Steffensky, dem Referenten, hatte er einst studiert.

Friedemann Magaard:
Er kam trotzdem natürlich und hat uns sehr gut getan, einfach auch in seiner zugewandten und freundlichen Art – aber auch dadurch, dass er wie erwartet uns theologisch spirituell den Geist geweitet hat und uns von den Alltagsschwierigkeiten in eine andere Welt verlockt hat.

In eine andere Welt verlocken, Mut machen – das kann Fulbert Steffensky, mit poetischen Bildern aus Bibel, Gebet und Philosophie. Mit Sätzen, die den Alltag der Menschen empathisch spiegeln und zugleich darüber hinaus weisen, in die Welt der Visionen und der Glaubenshoffnung. Fulbert Steffensky:

Vielleicht kann man auch nur religiös sein, wenn man große Wünsche hat an das Leben. Also die Hoffnungen der Menschen gehen ja immer in Bildern - ewige Ruhe oder ewiger Friede oder Paradies - meistens stellen sich die Menschen das vor, was sie auf der Welt hier nicht haben – wer, wie die Leute früher, sehr viel arbeiten mußte, die sagen: er ruht in Frieden und so weiter. Und das ist vielleicht der Grund all dieser Bilder. Ich habe neulich einen Film gesehen, einen indianischen Film aus Bolivien über das Paradies - dort hat man gearbeitet. Es war aber eine nicht entfremdete Arbeit, und es war eine Arbeit im Glück! Ja, ich glaube, dass fast alle Bilder anknüpfen an eine Welt, die anders, die ganzer, die heiler, die glücklicher ist als diese.

Nicht um Ersatzwelten geht es dem Theologen, sondern um den Ansporn für eine gerechtere Welt, um das „Menschenrecht auf Hoffnung“, das er im Christentum bezeugt sieht und in der Widerständigkeit vieler Menschen erkennt. Es gebe zum Thema Hoffnung eine leidenschaftlich realistische, atheistische Haltung,

Fulbert Steffensky:
…und es gibt die andere leidenschaftliche Position, daß man sagt: und dennoch. Ich wette drauf. Das Opfer soll nicht Opfer bleiben, das Kind, das ermordet wurde, Gott soll ihm sein Lachen zurückgeben. Ich wette darauf. Das ist ja kein Wissen. Das ist ja eine unverschämte Behauptung, eine trotzige Behauptung, dies wird nicht alles sein - ich wette darauf, und weiß, daß man Wetten verlieren kann.

Über 20 Jahre lehrte Fulbert Steffensky Religionspädagogik an der Universität Hamburg, Schwerpunkt biblische Theologie. Er bildete Pfarrer und Lehrerinnen darin aus, christliche Traditionen zu vermitteln, in ihrem utopischen wie lebenspraktischen Gehalt. 

Friedemann Magaard:
Inhaltlich ist es ne ganz starke Frage gewesen, die Fulbert Steffensky weitergeben konnte, nämlich wie wir die Weisheit der Alten, wie wir den Trost, der durch Jahrhunderte getragen ist, wie wir den Schatz weitergeben können, auch wenn er uns gar nicht selbst gehört und wenn wir ihn vielleicht auch nur zur Hälfte verstehen.

Fulbert Steffensky:
Also wenn ich das Glaubensbekenntnis oder einen Psalm oder das Vaterunser bete, dann bin ich ja nie allein. Ich füge mich einer Sprache ein, die Tausende Millionen von Menschen vor mir gesprochen haben, meine verstorbene Frau und Martin Luther King und Hildegard von Bingen und ich weiß es nicht, und man glaubt nicht nur seinen Glauben, sondern man glaubt den Toten ihren Glauben. Ich glaube, das ist die Ermöglichung des Glaubens überhaupt. Man ist Gast in Glaubenszelten der anderen.

Zugleich gibt es auch bei ihm die individuelle, die skeptische Suche nach dem persönlichen Glaubenskern. Das drücken auch seine Buchtitel aus wie "Heimathöhle Religion", Untertitel: "Ein Gastrecht für widersprüchliche Gedanken". Oder: "Das Haus, das die Träume verwaltet" - gemeint ist die Kirche. Seine Essays und Bibelauslegungen, auf der Grenze zwischen Theologie und Philosophie, spielen mit dem Überlieferten und dem Möglichen. Der nicht perfekte Mensch wird hier zu einem gottgeliebten Wesen, die geschädigte Kirche zu einem dennoch wichtigen Raum. Und in dem Buch "Schwarzbrotspiritualität" empfiehlt Fulbert Steffensky die alte Praxis der Gebetsmeditation, die ebenfalls unvollkommen sein darf:

Fulbert Steffensky:
Sei nicht auf Erfüllung aus, sei vielmehr dankbar für geglückte Halbheit. Es gibt Ganzheitszwänge, die unsere Handlungen lähmen und uns entmutigen (….)

Man sieht die Bilder eines Psalms oder Bibelverses und lässt sie behutsam bei sich verweilen. Meditieren und Beten heißt frei werden vom Jagen, Beabsichtigen und Fassen. Man will nichts außer kommen lassen, was kommen will. Man ist Gastgeber der Bilder. Setze den Texten und Bildern nichts entgegen. Überliefere dich ihrer Kraft und lass dich von ihnen ziehen.

Du stellst meine Füße auf weiten Raum. (Psalm 31,9) - Wie schwer sind Gott deine Gedanken. (Psalm 139,17) - Wir werden sein wie die Träumenden. (Psalm 126,1) - Ich behalte dein Wort in meinem Herzen. (Psalm 119,11)

Fulbert Steffensky:
Ich bin großgeworden an der Saar, jedenfalls die erste Zeit meiner Kindheit, an der ganz katholischen Saar, und man hatte den Glauben nicht nur im Herzen, sondern er hatte auch eine Landschaft.

Lebenslandschaft nennt Fulbert Steffensky die religiösen Bindungen und Rituale seiner Kindheit.  1933 wurde er im Dorf Rehlingen an der Saar geboren. Sein Taufname war Edmund. Der Glaube gab ihm ein Gefühl der Geborgenheit – man ging zur Messe, hielt die Fastenzeit ein, der Junge wurde Messdiener, durfte bunte Gewänder tragen. Auch der Vater machte sich zum Kirchgang fein.

Fulbert Steffensky:
Ich komme aus sehr kleinen und eher armen Verhältnissen, und wir hatten etwas Landwirtschaft, eine kleine Landwirtschaft nebenbei, und mein Vater, der ein sehr fleißiger Mensch war, hat prinzipiell sonntags nicht gearbeitet, außer dass er das Vieh gefüttert hat. Er hat sich eigentlich wie ein Königssohn benommen, er hat einen gespielt, der schon im Reiche der Freiheit ist und der Anmut, ehe er da ist -

König sein, auch wenn man arm ist. Die Freiheit vorwegnehmen, die versprochen ist. Der Glaube bot eine Verheißung für die Zukunft, und einen Schatz aus der Vergangenheit. Dazu gehörten für den Jungen auch die Segensrituale der Mutter, erfuhr Friedemann Magaard.

Friedemann Magaard:
Für mich ist eine Situation unvergessen: Fulbert Steffensky berichtet von seiner Mutter, die diesen Schatz ihren Kindern vermittelt hat, indem sie morgens den Kindern, wenn sie zur Schule gingen, ihnen fast beiläufig ein Kreuzeszeichen als Segen auf die Stirn gemalt hat. Er sagt, die eine Hand rührte den Kochtopf um mit der Suppe für mittags, und die andere zeichnet das Kreuz auf die Stirn. - Sie konnte sehr inniglich segnen bei einem Abschied zu einer längeren Reise oder wenn ein Kind krank war, aber sie konnte es auch so am Rand machen, und in dieser liebevollen Wiederholung ist dann doch etwas Großes übergegangen auch in der Beiläufigkeit.

Das Motiv der Schatzsuche inmitten des Gewohnten fasziniert ihn früh: in den Trümmern eines zerstörten Hauses der Großeltern, so erzählte man sich damals, sei ein Goldschatz verborgen. Die Kinder buddelten. In seinem jüngsten Buch „Schutt und Asche“, erschienen im Radius-Verlag, beschreibt Fulbert Steffensky, wie er die Suche nach verborgenen Schätzen auf die Bibel übertrug.

Fulbert Steffensky:
Zu vermuten, dass die Welt mehr Geheimnisse enthält, als bisher entdeckt waren, hat uns Kinder umgetrieben. Wir haben überall gestöbert, getrieben von der Vermutung, dass die eigentlichen Geheimnisse noch verborgen und unentdeckt waren. …

Ich schaue mir zu, wie viele Jahre ich als Theologe nach dem Schatz gesucht habe in den Trümmern jenes alten Kirchenhauses, von dem so viele sagen, es gäbe da nichts mehr zu graben, alle dürftigen Geheimnisse seien enthüllt und die noch bestehenden Wände der Ruine könnten jeden Augenblick einstürzen. Vielleicht haben sie recht. ... Das Recht meiner Arbeit liegt nicht allein im Finden des Schatzes, sondern in der Vermutung, dass es ihn gibt.

Ich will die Finsternis zum Lichte machen. (Jesaja 42,16) - Schaffe in mir Gott ein reines Herz. (Psalm 51,12) - Die zum Frieden raten, haben Freunde. (Sprüche 12,20)

Während des Zweiten Weltkriegs wurde die Familie Steffensky aus dem Saarland in den Harz evakuiert, musste später von dort fliehen. In dieser Zeit starb der Vater, Edmund war 8 Jahre alt. Wie die meisten Kinder damals wuchs er in ein schreckliches Erwachen hinein: Nach dem Ende des Krieges wurden die Verbrechen des NS-Regimes offenbar. Für den Jugendlichen bekam nun auch die heile Glaubenswelt Risse. Denn die Kirchen hatten weitgehend geschwiegen. Das fühlte sich an wie ein großer Nebel, ein Betrug:

Fulbert Steffensky:
Wir haben uns lange durchgekämpft, Unstimmigkeiten überhaupt zu erkennen. Ich spreche jetzt nicht nur von mir, sondern von meiner Generation. Wir haben Schulen gehabt, in denen wir über die Nazizeit nichts erfahren haben. Wir haben unsere eigene Geschichte nicht erkannt, und langsam, langsam haben wir uns auch da die beinah verbotenen Informationen geholt und wurden äußerst skeptisch gegen diese Gesellschaft, die Gesellschaft auch des Wirtschaftswunders, des neuen. Also wir hatten zu essen und zu trinken, aber keine Erinnerung. Und viele hat das wirklich fremd in der eigenen Gesellschaft gemacht. Und eine erlaubte Weise auszusteigen aus dieser Gesellschaft ist z.B. das Kloster - mit seiner Intensität, mit anderen zusammenleben, mit andern eine Arbeit haben, und mit wenig zufrieden sein.

1954, mit 21 Jahren, schloss sich Edmund Steffensky dem Benediktinerorden im Kloster Maria Laach an und erhielt den Vornamen Fulbert. 14 Jahre lebte er in festen Ritualen und zugleich weltoffen: Er studierte Erziehungswissenschaften und katholische Theologie, unterrichtete Lehrlinge in den klösterlichen Wirtschaftsbetrieben und in umliegenden Schulen. Er fuhr nach Israel, um das Unbegreifliche besser zu verstehen. Dabei lernte er jüdische Denker kennen – und traf auf die evangelische Theologin Dorothee Sölle, später seine Frau.

Fulbert Steffensky:
Und das war auch ein Punkt, der zuerst unser gemeinsamer war, die deutsche Vergangenheit, die deutsche Schuldvergangenheit, und wir waren beide getrennt  am Anfang der 60er Jahre bei Martin Buber. Das war so ein Punkt unserer anfänglichen Freundschaft, könnte man sagen.

Zusammen mit anderen Christen wie Heinrich Böll gründen beide einen ökumenischen Arbeitskreis; 1968 entsteht daraus das „politische Nachtgebet“, ein Gottesdienst in der Kölner Antoniterkirche mit politischer Debatte. Mal steht der katholische Mönch vorn am Altar, mal die Protestantin. Ein schlanker junger Mann, eine kleine zierliche Frau.

1969: Unter dem Argwohn vieler heiraten Dorothee Sölle und Fulbert Steffensky. Zwei Außenseiter in ihren Kirchen: Sie war geschieden und alleinerziehende Mutter. Er war aus dem Kloster wieder ausgetreten und zum evangelischen Glauben konvertiert. Eine doppelte Provokation für Kirchenleitungen und konservative Öffentlichkeit. Für andere wurden die beiden zum Vorbild für ein mutiges, unkonventionelles Christentum.

Zum Beispiel für Anne und Nikolaus Schneider.

Anne Schneider:
Fulbert Steffensky hat mich schon angesprochen, das was ich erlebt habe von ihm, das war auf Kirchentagen, dass ich dachte, das war schon ne Sorte Mann, die mich fasziniert hat. Theologisch, aber auch als Persönlichkeit. Er war schon für mich eigentlich ein Gotteslehrer.

Nikolaus Schneider:
Ich fand immer, dass er sehr genau beobachtet hat, wenn er etwa Texte analysiert hat, sehr genau hingeschaut hat und dabei auch Aspekte zum Klingen gebracht hat, die man schnell übersehen oder überlesen konnte.

Der spätere EKD-Ratsvorsitzende Nikolaus Schneider erlebte als Student, welchen Aufruhr es um das Paar Steffensky/Sölle kirchenintern gab. Doch in den 1970er Jahren, sagt er, prägte der ehemalige Benediktiner einen neuen Stil in der theologischen Debatte. Entschieden und doch sanft.

Nikolaus Schneider:
Er hat deutlich Dinge bewertet, beim Namen genannt, aber eben nicht in einer rohen Geste. Oder mit rohen Worten. Sondern gut begründet in einer klaren Sprache. Die man nicht nur gut nachvollziehen konnte, weil er auch sehr bildreich spricht. Sondern die einfach auch ne schöne Sprache ist, die ich immer auch sehr gerne gelesen habe oder sehr gerne gehört habe. Das ist schon diese andere Note.

Von den liberalen evangelischen Vertretern der Nachkriegstheologie hatte Fulbert Steffensky sich anregen lassen: von Rudolf Bultmann, Paul Tillich, Jürgen Moltmann oder Karl Barth. Doch in Einem unterschied er sich: es ging ihm nicht um "Richtig oder Falsch":

Fulbert Steffensky:
Mein Klärungsinteresse ist gering, also auch theologisches Klärungsinteresse.

Vieles ist Fragment. Auch der Glaube, die Glaubenssätze sind Fragment. Ich glaube, das Wichtigste für einen Theologen wäre der Humor der eigenen Theologie gegenüber. Auch seinen eigenen Versuchen, theologischen Versuchen gegenüber. Auch zu wissen, dass alles, was wir so reden über Gott, dass das Bilder sind. Und auch gerichtet werden vom Bilderverbot.

Man dürfe mit den Bildern der Bibel spielen, sie neu denken oder anders fühlen, vermittelt der Glaubenslehrer. Aber:

Fulbert Steffensky:
Das ist ja der Fehler innerhalb des religiösen Denkens, dass man Bilder zu Sachverhalten macht, Bilder zu Dogmen macht, Bilder zu Sätzen, wie sie in einem mathematischen Lehrbuch stehen. Das ist es nicht. Religion ist Poesie.

In menschlicher Poesie ausgedrücktes Verlangen nach Unendlichkeiten. Die großen Wünsche treiben einen ja immer in eine große Sprache, ich sag das nochmal in der Sprache der Liebe: die Flucht in die Bilder, weil man mit den Sagbarkeiten nicht auskommt.

Friedemann Magaard:
Wenn Fulbert Steffensky in dieser Weise spricht, dann ist dabei immer und allgegenwärtig, dass er ein Brückenbauer ist, ein Grenzgänger, der verschiedene Kulturen und Traditionen in sich vereint, und darin stark machen kann – also diese besonderen benediktinischen Wurzeln, die seine Glaubenstiefe prägen, und dieser Aufbruch in ein neues Leben und eine neue Glaubenswelt mit dem protestantischen Ernst und dem protestantischen Eifer, dem Eintreten für Freiheit und für Gerechtigkeit in der Welt. 

Während Dorothee Sölle gern zuspitzte, gilt Fulbert Steffensky als Meister der versöhnlichen Töne. Beide publizierten viel. Traten mit Musikerinnen und Musikern auf wie Michael Wollny, der dieser Sendung die Klangfarbe gibt. Sie sprachen auf großen Bühnen, etwa bei Kirchentagen. Friedemann Magaard erlebte sie in seiner Dorfgemeinde in Schleswig-Holstein:

Friedemann Magaard:
Dorothee Sölle und Fulbert Steffensky lasen aus ihrem Buch „Zwietracht in Eintracht“, 1996 war das – und es war für mich wirklich ne Riesenfreude und ne totale Überraschung, dass sie dieser Einladung in „the middle of nowhere“ gefolgt sind, und dort im kleinen Dorf aus ihrem Buch lasen. Ja, das war ein sehr starker Eindruck der Einheit in Vielfalt, oder in der Zwietracht in Eintracht. Die die beiden vorgelebt haben, auch sehr humorvoll, aber eben dann auch auf den Punkt pointiert.

Die Inspiration durch eine selbstbewusste Christin spielt auch heute eine wichtige Rolle in Fulbert Steffenskys Leben. Viele Jahre nach dem Tod Dorothee Sölles 2003 zog er nach Luzern und heiratete noch einmal. Die Schweizerin Li Hangartner ist katholische Theologin. Sie hat in ihrer Heimat die Frauengottesdienste mit entwickelt. Selbstverständlich predigt sie heute und leitet als Frau katholische Gottesdienste. Für den ehemaligen Benediktiner eine gewisse Rückkehr zu seinen Wurzeln. Das Abendmahl nehmen beide schon lange gemeinsam ein, mal evangelisch, mal katholisch. Denn sie schätzen beides: katholische Inszenierung und protestantische Nachdenklichkeit.

In wenigen Tagen wird Fulbert Steffensky 90 Jahre alt.

Das frühe Wachsein als Glückserfahrung ist geblieben aus der Zeit des Klosters, immer noch schreibt der Theologe und Schriftsteller frühmorgens neue Texte. Gern wandert er am nahen Vierwaldstätter See entlang. Und doch:

Fulbert Steffensky:
Wenn man alt ist, hat man schon sehr viele Abschiede hinter sich, also auf dem Friedhof habe ich mehr Freunde und Freundinnen als unter den Lebenden. Ich geh eigentlich gern auf den Friedhof, weil die mir alle sagen, das kannst du auch. Es ist schwer, aber du wirst es können. Ich lästere immer über die neuen Sterbevorbereitungen, dass man noch dies und jenes tun soll, dass der Tod auch wirklich gelingt. Nichts gelingt ganz im Leben, auch nicht der Tod, und ich versuche, meinen Tod zu adoptieren. Ob mir das gelingt, weiß ich nicht. Es muss auch nicht gelingen. Ich muss nicht ganz sein. Auch da nicht, nicht mal beim Sterben. 

Fulbert Steffensky kann den christlichen Glauben in intensiven Farben beschreiben. Der Mut zum Fragment wie zum Aufbruch, mit allen Konflikten, hat ihn immer wieder stark gemacht.

Das Motiv des verborgenen Schatzes begleitet ihn weiter. Gibt es für den Theologen auch ein Leben nach dem Tod?

Fulbert Steffensky:
Ich glaube, dass nichts verloren geht. Ich glaube, dass die Liebe nichts fallen lässt. Wenn ich denke, dass Gott die Liebe ist, wenn dieses kein Irrtum ist, dann glaub ich, dass wir nicht in eisige Abgründe stürzen. Was das heißt, weiß ich nicht genau. Menschen haben das verschieden ausgedrückt: Ja, ich glaube, dass wir nicht vergehen.

Es gilt das gesprochene Wort.

Musik dieser Sendung:

  1. Michael Wollny: Odile und Odette, CD-Titel: Nachtfahrten. Track Nr. 13.
  2. Michael Wollny: Der Wanderer, CD-Titel: Nachtfahrten, Track Nr. 3.
  3. Michael Wollny: Ellen, CD-Titel: Nachtfahrten, Track Nr. 9.
  4. Michael Wollny: White Moon, CD-Titel: Nachtfahrten, Track Nr. 5.
  5. Michael Wollny: De Desconfort, CD-Titel: Nachtfahrten, Track Nr. 6.

Literatur dieser Sendung:

  1. Fulbert Steffensky, Schwarzbrot-Spiritualität, S. 21 (c) Radius-Verlag, Stuttgart 2005
  2. Fulbert Steffensky, Schutt und Asche – Streifzüge durch Bibel und Gesangbuch, © Radius-Verlag, Stuttgart 2023
31.05.2023
Barbara Zillmann