Erinnerungskultur muss wehtun

Gedanken zur Woche

Foto: epd-bild/Steffen Schellhorn. Lutherstadt Wittenberg mit der Stadtkirche St. Marien am Marktplatz (Drohnenfoto vom 27.03.2017). Links das Rathaus. Die Stadtkirche ist das älteste Gebäude in Wittenberg und war die Predigtkirche des Reformators Martin Luther (1483 -1546).

Erinnerungskultur muss wehtun
Gedanken zur Woche mit Pfarrer Eberhard Hadem
07.02.2020 - 06:35
03.01.2020
Eberhard Hadem
Über die Sendung

Der wichtigste Schritt in der Erinnerungskultur: Öffentlich und verständlich zur eigenen Geschichte stehen!

Die "Gedanken zur Woche" mit Pfarrer Eberhard Hadem, am 7.2.20 um 06.35 Uhr im Deutschlandfunk.

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Am Dienstag hat das Oberlandesgericht in Naumburg im Strafgerichtsprozess gegen die evangelische Kirchengemeinde in Wittenberg entschieden, dass die sogenannte ‚Judensau‘ an der Stadtkirche St. Marien nicht zu entfernen sei. Denn von ihr gehe kein Beleidigungsdruck mehr aus, weil sie mit Mahnmal und Stele in eine Gedenkkultur eingebettet sei. Der Kläger, ein Mitglied der jüdischen Gemeinde, will Revision beim Bundesgerichtshof in Karlsruhe gegen das Naumburger Urteil einlegen.

 

‚Judensau‘ ist ein schreckliches Nazi-Wort, auch wenn es schon im 13. Jahrhundert solche Darstellungen gab, zunächst im Kirchenraum, bald danach auch außen. Es ist und bleibt eine Beleidigung. Nichts an diesem Begriff ist neutrale Beschreibung.

Das, was vor 700 Jahren an der Wittenberger Stadtkirche in der Arbeit eines Steinmetzes bildhauerisch geschaffen wurde, ist eine Schmähplastik, die Juden wegen ihrer Religion diskriminiert. Martin Luther predigte später in Wittenberg, die Juden hätten nicht begriffen, dass der Messias gekommen sei. Deshalb seien sie schuld am Tod Jesu. Diese breite christliche Tradition der Judenfeindschaft ist ein fester Bestand im Antisemitismus. Der Hass gegen Juden in Deutschland geschieht zunehmend öffentlich. Umso verständlicher der Wunsch des Klägers, die Schmähplastik zu entfernen.

 

Dennoch gibt es Gründe, das nicht zu tun – wenn klar benannt wird, „was das ist und woher es kommt“ (Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland). Christen und ihre Kirchen sollten sich – in Wittenberg und anderen Orten – der Auseinandersetzung mit der eigenen antijüdischen Tradition in demselben öffentlichen Raum stellen, in dem die Schmähungen seit Jahrhunderten präsent sind. Solange Judenhass toleriert wird und unsere jüdischen Mitbürger Schutz brauchen, sollte an einem öffentlichen Ort daran erinnert werden, dass Christen einen rassistischen Schwachsinn zum Kunstwerk gemacht haben. Diese kirchliche Auseinandersetzung gehört an den Ort der Tat. Nur dort, wo sie geschieht, könnte die Sau auf dem öffentlichen Platz erhalten bleiben.

 

Und da kommt es auf die Details an. Oft argumentieren Christen und Kirchengemeinden erbärmlich: Es wird verharmlosend von ‚befremdlichen Schmähungen‘ gesprochen. Man flüchtet sich in allgemeine Beteuerungen des guten Verhältnisses zur jüdischen Gemeinde. Oder es heißt: Man könne doch nicht einzelne Figuren so hervorheben, das würde doch der Kirche nicht gerecht. Und die Gerechtigkeit für jene, die Hass und Erniedrigung erfahren haben und noch erfahren?

 

Für mich heißt das: Christen schämen sich oft zu wenig für die Geschichte ihrer Kirche. Scham empfinden gefällt niemandem. Aber es hilft nicht zu sagen, es sei ein schwieriges Erbe, für dessen Entstehen man nichts könne und mit dem man jetzt leben müsse. Wer erbt, besitzt. So einfach ist das. Und der Besitzer muss bereit sein, die Verantwortung zu tragen im Umgang mit der Schuld früherer Generationen. Macht der Erbe das nicht, wird er fortgesetzt schuldig an der Beleidigung anderer, juristischer Beleidigungsdruck hin oder her.

 

Unmissverständlichkeit ist angesagt, damit jeder Mensch ohne viel Vorwissen verstehen kann, was gemeint ist: Was Christen vor vielen Jahrhunderten an Schändlichkeiten geschaffen haben. Was Christen heute darüber denken und an Scham empfinden. Am Platz vor der Kirche soll das passieren, nicht im Museum. Verantwortung bedeutet Antwort geben – und zwar am Ort der Tat und im Gegenüber zu denen, die gedemütigt wurden und werden.

 

Deshalb finde ich die Überlegungen an der Wittenberger Stadtkirche gut, Schmähplastik und Mahnplatte durch ein Lichtband miteinander zu verbinden. Die Schuldgeschichte am Ort der Tat und die Scham heute darüber wären damit aufeinander bezogen. Das ist der wichtigste Schritt: Öffentlich und verständlich zur eigenen Geschichte stehen. Wer von Umkehr spricht, wie es die christlichen Kirchen oft machen, sollte das tun, was immer zur Umkehr gehört: Vor der eigenen Haustüre kehren.

 

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Es gilt das gesprochene Wort.

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03.01.2020
Eberhard Hadem