Der Duft der Weißen Rose

Gedanken zur Woche

Gemeinfrei via unsplash.com (Sebastian Molina)

Der Duft der Weißen Rose
23.02.2018 - 06:35
10.01.2018
Pfarrerin Silke Niemeyer
Über die Sendung

„Zerreißt den Mantel der Gleichgültigkeit, den Ihr um Euer Herz gelegt!“ Den Duft dieses Glaubens muss man aufsaugen in Zeiten, in denen es in so vielen Ecken nach Resignation und Hass stinkt. Pfarrerin Silke Niemeyer in den Gedanken zur Woche im Deutschlandfunk über die Widerstandsgruppe Weiße Rose, die vor 75 Jahren durch die Nazis hingerichtet wurde…

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Sendung zum Nachlesen

Am Sonntag wird auf dem Altar in unserer Kirche nur eine einzige Blüte stehen: eine weiße Rose. Und diese weiße Rose wird den Duft eines Glaubens verströmen, der einfach bezwingend ist: Wartet nicht bis der andere anfängt, wenn ihr handeln müsst. „Zerreißt den Mantel der Gleichgültigkeit, den Ihr um Euer Herz gelegt“ (1). Den Duft eines solchen Glaubens muss man aufsaugen in Zeiten, in denen es in so vielen Ecken nach Resignation und Hass stinkt.

 

Weiße Rose – so nannte sich die Widerstandsgruppe um die Geschwister Sophie und Hans Scholl und ihren Freund Christoph Probst. Diese jungen Leute waren so durchströmt von diesem Glauben, dass sie schier nicht anders konnten als Widerstand gegen die Hitler-Diktatur zu leisten und zu Widerstand aufzurufen. Nicht aus Lust am Dagegensein. Schon gar nicht, um Helden zu werden. Vielleicht sollte man gar nicht so sehr ihren Mut hervorheben, sondern ihre Gewissheit: Wenn du jetzt nichts sagst, wenn du jetzt nichts tust, dann verlierst du deine Freiheit und dich selbst in deiner Apathie. Sie kamen um durch das Fallbeil der Nazis. Gestern vor 75 Jahren.

 

Den Duft der weißen Rose atmen. Das klingt ein bisschen blumig. Ist es aber nicht. Man kann damit ganz gut beschreiben, was Erinnerung ist: Es ist ein Einatmen, ein Aufsaugen, ein Einverleiben und Innewerden dessen, was unbedingt wichtig, was unvergesslich und unveräußerlich sein muss. Erinnerung ist viel mehr als ein „Denken an“, es ist Herzensbildung und Gedankenbefreiung.

 

Wenn jemand Furcht vor solcher Erinnerung hat und deshalb über „Erinnerungs-Diktatur“ schimpft, dann kann ich das in gewisser Weise verstehen. Was zu Herzen geht und die Gedanken befreit, tut auch weh. Wenn man die Flugblätter der Weißen Rose liest, vergeht einem jede Selbstgefälligkeit. „Wir schweigen nicht, wir sind euer böses Gewissen; die Weiße Rose lässt euch keine Ruhe“ (2), liest man, und es wird einem bewusst, was für ein Angsthase man oft ist, wie gern man seine Ruhe haben möchte vor all den großen Problemen. Und das ist nicht unbedingt schön. Man holt tief Luft und denkt: Das aufzuschreiben und tausendfach zu verteilen, das haben die sich getraut! „Jedes Wort, das aus Hitlers Munde kommt, ist Lüge. Wenn er Frieden sagt, meint er den Krieg, und wenn er in frevelhaftester Weise den Namen des Allmächtigen nennt, meint er die Macht des Bösen... Sein Mund ist der stinkende Rachen der Hölle... Gibt es, so frage ich Dich, der Du ein Christ bist, gibt es in diesem Ringen um die Erhaltung Deiner höchsten Güter ein Zögern ...?“

Hier spricht all ihre Abscheu vor dem Verschwinden des Selbstdenkens „im Nebel leerer Phrasen“ (3) und ihr Ekel vor der bestialischen Ermordung der Juden. Das unterschied die Weiße Rose von anderen Widerstandsgruppen, die mehr Deutschlands Ehre vor schlechtem Ansehen retten wollten als die Juden vor dem Mord.

Ob ich solchen widerständigen Glauben hätte, wenn es hart auf hart kommt – ich weiß es nicht. Ich versuche hier und jetzt den Mund aufzumachen, wo ich nicht still sein darf, damit es gar nicht erst wieder hart auf hart kommt. Es kostet ja meist gar nicht viel Mut. Um uns gegenseitig diesen kleinen Mut zu machen, sprechen wir diesen Sonntag ein besonderes Glaubensbekenntnis (4):

 

Ich werde nicht glauben

an das Recht des Stärkeren,

an die Sprache der Waffen,

an die Macht der Mächtigen.

Sondern ich will glauben

an das Recht des Menschen,

an die offene Hand,

an die Macht der Gewaltlosigkeit.

 

Ich werde nicht glauben

an Rasse oder Reichtum,

an Vorrechte,

an die verfestigte Ordnung.

Sondern ich will glauben,

dass alle Menschen Menschen sind,

dass die Ordnung der Macht

und das Unrecht

Unordnung sind.

 

Ich werde nicht glauben,

dass alle Mühe vergebens ist.

Ich werde nicht glauben,

dass der Traum der Menschheit ein Traum bleiben wird,

dass der Tod das Ende ist.

Sondern ich wage zu glauben,

allezeit und trotz allem,

an Gottes eigenen Traum:

Ein neuer Himmel, eine neue Erde,

wo Gerechtigkeit wohnen wird.   

Amen.

 

 

Woran glauben, worauf hoffen Sie? Diskutieren Sie mit auf Facebook unter ‚deutschlandradio.evangelisch‘.

 

(1) V. Flugblatt der Weißen Rose

(2) IV. Flugblatt der Weißen Rose

(3) VI. Flugblatt der Weißen Rose

(4) Aus einem Glaubensbekenntnis aus dem Liederbuch der Gastkirchen-Gemeinde Recklinghausen nach F. Cromphout

 

Infos über die Weiße Rose: http://www.bpb.de/geschichte/nationalsozialismus/weisse-rose/

Weitere Infos

10.01.2018
Pfarrerin Silke Niemeyer