Gast auf Erden

Gemeinfrei via unsplash/ CDC

Gast auf Erden
Gedanken zur Woche mit Pfarrer Peter Oldenbruch
21.01.2022 - 06:35
06.01.2022
Peter Oldenbruch
Über die Sendung

Unter dem Credo der Freiheit gehen Tausende Woche für Woche auf die Straßen, um gegen die Corona-Maßnahmen zu protestieren. Auch die evangelische Kirche sieht sich als Kirche der Freiheit. Doch Freiheit hört da auf, wo ich anderen Menschen mit meiner selbst ernannten Freiheit Schaden zufüge. Pfarrer Peter Oldenbruch in den "Gedanken zur Woche"

Die Gedanken zur Woche im DLF.

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Es sind Tausende, die gegen die Corona-Maßnahmen protestieren, auch in dieser Woche. Und es protestieren nicht allein gestiefelte Rechte.Auch Giorgio Agamben zum Beispiel, einer der bekanntesten italienischen Philosophen. Er hat ein verrücktes, ein gescheites Buch über den Apostel Paulus geschrieben, daher kenne ich ihn.

Der 79-jährige Agamben meint nun, bei den Protesten gegen die Corona-Maßnahmen handele es sich um Freiheitsrevolten gegen eine angeblich heraufziehende Corona-Diktatur. Die Epidemie liefere Regierungen den Vorwand, um einen „Ausnahmezustand“ zu schaffen, in dem sich dann ungehemmt regieren lässt.

Mit den Ausgehverboten, den Schulschließungen, dem Zwang zur Maske lege der Staat seine demokratische Maske ab und zeige seine autoritäre Fratze. Das wird vielen in der Szene der vermeintlichen Spaziergänger gefallen. Freiheit ist dort ein zentraler gemeinsamer Nenner.

Nun sieht sich die evangelische Kirche als Kirche der Freiheit. Gerade im Glauben geht´s nicht darum, sich anzupassen, einer Mehrheitsmeinung, einer Tradition, einem Trend. Es geht um mich. Im Großen Katechismus sagt Luther in der Auslegung des ersten Gebotes: „Woran du dein Herz hängst und worauf du dich verlässt, das ist eigentlich dein Gott.“

Worauf verlass´ ich mich im Leben? Und im Sterben? Was ist für mich verbindlich? Diese Fragen kann nur das einzelne Ich beantworten, dem eigenen Gewissen folgend, ohne irgendwelche Bevormundung.

So etwa funktioniert sie - die evangelische Freiheit. Aber auch die evangelische Freiheit hat Grenzen. Es gibt keine schrankenlose Freiheit - sie wäre Willkür. Und als Willkür verstandene Freiheit neigt dazu, auszurotten, was der eigenen Freiheit im Wege steht.

Nein, die Grenze meiner Freiheit ist die Freiheit der anderen. Nicht oder nur mit Maske in einem Gottesdienst singen zu dürfen, das schränkt meine „Glaubensfreiheit“ enorm ein. Mir wurde dadurch noch deutlicher, wie zentral für mich unsere Choräle sind. Und die muss man singen, nicht mitlesen, während die Orgel spielt. Aber ohne Maske kann ich damit andere anstecken. Die Maskenpflicht auch im Gottesdienst scheint mir deshalb Respekt zu sein, Rücksicht auf die anderen. Ich habe nicht die Freiheit, andere ins Grab zu bringen.

Wo die eigene Freiheit endet – aus Respekt vor der Freiheit der anderen, das allerdings steht nicht von vorneherein fest. Wann genau ich durchs Pochen auf meine Freiheit die Rechte anderer verletze:

Darüber muss gestritten werden und gerungen und dann entschieden. In solch mühsamem Streit befinden wir uns gerade, was die Impfpflicht angeht. Und dieser Streit muss sein.

Giorgio Agamben behauptet, unsere Gesellschaften hätten das natürliche Verhältnis zu Sterben und Tod verloren. Wenn wir um jeden Preis bloß überleben wollten, dann verlören wir den Sinn für die Freiheit und würden zu Sklaven u.a. der Apparate-Medizin. Das Symbol dafür sei das Beatmungsgerät. Das nackte Leben werde so zum Fetisch. Diese Kritik geht an die Adresse des Christentums.

Denn selbstverständlich sind wir es, die nicht nur auf Friedhöfen daran erinnern: Wir sind nur Gast auf Erden und wir haben hier keine bleibende Stadt. Menschen können gar nichts anderes sein als Gäste auf dieser Erde. Daraus kann ich jedoch nicht ableiten, eine Durchseuchung zum Beispiel sei jetzt schon zuzulassen, auch wenn Alte, Vorerkrankte oder Ungeimpfte dabei sterben.

Motto: Sterben müssen ja ohnehin alle.

Gerade weil wir wissen, dass wir nur eine Vergänglichkeit lang auf diesem blauen Planeten zu Gast sind, gilt: Pflanzen, Tiere, Menschen, alles, was lebt, ist dazu ausersehen, eine Vergänglichkeit lang hier „atmen, lieben, sich tummeln zu dürfen.“ (Kurt Marti)

Jesus hat sterbliche Menschen geheilt. Und das war ein Zeichen: Alle Gäste auf dieser Erde haben das Recht auf ein würdiges und unverstümmeltes Leben.

Es gilt das gesprochene Wort.

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06.01.2022
Peter Oldenbruch