Die Pest, die im Finstern schleicht

Gedanken zur Woche

Bild: gemeinfrei via unsplash.com/Craig Whitehead

Die Pest, die im Finstern schleicht
Gedanken zur Woche mit Pfarrer Martin Vorländer
20.03.2020 - 06:35
03.01.2020
Martin Vorländer
Über die Sendung

Noch nie war es so einfach, für andere zum Schutzengel zu werden: zu Hause bleiben!

Die Gedanken zur Woche im DLF.

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Ich bin in Quarantäne, freiwillig. Wie viele zurzeit. Darum kommen meine Gedanken zur Woche nicht wie sonst aus dem Sender. Ich nehme sie mit dem Smartphone auf. Wir alle müssen in diesen Zeiten von Corona improvisieren.

Ich bin in vorsorglicher Quarantäne, weil ich vergangene Woche zum Skifahren in Österreich war. Als wir in den Urlaub aufgebrochen sind, war die Welt noch eine andere.

Es ist gerade mal acht Tage her, da erreichte das Schreckgespenst der Epidemie unseren Skiort. Die Hotelgäste aus Holland, Schweden, Deutschland reisten vorzeitig ab. Wir ebenfalls mit dem mulmigen Gefühl: Kommen wir überhaupt noch raus?

Kaum waren wir zu Hause, sprach Bundesgesundheitsminister Jens Spahn die Empfehlung aus: Wer in Österreich war, soll sich in freiwillige Quarantäne begeben. Das haben wir sofort getan.

Meine Quarantäne ist komfortabel. Ich kann mich zu Hause einmotten, mit dem Laptop Homeoffice machen und mir im Garten die Füße vertreten.

Viele andere können das nicht so einfach. Und viele andere haben Angst um ihre Existenz. Meine Blumenhändlerin, der Taxifahrer, die Café-Besitzerin – sie wissen nicht, wie sie die Krise finanziell überstehen.

Mein Freund aus Syrien mit seiner kleinen Familie hat gerade erst einen Job gefunden. Das steht jetzt auf der Kippe. Die meisten Tafeln für Bedürftige haben geschlossen – woher bekommen die mit wenig oder keinem Geld jetzt Lebensmittel?

Über all dem liegt der Schrecken vor der Krankheit. Die Gefahr ist unsichtbar. Sie kann überall lauern. Sie kennt keine Uhrzeit. So beschreibt das ein Psalm in der Bibel: „Die Pest, die im Finstern schleicht, die Seuche, die am Mittag Verderben bringt.“ (Psalm 91,6)

Diese alten Sätze verstehe ich jetzt besser. Der Psalm spricht von „dem Grauen der Nacht“. So geht es mir. Ich kann oft nicht schlafen, weil ich mir Sorgen mache, wie wir da alle heil durchkommen.

Ich habe keine Angst um mich. Ich habe Angst um meine jüngere Kollegin, die Krebs hat. Für sie wäre eine Infektion lebensgefährlich. Ich denke an meinen Vater mit seinen 77. Für sie und für die vielen anderen, die bedroht sind, mache ich das: Ich bleibe zu Hause. Ich treffe niemanden.

Noch nie war es so leicht, für andere zum Schutzengel zu werden: einfach zu Hause bleiben. Von Engeln ist in dem Psalm aus der Bibel ebenfalls die Rede. Da steht die Zusage Gottes: „Denn er hat seinen Engeln befohlen, dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen.“ (Psalm 91,11)

Auf allen deinen Wegen, das heißt aktuell: auf meinen Wegen zu Hause. Vom Bett ins Bad an den Schreibtisch fürs Homeoffice, bei den Familien zum Daheim-Schulprogramm mit den Kindern. Gottes Engel mögen erst recht die behüten, die jetzt zum Wohl von uns allen raus müssen - die sich um Menschen kümmern, die den Laden am Laufen halten.

Es sind zurzeit viele Engel unterwegs. Die Lastwagenfahrer, die Verkäuferinnen in den Supermärkten. Und natürlich die Ärztinnen und Pfleger in den Krankenhäusern, die Virologen in den Laboren. Endlich wird allen klar, dass nicht nur Banken systemrelevant sind.

Ein Post in den Sozialen Medien zeigt zwei OP-Schwestern. Sie lächeln hinter ihrem Mundschutz und halten ein Tablett mit der Aufschrift: „Wir bleiben für euch da. Bleibt ihr für uns zu Hause.“

Engel sind oft unsichtbar. Aber sie hinterlassen Spuren, so wie die Menschen, die jetzt für ihre alte Nachbarin, die nicht vor die Tür soll, einkaufen gehen und den Korb mit Lebensmitteln vor ihre Tür stellen.

Wie Engel sind diejenigen, die jetzt häufiger bei denen anrufen, die allein leben, für die Homeoffice oder Quarantäne Einsamkeit bedeuten. Ganze Heerscharen von Engeln fliegen hin und her mit den Textnachrichten, Fotos und Videos, die viele sich jetzt digital schicken, mit den Kerzen, die einige jeden Abend ins Fenster stellen, mit dem Schlusssatz in vielen Mails: „Bleiben Sie gesund! Seid behütet!“ Zu den Heerscharen an Engeln gehören selbst die Corona-Witze. Humor hilft.

„Denn Gott hat seinen Engeln befohlen, dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen, dass sie dich auf den Händen tragen.“ Diese Zeichen des Zusammenhalts über die notwendige Distanz hinweg sind wie Engel, die uns tragen.

Denn: „Nicht alles ist abgesagt. Sonne ist nicht abgesagt. Frühling ist nicht abgesagt. Beziehungen sind nicht abgesagt und Liebe auch nicht. Lesen ist nicht abgesagt genauso wenig wie Musik. Hoffnung ist nicht abgesagt. Beten ist nicht abgesagt.“

 

Schreiben wir uns, gern auch hier: auf Facebook unter „Evangelisch im Deutschlandradio“.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

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03.01.2020
Martin Vorländer