Bürgergipfeltreffen

Gedanken zur Woche

Gemeinfrei via pixabay.com (Hans Braxmeier)

Bürgergipfeltreffen
22.09.2017 - 06:35
21.09.2017
Pfarrerin Angelika Obert

G 1000 – so nennt sich die Initiative des Belgiers David van Reybrouck. Dahinter steckt die Idee eines Bürgergipfeltreffens. 1000 Menschen, ein repräsentativer Durchschnitt der gesamten Bevölkerung, sollen durch Los ausgewählt werden und sich ein paar Tage lang zur gemeinsamen Beratung eines politischen Themas treffen. Junge und Alte, Bayern und Brandenburger, Wohlhabende und Hartz IV-Empfänger mit und ohne Migrationshintergrund würden da miteinander ins Gespräch kommen. Alle sollten gleichermaßen informiert werden und sich unter kundiger Gesprächsleitung mal in kleineren, mal in größeren Gruppen beraten. Am Ende würde eine Empfehlung verabschiedet, an der sich die Berufspolitiker zu orientieren hätten. Zum nächsten Bürgergipfel würden dann wieder neue Teilnehmer ausgelost. Niemand sollte zum politischen Dauervertreter werden.

 

In Irland hat es eine ähnliche Bürgerversammlung bereits gegeben vor zwei Jahren, als es dort um die Ehe für Homosexuelle ging. Daran haben 100 durch Los bestimmte Iren teilgenommen. Viele von ihnen haben sich hinterher begeistert über diese Erfahrung geäußert. Bei uns wurde darüber berichtet. Auch Reybroucks Vorschläge gingen durch die Zeitungen. Doch aufgenommen wurden sie nicht. Bisher geht es bloß darum, wo wir am Sonntag unser Kreuzchen hinsetzen. Und natürlich sollten alle ihr Wahlrecht wahrnehmen.

 

Aber ich habe doch gerade im Wahlkampf oft daran gedacht, wie gut es wäre, wenn es noch andere Formen der Beteiligung an politischen Entscheidungen gäbe. Es ging mir durch den Kopf, als die Kanzlerin niedergebrüllt wurde von denen, die sich von der politischen Elite offensichtlich nicht vertreten fühlen. Ob sie wohl bereit wären, sich in einer Bürgerversammlung auf ein sachliches Gespräch einzulassen? Außerhalb eines Kreises von nur Gleichgesinnten?

 

Die Frage nach dem politischen Mitdenken beschäftigt mich auch, wenn ich abends Politkern bei ihren Fernsehauftritten zugucke. Was ist da anderes zu erwarten, als dass sie die Dinge versprechen, die viele gerne hören wollen? Und was können wir anderes tun, als solche Auftritte so zu bewerten, wie man Fernsehauftritte eben bewertet; nach ihrem Unterhaltungswert, nach Sympathie und Bauchgefühl. Nur: So werden die Kreuzchen, die wir in der Wahlkabine setzen, oft auch nur eine Sache von Sympathie und Bauchgefühl sein. Die politische Arbeit danach wird von vielen andern Faktoren abhängen, auf die wir keinen Einfluss haben. Darum gibt es ja leider auch schon viele, denen die Demokratie nichts mehr wert ist.

 

Ich finde, dass David van Reybrouck schon Recht hat: Es ist an der Zeit, neue Verfahrensweisen für die Demokratie zu entwickeln. Die Bürgerversammlung scheint mir ein vernünftiger Vorschlag zu sein, schon damit es einen Ort gibt, an dem ein sachliches Gespräch zwischen den so disparaten Bevölkerungsgruppen überhaupt stattfinden kann. Einander zuhören und miteinander sprechen – das ist mehr als Bürgerbegehren und Volksentscheid. Für die Berufspolitiker wäre es gut, in der Bürgerversammlung ein kritisches Gegenüber mit Gewicht zu haben. Und das Wahlvolk könnte nicht mehr bloß meckern über „die da oben“.

 

Tatsächlich ist das Jahr des Reformationsjubiläums ja ein guter Zeitpunkt, um eine Reform der politischen Teilhabe in Gang zu setzen. Vor 500 Jahren reagierten die Reformatoren auf die Krise der damals mächtigen Kirche damit, dass sie das Mitspracherecht des gläubigen Volks einforderten. Martin Luther sprach vom „Priestertum aller Gläubigen“. Mit diesem religiös demokratischen Aufbruch begann die Neuzeit. Nun sind wir wieder in einer Zeit krisenhafter Umbrüche. Ich denke, da gehört es auch zur christlichen Verantwortung, neue Wege zu finden, um die politische Kompetenz aller Bürgerinnen und Bürger zu stärken.

 

Darüber können Sie jetzt mit mir sprechen: Bis 8 Uhr bin ich zu erreichen unter der Telefonnummer 030/32 53 21 344 – ich wiederhole 030 für Berlin und dann 32 53 21 344. Oder Sie sagen Ihre Meinung auf Facebook unter deutschlandradio.evangelisch.

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21.09.2017
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